Fahrbericht Ducati MH 900 evoluzione
Pop meets classic

So neu und doch so alt: Die Ducati MHe – eine Hommage an den erfolgreichen, britischen Rennfahrer Mike »the Bike« Hailwood – vereint aktuelle Technik mit klassischem Fahrgefühl.

MHe – hört sich ein bisschen nach Pharmazeutika an, steht aber für »Mike Hailwood evoluzione«. Die Älteren unter uns erinnern sich: Mike Hailwood war jener verrückte Engländer, der in den 60er Jahren neun Grand-Prix-Weltmeistertitel einsackte, dann in die Formel eins wechselte, dort schwer verunglückte und 1978 auf der Isle of Man ein glorreiches Comeback feierte. Ausgerechnet auf einer angeblich der Vierzylinder-Konkurrenz unterlegenen 900er-Ducati. Ausgerechnet bei der Tourist Trophy – ein Rennen mit Symbolcharakter. Ausgerechnet dieser Hailwood – Motorradpilot jenseits der Pensionsgrenze, dessen rechtes Bein seit dem Unfall auf dem Nürburgring fast bewegungsunfähig war. Die Legende war geboren, und der Name Ducati hatte plötzlich wieder Gewicht in der Zweirad-Welt.
Die Zeit für eine Hommage an den britischen Haudegen war überreif. Ducatis Chefdesigner Pierre Terblanche ließ sich dazu von Hailwoods 1978er-Siegermotorrad inspirieren. Heraus kam die MHe, ein zierliches Edelbike im Neoklassik-Look, wie Terblanche das selber nennt. Kostenpunkt: satte 30000 Mark. 2000 Stück will Ducati bauen, die komplette Produktion, die dieser Tage in Bologna anläuft, ist laut Werk bereits ausverkauft.
Obwohl die MHe wohlgemerkt keine Replika des Renners von damals ist und moderne Zutaten wie Einspritzung und Motormanagement mitbringt, fühlt sie sich »very old fashioned« an. Etwa, weil der Fahrer eher auf dem Motorrad sitzt als drin. In beachtlichen 82,5 Zentimetern Höhe findet er seinen sportlich-spartanisch gepolsterten Arbeitsplatz. Zusammen mit den tief und eng beieinanderliegend montierten Lenkerhälften ergibt das ein »Ich-sitze-auf-einem-Baumstamm-Gefühl«: Hintern relativ weit oben, Oberkörper nach vorn gebeugt, Hände weit unten.
Klingt unbequem – bringt aber erstaunlich viel Spaß. Denn das handliche Fahrwerk und die luftig-lockere Bauweise machen die 186 Kilogramm leichte MHe zur Heldin der Landstraße. Spielerisch nimmt sie Kurve um Kurve, folgt der angepeilten Linie haargenau und vermittelt ein sehr präsentes, beinahe greifbares Fahrgefühl. Die Gabel steckt Bodenwellen und Schlaglöcher gut weg, nur das Paioli-Federbein zeigt sich zuweilen überfordert. Bei schnellen Kurvenkombinationen fängt es unangenehm zu pumpen an. Das hätte Mike Hailwood bestimmt nicht gefallen.
Allerdings hätte er auf der Isle of Man mit der MHe ohnehin keine Chance. Mit 75 PS ist bei der Tourist Trophy heute kein Blumentopf mehr zu gewinnen. Fürs normale Leben eignen sie sich hingegen wunderbar, vor allem, da sie recht homogen und ausdrucksstark zur Sache gehen. 75 PS sind eben nicht gleich 75 PS, und die Art, wie der Desmo-Motor seine Power in Vortrieb umsetzt, hat dieses gewisse Etwas, das nur großvolumige V2-Aggregate vermitteln können: Da wirkt nichts zufällig, die Leistung sprudelt nicht einfach so aus ihm heraus, viel mehr fühlt es sich an, als schöpfe er sie aus den tiefsten Tiefen seines Kurbelgehäuses – jedes einzelne PS ein wertvolles Geschenk.
Der Zweizylinder entspricht übrigens bis hin zur Übersetzung dem alten, zweiventiligen 900er-Monster-Motor, nur kommt aus dem Drehzahlkeller noch etwas mehr Dampf, obenrum lässt der Druck dafür etwas nach. Für den kleinen Unterschied in der Abstimmung zeichnet die exklusive Auspuffanlage verantwortlich, die in zwei mächtigen Tüten aus Inox-Stahl unter dem Bürzel endet und original 70er-Jahre-Sound verbreitet. Sprich: Die MHe bollert nicht und wummert nicht und brabbelt nicht – sie röhrt. Und zwar laut.
Designer Terblanche hielt sich bis ins Detail an klassische Maßstäbe. Leider so streng, dass er noch nicht mal den Anbau des modernen Ducati-Seitenständers, der bei Entlastung ausgeklappt bleibt, erlaubte. Der Sensor für die Wegfahrsperre hätte seiner Meinung nach die Ästhetik gestört. Jetzt stört, dass das Ding bereits beim Anstupsen des Motorrads wie anno dunnemals wegschnappt. Das nervt, denn ein Umfaller dieses edlen Stücks wäre ein Jammer.
Am besten einfach nicht abstellen, sondern das Fahren mit der MHe genießen. Die Wege sollten jedoch mit Bedacht gewählt werden, um Wende- und Schiebemanöver aufs Allernötigste zu beschränken. Der Lenkeinschlag tendiert gegen Null. Im direkten Vergleich bietet eine Ducati 996 den Spielraum eines Casinos in Las Vegas. Und schließlich wären da noch die Spiegel. Gut, gut, wir sind es ja gewohnt, dass man bei einer Duc darin außer den eigenen Schultern wenig sieht – aber gar nichts... Ursprünglich war eine Kamera im Heckbürzel vorgesehen, die Bilder aus der Hinterwelt ins Cockpit übertragen sollte. Toller Plan – allerdings fiel er dem Rotstift zum Opfer.
Doch diese kleinen Widrigkeiten lassen sich verschmerzen. Schließlich ist die MHe nicht als Alltags-Motorrad gedacht, sondern eher für den Ausflug an ganz hohen Zweirad-Feiertagen. Wer nach dem Tanken, was angesicht des nur 8,5 Liter fassenden Spritbehälters häufig angesagt ist, auf den Neoklassiker zugeht, wird sich immer wieder an seinem Anblick berauschen. Allein schon an der kunstvollen Gitterrohr-Einarmschwinge. Oder am Kurbelgehäuse mit der Ölwannen-Optik historischer Ducati-Königswellen-Motoren – selbst wenn die Wanne aus Kunststoff ist. Oder an den Marchesini-Rädern mit den fünf hauchzarten Speichen. Oder an der knappen Halbschale in Rot und Silber, die nahtlos in den Tank übergeht. Und schließlich am Namen, den das Motorrad trägt: Mike Hailwood, der 1981 bei einem Verkehrsunfall ums Leben kam.
Ohne Hailwoods bejubelten TT-Sieg würde Ducati heute womöglich Dieselmotoren bauen, eine Produktionsschiene, die das damalige Management als richtungsweisend und viel wichtiger als Motorradmotoren eingestuft hatte. Wer weiß, vielleicht stimmte das sogar. Aber in Sachen Faszination könnte es eine Diesel-Evo gewiss nicht mit einer Mike Hailwood evoluzione aufnehmen.

