Dauertest-Zwischenbilanz Ducati 999
Patientin 999

Wer nur mit Launen gerechnet hatte, war zu optimistisch. Über 30000 Kilometer blieb Ducatis Sportskanone zwar fast nie stehen, schleppte aber ständige Unpässlichkeiten mit sich herum.

Patientin 999
Foto: fact

Ducati und Motorrad-Dauertest – das ist eine Geschichte, die schon 1982 begann. Und mit einer Warnung endete. »Jeder, der sich für eine Ducati entscheidet, sollte sich auf Ärgernisse im Detail einstellen«, schrieb Redakteur Frank-Albert Jllg anlässlich des Langstreckentests der 500 SL Pantah. Ständiges Problem damals: die Macken der Bordelektronik und als Folge davon eine fast immer leere Batterie.

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Von Letzterem kann 22 Jahre später keine Rede mehr sein, denn auch wenn »die Batterie den Motor mit letzter Spannung über den oberen Totpunkt würgte« (O-Ton Testredakteur Werner Koch), sprang die 999 zumindest bei motorradfreundlichen Temperaturen zuverlässig an, während Minusgrade dem Startverhalten mächtig zusetzten. Von »minutenlangem Georgel« ist da zu lesen. Ein Procedere, das ein wenig abkürzen konnte, wer um die Eigenheiten der 999 wusste. Erst einmal die Benzinpumpe Druck aufbauen lassen, nur minimale bis gar keine Drehzahlerhöhung am Lenkerhebel links, den Startknopf nur leicht angetippt, weil der Starter so durch-, aber eben nicht nachdreht – bis auf wenige Anlässe sprang die Duc dann an. Bei 16230 Kilometern hatte eintretendes Spritzwasser die Kontakte des Einspritzrelais derart ruiniert, das die 999 den Start komplett verweigerte – und das, obgleich Ducati dieses Bauteil nach der anfänglichen Positionierung im Vorderteil der Verkleidung bereits hinter den Batteriekasten verlegt hatte. Da hilft nur gute Pflege mit etwas Sprayöl.

Auf »Ärgernisse im Detail« sollte sich also auch heute noch einstellen, wer mit einer 999 liebäugelt. »Jenseits von 240 km/h leuchtet die Kontrollleuchte fürs Motormanagement«, lautet einer der ersten Einträge im Fahrtenbuch nach 1725 Kilometern. Der bislang Letzte stammt vom Chef persönlich. »Motorwarnlampe kommt ab und zu«, notiert Michael Pfeiffer nach einer Fahrt Richtung Hockenheim bei Tachostand 29383. Dieses Phänomen begleitete alle, die sich auf die rote Diva einließen. Das unmotivierte Flackern trotzte allen Reparaturversuchen, überstand einen neuen Kabelbaum ebenso wie den Austausch des Steuergeräts. Die Lampe leuchtet mal – und mal wieder nicht. Und die Sorge, dass der falsche Alarm doch einmal ein echter sein könnte, fährt immer mit. Bis heute. Zwar gibt es laut Importeur seit September 2004 die von Ducati Italien schon lange angekündigte neue Einspritzsoftware. Von der wusste der zuständige Händler indes bis kurz  vor Redaktionsschluss nichts. Wir sind gespannt, jedoch auch skeptisch.

