Im oberitalienischen Städtchen Noale residiert die Rennabteilung von Aprilia. Dort bauen sie individuelle Rennmotorräder – sogar mit Flügeln. Wie schlägt sich die Aprilia RSV4 RF FW im Test?
Im oberitalienischen Städtchen Noale residiert die Rennabteilung von Aprilia. Dort bauen sie individuelle Rennmotorräder – sogar mit Flügeln. Wie schlägt sich die Aprilia RSV4 RF FW im Test?
Bei 300 und X Sachen klemmst du eng auf der drahtigen Maschine zusammengefaltet und duckst dich hinter die Verkleidungsscheibe. Auf Höhe der vorbeifliegenden Boxenausfahrt bretterst du ganz rechts über die italienische Fahne am Boden. Volles Rohr! Im letzten Drittel der über 1,1 Kilometer langen Geraden lauert ein zarter Linksknick, der den weiteren Streckenverlauf dahinter kurz verbirgt. Aber du weißt: Hinter dem Knick geht es weiter geradeaus – lass das Gas stehen! In der Bremszone wirfst du brutal den Anker, aber kontrolliert und punktgenau. Volltreffer. Da bremst sich keiner mehr vorbei – garantiert nicht! Vier Schaltvorgänge nach unten und ebenso viele Donnerstöße darauf sticht die Maschine im Zweiten auf perfektem Radius in die San Donato-Kurve. Zwar bummeln in der Zwischenpassage bergauf drei andere Fahrer abseits der Ideallinie herum. Aber bevor sie den nächsten Kurveneingang blockieren können, bist du schon rechts durchgewischt. So geht das den ganzen Nachmittag bis zum Abend. Runde für Runde. Turn für Turn. Der Kurs von Mugello und die Aprilia RSV4 RF FW. Was für eine herrliche Kombination!
An diesem Punkt stellen sich zwei Fragen: Warum eigentlich Mugello und was genau ist eine Aprilia RSV4 RF FW? Frage eins lässt sich wahrscheinlich am ehesten mit der Nähe zum Aprilia-Werk beziehungsweise der Rennabteilung in Noale erklären. Von dort bis zur legendären MotoGP-Piste nach Mugello sind es nicht mehr als 240 Kilometer. Außerdem bietet Mugello einfach höchsten Fahrgenuss mit so einem feinen Superbike. Spitze Haarnadelkurven oder derbe Schikanen, bei denen du nicht weißt, ob du sie besser im ersten oder im zweiten Gang nehmen sollst, gibt es nicht. Alles geht flüssig und mit Schwung. Speziell die berühmten Kurvenkombinationen Arrabiata eins und zwei haben es in sich. Rechts herum führt die Strecke in nicht enden wollender Schräglage erst den Berg hinunter und dann wieder hinauf. Wenn du ein über 200 PS starkes Superbike hier im Dritten durchprügeln willst, brauchst du ein stabiles und präzises Chassis. Eine Portion Mut und Zuversicht helfen bestimmt auch!
Die zweite Antwort hängt zusammen mit der beeindruckenden Performance, die das Motorrad hier in Mugello abliefert. FW steht ganz einfach für Factory Works und bedeutet so viel wie „mit Kit-Teilen veredelt“. Auf Wunsch sogar von den Rennsportprofis im eigenen Hause. Aprilia betreibt einen immensen Aufwand für die Rennsportaktivitäten im MotoGP und der Superbike-WM. In Noale unterhält der Hersteller eigens dafür eine riesige Rennabteilung mit 75 Mitarbeitern und hochmoderner Ausstattung. Aktuell liegt der Fokus zwar ganz klar auf dem MotoGP. Vor dem Engagement im GP-Zirkus war es aber die RSV4, die Aprilia-Lorbeeren in Form von drei Fahrer- und vier Herstellertiteln in der Superbike-WM einbrachte. „Mit der Aprilia RSV4 haben wir alles gewonnen, was sollen wir international noch groß beweisen?“, meint ein Aprilia-Sprecher deshalb selbstbewußt gegenüber PS noch vor dem ersten Turn in Mugello.
„Tun wir doch mit der RSV4 als Basis was für den Breitensport“, scheint die Devise in Noale gewesen zu sein, als man sich 2017 entschloss, das FW-Programm auf die Beine zu stellen. Aus einem opulenten Angebot an Werks-Tuningteilen für die RSV4 RR oder RF der Baujahre 2017 oder 2018 kann sich der Kunde also aussuchen, was ihm gefällt. Die Teile gehen dann je nach Wunsch entweder direkt an den Kunden oder den Händler seines Vertrauens. Wer ein reines Rennmotorrad möchte, kann sogar eine Aprilia RSV4 FW (ohne RF im Namenszusatz) bestellen. So eine Maschine ohne Zulassungspapiere würde sogar von den Spezialisten der Aprilia-Rennabteilung direkt in Noale zusammengebaut und dort dem Kunden übergeben werden. Welche Mittel eingesetzt werden sollen, entscheidet am Ende nur der Kunde beziehungsweise dessen Geldbeutel. Egal, ob nationales oder internationales Superstock/Superbike-Reglement (FW-SSTK-Kit/FW-SBK-Kit): Aprilia kann liefern.
