Mit Donnergrollen nähert sich das schwarze Geschoss der Zielgeraden, kurz vor dem Ende der Curbs kann der Pilot -wieder voll aufziehen. Jetzt dreht die -Maschine richtig aus, hoch, höher und noch ein bisschen höher brüllt der Zweizylinder die endlos lange Gerade von Mugello hinunter. Jenem legendären Ort, an dem schon zahlreiche Rennsiege gefeiert, aber auch Tragödien erlitten wurden.
Die Testcrew von Ducati wohnt in -diesen Tagen fast schon dort in der -Boxengasse. Die letzten Fahrtests ihres neuen Spitzenmodells, der 1199 Panigale, stehen an. Und dazu treten nicht nur die üblichen Verdächtigen um Dauertest-fahrer Vittoriano Guareschi an, sondern auch kein Geringerer als Ex-Superbike-Weltmeister Troy Bayliss. Wer sonst als der ultraschnelle Australier könnte dem neuen Oberbrenner aus Bologna so richtig auf den Zahn fühlen? Oder anders gesagt: Wenn Bayliss die 1199 kann, dann kann sie auch Otto Normalheizer beim üblichen Renntraining.
Und Troy besorgt es ihr so richtig, schaltet exakt bei 11500/min die Gänge durch und treibt die Panigale auf über 280 km/h auf der Zielgeraden. Nach ein paar Runden, die offensichtlich ziemlich schnell waren, brabbelt die komplett als hässliches Monster getarnte Testmaschine wieder in die Box. Zufriedene Ge-sichter überall, die Stoppuhren scheinen günstige Orakel gesprochen zu haben.
Kein Zweifel: Ducati will mit der -Panigale ein neues Kapitel in der Geschichte ihrer schnellen 90-Grad-V2 aufschlagen. Die Leistunsgdaten, die nun feststehen, betören: 195 PS bei 10750/min sind der höchste Wert, den jemals ein Zweizylindermotor mit Straßen-zulassung erreicht hat. Diese neue Leistungsebene bedeutet einen genauso großen Schritt, wie ihn vor zwei Jahren BMW mit der S 1000 RR vollführt hat. Man distanziert die Konkurrenz einfach mal um 20 PS. Noch Fragen?
Stärkster V2 aller Zeiten Dass für eine solche Spitzenleistung neue Wege gegangen werden mussten, ist schnell klar. Nur so viel: Die Kolben, die irrwitzige 11500-mal pro Minute auf und ab gleiten, messen im Durchmesser 112 Millimeter. Das hat noch niemand im Motorenbau in Großserie hinbekommen. Deswegen steht für Ducati vor allem eines auf dem Programm: Testen, testen, testen. Die Panigale muss halten.
Und dafür wurden und werden Tausende von Prüfstandstunden und Hundert-tausende von Testkilometern absolviert. Und, was man heutzutage natürlich ebenfalls nicht unterschätzen darf: Die Homologationen, sprich die Einhaltung der Grenzwerte von Abgas und Geräusch, erzeugen ebenfalls einen großen Aufwand. Aber Ducati scheint es geschafft zu haben. Im Februar werden die ersten -Serien-Panigales vom Band laufen. Im Werk werden gerade die Produktionsstraßen eingerichtet.
Ebenfalls enormen Aufwand bedeutete die Fahrwerksentwicklung. Fahrwerk? Welches Fahrwerk? Okay, die Ducati hat zwar keinen Rahmen mehr, aber das am vorderen Zylinder angeschraubte Monocoque und die im Getriebe gelagerte Schwinge mit dem seitlich montierten Federbein müssen ja irgendwie funktionieren. Und vor allem: Sie sollten auch nach vielen Tausenden Kilometern nicht einfach brechen. Ducati hat sich für diese Tests eigens einen neuen Prüfstand angeschafft. Ein sogenannter Hydropulser simuliert eine Schlechtwegstrecke, indem er mit zwei Stempeln die beiden -Räder schüttelt. Sieht spektakulär aus und kann 24 Stunden am Tag laufen. Drauf sitzt ein Dummy, nennen wir ihn Giorgio. Giorgio trägt einen Overall und schaut auch nach zehn Tagen Gerüttel noch ungerührt. Menschen würden die Tortur nur ein paar Stunden aushalten, PS-Testfahrer vielleicht einen Tag. 12000 Kilometer Hoppelpiste werden simuliert, mehr als jede Ducati jemals in ihrem -Leben meistern muss. Auch diese Tests schaffte die Panigale in den letzten zwölf Monaten.