In einer anderen Hinsicht ist das Urteil über die 999 von vernichtender Endgültigkeit. Sämtliche Versuche nämlich, beim Blick in die Rückspiegel mehr zu erkennen als den eigenen Unterarm, waren trotz viel versprechender akrobatischer Ansätze letztlich zum Scheitern verurteilt. Wem Rücksicht auch auf einem Sportmotorrad ein echtes Anliegen ist, der muss sich anderweitig umschauen.
Wer darauf pfiff, wem zudem Sitzkomfort, Windschutz oder eine leichtgängige Kupplung schnuppe waren, der fand in der 999 hingegen eine kongeniale Partnerin. Dass dies in der Regel die gebückte Fraktion war, das Einsatzgebiet häufiger die Rennstrecke – wen wundert’s, angesichts der Qualitäten, mit denen sich die 999 nahtlos in die Reihe kompromissloser Sportlerinnen von Ducati einreiht. Neben dem traditionell erstklassigen Fahrwerk ist es vor allem der Motor, der begeistert.
Im zivilen Einsatz übrigens. Seidenweiche Gasannahme, Power in jeder Lage, ein
beispielhaftes Drehvermögen und eine vorbildliche Laufkultur zeichnen den V2 aus.
Jedenfalls dann, wenn die Vertragswerkstatt beim Service sauber arbeitet. Nicht fachgerecht synchronisierte Drosselklappen zum Beispiel können für einen deutlichen Verlust an Laufkultur verantwortlich sein – und der wiederum dafür, dass sich die Ducati 999 nicht nur diverser Schrauben und Fußrastenschützer entledigt, sondern dass Vibrationen auch dem Rahmenheck und der Heckverkleidung herzhaft zusetzen.
Ergebnis: Das Rahmenheck mit gerissener Schalldämpferaufnahme wurde bei 21282 Kilometern ersetzt, die gerissene Heckverkleidung aus Plastik ebenso. Bei dieser Gelegenheit wurde endlich auch die Schließmechanik für die Soziussitzbank erneuert, nachdem sich das Beifahrersitzkissen zuvor dreimal bei hohem Tempo auf der Autobahn selbständig gemacht hatte. Was sich hier so nüchtern liest, hat einen dramatischen Hintergrund. Der Schreck, wenn einem bei Tempo 230 ein umherfliegendes Sitzkissen völlig unerwartet einen Schlag ins Kreuz versetzt, ist nämlich nur schwer zu beschreiben.
Dagegen nehmen sich andere kleine Probleme beinahe lächerlich aus. Die Unart zum Beispiel, beim Einrücken der schwer zu dosierenden Kupplung unerwartet abzusterben. Das beschert nach dem forschen Durchschlängeln in die erste Startreihe und der Eigenschaft der 999, nur mit eingelegtem Leerlauf die Arbeit wieder aufzunehmen, maximal peinliche Momente. Auch die traten immer dann gehäuft auf, wenn es die Werkstatt bei der Einstellung des Motors nicht so genau genommen hatte. Dabei wissen gute Mechaniker, dass die 999 diesbezüglich besonders empfindlich ist. »Eine Umdrehung an der Gemischschraube kann den Leerlauf völlig zusammenhauen«, erzählte einmal ein Techniker.
Trotzdem, das Fazit bleibt bestehen: Die Innenstadt, wo sich zu allem Überfluss der Allerwerteste wegen der Auspuffanlage gehörig aufheizt, ist kein 999-Revier, Landstraßen dritter Ordnung sind es ebenfalls nicht. Überall dort, wo die Bologneserin
jedoch ordentlich Auslauf hat, ist die Welt wieder in Ordnung. Da kann man sich
über die tadellosen Manieren des Motors, der in der V2-Welt zweifellos den Maßstab setzt, ebenso freuen wie über den mäßigen Verbrauch, der sich meistens zwischen fünf und sechs Litern einpegelt. Und man kann die fulminante Bremsanlage genauso genießen wie das glasklare Feedback und die unerschütterliche Stabilität. Trotzdem bleibt die Sitzposition auf Dauer sehr anstrengend, woran Versuche mit Zubehörlenkern wegen der engen Verkleidungsausschnitte bislang nichts ändern konnten. MOTORRAD wird weiter daran arbeiten.

Bis dahin wird es wohl so bleiben, dass bestenfalls große Menschen sich im touristischen Verkehr auf der 999 wohl fühlen, wie der Eintrag von PS-Frontmann Jürgen Gaßebner belegt. »Mir als 1,93-Meter-Mann taugt die Sitzposition auch über viele 100 Kilometer hervorragend«, bemerkte er nach einem Wochenendtrip mit Sozia in den Bregenzer Wald. Letztere habe sich übrigens auf der Duc sehr wohl gefühlt, merkte er an. Das ist bis zum jetzigen Zeitpunkt der einzige Beleg, dass sich überhaupt eine Beifahrerin auf die 999 verirrt hat.

Reifenempfehlung

Sieben zugelassene Reifenpaarungen fuhr MOTORRAD auf der
spanischen Rennstrecke in Calafat und den umliegenden Landstraßen mit einem Luftdruck von 2,3 und 2,5 bar. Für die Reifenempfehlung bevorzugten die Tester die schmale 180er-Dimension, die erfahrungsgemäß auf der 5,50 Zoll breiten Felge besser abschneidet als die 190er-Schlappen, die eigentlich für 6,00-Zoll-Felgen ausgelegt sind.

Avon Azaro AV 49/50 SP

Das englische Reifenpärchen macht bei gemäßigt sportlichem Landstraßentempo eine gute Figur. Geringes Aufstellmoment beim Bremsen, kurvenstabil, mit ordentlicher
Lenkpräzision und komfortabler Dämpfung – damit harmoniert der Avon gut mit dem stabilen Ducati-Chassis, auch wenn leichtes Shimmy den positiven Eindruck schmälert. Bei Rennstreckentempo
dagegen stellt sich bei knackiger Schräglage ein Schaukeln an der Hinterhand mit Verlust der Lenkpräzision ein, wobei die Ducati auf den weiten Bogen drängt. Beim harten Beschleunigen ist die Haftgrenze schnell erreicht. Fazit:
ein guter Landstraßenreifen mit Schwächen bei supersportlicher Gangart.