Bei unserer Testmaschine in Mugello entschied sich Aprilia für den Mittelweg. Das Motorrad wurde nicht für eine spezielle Rennserie präpariert, sondern für einen Rennstreckenaffinen Hobbyracer aufgebaut. Leichter musste sie sein und stärker, klar. Aber auch mechanisch haltbar und simpel zu bedienen, ohne ein ganzes Werksteam für jede Inbetriebnahme mit zur Rennstrecke nehmen zu müssen. Minus zehn Kilogramm fahrfertiges Gesamtgewicht (etwa 200 Kilo) und zusätzliche 15 PS (etwa 215 PS) sollen bei der von uns in Mugello gefahrenen Aprilia RSV4 RF FW auf der Waage und dem Prüfstand stehen. Die Gewichtsersparnis resultiert hauptsächlich aus der Racing-Titananlage von Akrapovic (5,5 Kilo leichter als die Serie), einer zwei Kilogramm leichteren Lithium-Ionen-Batterie, einem 1,75 Kilo leichteren Tank plus Kleinigkeiten wie der gefrästen Gabelbrücke (minus 0,25 Kilo) und anderen Hebeln. Wer übrigens die volle Packung möchte, bestellt die RSV4 FW-GP (über 250 PS, zirka 164 Kilo fahrfertiges Gesamtgewicht) für 165.000 Euro plus Steuern.
Theoretisch könnte der V4-Motor also noch viel mehr Leistung bringen als die 15 zusätzlichen PS in unserer Testmaschine. Mit den vorgenommenen Änderungen spricht Aprilia aber von einem ausgewogenen Verhältnis von mehr Power bei gleichbleibendem Wartungsaufwand wie in der Serie. Dafür besitzt die RF FW einen neuen Zylinderkopf mit höherer Verdichtung (14,0:1 statt 13,6:1) und optimiertem Luftstrom. Die Einlass- und Auslass- kanäle sowie die Brennräume sind poliert. Die leichteren Kolben besitzen einen neuen Kompressionsring und eine DLC-Beschichtung, um die Reibung zu reduzieren. Weitere Teile im Zylinderkopf wie Ventile, Federn und auch die Nockenwellen entsprechen der Serie. Einen erheblichen Beitrag zum Leistungsplus bringt die Akrapovic-Komplettanlage. Eigens dafür besitzt die Aprilia RSV4 RF FW eine optimierte ECU. Die hier verbaute Motorsteuerung kommt aber nur zum Einsatz, um den mechanisch leicht aufgepeppten Motor mit der Auspuffanlage zu harmonisieren. Sie darf nicht mit der sogenannten APX-Kit-Elektronik verwechselt werden, die auch tiefere Eingriffe in die Motor-Mappings oder das ABS erlaubt – da wären wir wieder beim professionellen Racing, weil man dafür einen komplett neuen Kabelbaum braucht.
Während des Vollgas-Nachmittags in Mugello bietet sich die Möglichkeit, die Aprilia RSV4 RF FW mit einer serienmäßigen RSV4 RR (das Standardmotorrad ohne Öhlins-Fahrwerk) direkt zu vergleichen. Das Ergebnis: Für einen ambitionierten Trackday-Hero stellt sich die Frage nicht, ob er zur RR-Version greift oder doch lieber zu eben dieser RF FW. Es sind Feinheiten, die den Unterschied machen. Aber genau auf diese Details kommt es auf der Rennstrecke an. Der optimierte Motor der RSV4 RF FW gibt seine Mehrleistung gleichmäßig und sauber dosierbar ab. Es ist nicht etwa so, dass er dich im oberen Drehzahl- bereich mit explosionsartiger Zusatzpower fast aus dem Sattel schleudert. Vielmehr verteilen sich die 15 Mehr-PS schön abrufbar auf das gesamte Drehzahlband. Die RF FW macht einfach etwas dickere Backen als der Standardmotor und feuert deshalb eine Spur kräftiger und motivierter aus den Kurven. Wenn du das mal erlebt hast, willst du vom Serienantrieb allerdings nicht mehr viel wissen!
Beim Handling hebt sich die Aprilia RSV4 RF FW von der serienmäßigen RR noch deutlicher ab. Das Öhlins-Fahrwerk besitzt ein straffes Grundsetup, trotzdem spricht es in allen Geschwindigkeitsbereichen erheblich besser an und dämpft feiner. Auf der RF FW triffst du jeden Kurveneingang präzise und nimmst die Linie so eng, wie es dir beliebt. Das funktioniert mit der Serien-RR nicht, weil sie immer eine Spur weiter nach außen drängt und beim Einlenken behäbiger wirkt. Bestimmt trägt auch das geringere Fahrzeuggewicht bei der FW-Version einen Großteil zum leichteren Handling bei. Es ist schlichtweg sensationell, wie präzise und mühelos die Maschine auf Kurs geht! Außerdem bleibt sie beim Herausbeschleunigen ruhiger, wo eine RR mit dem Heck zu pumpen beginnt.