Ducati
Ducati 1199 S Panigale Wheelie Abu Dhabi.
Troy konnte also ganz beruhigt am Kabel ziehen. Oder an dem, was er als Kabel fühlte. In Wirklichkeit steuert ein kräftiger Elektromotor die Drosselklappen. Und der erhält seine Befehle von einem Steuergerät. Und das zaubert nicht nur eine viel bessere Gasannahme als bisher in den Motor, sondern auch verschiedene Leistungskurven. Für Regenfahrten gibt es 120 PS, für die Straße 195 mit sanftem Ansprechen, für die Piste dann das Aggrogas. Dazu addiert sich dann noch eine Traktionskontrolle, die nicht nur die Drosselklappen steuert, sondern auch sanft über die Zündung Leistung dosiert. Der Schaltautomat fürs Hochschalten wird damit ebenfalls gesteuert.
Monza im –Prüfstand Die schnellen Rennstreckenrunden speichern die Ducati-Leute mit Data-Recording und füttern damit den dynamischen Motorprüfstand im Werk. Dieser simuliert dann die Strecke mit höchster Präzision. Zur Zeit läuft der Monza-Test. Diese Hochgeschwindigkeitsstrecke ist nicht nur bevorzugtes Revier von Vittoriano Guareschi - der Autor erinnert sich noch an ein schmachvolles Überholmanöver Guareschis am Ende der Curva Grande mit anschließendem demoralisierenden Beschleunigungsdrift -, sondern auch ein Härtetest für den Motor. Schlimmer ist nur noch Nardo. Hier geht es zwölf Kilometer im Kreis herum, wenn es sein muss mit Dauervollgas. Dort rennt die Duc übrigens etwa 300 km/h, die Windkanalarbeit für das zier-liche Gerät scheint sich auszuzahlen.
Wie zierlich die 1199 ausfällt, erfährt man schon bei einer ersten Sitzprobe. Vorbei ist die Zeit der weit vorne liegenden Lenkerstummel. Vorbei die im Stadtverkehr quälend langgestreckte Sitzposi-tion. Man kann es locker angehen lassen auf der neuen Ducati, die Lenker sind -höher, breiter, näher.
Konsequenter Leichtbau Vollgetankt und mit Integral-ABS aus-gestattet, wiegt die Ducati nur 193 Kilogramm laut Werksangabe. Das ist ein -absoluter Bestwert. Die meisten 1000er-Vierzylinder bringen mindestens 15 Kilogramm mehr auf die Waage. Allein durch die rahmenlose Fahrwerkskonstruktion, bei der der Motor voll trägt, sollen fünf Kilogramm eingespart werden. Aber auch bei den Bremsen, bei allen Anbauteilen und dem neuen Motor sollen die Kilos -gepurzelt sein. Der V2 fällt nun viel -kompakter aus und besitzt dazu noch eine -automatische Dekompressions-Einrichtung, was einen leichteren Anlasser plus kleinere Batterie ermöglicht.
Und damit noch nicht genug an Spitzenleistungen. Die Ducati 1199 Panigale bietet zudem ein bisher nie dagewesenes Elek-tronik-Paket: ABS, DDA+, EBC, DES, DTC, DQS, RBW, TFT. Mit Worten und in Deutsch: Bosch-Blockierverhinderer, -Datenspeicher, Motorbremsenregelung, elek-tronisch verstellbare Federelemente Traktionskontrolle, Schaltautomat, elektronisch geregelte Drosselklappen, Farb-Display mit Menusteuerung. Das Gute daran ist, dass mit den drei Fahrprogrammen Wet, Sport und Race all die elektro-nischen Helferlein entsprechend auto-matisch konfiguriert werden. Das hilft vor dem Abstimmungs-Overkill. Auch das gibt es bisher in Ansätzen nur bei der BMW S 1000 RR.