Bridgestone Battlax BT 012 SS

Vernachlässigbares Aufstellmoment, per-
fektes Lenkverhalten, hohe Kurvenstabilität mit guter Rückmeldung und ein sehr sicheres Grenzbereichverhalten: Der Bridgestone
BT 012 SS ist trotz rennsportlicher Bezeichnung für die Landstraße wie geschaffen. Auch wenn das Handling in schnellen Wechselkurven etwas agiler sein könnte, finden die ansonsten durchweg
positiven Eigenschaften auf der Rennstrecke ihre Fortsetzung. Besonders wichtig dort: ein breiter, sich gutmütig ankündigender Grenzbereich. Fazit:
Der BT 012 SS passt nahezu perfekt zur Ducati 999 und empfiehlt sich als
exzellenter Reifen für den gemischten Straßen/Hobby-Rennstreckeneinsatz.

Continental Force Max

Auffallend am Conti: das ausgeprägte Lenkerflattern (Shimmy) im Bereich von 70 bis 80 km/h, das auch in Kurven auftritt. Alle anderen Fahr- und Kurveneigenschaften können auf der Ducati überzeugen. Selbst zügigem Rennstreckentempo zeigt sich der Force Max mit akzeptabler Haftung, präzisem
Einlenkverhalten und hoher Kurvenstabilität gewachsen. Allerdings fehlt es
der Ducati mit der Continental-Paarung ein wenig an Handlichkeit, und auch
die Tendenz, beim Beschleunigen weite Bögen zu fahren, kommen der etwas schwerfälligen 999 nicht entgegen: Fazit: ein fahrstabiler Landstraßenreifen, leider mit der Tendenz zum Lenkerflattern.

Dunlop Sportmax D 208

Deutlich träger beim Einlenken und mit einer nur ausreichenden Lenkpräzision verliert
der Dunlop D 208 den Anschluss an die Konkurrenz. Zudem fällt der Sportmax durch deutliches Lenkerflattern negativ auf. Mit einem
erhöhten Luftdruck am Vorderreifen (2,5 anstatt 2,3 bar) verbessert sich
das Fahrverhalten zwar etwas, bleibt jedoch weiterhin unter dem Niveau der Mitbewerber. In Sachen Schräglagenhaftung und Beschleunigungsgrip selbst auf der Rennstrecke kann der Sportmax dagegen mithalten und liegt hier
auf ähnlichem Niveau wie die Contis. Fazit: Auf der Ducati 999 S erfüllt der Dunlop D 208 die Erwartungen an einen echten Sportreifen nicht.

Metzeler Sportec M-1

Der Metzeler lässt auf der Ducati nichts
anbrennen und liefert im Landstraßenbetrieb
wie auf der Rennstrecke ein tadelloses Ergebnis. In Sachen Kurvenhaftung und Grenzbereichverhalten zieht er fast mit dem Bridgestone BT 012 in SS-Sportmischung gleich, überzeugt mit herrlich neutralem Lenk- und Kurvenverhalten und lässt sich auch von den üblen Flickstellen und Bodenwellen der spanischen Rennpiste nicht aus der Ruhe bringen. Allerdings zeigte sich die Laufleistung des Münchner Tausendsassa eher von der bescheidenen Seite. Fazit: ein rundum klasse Reifen, der die sportlichen Qualitäten
des Ducati-Fahrwerks noch verstärkt.

Michelin Pilot Sport

Gegenüber dem serienmäßig montierten
190er verbessern sich mit dem 180er Handling und Kurvenstabilität leicht, ohne dass
die Haftungsreserven verloren gehen (siehe auch Seite 53). In allen anderen Testkriterien liegt der Pilot Sport nur minimal unter dem Niveau von Metzeler, Bridgestone und Pirelli. Fürs Vorderrad empfiehlt sich die Spezifikation »E«, die sich beim Bremsen weniger aufstellt und homogener einlenkt als die Standardversion. Dem Pilot Sport in allen Punkten überlegen, wie inzwischen bekannt: die neuen Michelin Pilot Power, die jedoch zurzeit des Tests noch keine Freigabe hatten. Fazit für den Pilot Sport: guter Sportreifen ohne markante Schwächen.

