Der Mann lag gründlich daneben. „Alle fünf Jahre sticht uns der Hafer, dann müssen wir irgendetwas total Abgedrehtes machen“, hatte Ducati-Pressesprecher David James beim Fahrtermin der 1199 Superleggera gegrinst. Das war 2014. Nun, es hat keine drei Jahre gedauert, bis das nächste wilde Ding aus den Werkshallen in Borgo Panigale rollt, die Ducati 1299 Superleggera. Allerdings hatten es die Techniker diesmal auch etwas einfacher, mit der 1199 Superleggera war ja quasi bereits eine brauchbare Blaupause da.
Ducati 1299 Superleggera erfüllt Euro 4
Diesmal aber haben sich die Techniker selbst übertroffen. Das Chassis – ein Lenkkopf mit Anhang: aus Karbon. Die Schwinge: Karbon, Heckrahmen und Räder: genau, Karbon. Der gewaltige Testastretta-Motor mit Sandgussgehäuse wurde noch leichter und kräftiger. 215 PS Spitzenleistung, in der Drehzahlmitte bis zu 12 PS mehr als die 1199 SL. Bei lächerlichen 167 Kilogramm ohne Sprit. WM-Superbikes haben ein Gewichtslimit von 168 Kilogramm. Allerdings ohne Licht und Spiegel. Dazu die allermodernste Elektronik mit zwei unabhängig voneinander agierenden Sechs-Achsen-IMUs, wodurch zusätzlich zu Schräglagen-ABS und Wheelies auch die Seitwärtsbewegungen bei Slides haarfein kontrolliert werden können. Launch Control und Motorbremskontrolle sind logischerweise mit an Bord der Ducati 1299 Superleggera. Und das Beste: Alles mit Euro 4 und Straßenzulassung.
Zu diesem Zweck werden die Karbon-Komponenten zur Qualitätssicherung in drei Schritten per Ultraschall, Thermografie und Computertomografie untersucht, bevor sie eingebaut werden. Die Räder stammen von BST aus Südafrika, der Rahmen von 3C aus Deutschland, Schwinge und Heckrahmen für die Ducati 1299 Superleggera steuert Riba in der Nähe von Bologna bei.
Wendig, stark, brutal, geil
Alles, was sich nicht aus Kohlefaser fertigen ließ, scheint weitestgehend aus Titan oder Magnesium. Oder wurde zumindest noch leichter gemacht, wie der Alu-Tank oder die Öhlins FL 936-Gabel, die 1,3 Kilogramm einspart. Die Bremskomponenten, die diese Boden-Boden-Rakete einfangen, sind über jeden Zweifel erhaben: 330er-Scheiben und Brembo M50-Sättel. Allein der Gedanke, der auf 500 Stück limitierten und trotz 79.000 Euro Kaufpreis ausverkauften Ducati 1299 Superleggera das rote Karbon-Kleid im Kiesbett zu zerknittern, treibt Schweißperlen auf die Stirn.
Mit brutalem Bellen meldet sich die Ducati 1299 Superleggera zum Dienst. Sie ist – Ehrensache – mit dem zum Bike gehörenden Race-Kit bestückt. Der Akrapovic-Titan-Auspuff, der jenem der Werksmaschinen entspricht, steigert mit passendem Mapping die Leistung weiter auf 220 PS – da sind die Werksrenner nicht mehr weit entfernt: nur etwa 10 PS, beteuert Ducati.
Die Boxenampel gibt den Weg auf die hügelige Strecke von Mugello frei. Und im Grunde ist die Geschichte schnell erzählt. Die Ducati 1299 Superleggera ist wendig, sie ist stark, sie ist brutal. Sie ist geil. Mit fast schon vorauseilendem Gehorsam biegt sie in die Kurven ein. Selbst wenn es heftig auf der Bremse ist, wie Ende der rund 1.100 Meter langen Zielgeraden, wo die Fuhre aus Topspeed vom sechsten bis in den zweiten Gang zusammengestaucht wird, ehe es in die San-Donato-Kurve hineingeht.
Karbon-Räder mit viel geringerem Trägheitsmoment
Die zwei folgenden Schikanen offenbaren die ganze Schlagkraft ihrer Handlichkeit. Im Nullkommanix lässt sich die Ducati 1299 Superleggera von links nach rechts und wieder zurück werfen. Lenkbefehle werden so intuitiv umgesetzt, dass man beim Einlenken und am Kurvenausgang beim Aufrichten anfangs stets zu früh dran ist. Man könnte viel später, es geht ja so leicht und zackig.