Unsere Highlights

Fahrbericht - Ducati MH 900 evoluzione

DatenMotor: Luftgekühlter Zweizylinder-Viertakt-90-Grad-L-Motor, zwei Ventile pro Zylinder, desmodromisch betätigt, Nasssumpfschmierung, elektronische Einspritzung, Motormanagement, keine Abgasreinigung, E-Starter.Bohrung x Hub 92 x 66 mmHubraum 904 ccmVerdichtungsverhältnis 9,2:1 Nennleistung 55 kW (75 PS) bei 8000/minMax. Drehmoment 76 Nm (7,7 kpm) bei 6250/minKraftübertragung: Primärantrieb über Zahnräder, hydraulisch betätigte Mehrscheiben-Trockenkupplung, Sechsganggetriebe, O-Ring-Kette,Sekundärübersetzung 38:15.Fahrwerk: Gitterrohrrahmen aus Stahl, Upside-down-Gabel, Gleitrohrdurchmesser 43 mm, Einarmschwinge in Gitterrohrbauweise, Federbein mit verstellbarer Federbasis, Zug- und Druckstufendämpfung, Doppelscheibenbremse vorn, Vierkolbensättel, Bremsscheiben halbschwimmend gelagert, Ø 320 mm, Scheibenbremse hinten, Zweikolbensattel, Ø 220 mm.Leichtmetallräder 3.50 x 17; 5.50 x 17 Reifen 120/65 ZR 17; 170/60 ZR 17Fahrwerksdaten: Radstand 1415 mm, Lenkkopfwinkel 66,5 Grad, Nachlauf 110mm, Federwege v/h 120/130 mm.Maße und GewichteL/B/H 2040/740/1090 mmSitzhöhe 825 mmLeergewicht 186 kgTankinhalt 8,5 LiterGarantie zwei Jahre ohne KilometerbegrenzungFarbe Rot/SilberPreis 15.000 Euro (ca 30.000 Mark) Preis: 15.000 Euro (rd. 30.000 Mark)

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Erscheinungsdatum 15.09.2023