Wer hätte gedacht, dass Ducati einmal so einen Kracher bringt? Die Älteren von uns vielleicht schon, die sich noch an die seelige Ducati 916 erinnern. Die war damals ebenfalls ein solch bahnbrechendes Motorrad. Wobei sie bei den Leistungswerten gleich im Hintertreffen war, die Vierzylinder ließen ihr nie eine Chance. Dafür betörte sie uns mit ihren optischen Reizen wie kaum eine andere. Der Neuen gelingt das ebenfalls. Vielleicht nicht ganz so wie damals der 916. Aber dafür mit überragenden Leistungswerten. PS freut sich drauf.
Technik
Ducati
Ducati 1199-Motor: Gussflächen, die sich wie eine Haut über die darunterliegende Technik spannen und jede Verstärkungsrippe nach außen kehren, entfalten eine überaus nüchterne Ästhetik.
Dicke Kolben, wenig Hub: Nach dieser Formel wird bei Motoren schon immer mehr Leistung gefunden. Der Trick dabei: Durch die dickeren Kolben können auch größere Ventile verbaut werden, die wiederum mehr Füllung für die Brennräume verheißen. Einfach? Im Prinzip schon. Warum machen das nicht alle so? Das haben wir uns vor allem bei der BMW S 1000 RR gefragt. Denn deren Leistungsfähigkeit rührt auch von dieser Philosophie her.
Beim Zweizylinder kommen noch mechanische Grenzen ins Spiel. Die 112er-Kolben der Ducati werden extrem hoch belastet. Man stelle sich einfach einen Einzylinder dieser Dimension vor: Mit 599 Kubik würde ein halber Panigale-Motor unglaubliche 97,5 PS leisten. Und das mit Euro3-Abgas und relativ leise. Unglaublich!
Neu für Ducati: Die Nockenwellen werden nun über Steuerketten angetrieben. Trickreich: Die beiden Zylinderköpfe sind baugleich und werden um 180 Grad verdreht montiert. Die Steuerketten treiben dabei auf der jeweils gegenüberliegenden Seite des Pleuels die Nockenwellen an. Das spart Baubreite.
Eng geht es in den Zylinderköpfen zu. Die beiden riesigen, 46,8 Millimeter großen Titan-Einlassventile und die mit 38,2 Millimetern ebenfalls üppig bemessenen Auslassventile werden desmodromisch gesteuert. Dies geschieht über speziell beschichtete Öffner- und Schließerhebel. Laut Ducati schafft es nur eine solche Desmodromik, die Ventile mit diesen Steuerzeiten und Größen zu öffnen und zu schließen, mit Ventilfedern wäre das so nicht möglich.
Enorm groß gelangen die ovalen Einlässe: 67,5 Millimeter messende Einlassschlünde öffnen sich, wenn der Pilot die Brause ganz aufmacht. Das entfacht dann 195 PS bei 10750/min. Berauschend auch das Drehmoment: Bei 9000/min drückt der V2 132 Nm.
Abgeregelt wird der Motor bei 11500/min. Das geschieht sanft über die Zündung, so dass auch einmal Überdrehzahlen bis knapp 12000 Touren drin sind.
Interessant: Auf der Auslass-nockenwelle vorne erkennt man den Dekompressionshebel. Der dadurch viel leichter anlaufende Motor erlaubt einen kleineren Starter plus kleinere Batterie. Spart über drei Kilogramm.
Ebenfalls neu: Getriebe, Nasskupplung und die in das Kurbelgehäuse gegossenen Zylinder für mehr Steifigkeit. Diese tragen nasse Laufbuchsen.
Schön zu sehen: Ducati spart an Schläuchen und Kabeln so gut es bei einem wassergekühlten Motor nur geht. Der schwarze Brotkasten an der Seite ist ein Öl/Wasser-Wärmetauscher. Nicht sehr schön, aber gut hinter der Verkleidung versteckt.