BMW lud uns ein auf der Piste von Imola das BMW-Werks-Superbike, die BMW Superstock 1000 und die BMW HP4 zu testen und die Entwickler zu löchern. Dabei bot sich PS-Mann Pascal Eckhardt ein Blick in die Zukunft.
BMW lud uns ein auf der Piste von Imola das BMW-Werks-Superbike, die BMW Superstock 1000 und die BMW HP4 zu testen und die Entwickler zu löchern. Dabei bot sich PS-Mann Pascal Eckhardt ein Blick in die Zukunft.
Die exotische Strecke im Stadtpark von Imola und die Werks-BMWs aus der Superbike-WM – welch ein Angebot aus der PS-Redaktion! Nach meiner IDM-Karriere hatte ich schon nicht mehr damit gerechnet, überhaupt solch erlesenes Material einmal um eine Rennstrecke peitschen zu dürfen. Aber dann war es so weit.
Mit der Serien-BMW S 1000 RR drehe ich die ersten Runden auf dem für mich völlig neuen Kurs „Enzo e Dino Ferrari“. Über das Motorrad, das mittlerweile auf Renntrainings in ganzen Rudeln auftaucht, ist schon so viel geschrieben worden – das spare ich mir an dieser Stelle. Aber mit der enormen Serienleistung war es das perfekte Bike, um sich auf die folgenden Aufgaben einschießen zu können.
Spannend wurde es dann mit der BMW HP4. Denn zum einen bot das elektronische Fahrwerk, das BMW in der HP4 ja als Serie verbaut, ordentlich Gesprächsstoff, dazu noch echte Erkenntnisse, und zum anderen funktionierte die HP4 an zwei Stellen deshalb verblüffend besser als die BMW S 1000 RR. In der „Acque Minerale“ und der Schikane „Variante Bassa“ vor Start und Ziel kommt durch Fahrbahnunebenheiten ganz schön Unruhe ins Fahrwerk. Die Aufgabe meisterte die BMW HP4 sehr gut, durcheilte diese Streckenabschnitte viel ruhiger und verlieh mir - verglichen mit der Basis-RR - einfach größere Sicherheit bei hohem Tempo. Ansonsten gilt für diese BMW Ähnliches wie fürs Serienbike: Einem brutalen Antritt folgt ein Orkan an Leistung, je mehr es Richtung Begrenzer geht. Kennen wir aber schon, also weiter!
Was das neue elektronische Fahrwerk der BMW HP4 wirklich drauf hat, durfte ich dann auf der Stocksport-Version erfahren. Sylvain Barrier setzte das DDC, wie der Elektronikhelfer an Gabel und Federbein heißt, nämlich erstmals bei der Superstock 1000-Meisterschaft hier in Imola ein – und gewann auf Anhieb. Was für ein Einstand für ein System, das im Motorsport-Bereich erst ganz am Anfang steht. „Das ist genau wie in der Serie“, versichert der technische Direktor BMW-Motorsport Motorrad, Stephan Fischer. „Lediglich die Federn sind deutlich härter als am Serienmotorrad, und die Software ist modifiziert. Shims und Ventile sind absolut Serie.“ Aufregung macht sich bei mir breit. Stocksport-Bikes kenne ich aus meiner eigenen Racer-Vergangenheit, aber diese neue Technologie natürlich nicht – schon gar nicht im Race-Trimm. Um völlig unvoreingenommen fahren zu können, beschließe ich, erst nach meinen Testrunden ausführlich mit Stephan Fischer und GoldBet-BMW-Teamchef Andrea Buzzoni, der auch den Superstock-Einsatz mitverantwortet, über Details zu sprechen.
Schon beim Aufsitzen offenbart sich ein markanter Unterschied. Der Superstock 1000-Sieger vom Imola-Wochenende, Sylvain Barrier, sitzt extrem über dem Motorrad. So extrem, dass ich schon Bedenken bekam, dass das mehr ein persönlicher Spleen ist und mit der Fahrbarkeit nichts zu tun hat. Nach der ersten Schikane ziehe ich das Gas auf, und die BMW HP4 geht ab wie die Rakete. Brutal, wie dieser Motor powert und vehement nach oben dreht – als Stocksport-Bike wohlgemerkt! Diese Race-HP4 stellt die Serien-HP4 in Sachen Motorabstimmung völlig in den Schatten. Spätestens jetzt zahlt sich die Sitzposition von Sylvain aus. Nach der Curva Tosa den Berg hoch wird das noch eindrücklicher: Die BMW geht aggressiv mit dem Fahrer um, reißt, zerrt und streckt das Vorderrad in die Luft. Unglaublich anstrengend! Aber die Sitzposition erleichtert die Arbeit.
