Auch diesseits von 1000 Kubikzentimetern und 200 PS lässt sich auf dem Racetrack Spaß haben. Zum Beispiel mit Ducati 959 Panigale und MV Agusta F3 800 RC.
Auch diesseits von 1000 Kubikzentimetern und 200 PS lässt sich auf dem Racetrack Spaß haben. Zum Beispiel mit Ducati 959 Panigale und MV Agusta F3 800 RC.
Aragón, spanische MotoGP-Strecke. Die mit der berühmten Steinmauer. Auf den menschenleeren Tribünen der Start-Ziel-Geraden pfeift der Frühlingswind ein unheimliches, hell oszillierendes Sirren. Gegenüber, in der Boxengasse, legt die Pirelli-Crew mit geschäftiger Konzentration die Reifenwärmer über den nächsten Satz weicher Supercorsa SP. Wüssten sie nicht darum, sie erahnten kaum das beinahe infernalische Spektakel, das sich keine 300 Meter weiter südlich, auf der dem Paddock abgewandten Seite des WM-Tracks, abspielt.
Hier schreit sich genau jetzt eine MV Agusta F3 800 RC mit Vollgas im sechsten Gang die Seele aus ihrem Dreiorgel-Auspuff. Einige Oktaven tiefer als das gespenstische Zwitschern in der Boxengasse, dafür etwa 100 Dezibel lauter. Der Tacho meldet: 253, 258, 260, 262. Zwischen Kinnteil des Fahrerhelms und Tankdeckel der MV passt keine Verzichtserklärung mehr. Alles, was jetzt zählt, ist, den heranfliegenden Bremspunkt an dieser schnellsten Stelle der Runde so exakt wie nur möglich zu treffen.
Doch trotz des Zorneseifers, mit der der Vareser Drei-Topf-Zerknalltreibling 30 Zentimeter tiefer Super Plus in kinetische Energie umwandelt, schiebt sich genau hier Ducatis „kleine“ 959 Panigale neben die Vollgas-MV ins Bild. 160 Kubik Hubraumbonus und rund sechs Extra-Pferde machen exakt diese Handvoll Stundenkilometer Überschuss. Auf gleicher Höhe pfeilen beide durch die folgende Senke, die gemeinsam mit dem 200-Meter-Schild das letzte Signal zur Verzögerung darstellt.
Beide ankern, was nur geht. Zwar verfügt der Jockey der MV Agusta F3 800 RC über noch feiner dosierbare Stopper, und, wie die Ducati 959 Panigale, über ein gutes Race-ABS, aber der ultrakompakte Renner tänzelt verspielt mit dem Heck, wo das Hinterrad der Ducati sich schön in den Asphalt saugt. Das bringt die entscheidenden Meter, am Ende der Gegengeraden ist der Überholvorgang abgeschlossen. In tiefster Schräglage gilt es jetzt, den ewig langen Radius so zu halten, dass man blind (Start-Ziel liegt hinter einer Kuppe), die ganze Streckenbreite ausnutzend, so früh wie möglich wieder beschleunigen kann.
Wieder hat der Ducati-Pilot leichte Vorteile. Während die zierliche MV Agusta F3 800 RC hier ganz konzentriert geführt werden will, macht es die auch nicht gerade massige Ducati 959 Panigale umgekehrt und führt, merklich stabiler, ihrerseits den Piloten. Das schafft das nötige Vertrauen, mehr Speed mitzunehmen, früher und härter ans Gas zu gehen. Doch Obacht! Wer nur zwei und nicht drei Gänge heruntergedrückt hat, den lässt Panigalino am ausgestreckten Arm verhungern. V2-Punch in der Mitte? War einmal. Erst bei reichlich 8000 Touren liegt motorsportgemäßer Druck an, also ist, genau wie bei der F3 800, Schaltarbeit angesagt.
Dies aber dem Drilling der MV Agusta F3 800 RC vorzuwerfen, wäre töricht. Sein Charisma ist einzigartig. Dreizylinder gibt es viele, aber keinen wie diesen. Das ultradirekte Ansprechen, die Unmittelbarkeit der Leistungsabgabe – der Reiz dieses kompakten Kurzhubers (rückwärts drehende Kurbelwelle, Kassettengetriebe) ist objektiv am ehesten über seine vergleichsweise kurze Übersetzung und das hohe Drehzahllimit von fast 14.000 zu erfassen, subjektiv aber schwer zu beschreiben. Man muss es umdrehen: Er dreht nicht hoch, er dreht durch, als hätte jemand seine Tochter entführt. Trotzdem bleibt die MV, vorbei an der eingangs beschriebenen Boxengasse, an der hubraumstärkeren und auf unspektakuläre Art schnellen Ducati 959 Panigale bestenfalls dran. Vom unheimlichen Pfeifen ist dann gar nichts mehr zu hören, weil die zornig knurrende Euro 4-Ducati der heiser röhrenden MV in puncto Gehörgangflutung kaum nachsteht.
