Wenn es jemand schaffen kann, mit einem leichten, flinken Einzylinder-Feuerzeug Erfolg zu haben, dann ist es KTM. Die Mattighofener verfügen als einziger Hersteller über einen modernen Motor von hohem Potenzial. Seine grundlegende Entwicklung war im Frühjahr 2007 mit der Einführung der 690 Supermoto abgeschlossen, für die Duke-, die Enduro- und die SMC-Variante wurde er weiterentwickelt. Außerdem hat KTM eine Produktions- und Kostenstruktur geschaffen, die es erlaubt, schon mit relativ geringen Stückzahlen eines Modells in die Gewinnzone vorzustoßen. Verglichen mit japanischen Herstellern jedenfalls.
Serienmäßige 70 PS als standesgemäße Leistung für einen Supersportler seien kein Problem, sagten KTM-Mitarbeiter schon vor längerer Zeit. MOTORRAD ergänzt: 150 Kilogramm für die fahrfertige, vollgetankte Maschine auch nicht. Eine Kombina-tion, die viel Dynamik verheißt und für welche die Zeit reif ist. Denn sowohl die 180-PS-Raketen unter den Supersportlern als auch die 600er mit ihren beinahe Formel-1-tauglichen Drehzahlen und spitzen Leistungscharakteristiken scheinen allmählich nicht mehr von dieser und für diese Welt; sie siedeln sich mehr und mehr in der Sphäre der Renn-Heroen und -Halbgötter an.

Und wenn ein Sportmotorrad kleineren und flinkeren Zuschnitts dann auch noch so aussieht, wie die vor Kurzem im Internet aufgetauchte Skizze verheißt, dann sollte ihm der Erfolg nicht verwehrt bleiben. Was da in einem versehentlich veröffentlichten und eilends modifizierten pdf-Dokument kaum Briefmarken-größe erreichte, ist trotz europäischer Herkunft so scharf wie ein japanisches Kochmesser und inspirierte Motorrad-Designer und MOTORRAD-Mitarbeiter Stefan Kraft zu einer veritablen Entwurfszeichnung. Sie vermittelt nicht nur ein Stück der Faszination, welche dieses Projekt ausstrahlt, sondern zeigt auch, dass es weitgehend mit vorhandenen Komponenten realisierbar ist.
Es darf jedoch bezweifelt werden, dass der vorhandene Rahmen der Supermoto und Duke also der Straßenrahmen der 690er-Reihe mit den dicken Seitenstreben ganz ohne Änderungen verwendbar ist. Das Foto des Prototyps mit der Verkleidung der Ducati 916 und dem Tank der Cagiva Mito verdeutlicht das Problem: Der Lenkkopf sitzt zu hoch für einen lupenreinen Straßensportler. Um dieses Problem mogelt sich die von KTM lancierte Skizze herum; sie lässt die beiden Rahmenoberzüge einfach unter dem Tank verschwinden. Hätten diese dort keine ausgeprägte Krümmung, würden sie über den Lenkkopf hinausschießen. Ob die spätere Lösung des Problems tatsächlich so gestaltet wird oder ob die Hauptrahmenrohre von vorne bis hinten flacher geführt werden, mag den Ingenieuren Kopfzerbrechen bereiten, am grundsätzlichen Charme des Konzepts ändert diese Frage nichts.
Die Einarmschwinge ist schick

Überaus reizvoll, wenngleich dem Streben nach geringstmöglichem Gewicht nicht gerade förderlich ist die Einarmschwinge, seit Honda RC 30 und Ducati 916 der Inbegriff der supersportlichen Hinterradführung. Und auch dem RC4-Entwurf steht der Kontrast zwischen dem mächtigen Schwingenprofil und dem zierlichen Hinterrad ausgezeichnet. Sehr geschickt wurden vermutlich von KTM-Hausdesigner Gerald Kiska die Seitenteile der Verkleidung gestaltet. Sie sind weniger flächig als bei der 1190 RC8 zugunsten einer zierlichen Anmutung. Trotzdem bleibt die Familienähnlichkeit gewahrt. Kein Betrachter käme auf die Idee, hier etwas anderes als eine KTM zu sehen.
Das Gleiche gilt für ein weiteres reizvolles Gedankenspiel. Die 690-Modelle Supermoto, Duke und Enduro inklusive der zukünftigen RC4 sollen 125er-Pendants erhalten. Ein Gitterrohrrahmen von stark reduziertem Layout wird einheitlich für alle Modelle verwendet, die Anpassung an unterschiedliche fahrwerksgeo-metrische Voraussetzungen erfolgt durch gekröpfte oder gerade Schwingenarme. Je nachdem, ob lange oder kurze Gabelholme mit den entsprechenden Federwegen verwendet werden, liegt die Lenkkopfpartie in unterschiedlicher Höhe. Der Motor, welcher auf den Skizzen als Viertakter angedeutet ist, sitzt dann unterschiedlich stark geneigt im Fahrwerk. Für eventuell notwendige Feinkorrekturen des Lenkkopfwinkels bieten sich exzentrische Einsätze im Lenkkopf an. Abermals à la Ducati 916. Doch was bei der legendären Italienerin ein teures Extra war, kann auf eine ganze Baureihe angewendet sogar Kosten sparen.