Was jedoch total unauffällig arbeitet, ist das DDC. Kein Wunder, denn wo man mit einem herkömmlichen Fahrwerk immer den besten Kompromiss zwischen Agilität, Zielgenauigkeit und Bremsstabilität finden muss, kann man nun per Entwicklertool
so in die Software eingreifen, dass für einzelne Streckenabschnitte das Fahrwerk gezielt abgestimmt, sprich im Rechner hinterlegt wird. Beispiel: Nach einer langen Geraden wird für das Anbremsmanöver die Gabel entsprechend gestrafft, während hinten die Zugstufe geöffnet wird, damit das Hinterrad satt auf der Straße, das Bike stur in der Spur bleibt und der Fahrer so brutal spät bremsen kann. Danach wird die Einstellung automatisch zurückgesetzt, damit das Bike in den folgenden Kurven wieder agil lenkt und enge Linien zulässt. Ich mach es kurz: Das funktioniert in diesem Renner bereits sehr gut. So gut, dass man von den wechselnden Fahrwerksbedingungen nichts mitbekommt. Aber es passt von Kurve zu Kurve, von Bremspunkt zu Bremspunkt – zumindest in dem Speed, der mir auf den wenigen Testrunden auf dieser ungewöhnlichen Strecke risikolos angebracht scheint.
Wieder sind für mich die Acque Minerale und Variante Bassa die eindrücklichsten Referenzpunkte. Wo die Serien-HP4 der BMW S 1000 RR schon überlegen war, lässt die Stocksport-HP4 gleich beide alt aussehen und steckt die kritischen Stellen locker weg. Mit der straffen Abstimmung kann ich sogar vor Start und Ziel voll über die Curbs ballern. Das elektronische Fahrwerk erledigt das Problem und offenbar trifft mein Manöver genau den Geschmack der Abstimmung, denn Sylvain Barrier nimmt ebenfalls regelmäßig die Begrenzungsmarkierung mit.
Berechnet werden die DDC-Einstellungen übrigens über die aufgezeichneten zurückgelegten Meter, nicht über GPS – das wäre viel zu ungenau. Dafür müssen ganz schön viele Testkilometer abgespult worden sein. Laut Barriers Techniker war die Vorbereitung des DDC-Einsatzes ein gigantischer Aufwand. Unzählige Daten wurden gesammelt und entsprechend programmiert, mit ähnlichen Kurven verglichen, ausprobiert und bearbeitet. Alles muss nicht nur für Imola passen, sondern auch für die nächsten Rennen, denn das Team wird nun regelmäßig mit dem DDC an den Start gehen.
Als ich mich am Vorabend mit Andrea Buzzoni über die Zukunft im Rennsport unterhielt, geriet der schon seit Jahrzehnten in der Superbike-WM aktive Italiener bezüglich des DDC regelrecht ins Schwärmen. In seiner Vision wird es in naher Zukunft ein Download-Portal für alle bekannten Rennstrecken geben, über das der Kunde das passende Setup herunterladen kann. Genial – man fährt zum Renntraining an den Nürburgring, lädt sich das Setup des Rennteams herunter und los geht’s. Kein langes Abstimmen, keine unnötig zerstörten Reifen. Als ich weiter darüber nachdenke, kommt mir das mehr und mehr wie eine Revolution vor. Das ganze Prozedere beim Abstimmen des Fahrwerks wird sich ändern – vom Schraubendreher zum Laptop.