Ab Start der nächsten Runde, durch Aragóns wunderbar flüssige Kurven eins bis sechs, verfestigt sich das bisher gewonnene Bild: die Ducati 959 Panigale neutral, stabil, ruhig, trotzdem sehr handlich. Noch handlicher, eher kurvengierig, fast nervös dagegen die MV Agusta F3 800 RC. Ihre Stunde schlägt im zweiten Drittel des Tracks. Kurve sieben, ein kniffliger Rechtsknick, dahinter noch eine Kuppe, dann die Corkscrew. Eine enge Wechselkurve steil bergab, ein bisschen wie in Laguna Seca, nur umgekehrt. Hier bringt die bestechende Handlichkeit beim Umlegen, das brillante Feedback von der Front der F3 so richtig Meter. Dieses untrügliche, beinahe telepathische Gefühl fürs voll beanspruchte Vorderrad, es macht auch die folgende lange Links, in der in großer Schräglage vom Zweiten bis in den Vierten voll durchbeschleunigt wird, zum Fest. Mutkurve. Schlicht genial, auf beiden Motorrädern. Allerdings bringen die harten Schläge, die der Schaltautomat der MV Agusta F3 800 RC beim Hochsteppen auslöst, viel Unruhe ins Fahrwerk. Besser, weil smoother und präziser, arbeiten Gangbox und Schaltautomat der Ducati 959 Panigale. Die verfügt zudem über die souveränere Traktionskontrolle. Zwar ohne Schräglagensensorik, aber fein justierbar, mit sanftem Regeleingriff. Die TC der F3 arbeitet so italienisch-leger, dass nicht nur Renn-Novizen gut beraten sind, den Schlupf am Hinterrad nach alter Väter Sitte mit dem gefühlvollen Einsatz der Gashand zu kontrollieren.
Die Fahrwerkskomponenten? Zeit für ein kleines Geständnis. Sowohl die Showa/Sachs-Kombination der Ducati 959 Panigale als auch das Marzocchi/Sachs-Duett der MV Agusta F3 800 arbeiten so sauber, dass dieser Tracktest ganz ohne Kritik am Feder- und Dämpfverhalten auskommt. Das gilt freilich für den ziemlich feinen Asphalt Aragóns, bei sehr moderaten Außentemperaturen und diesseits weltmeisterlichen Performanceniveaus. Andersherum wird ein Schuh draus: Bemerkenswert, wie diese Sportmotorräder aus der Kiste heraus einfach funktionieren. Anreisen, draufsetzen, anlassen, Tank leer fahren, wiederholen. Je nach persönlichen Vorlieben lässt sich sicherlich noch aus den Einstellschräubchen das ein oder andere Zehntel zutzeln, doch die Werks-Setups passen hier wie da grundsätzlich ausnehmend gut. Über Tuning brauchen sich Normalsterbliche jedenfalls noch nicht zu bald Gedanken zu machen.
Dass die auf 300 Stück limitierte F3 800 RC in keine Rennklasse passt und damit im Prinzip nichts anderes ist als eine (sehr) chic für Renntrainings und Wohnzimmervitrinen zurechtfrisierte F3, darf man ihr nicht vorwerfen. High Heels von Supermodels haben auch keine Klicker für Fahrradpedale, aber erfüllen trotzdem ihren Zweck.
Beide, F3 800 und 959 Panigale, sind feine, funktionale, exquisite Track-Werkzeuge, die Fahrvergnügen vor Rundenzeiten stellen. Sie füllen ganz wunderbar die Lücke, die die brachialen 1000er nach unten aufgemacht haben.
Mittelklasse? Nicht so lange her, dass man diese beiden ganz oben eingeordnet hätte. Heute stellen sie eine feingeistige Alternative zur 1000er dar. Die Ducati 959 Panigale ist das einfacher zu bewegende, ausgewogenere, für die allermeisten Fahrer schnellere Motorrad. Die sinnliche MV Agusta F3 800 RC erinnert positiv an eine 600er. Sie verlangt einen Jockey, belohnt Präzision aber im Gegenzug wie keine andere Maschine.
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