2015 löst die neue BMW S 1000 RR die BMW HP4 an der Spitze der BMW-Superbikes ab. Wie schlägt sich das neue Modell gegen die Vorgängerin?
2015 löst die neue BMW S 1000 RR die BMW HP4 an der Spitze der BMW-Superbikes ab. Wie schlägt sich das neue Modell gegen die Vorgängerin?
Dieser Vergleichstest könnte das Skript zu einem klassischen Marvel-Comic liefern. Der Superhero BMW HP4 muss gegen seinen aufbegehrenden Nachkömmling, die BMW S 1000 RR des Jahrgangs 2015, bestehen. Ein Superheldenkampf mit vielen ZACK, BUFF und BÄÄÄMMs bricht los, die Kolateralschäden könnten gigantisch sein. Steht der Untergang der Erde bevor?
Stopp – wir bleiben da fantasielos und professionell. Wir schnappen uns die BMW HP4 und BMW S 1000 RR, stellen sie auf gleiches Reifenmaterial (Pirelli Diablo Supercorsa SP), sperren sie in einen Transporter voller Werkzeug und Lederkombis und fahren sie in eine Box des kroatischen Automotodrom Grobnik, bekannter unter dem Namen der nahe gelegenen Stadt Rijeka. Das bedeutet acht Stunden im Dunkel eines Transporters und weitere acht Stunden in einer Box. Eine lange Zeit für zwei ausgeprägte Egomanen, sich ausgiebig zu beäugen.
„Was hat sie, was ich nicht habe?“, fragt sich die etablierte, als Edelvariante der alten BMW S 1000 RR vermarktete HP4. Und muss erkennen, dass sich ihre Kontrahentin mit vielen Extras schmückt, die ihr selbst serienmäßig angediehen sind. Da wären das semiaktive Fahrwerk DDC, die Umlenkung des Federbeins und die leichteren Schmiederäder. Mit dem Schaltautomat, der jetzt sogar beim Rauf- und Runterschalten funktioniert, dem Tempomat und den bereits bekannten Heizgriffen setzt sie sogar noch einen obendrauf. Und dann diese vulgär große Ram-Air-Öffnung der Neuen... Empört ob dieser „Vollausstattung“ rümpft die BMW HP4 verärgert die Nase. Und besinnt sich stolz ihrer polierten Brembo-Bremssättel, die sich nicht an der Neuen wiederfinden.
Apropos Nase. Die der neuen BMW S 1000 RR ist geliftet, reckt sich keck der BMW HP4 entgegen. Die RR macht auf cool und abgebrüht, mustert die HP aber dennoch aus den Augenwinkeln ihrer neu gezeichneten Scheinwerfer. Schickes Karbon, schicker Akrapovic-Endtopf, schicke Fußrasten und Hebelchen denkt sie sich. Ja, so eine olle Karre wie die HP4 wirkt mit dem „Performance-Paket“, das aufpeispflichtig war, immer noch attraktiv. Nur besitze ich eben den stärkeren Motor, das verbesserte DDC-Fahrwerk mit überarbeiteten Fahrmodi, die verfeinerte, einstellbare Traktionskontrolle und die schärfere Geometrie – und sehe ganz nebenbei auch noch schärfer aus! Bääämm, dass saß!
Klar kosten die Extras Aufpreis, sind nur in den Zubehörpaketen „Race“ und „Dynamik“ erhältlich, aber wenn ich damit Kreise um die BMW HP4 fahre, dann interessiert das keinen mehr. Tja, und die Schmiederäder, die müssen sein, damit ich meine gesteigerten Handlingsqualitäten besser zeigen kann. Und wer auf Karbon-Kleid und Akrapovic an mir steht, der wird bei den HP-Parts fündig ...
Die BMW S 1000 RR gibt sich siegessicher, fast arrogant – sie vertraut darauf, dass ihre Erschaffer ihren Job ordentlich gemacht haben.
