Fahrbericht Aprilia RSV mille R (1999)
Da geht's lang

Aprilia stellt seinem Zweizylinder-Sportler RSV mille eine supersportliche Schwester zur Seite. Neben Top-Komponenten geht die R-Version mit superleichten, geschmiedeten Alu-Felgen neue Wege im Motorradbau.

Aprilia RSV mille, ein junges Motorrad mit erfolgreicher Geschichte. Als 1000er-Zweizylinder genau ins Superbike-Reglement geboren, setzte Aprilia bislang lediglich die spektakuläre SP-Version im Rennsport ein. Die Begründung: Die Basis-Mille sei, bei allen Erfolgen im Breitensport bis hin zur Langstrecken-WM, nicht sportlich genug. Damit soll fortan eine ganz auf Rennstreckeneinsatz zielende Schwester Schluss machen: die RSV mille R, angereichert mit geschmiedeten Aluminium-Felgen und Edel-Komponenten, die für den Breitensportler sofort startbereit ist.
Ergonomisch kopiert die R die Basisversion, übernimmt auch Hauptkomponenten wie Rahmen, Schwinge und natürlich den bekannten 60-Grad-V2 mit allem Drumherum. Wie alle 2000er-RSV soll die R von einem aufgefrischten Kennfeld für besonders drehmomentstarken, vibrationsarmen Lauf des mit zwei Ausgleichwellen bestückten Motors profitieren. Ebenfalls alle Mille erhalten Kupplungslamellen mit höherem Reibwert, die schwächere Kupplungsfedern zulassen und somit die nötige Hebelkraft reduzieren. Bei der R erfordert auch das Gasgeben dank anders verlegter Gaszüge weniger Kraft, so dass der Pilot sich auf die Hauptsache – das schnelle Fahren – konzentrieren kann.
Damit das Sportmodell tatsächlich der schon schnellen älteren Schwester davonfährt, gaben ihr die Damen und Herren von Aprilia exklusive Federelemente und einen Doppelkammer-Lenkungsdämpfers von Öhlins mit – eine sichere Wahl, wenn sauberes Ansprechverhalten, eine einwandfreie, konstante Dämpfung mit großem Einstellbereich und zuverlässige Funktion über einen breiten Temperaturbereich, sprich Rennstreckentauglichkeit gefragt sind. Diesbezüglich gibt sich die Aprilia bei der Umrundung des Grand Prix-Kurses von Valencia denn auch keinerlei Blößen. Durch minimales Nachjustieren von Gabel und Federbein verschwinden kleine Unruhen, das Fahrwerk lässt sich perfekt auf die Strecke abstimmen.
Noch beeindruckender allerdings ist, wie unglaublich handlich die Mille R gegenüber der ebenfalls nicht besonders sturen Basis agiert, wie sie fast von selbst in die Kurven fällt. Beispiel eins: ein Dritter-Gang-Linksknick, auf den unmittelbar eine 110-Grad-Rechtskurve im zweiten Gang folgt. Erfordern die meisten Motorräder großen Kraftaufwand, wenn es gilt, die Maschine aus hoher Geschwindigkeit im Linksknick auf der Ideallinie nach rechts umzulegen, folgt die Aprilia ganz locker den Fahrbefehlen. Ergebnis: höheres Durchschnittstempo bei gleichem fahrerischem Aufwand, ergo bessere Rundenzeit. Beispiel zwei: eine schnelle Links-Rechts-Schikane, im dritten Gang gefahren. Fast schon unglaublich, wie locker sich die R von einer Schräglage in die andere werfen lässt.
Diese überdurchschnittliche Handlichkeit verdankt die Mille einem ganzen Bündel von Modifikationen. Dazu zählt die Gewichtsreduktion um vier Kilogramm, die vor allem oben am Motorrad eingespart wurden, um den Schwerpunkt zu senken. So wich der Stahl- einem Nylontank, der massive Heckrahmen einem Einsitzer-Pendant, die große einer kleinen Batterie. Außerdem sind die Räder wesentlich leichter. Und wie alle 2000er-Mille lenkt die R über einen Vorderreifen mit 65er statt gewohntem 70er-Querschnitt. Der mindert durch seinen geringeren Durchmesser nicht nur das Massenträgheitsmoment (ein Maß für die Trägheit der rotierenden Masse; je näher die Masse des Rads um die Drehachse verteilt ist, desto leichter lässt es sich in Schräglage bringen), sondern er senkt auch die Front ein bisschen ab, wodurch der Lenkkopfwinkel etwas größer, der Nachlauf etwas kürzer wird, was sich beides positiv auf die Handlichkeit auswirkt.
Das größte Plus an Leichtfüßigkeit dürften aber die Schmiedefelgen von Formel 1-Zulieferer OZ bewirken. Thema auch hier: verringertes Massenträgheitsmoment. Vorderer wie hinterer Felge fehlen davon jeweils 25 Prozent, beide sparen zudem Gewicht und somit ungefederte Masse (vorn 3 statt 4,5, hinten 4,8 statt 6,5 Kilogramm). Laut Pirelli machen diese Felgen die Aprilia so handlich, dass ein eigener Vorderreifen konstruiert werden musste, um der Lenkung die Nervosität zu nehmen. Nebenbei überzeugte der neue 65er in Valencia. Gleiches gilt für die überarbeiteten Brembo-Bremsen mit neuen Sintermetallbelägen und Stahlflexleitungen in puncto renntauglicher Standfestigkeit, allerdings dürften sie für den Sporteinsatz ruhig noch bissiger sein.
Tatsächlich scheint die Mille R die Zielvorgabe zu erfüllen. Und das Schönste für den Sportsfreund: Bei aller Leistungsfähigkeit unterbietet die edel bestückte R die illustre Konkurrenz durch ihren Preis. Knapp 30000 Mark für ein so hochwertig geschnürtes Paket lassen Spielraum für das eine oder andere Renntraining.

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Erscheinungsdatum 15.09.2023