Test: Aprilia RSV4 R
Kollege Peter Mayer, Spezialist für Grobstolliges, bringt es mit einem breiten Grinsen auf den Punkt. „Isch des klasse, da woisch nach einer Minute Bescheid, was Sache ist“, sprudelt es in breitestem Schwäbisch unterm Helm hervor. Der Offroad-Experte hat den Ausflug ins Reich der Gebückten offenbar genossen und die RSV4 R bereits nach wenigen Minuten in sein Herz geschlossen. Dabei hatte sie keinen leichten Einstand. Sie musste nicht nur zeigen, dass die verpatzte Premiere ein einmaliger Ausrutscher gewesen und damit ad acta gelegt ist (siehe Interview auf der nächsten Seite dieses Artikels), sondern auch, dass sie trotz einfacherer Ausstattung gegenüber der Factory keine billige Sparnummer ist.
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Aprilia RSV4 R
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Den Verzicht auf Dinge wie einstellbarer Lenkkopfwinkel, Motorposition und Schwingendrehpunkt, auf Schmiederäder, Karbon-Teile, Öhlins-Federelemente sowie variable Ansaugtrichter versüßt die „R“ mit einem wesentlich freundlicheren Einstandspreis. 15500 Euro bedeuten mithin rund 4300 Euro weniger, als für die edlere Factory fällig werden. Dazu gibt es sogar ein Soziusplätzchen. Allerdings nur ein rudimentäres.
Ohnehin genießt man die RSV4 am besten pur und solo. Schließlich ist sie reinrassige Sportlerin durch und durch. Das fast spartanisch dünne, dafür gefühlsechte Sitzpolster sorgt für eine hohe Sitzposition. Die tief montierten Stummellenker perfekt gekröpft, die Rasten in idealer Höhe – das ergibt den optimalen Arbeitsplatz für Kurvenjunkies. Dazu gestattet ihre Wespentaille fantastischen Knieschluss.
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Trotz klassenüblichem Radstand ist die RSV4 R eine ungemein kompakte Erscheinung.
Angesichts der frostigen Temperaturen in Frankreichs Süden muss der Anlasser etwas nachhaltiger zur Arbeit rufen, ehe der V4 mit knurrigem Ton seinen Dienst antritt. Mit Einlegen des ersten Ganges öffnet die Stellklappe im Auspuff und aus verhaltenem wird richtig lautes Bollern. Das mag zwar den Racing-Auspuff sparen, ist andererseits vor allem auf Dauer doch etwas arg viel Getöse.
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Fabelhafter Biss, klasse Dosierbarkeit, so sehen Spitzenbremsen aus.
Zumindest aber unterstreicht es den Einsatzzweck der wunderschönen Signorina: Sport. Kurven verschlingen. Und das macht auch die „R“ mit einer Hingabe, einer Leichtigkeit, die sie aus der Masse der übrigen Sportler heraushebt und die man von bisherigen 1000ern so nicht kannte. Klasse, wie locker sie sich in Schräglage bringen und dort halten lässt. Die leichteren Schmiederäder der „Factory“ vermisst man jedenfalls so wenig, wie die acht Kilogramm Mehrgewicht stören. Die Selbstverständlichkeit und Präzision, mit der die Aprilia ihren Weg in die Kurven und hindurch findet – und da spielt es nun wirklich keine Rolle, welchen hinterhältigen Weg der Kurvenverlauf auch nimmt – hat etwas Bezauberndes. Man könnte sich in einen regelrechten Rausch fahren, hätte nicht jedes Nebensträßchen, jeder Pass mal ein Ende.Voraussetzung allerdings ist, dass die enorm haftfreudigen Metzeler Racetech K3 schön warm gefahren sind. Erst dann gewähren sie Grip und Rückmeldung. Einstellige Temperaturen mögen sie ebenso wenig, wie der V4 das Aufwachen nach klirrend kalten Nächten.
Ansonsten aber fehlt es dem RSV4 R-Chassis auf der Landstraße an nichts. Obwohl geringfügig weicher abgestimmt als bei der Factory, sorgen die Federelemente der „R“ für tadellose Stabilität. Langgezogene, schnelle Bögen, selbst wenn sie mit Bodenwellen gespickt sind, meistert die Aprilia souverän. Und prescht unbeirrt auch über pockennarbige Asphalt-Fratzen.
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Nettes Detail: hintere Bremspumpe mit integriertem Flüssigkeitsbehälter.
Die Gabel filtert dabei gewissenhaft die Unregelmäßigkeiten der Fahrbahnoberfläche weg. Einzig das Federbein mag nicht klein beigeben und reicht Fugen und Kanten trocken und unverwässert an den Fahrer weiter. Doch angesichts der gebotenen Stabilität und vor allem der gelungenen Balance, erscheint diese kleine Härte als Kompromiss noch akzeptabel.
Viel mehr als akzeptabel, nämlich ausgezeichnet, ist auch ihre Neutralität. Selbst wenn in Kurven die ebenso fulminant wie fein dosierbar zupackenden Brembo-Zangen aktiviert werden, bleibt sie stur auf Kurs. Aufstellmoment? Vergiss es. Nur wer vor Kurven hart den Anker wirft und gleichzeitig im exakten Getriebe runterschaltet, macht rasch Bekanntschaft mit einem schwänzelnden Heck. Die Anti-Hopping-Kupplung unterbindet Hinterrad-stempeln zwar wirkungsvoll. Die Neigung, mit dem Hintern zu wedeln, aber nicht. Wobei das aber nun wirklich Meckern auf höchstem Niveau ist. Gekonnt setzt sich auch der V4 in Szene. Ab 7500/min scheint er mit einem donnernden Aufschrei förmlich zu explodieren. Kraftvoll und wie entfesselt reißt er dann Ross und Reiter vorwärts. Mangels variabler Ansaugtrichter hat er zwar gegenüber der Factory ab 12000/min etwas weniger Durchschlagskraft, in freier Wildbahn spielt das aber keine Rolle. Gestützt auf eine kräftige Mitte bietet er vielmehr selbst bei moderaten Drehzahlen genügend Druck.