Punkt acht Uhr öffnet sich das Boxentor, der Testtag in Grobnik beginnt. Einstellige Temperaturen garantieren sauerstoffreiche Luft, die die BMW HP4 und die BMW S 1000 RR gierig durch ihre Ansaugtrakte ziehen werden. Die Strecke ist leer, und wenn man in der morgendlichen Stille aufmerksam lauscht, hört man den griffigen Asphalt bereits freudig schmatzen. Er wird mit gierigen Bissen den Gummi von den Pellen nagen.
Beim Rangieren der BMW S 1000 RR fällt der sehr stramme, mechanische Lenkungsdämpfer unangenehm auf. Fühlt sich an wie anno dunnemals jene der Suzuki GSX-R 1000 K1 oder K2 – echt retro sozusagen. Warum haben die BMWler bei all ihrer Elektronik-Expertise nicht wie Honda ein cleveres, elektronisch gesteuertes Bauteil verwendet? Ach richtig, die brauchen ja noch Futter für die Modellpflege in zwei Jahren. Aber jetzt ab in den Sattel und raus auf die wilde Piste. Einrollen, Lage eruieren, den Fahrer kalibrieren und staunen.
Was für ein Rübenacker! Der supergriffige Streckenbelag ist furchig, pockig, narbig, dazu noch aufgerissen, holprig und wellig. Schon beim verhaltenen Rollen bockelt die BMW S 1000 RR wild herum, gibt sich auf kalten Reifen und mit kaltem Dämpferöl unwillig und spröde. Dafür geht der Vierzylinder raketenmäßig. Drückt ab Standgas bärig an, dreht leichtfüßig hoch und haut um die 11.000/min derartig zu, dass einem Hören und Sehen vergeht. ZACK! BUFF! BÄÄÄMM! Der Pilot bekommt große Augen, die 206 gemessenen Pferde der RR keilen aus, als hätte ihr jemand ein glühendes Brandeisen auf den Hintern gedrückt.
Mann und Maschine raufen sich zusammen, die Runden werden flüssiger, die S BMW 1000 RR durchschaubarer. Sie ist kein unberechenbarer Schläger, sondern ein ultrastarkes Superbike mit mehr als ordentlichem Most im Keller. Sie ist nur schärfer als bisher gewohnt. Viel schärfer! Gerade auf dem kroatischen Rübenacker und bei niedrigen Temperaturen zeigt sie, dass ihre Überarbeitung weggeht vom braven Vierzylinder-Superbike, wie es zum Beispiel Honda Fireblade oder Suzuki GSX-R 1000 sind, hin zur gespitzten und geschliffenen Racing-Waffe à la Aprilia RSV4. Sie lenkt leichtfüßiger ein als bisher, powert brutaler aus den Ecken heraus, zuckt dabei mit dem Lenker und gönnt ihrem Piloten keine Ruhepausen. Sie fühlt sich dabei wahnsinnig schnell an und fordert höchste Konzentration ab.
ZACK, dieser Hieb saß. In der Box werden Traktionskontrolle und Dämpfungseinstellungen korrigiert, die TC auf Stufe -4 im Slick-Modus reduziert, die Zugstufendämpfung des Federbeins gestrafft, die Druckstufe gesoftet. Trotz dieser Maßnahmen beruhigt sich die BMW S 1000 RR auf Bodenwellen beim harten Gasgeben nicht. Vor allem beim Herausbeschleunigen auf die „Gegengerade“, die einen leichten Linksknick aufweist, schaukelt sie sich so stark auf, dass man vom Gas gehen muss, um die Fuhre nicht zum Katapult werden zu lassen. Weitere Eingriffe am Fahrwerk folgen, inklusive der Maximierung des Negativfederwegs an der Gabel. Doch die Symptome bleiben. Unser Verdacht: Die Dämpfung des DDC verhärtet sich beim Beschleunigen automatisch. Ballert man nun über viele, harte Bodenwellen in schneller Reihenfolge wie hier in Rijeka, dann werden diese Kanten nicht mehr weggedämpft, sondern durch das verhärtete Federbein direkt ins Fahrwerk eingeleitet. Was unweigerlich zu Unruhe wie dem beschriebenen, heftigen Pendeln führen kann. Selbst ein versuchsweise abgesenkter Reifendruck brachte keine Linderung.
