Blickpunkt: Ducati 1199 Panigale
Der stärkste Zweizylinder aller Zeiten

Ducati baut den stärksten Zweizylinder aller Zeiten. Aber die Ducati 1199 Panigale ist viel mehr als das. Ein Blick hinter die Kulissen der Entwicklung und ein erster Eindruck, wie sie fährt. Plus: Video vom Motorenprüfstand von Ducati und Interview zur Präsentation der Panigale.

Der stärkste Zweizylinder aller Zeiten
Foto: Ducati

Mühsam schubst der Anlasser die Kurbelwelle in Drehung, die erste Zündung gleicht einer kleinen Explosion, rumpelnd stolpert der neue Ducati-V2 in einen stabilen Leerlauf. Wow! Das klingt schon mal richtig gut. Niemand wird der Panigale vorwerfen können, sie wäre zugestopft. Schon im Stand spricht sie deutliche Worte aus den beiden Auspufföffnungen vor dem Hinterrad. Claudio Domenicali, General Manager von Ducati und emsiger Treiber hinter der Ducati-Entwicklung der letzten Jahre, lässt den neuen Big-Piston-V2 aufbrausen. „Wie habt ihr das hingekriegt, ist das so homologiert?“ „Its magic, but it works“, lächelt Domenicali. Es bleibt sein Geheimnis, wie das so funktioniert. Ducati-Freunde wird dieser Sound begeistern, die 1198 SP, die der Autor fahren darf, hört man daneben kaum noch. Die Panigale lässt die Erde beben. Fahren? Richtig gelesen, Monate vor der Pressevorstellung des neuen sportlichen Flaggschiffs von Ducati darf MOTORRAD eine Runde mit der Ducati drehen. Genau genommen hinter der 1199. Denn klarerweise will man den Rest der Welt nicht brüskieren.

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Aber auch schon das Hinterherfahren ist ein Genuss. Zum klasse Sound addiert sich die betörende Optik der schlanken Italienerin. Wespentaille, die beiden mit LED-Technik bestückten Rückleuchten, die Durchbrüche unter der Sitzfläche, die mächtige 200er-Pirelli-Walze - scharf. Domenicali kennt sich in Bologna natürlich sehr gut aus, und man muss sich sputen, um dranzubleiben. Kreisverkehre sind dabei seine Spezialität. Der Mann scheint einen siebten Sinn dafür zu haben, wie sich die Flut von wild gewordenen Truckern, Vorfahrt erzwingenden Pkws und virtuos Slalom fahrenden Rollerpiloten bewegen wird. Und genau in die frei werdenden Lücken platziert er die Panigale, schleudert sie nur so durchs Getümmel und macht ohne Ende Meter. Einzig Erfolg versprechende Taktik: nicht nachdenken, Gas geben. „Du kannst die Panigale nicht mit der 1198 vergleichen. Im Handling ist das eine neue Welt“, wird er später erklären. Nicht nur, dass sie zehn Kilo leichter ist und mit 188,5 Kilogramm einen neuen Leichtbaurekord in der großen Klasse aufstellt. Nein, auch die Geometrie, die nun durch den weiter nach hinten geneigten Motor und die viel längere Schwinge realisiert werden konnte, helfe viel.

Auf einer langen Geraden dreht der Chef dann mal ordentlich am Gas. Die immerhin gut 170 PS starke 1198 müht sich redlich, aber die Panigale zieht unaufhaltsam davon. Keine Chance! Völlig demoralisiert wird der Hinterherfahrer dann in den Bergen. Da gibt es nichts zu erben. Die Panigale scheint tatsächlich eine neue Welt für Ducati zu bedeuten. Wie viel der neue Pirelli-Reifen daran Anteil hat, ist schwer zu sagen. Er scheint auch bei leicht feuchter Strecke bestens zu haften. Domenicali rollt zufrieden auf einen Parkplatz und schaut in ein verdutztes Testergesicht: „Zu viel versprochen?“ Immerhin, man darf mal Platz nehmen. Die Sitzposition ist viel lockerer, die Lenkerstummel liegen höher, bauen breiter, der Tank gelang endlich viel kürzer. Auf den ersten Versuch hin perfekt, aber man saß ja auf der bekannt fordernden 1198. Eine Wucht: das neue farbige und programmierbare TFT-Display. Je nach Fahrmodus ändert sich die Anzeigestrategie. Mal stehen Drehzahl und km/h im Vordergrund, im Rennstreckenmodus rückt die Rundenzeit ins Bild. Und, und, und … Was Besseres hat man noch nicht gesehen, und alle monochromen Displays wirken plötzlich steinalt. Wie damals die alten Handys nach den ersten mit farbigen Anzeigen. „Willst Du noch einen Testlauf sehen? Wir haben gerade einen Motor auf dem dynamischen Motorprüfstand.“ Na klar. In gleicher Manier wird sich wieder ins Werk zurückgestürzt.