Das ist natürlich ein Hauptverdienst der Karbon-Räder. Dabei ist es nicht in erster Linie das gegenüber Schmiedefelgen niedrigere Gewicht, das diesen Vorteil bringt. Vielmehr ist es das deutlich geringere Trägheitsmoment, das am Vorderrad um 26 Prozent und hinten um satte 44 Prozent niedriger ist. Ganz ohne Nebenwirkungen gab es diesen Vorteil aber nicht. Testfahrer Alessandro Valia grinst: „Die Abstimmung auf die leichten Räder war nicht einfach – bei der Traktionskontrolle und vor allem dem Schräglagen-ABS. Die Räder der Ducati 1299 Superleggera stehen durch ihr geringes Trägheitsmoment ruck, zuck still und rollen genauso schnell wieder an. Wir hatten einige Schreckmomente. Dabei sollte alles sanft und smooth gehen.“ Die Arbeit hat sich aber gelohnt. Die Elektronik geht enorm feinfühlig zur Sache, vor allem die DTC-EVO-Traktionskontrolle, die bereits in der 1299 S Anniversario vorgestellt wurde.
Und das ist auch bitter notwendig. Denn der Motor der Ducati 1299 Superleggera reißt mit einer Macht an, dass einem die Spucke wegbleibt. Der Race-Kit fügt nicht nur 5 PS hinzu, sondern auch eine viel fleischigere Drehmomentkurve. Bei 6.500/min stehen zwölf Prozent mehr Drehmoment bereit als in der Straßenversion. Und ab hier powert der Twin voran, ohne auch nur einen Moment nachzulassen – bis er bei 12.000/min sanft in den Begrenzer rennt. Im letzten Gang darf er sogar noch ein paar Hundert Umdrehungen höher drehen. Scharf und präzise hängt der V2 dazu am Gas. Größere Titan-Ventile von Del West, schärfere Nockenwellen, leichtere, mit nur zwei Ringen bestückte Kolben, eine auf 13 : 1 gesteigerte Verdichtung sowie gefräste Köpfe und Kanäle sind die Zutaten die diese Leistung herauskitzeln.
Am Lenker festklammern funktioniert nicht
Gefühlt von jeglicher Schwungmasse befreit, dreht der V2 bissig in die Höhe, die Kurven kommen derart schnell angeflogen, dass fast nirgends Zeit zum Verschnaufen, zum Luftholen bleibt. Bestenfalls auf der Zielgeraden. Ab dem Scheitelpunkt der Bucine, der Zieleingangskurve, in der sich schon so viele Letzte-Runde-Dramen abgespielt haben, kann der Hahn voll gespannt werden. Die EVO-Elektronik wacht unauffällig, effizient, die Ducati 1299 Superleggera klebt beim Sturm auf die Zielgerade förmlich auf der engen Linie – Wahnsinn!
Aber Obacht, sich einfach am Lenker festklammern und hinten am Sitz abstützen, verträgt die Ducati 1299 Superleggera nicht. Dann reagiert sie mit kräftigem Pendeln auf solch wenig feinfühlige Behandlung. Also Füße in die Rasten stemmen, Gewicht nach vorne und die Lenkerstummel locker führen. Dann bleibt die Duc ruhig. Und kann ihr volles Fahrwerkspotenzial ausspielen. Das Chassis besitzt dieselbe Steifigkeit wie das Alu-Pendant der Panigale 1299 S. Die Öhlins-Federelemente arbeiten enorm sensibel, liefern kristallklares Feedback auch für knifflige Passagen wie die bergab führende Casanova und die anschließende, nach außen hängende Savelli-Kurve. Dabei ist die Fahrwerksabstimmung nicht einmal bretthart. Die Titan-Feder des Federbeins ist mit 85 N/mm um 5 N/mm weicher als bei der 1299 S. Die Schwinge ist 15 mm länger, um die Kraft sauber auf den Boden zu bringen. Was in Verbindung mit der ausgeklügelten Elektronik ausgezeichnet klappt. Volle Brause aus der bergauf führenden Arrabiata 2 über eine blinde Kuppe beschleunigen, wo die Wheelie-Kontrolle in Schräglage ein sanftes Wheelie gestattet. Und hinten gibt es nur Grip, Grip, Grip. Weshalb wir auch während der zur Verfügung stehenden 20 Minuten Fahrzeit nicht herausfinden konnten, ob die Sache mit der Drift-Kontrolle wirklich funktioniert.
12.000er-Wartungsintervalle
Aber die Ducati 1299 Superleggera hat auch so tiefen Eindruck hinterlassen. Sie ist ein lupenreines Race-Bike. Wirklich lässig ist Schnellfahren mit ihr deswegen aber nicht. Die Dynamik, die sie bietet, ist heftig – stets ist volle Konzentration gefordert. Näher dran am Gefühl, ein WM-Superbike zu fahren, kann man kaum sein. Trotz Licht und Spiegeln. Eine 1199 R von Ducati Corse für Kundenteams will mit 135.000 Euro jedenfalls deutlich teurer bezahlt sein. Und für die braucht es ein Team von Mechanikern und Spezialisten. Die Superleggera dagegen kommt mit Garantie und 12.000er-Wartungsintervallen.
Zu beneiden, wer eine Ducati 1299 Superleggera ergattern konnte oder zumindest auf der Warteliste steht. Alle anderen müssen sich noch wenigstens drei Jahre gedulden, bis das nächste wilde Ding die Werkshallen in Borgo Panigale verlässt.