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Die spiegelnde Scheibe beeinträchtigt die Ablesbarkeit.
Nur die Lastwechselreaktionen wie das Ride-by-wire und dessen Reaktion auf Gasbefehle im unteren Drehzahlbereich könnten noch etwas verfeinert werden. Ansonsten gibt es wahrlich nicht viel, was an diesem knurrigen Kraftwürfel zu mäkeln sei. Halt, doch, seine Trinksitten noch. 7,8 Liter machen die RSV4 R zum Säufer. Ansonsten aber zeigt sie, dass der Verzicht auf die gehobene Ausstattung der Factory nicht mit Verzicht beim Fahrspaß erkauft wird. Was letztlich auch das zufriedene Grinsen von Kollege Peter Mayer erklärt.
Stellungnahme von Aprilia
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Romano Albesiano, Entwicklungschef von Aprilia, nimmt zu den gebrochenen Pleueln Stellung.
MOTORRAD-Leser werden das Desaster bei der Präsentation der RSV4 R in Mugello verfolgt haben (siehe MOTORRAD 24/2009). Beinahe gleichzeitig gingen fünf Motoren hoch, gottlob kam keiner der Journalisten zu Sturz. Der Grund: urplötzlich mitten im Schaft brechende Pleuel. Die gesamte Aprilia-Delegation rang fassungslos um Worte, konnte aber zunächst keine Erklärung liefern.
Nach eingehenden Untersuchungen teilte nun Aprilias Entwicklungschef Romano Albesiano im Rahmen einer zweiten Präsentation in Estoril/Portugal die Ursache für die Schäden mit. Die Pleuel werden beim italienischen Zulieferer in Chargen von rund 3000 Stück gefertigt, danach muss jeweils die Schmiedeform erneuert werden. Die ersten beiden Lieferungen waren einwandfrei und wurden in den Factory-Modellen des Jahrgangs 2009 eingebaut.
Die dritte Charge war für die neue RSV4 R vorgesehen, zunächst wurden damit rund 50 Vorserienmaschinen aufgebaut. Erst als deren Motoren bei der Präsentation kollabierten, wurde das Problem erkannt. Laut Aprilia handelt es sich um einen Fehler in der Schmiedeform, der quasi eine Sollbruchstelle erzeugte. Außer den Vorserienmaschinen waren nur wenige Motoren für die Serienproduktion betroffen, die daraufhin wieder zerlegt wurden. Eine verbesserte Qualitätskontrolle soll solche Pannen künftig ausschließen.
Technische Daten
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Am meisten Spaß mit der RSV4 R macht einfach das Kurvenfahren.
Motor:
Wassergekühlter Vierzylinder-Viertakt-65-Grad-V-Motor, je zwei obenliegende, zahnrad-/kettengetriebene Nockenwellen, vier Ventile pro Zylinder, Tassenstößel, Nasssumpfschmierung, Einspritzung, Ø 48 mm, geregelter Katalysator, Lichtmaschine 420 W, Batterie 12 V/9 Ah,
mechanisch betätigte Mehrscheiben-Ölbadkupplung, (Anti-Hopping), Sechsganggetriebe, O-Ring-Kette, Sekundärübersetzung 42:16.
Bohrung x Hub 78,0 x 52,3 mm
Hubraum 1000 cm³
Verdichtungsverhältnis 13,0:1
Nennleistung 132,4 kW (180 PS) bei 12500/min
Max. Drehmoment 115 Nm bei 10000/min
Fahrwerk:
Brückenrahmen aus Aluminium, Upside-down-Gabel, Ø 43 mm, Lenkungsdämpfer, verstellbare Federbasis, Zug- und Druckstufendämpfung, Zweiarmschwinge aus Aluminium, Zentralfederbein mit Hebelsystem, verstellbare Federbasis, Zug- und Druckstufendämpfung, Doppelscheibenbremse vorn, Ø 320 mm, Vierkolben-Festsättel, Scheibenbremse hinten, Ø 220 mm, Zweikolben-Festsattel.
Alu-Gussräder 3.50 x 17; 6.00 x 17
Reifen 120/70 ZR 17; 190/55 ZR 17
Bereifung im Test Metzeler Racetec Interact
Maße und Gewichte:
Radstand 1420 mm, Lenkkopfwinkel 65,5 Grad, Nachlauf 105 mm, Federweg v/h 120/130 mm, Sitzhöhe* 840 mm, Gewicht vollgetankt* 212 kg, Zuladung* 194 kg, Tankinhalt/Reserve 17,0/4,0 Liter.
Garantie zwei Jahre
Service-Intervalle 10000 km
Farben Schwarz, Weiß
Preis 15214 Euro
Nebenkosten zirka 286 Euro
Zeichnung: Archiv
Leistungsdiagramm der beiden RSV4.
Messwerte:
Fahrleistungen
Höchstgeschwindigkeit 290 km/h
Beschleunigung
0–100 km/h 3,2 sek
0–140 km/h 4,9 sek
0–200 km/h 8,0 sek
Durchzug
60–100 km/h 3,5 sek
100–140 km/h 3,6 sek
140–180 km/h 3,8 sek
Tachometerabweichung
Effektiv (Anzeige 50/100) 49/98 km/h
Verbrauch:
Landstraße 7,8 Liter/100 km
Kraftstoffart Super
Theoretische Reichweite Landstraße 218 km