Klamotten tauschen, Versuchsabteilung, das Allerheiligste. Andächtig bewundern die Ducati-Leute ihr neuestes Werk. Der 1199er-V2 mit den mächtigen 112er-Kolben ist auf die Folterbank gefesselt, der Computer steuert Drosselklappen und die Bremse. „Wir haben gerade Monza einprogrammiert. Dabei simulieren wir echte Runden, die unsere Testfahrer aufgenommen haben.“ Faszinierend. Nach ein paar Aufwärmminuten geht der Punk ab. Im sechsten Gang hämmert der Motor die Zielgerade hinunter, viermal zurückschalten, Schikane, dann Curva Grande, immer voll auf dem Gas. Blitzschnell wechseln die Gänge, die 1199 wird mit einem Schaltautomat ausgeliefert, der Hochschalten ohne Kupplungseinsatz zulässt. Die Lesmos, die Schikane auf der Gegengeraden, dann zur Parabolica, zwei Gänge runter und voll rechts rum wieder im Drift auf die Zielgerade, Nackenhaare stellen sich auf, die Atmung wird schneller - puh, nur Prüfstand, aber der Motor gibt alles.

Drehzahlen bis fast 12 000/min scheinen ihm möglich, und mehr als einmal konnte man über 140 Kilowatt auf dem Prüfstanddisplay sehen. Über 190 PS also. Genug. „Wir haben schon vor über fünf Jahren mit Computersimulationen die leistungsbestimmenden Teile errechnet. Um mit 1200 cm3 195 PS zu erreichen, kamen wir auf Kolbendurchmesser von 112 bis 120 Millimeter“, erklärt Domenicali. „Wir haben dann den kleinsten genommen.“ Der kleinste ist ganz beiläufig mit der bisher größte Kolben im Motorradbau. Zum Schluss löschen die Prüfstandsleute noch das Licht. Nur die Schirme der Computer stören. Noch mal Vollgas! Die Krümmer glühen plötzlich hellrot, die beiden Lambdasonden sind deutlich als schwarze Konturen zu erkennen, was für eine apokalyptische Szenerie.

Ducati
Ducati 1199 Panigale auf der Rennstrecke.

Nächste Folterbank: Hydropulser. „Hier haben wir über eine Million Euro investiert, und zwar den großen Teil in Deutschland.“ Auf zwei hydraulischen Stempeln ist eine arme Panigale aufgepflanzt, darauf zappelt ein noch ärmerer Zeitgenosse. Mit von deutscher Technik erzeugten hydraulischen Impulsen werden die Räder heftigst durchgeschüttelt, die ganze Maschine hoppelt, wackelt, scheppert. Gut, dass Giovanni aus Kunststoff ist.

In jeder Ecke der Versuchsabteilung brummt es. Emsig werden gerade die ersten Vorserienmaschinen auf Herz und Nieren geprüft. Homologationsexperten fahren die Prüfzyklen auf Rollenprüfständen. Ein Team stanzt in Mugello schnelle Rundenzeiten in den Asphalt, ein zweites dreht Vollgasrunden in Nardo. Nichts soll dem Zufall überlassen werden. Zweimal 30 -Panigales wurden bisher gebaut, die Serienproduktion wird irgendwann im Februar starten. Das Montageband für den Motor wird gerade aufgebaut. Hightech, wie bei einer guten Automobilfirma, wohin das Auge blickt. Noch herrscht hier gespenstische Ruhe, aber vor Weihnachten sollten die ersten dieser 195-PS-Kraftpakete darauf montiert werden.

Technisch scheint die Wunder-Ducati auf einem guten Weg. Optisch ist sie es bereits definitiv. Wenn man sie vor sich sieht in freier Wildbahn, wirkt sie zierlich und klein. Nur die ziemlich böse aufgerissenen Scheinwerfer deuten an, was für ein brachiales Potenzial in ihr schlummert.

Der voll tragende Motor, an den Schwinge, Federbein, Monocoque und auch beispielsweise das Bosch-ABS angeschraubt werden, integriert sich voll in die Gesamterscheinung. Niemand vermisst hier das traditionelle Gitterrohrfahrwerk.

Bereits 2006 machte sich Ducati-Designer Gianandrea Fabbro erste Skizzen. Der Schöpfer der Multistrada musste dann in einem internen Wettbewerb gegen zwei weitere Entwürfe antreten. 2008 bekam er endlich grünes Licht für seinen sehr mutigen Entwurf. Zu Recht. Die Ducati 1199 Panigale ist sicher eines der aufregendsten Sportmotorräder der letzten zehn Jahre. Vielleicht ist der Schritt für Ducati von der 1198 zur Panigale genauso groß und wichtig, wie vor 15 Jahren der Schritt von der rundlichen 888 zur legendären 916. Vom technischen Fortschritt her gesehen ist er das auf jeden Fall. Nicht eine Schraube stammt von der Vorgängerin. Und nicht ein Hersteller besitzt momentan den Mut, so stark in das Supersport-Segment zu investieren wie Ducati. „Das ist unsere Chance!“, meint Claudio Domenicali. „Wenn sich die anderen Marken zurückhalten, liegt die Aufmerksamkeit der Welt allein auf uns.“ Und die wird, so der Eindruck von MOTORRAD, optimal angeregt.

In Deutschland wird die Ducati inklusive Integral-ABS 19 790 Euro kosten. Zugegeben - viel Geld für ein Motorrad. Aber nicht zu viel Geld für eine neue Welt in Sachen Zweizylinder-Supersportler.

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Erscheinungsdatum 15.09.2023