Pirelli Diablo

Fast baugleich mit dem Metzeler Sportec, schneidet der Pirelli Diablo in allen Kriterien ähnlich ab, verliert jedoch in Sachen Aufstellmoment beim Bremsen in Schräglage
sowie Komfort/Eigendämpfung auf den Münchner Pneu. Ein exemplarischer Versuch mit einem 190er-Hinterreifen zeigte, dass sich damit das Handling spürbar verschlechtert und die Kurvenstabilität durch Unruhen auf Bodenwellen deutlich abnimmt, während der
Grip in Kurven überhaupt nicht und beim Beschleunigen aus Schräglagen
nur marginal zunimmt. Fazit: ein tadelloser Sportreifen mit hohen Haftungsreserven für die gelegentliche Rennstreckenhatz.

Ralf Schneider, Ressortleiter

Test+Technik - Bei mir bist Du schön

Natürlich ist die 999 nicht
so schön wie ihre Vorgängerinnen. Aber für meine Augen schön genug, um mit ihr gut leben
und sehr gut fahren zu können. Mein Erinnerungs-Schatzkästchen enthält viele Situationen,
in denen ich mit der 999 so unterwegs war, wie ich mich auf kaum einem anderen Motorrad trauen würde. Dafür liebe ich sie.
Was mich nervt an der Dauertest-999, ist die Nonchalance bei der Verarbeitung. An solch einem Motorrad spart der Käufer nicht, also sollte es auch der Produzent nicht tun. Für 17000 Euro dürfen Schweißnähte zierlich, Relais
abgedichtet und Spiegel sinnvoll konstruiert sein.

Werner Koch, Redakteur - Die Fährt wie hingenagelt

Unterm Strich ist die 999 für mich eines der besten Sportmotorräder von der Stange! Ich will das Süppchen vom Design-Flop nicht mehr aufkochen –
es ist, wie es ist. Und wer sich
in die Tiefen der CAN-Bus-Elektronik vorgeschraubt hat, lernt auch die alte Unterbrecherzündung zu schätzen. Doch wenn
die 999 losbrummt, dann gibt’s kein Halten mehr. Weil Ducati nach wie vor ein brillantes Fahrwerk auf die Räder stellt, stabil, sicher und mit glasklarer Transparenz. Wie hingenagelt, und
das ohne fummelige Einstellerei. Dazwischen hämmert der weltbeste Twin auf Trommel- und Zwerchfell ein.

Rolf Henniges,

Redakteur - damit fahre ich nicht heim

Sie ist ein Rennstrecken-Platzhirsch, der im normalen Revier völlig deplatziert ist. Denn sowohl auf der auf 100 km/h
limitierten Hausstrecke als auch auf dem Heimweg machen andere Bikes mindestens ebenso viel, wenn nicht mehr Spaß.
Die Duc hat einen sagenhaften Motor, ist jedoch das einzige
Motorrad aus unserem Fuhrpark, mit dem ich keine Fahrt zwischen Wohnung und Büro mache. Warum? Zwölf Kilometer,
19 Ampeln, maximal 80 km/h erlaubt. Da ist S-Bahn-Fahren entspannter. Denn die Sitzposition auf der 999 ist menschenunwürdig.

Zubehör im Test

Auf der Liste der Optimierungswünsche stand im zivilen Dauertestbetrieb der nach besserem Windschutz ganz oben. Den erfüllte die »Tomflap« genannte Scheibe von friends and bikes (39 Euro, www.friends-and-bikes.de), während für den Schutz des Federbeins ein Karbonschild aus dem Ducati-
Zubehörprogramm (232 Euro, www.ducati.com) verantwortlich zeichnet. Unter derselben Adresse ist auch der flache Magnet-Tankrucksack (Preis 174 Euro) erhältlich, der sich bei Bedarf als Rucksack verwenden lässt und über dessen Fassungsvolumen sich Ducati wohlweislich ausschweigt. Bei der Hecktasche, die am Beifahrersitzkissen befestigt wird (132,70 Euro) ist das anders. 14 bis 22 Liter fasst das Behältnis, während die Schalldämpferverkleidung aus Karbon (22,77 Euro) den Heckbereich optisch aufwertet. Eindeutig technisch aufgewertet wird die 999 durch die Anti-Hopping-Kupplung des italienischen Herstellers Adige, in Deutschland vertrieben durch Stein-
Dinse (Telefon 0531/2102134). Für 1078,99 Euro
bekommt der Rennstreckenfuchs perfekte Funktion bei einfacher Montage.

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MOTORRAD 12 / 2023

Erscheinungsdatum 26.05.2023