Stephan Fischer sieht im folgenden Gespräch, das sich am Testtag in der Box entspinnt, sogar noch mehr Potenzial fürs Elektronikpaket auf der Rennstrecke. „Ich würde schon heute gern mehr mit der elektronischen Hinterradbremse arbeiten“, sagt der Bayer. „Nur sind die Fahrer noch sehr skeptisch.“ Theoretisch aber bietet das seiner Meinung nach nur Vorteile. „Als Wheeliekontrolle ist sie viel sinnvoller, als wie im Moment die Zündung zurückzunehmen.“ Eine solche Bremse würde
auch durch Kurven Sinn machen. Mit einer automatisch leicht betätigten Hinterradbremse ließe sich das Motorrad sehr gut stabilisieren oder ruhig durch Schikanen manövrieren. Beim Bremsvorgang etwa könnte man so das Motorrad zuerst hinten in die Federn ziehen. „Beispiele gäbe es genug, wo das Sinn macht und den Fahrer in seiner Konzentration unterstützen würde“, so Fischer.
Von einer Revolution durch das DDC will er aber gar nicht sprechen, denn längst hat die Elektronik auf breiter Basis den Motorradrennsport im Griff. „Bei den herkömmlichen Möglichkeiten von Druckstufe über Rahmen bis Schwingendrehpunkt haben wir etwa 2.000 Variablen, von denen wir 100 bis 200 permanent verändern. Bei der Software-Steuerung sind es über 50.000 Parameter, von denen wir 2.000 bis 3.000 im Blick haben und damit arbeiten. Am weitesten ist man im MotoGP. Und jetzt kommt eben das elektronische Fahrwerk noch hinzu.“
Aber wer soll das noch verstehen? Muss der künftige Motorradfahrer ein Data-Recording-Genie sein oder entscheiden die Laptop-Könige über Sieg oder Niederlage? Stephan Fischer ist sich sicher, dass die Dynamik eines Motorrads den Fahrer immer wichtig macht. „Beim Auto ist das anders. Da braucht man einen sehr guten Fahrer, aber alles andere regelt die Elektronik. Aber die Arbeit mit dem Körper, die Gewichtsverlagerung, macht den Motorradfahrer zum alles entscheidenden Punkt. Wenn man keine weiteren Räder hinzufügt, wird sich das auch auf weite Sicht nicht durch Computer ändern lassen.“ Für mich ein beruhigender Gedanke – da dürfte ich bei PS dann wohl noch öfter zu solchen Tests wie auf der Rennstrecke von Imola ausrücken.
Der größte Unterschied von Marco Melandris Bike zu den anderen dreien? Die Fahrbarkeit! Es ist einfach sagenhaft, wie leicht sich die WM-Granate bewegen lässt, wie sicher sie mit meinen schon erwähnten Schlüsselstellen umgeht und wie perfekt man auf ihr Platz nehmen kann – zugegeben, wegen meiner Größe fuhr ich die BMW von Marcos Teamkollege Chaz Davis. Wie dem auch sei, in Sachen Fahrwerk hat mir das WM-Motorrad mit herkömmlicher Gabel am besten gefallen. Aus Gewohnheit? Ich vermag das nicht erschöpfend zu sagen, aber angesichts des Preises von über 14.000 Euro allein für die Gabel und die Jahre an Erfahrung, die von Öhlins darin stecken (beim DDC stehen die Techniker ja erst am Anfang), wundert mich das nicht.
Zur Fahrbarkeit trägt die Elektronik aber vor allem beim Motor bei. Die Top-End-Leistung der WM-Rakete ist berauschend, aber in den unteren zwei Gängen wirkt sie regelrecht harmlos. Einige andere Journalisten vermuteten ein extra aufgespieltes, weichgespültes Schreiberling-Mapping, aber ich bin der Meinung, dass das Bike einfach nur besonders gut fahrbar ist, die Leistung nicht so brutal einsetzt und der Motor deshalb höchst sauber agiert. Es hörte sich zwar an, als sei ein Speedcutter am Werk, obwohl die BMW das Gas sauber annahm, aber die Techniker erklärten mir, dass die Zündung im unteren Drehzahlbereich verändert wird, um bei der Leistung das Ansprechverhalten zu verbessern und das Drehmoment anzuheben. Das ist eben Werks-Stoff. Da wird an jeder noch so kleinen Schraube oder den Daten gefeilt, damit das Maximale dabei herauskommt. Und das fühlt sich manchmal eben so an, als ginge es ums Fahrradfahren – und genau deshalb ist es so einfach, auf einer Werks-Rennmaschine halbwegs schnell zu fahren.