Einen positiven Eindruck hinterlassen bei der Aprilia RSV4 RF FW dazu die MotoGP-inspirierten Winglets an den Flanken der Verkleidung. Wer einen Marketing-Gag vermutet, täuscht sich. Gegenüber der RSV4 RR liegt die RF FW besonders am Ende der spektakulären Geraden stabiler und völlig ruhig. Sogar auf der Bremse beim Einlenken ist der positive Effekt zu spüren, weil mehr Druck auf dem Vorderrad lastet. Wer ambitionierten Rennsport betreiben möchte, könnte bei Aprilia an der richtigen Adresse sein. Das Werks-Tuning hält verschiedenste Optionen bereit, sich im wahrsten Sinne des Wortes beflügeln zu lassen!
PS: Herr Albesiano, lassen Sie uns über den Rennsport sprechen. Wie wichtig ist der MotoGP-Einsatz für Aprilia?
Romano Albesiano: Sehr wichtig! Wir wollen in der MotoGP unbedingt erfolgreich sein. Dieses Projekt ist uns eine Herzensangelegenheit und fordert momentan 99 Prozent unserer Kraft und Aufmerksamkeit.
PS: Aprilia ist ein vergleichsweise junges Team im sehr hart umkämpften Grand Prix-Zirkus. Wie lautet das Ziel für die aktuelle Saison?
Romano Albesiano: Zu Beginn der Saison war unser Anspruch, auf jeden Fall unter den ersten fünf oder sechs anzukommen. Doch das Level und die Leistungsdichte sind unglaublich hoch. In den ersten Rennen konnten wir das Potenzial unserer Maschine wegen Problemen mit dem Benzinverbrauch nicht vollständig ausschöpfen. Unsere Gegner haben einfach deutlich mehr Erfahrung, und diese Lücke müssen wir jetzt schließen. Das Potenzial für Plätze in den Top Ten ist bei jedem Rennen vorhanden.
PS: Gibt es eine Strecke, die eurer MotoGP-Maschine besonders liegt oder entgegenkommt?
Romano Albesiano: Ich würde sagen, dass es Strecken gibt, die zu einer bestimmten Fahrer/Motorrad-Kombination besonders gut passen. Am Ende gibt das Gefühl des Fahrers meist den Ausschlag. Auf Phillip Island waren wir letztes Jahr stark. Aber ehrlich gesagt glaube ich nicht, dass unsere Maschine auf einem speziellen Track dominiert oder große Nachteile hat. Es gibt Strecken, auf denen wir sehr konkurrenzfähig sind und Strecken, da klappt es eher nicht so gut. Unsere Maschine ist kein extremes Motorrad, sondern eher ausgewogen.
PS: In der Saison 2019 wird Andrea Iannone eine der Aprilias fahren. Wie kam der Deal zustande?
Romano Albesiano: Andrea zu überzeugen, war nicht schwierig. Für ihn als italienischen Piloten ist es gut, eine italienische Maschine zu fahren. Die Fans lieben das, und wir werden alle zusammen unser Bestes geben.
PS: Gab es Überlegungen, Superbike-WM-Fahrer Lorenzo Savadori auf das MotoGP-Motorrad zu setzen?
Romano Albesiano: Die gab es und er hat die GP-Maschine sogar schon ein- oder zweimal getestet. Sein Job ist momentan allerdings die Superbike-WM. Die MotoGP-WM stellt völlig andere Anforderungen an den Fahrer. Zwischen den beiden Klassen einfach so zu wechseln ist nicht einfach. Ich meine, in der Vergangenheit gelang nur Cal Crutchlow dieser Sprung.
PS: Apropos Superbike. Nach drei Fahrertiteln fährt die RSV4 in der WM nicht mehr so oft vorne mit wie früher. Wird es bald einen Nachfolger der RSV4 geben?
Romano Albesiano: Ich hoffe natürlich, dass die RSV4 in der WM wieder gewinnt. Aber wie schon gesagt, unser Fokus liegt jetzt auf der MotoGP. Momentan gibt es keinen Grund, einen RSV4-Nachfolger zu bauen. Unser Serienmotorrad gewinnt nach wie vor sehr viele Vergleichstests, zum Beispiel auch bei euch.
PS: Inwiefern wird dann aktuell die RSV4 noch weiterentwickelt?
Romano Albesiano: Kleinere Weiterentwicklungen und Änderungen gibt es immer. Aber was den Charakter unserer RSV4 betrifft, war es hautsächlich Max Biaggi, der die Entwicklung der Maschine maßgeblich beeinflusste und sie zu dem machte, was sie heute ist. Im Positiven wie im Negativen.
PS: Im Negativen?
Romano Albesiano: Den Rennsport betreffend. Was genau, kann ich nicht verraten. Festzuhalten bleibt aber: Unsere RSV4 ist mehr als nur am Leben!