Unseren Verdacht bestärkend verhält sich die BMW HP4. Mit 10.000 Kilometern auf der Uhr nicht mehr ladenneu, brennt sie mit den selben DDC-Einstellungen deutlich verzeihender über den Kurs. Sie lenkt etwas weniger leichtfüßig ein und reißt bei 11.000 Touren nicht gar so brachial an wie die Neue, teilt aber fahrwerksseitig auch nicht so garstig aus. Dadurch schont sie ihren Piloten etwas mehr – wobei der Begriff schonen auch bei ihr mit Vorsicht zu genießen ist.
Degradiert die neue BMW S 1000 RR ihre edle Ahnin also zum alten Eisen? Die subjektive Wahrnehmung sagt ja. Die RR in dieser Vollausstattung hat das Zeug dazu, eine BMW HP4 zu bügeln. Man fühlt sich viel schneller auf ihr, kämpft härter mit ihr und ermüdet dafür schneller. Die objektive Wahrheit in Rijeka aber sagt nein. Denn PS war mit der HP4 trotz sporadisch auftretendem Gabelflattern beim Bremsen Ende der Start-Ziel-Geraden nur drei Zehntelsekunden langsamer als auf dem neuen Eisen.
Rijeka ist allerdings ein sehr spezielles Pflaster. Grundsätzlich ist die neue BMW S 1000 RR mit dieser umfangreichen Sonderausstattung schneller als die BMW HP4. Ihre Überarbeitung trägt also Früchte, und der Vorsprung der Neuen zur HP4 dürfte auf anderen Strecken erheblich größer ausfallen. Doch dieser Vorsprung, und das zeigt eben Rijeka, ist klar auf Kosten der Gutmütigkeit erkauft. Die Waffe ist nun erheblich schärfer und damit auch extremer. Wie sie auf der Landstraße fährt, wird sie uns noch zeigen, aber wir lieben sie bereits nach diesem ersten Ritt.
Alleine für ihr Handling und ihre Power muss man sie mögen. Und dieser Blipper-Schaltautomat, der auch beim Runterschalten funktioniert, herrlich! Und der Tempomat und ihre Heizgriffe – sie ist so unvernünftig vernünftig, I love it! Ist die HP4 deswegen aber ein alter Bock? Nie und nimmer! Denn große Teile ihrer DNA machen die neue BMW S 1000 RR erst zu dem, was sie ist. Zu einer Überirdischen! Aber die BMW HP4 ist das Original. Sie trägt die Seriennummer auf der Gabelbrücke. Sie ist bereits Kult und wird gesammelt. Und sie lebt auf ewig in der Gnade der frühen Geburt.
Es ist schlichtweg der Wahnsinn, wie die neue BMW S 1000 RR geht. Ihr Leistungsniveau liegt nie unterhalb dem der BMW HP4 mit dem alten Triebwerk. Im Gegenteil, ab 8500/min langt der überarbeitete Vierzylinder noch kräftiger zu als zuvor und packt bei über 11.000 Touren einen zusätzlichen Hammer aus. Der sichtbare Knick in der Kurve, wenn variable Ansaugtrichter und Klappen in den Interferenzrohren des Krümmers agieren, ist im Fahrbetrieb nur durch fulminante Beschleunigung zu spüren. Dann wird aus dem Sturm ein Orkan, aus fetter Beschleunigung WARP 9 und Captain Kirk auf der Brücke zieht es die Ohren lang.
Antrieb
max. Punkte | BMW HP4 (2013) | BMW S 1000 RR (2015) | |
Leistungsentfaltung | 10 | 9 | 10 |
Ansprechverhalten | 10 | 9 | 9 |
Lastwechselreaktion | 10 | 8 | 8 |
Laufkultur | 10 | 8 | 8 |
Getriebebetätigung | 10 | 9 | 10 |
Getriebeabstufung | 10 | 9 | 9 |
Kupplungsfunktion | 10 | 9 | 9 |
Traktionskontrolle | 10 | 10 | 10 |
Zwischensumme | 80 | 71 | 73 |
Fahrwerk
max. Punkte | BMW HP4 (2013) | BMW S 1000 RR (2015) | |
Fahrstabilität | 10 | 6 | 5 |
Handlichkeit | 10 | 8 | 9 |
Kurvenstabilität | 10 | 8 | 8 |
Lenkpräzision | 10 | 8 | 8 |
Rückmeldung | 10 | 8 | 9 |
Fahrwerksabstimmung vorne | 10 | 5 | 8 |
Fahrwerksabstimmung hinten | 10 | 7 | 6 |
Bremswirkung | 10 | 9 | 9 |
Bremsdosierung | 10 | 9 | 9 |
ABS-Funktion | 10 | 10 | 10 |
Sitzposition | 10 | 9 | 9 |
Schräglagenfreiheit | 10 | 10 | 10 |
Zwischensumme | 120 | 97 | 100 |
Rundzeit
max. Punkte | BMW HP4 (2013) | BMW S 1000 RR (2015) | |
Rundenzeit* | 20 | 18 | 20 |
Gesamtsumme | 220 | 186 | 193 |
Platzierung | 2. | 1. |
*Punkteschlüssel: Bestzeit: 20 Punkte. Rückstand bis 0,2 s: 19 Punkte; 0,21 s bis 0,4 s: 18 Punkte; 0,41 s bis 0,6 s:17 Punkte; 0,61 s bis 0,8 s: 16 Punkte; 0,81 s bis 1,0 s: 15 Punkte; 1,01 s bis 1,2 s: 14 Punkte; 1,21 s bis 1,4 s: 13 Punkte; 1,41 s bis 1,6 s: 12 Punkte; 1,61 s bis 1,8 s: 11 Punkte; 1,81 s bis 2,0 s: 10 Punkte; 2,01 s bis 2,2 s: 9 Punkte; 2,21 s bis 2,4 s: 8 Punkte; 2,41 s bis 2,6 s: 7 Punkte; 2,61 s bis 2,8 s: 6 Punkte; 2,81 s bis 3,0 s: 5 Punkte; 3,01 s bis 3,2 s: 4 Punkte; 3,21 s bis 3,4 s: 3 Punkte; etc.
1. BMW S 1000 RR
Der König ist tot, es lebe der König! Wie oft musste man diesen Satz schon schreiben? Der Fortschritt obsiegt einmal mehr, die neue BMW S 1000 RR überflügelt ihre Vorgängerin knapp. Allerdings nur mit Sonderausstattung, die extra kostet. Und das hebt ihr Preisniveau auch ganz klar in Richtung der BMW HP4, ohne ihr den Nimbus des Edlen, Schönen und Teuren zu verleihen.
2. BMW HP4
Sie ist und bleibt ein klasse Superbike. Sie ist das Original, sie ist die Mutter und Wegbereiterin der neuen BMW S 1000 RR. Eine HP4 gegen eine neue RR eintauschen? Nie und nimmer! Eine RR für die Renne kaufen und die BMW HP4 ins Wohnzimmer stellen? Jederzeit, sofern der Geldbeutel und das Wohnzimmer mitspielen.
Dankeschön:
Unser Dank gilt Pirelli, die uns die hervorragenden Testreifen für diesen Test stellten. Außerdem ein dickes Dankeschön an das BMW-Haus Mayer in Hassloch (www.klaus-mayer-bmw.de), aus dessen Fundus die schöne BMW HP4 stammt.