Fahrbericht MBS 656
das high-light

168 Kilogramm leicht, 125 PS stark und in der radikalsten Version knapp 100000 Mark teuer. MOTORRAD drehte mit der MBS 656 die ersten Runden. Vollkaskoversichert, versteht sich.

Halt, bevor Sie weiterblättern: Sie müssen die MBS 656 ja nicht
gleich kaufen, nur anschauen, und das kostet nix. Außer den sechsfuffzig fürs Heft. Lohnt sich aber. Denn jedes Teil,
jedes Schräubchen, jede Rundung und Kante des federleichten Kohlefaser-Kunstwerks ist das faszinierende Ergebnis purer Handarbeit. Jahrelang war Heiko Heinemeyer, Chef der Motorradwerkstatt MBS-Motorcycle, vertieft – oder besser versessen – in ein Konzept, von dem er sich den absoluten Kick verspricht. Nicht die schiere Gewalt aus massigem Hubraum, sondern der gelungenste Kompromiss aus Leistung und Gewicht sollen
die viel beschworene Fahrbarkeit seines Extremsportlers garantieren. Koste es, was es wolle.
Nur das beste Material ist dem Tüftler aus dem niedersächsischen Stroit gut
genug, um seiner Idee auf die Beine zu helfen. Als Basis benutzt Heinemeyer den Motor der Kawasaki ZZ-R 600, der von
einem selbst konstruierten Brückenrahmen aus Chromolybdän-Stahlrohr umschlungen wird. Elf Kilogramm leicht und steif genug, um die 125 PS im Zaum zu halten, unterstreicht das markante Rohrgeflecht die Fastenkur der MBS auch optisch.
Mit messerscharfer Passgenauigkeit und Spaltmaßen, die selbst VW-Chef Piëch entzücken würden, fügen sich
die federleichten Kohlefaser-Bauteile ins Chassis. Schön für den Schrauber: Tank und Airbox sind am Stück laminiert,
lassen sich folglich im Handumdrehen und ohne Gefummel auf den gefrästen und mit Dichtleiste umrahmten Sockel der vier 36er-Gleichdruckvergaser stülpen. Eine pfiffige Lösung, die sich die Groß-
serien-Hersteller etwas genauer betrachten sollten.
Exklusive BBS-Räder aus geschmiedetem, hochfestem Magnesium, White-Power-Federelemente, durchdachte Frästeile vom Zubehörlieferant ABM und matt glänzende Titanschrauben komplettieren das Ganze zu einem soliden, aber eben auch sündhaft teuren Hightech-Bündel.
Jungfernfahrt. Zwischen Weihnachtsbaum und Festessen komplettierte Heiko H. in eifrigen Nachtschichten den ersten MBS-656-Prototyp, wenige Tage später rollte das brandneue Geschoss aus der Box im spanischen Calafat. Das neue Jahr fängt klasse an. Mit Samthandschuhen auf die ersten Runden, angespanntes Abtasten der Grundfunktionen, Abstimmung vorn und hinten austüfteln, die Balance optimieren, Sitzpolster, Lenker und Hebeleien perfekt arrangieren, so vergeht der erste Tag wie im Flug. Das Ergebnis schafft zufriedene Gesichter am Abend in der Box Nummer neun.
Neuer Tag, neues Glück. Wenig geschlafen, dafür vor Aufregung und Un-
geduld die Bettdecke weggestrampelt, steckt der Testpilot fünf vor neun fahr-
fertig in seiner Rennkombi. Jetzt, wo alles passt, sich der Fahrer unter den zig Einstellmöglichkeiten sein ganz individuelles Paket geschnürt hat, zeigt sich die Vision von Heiko Heinemeyer in purer Dynamik. Vollgetankt mit 20 Liter Sprit 168 Kilogramm leicht, reißt es die MBS gewaltig aus den Ecken. Lediglich im Leerlauf noch leicht verstimmt, erklimmt der Kawasaki-Vierzylinder ohne Schwächen und Einbrüche die Drehzahlleiter.
Ab 8000/min stehen bereits 100 der 125 PS parat. Mit schrillem Sound und kräftigem Schub geht’s bis 13500/min zielstrebig vorwärts, bevor ohne Zucken und Zaudern, mit Vollgas und ohne Kupplung der nächste Gang durchgedrückt wird. Der exzellente CTS-Schaltautomat macht’s möglich und sorgt zudem dafür, dass die MBS selbst aufgemöbelten Yamaha YZF-R1 beim Sprint auf die Pelle rückt. Ein wenig schlingernd mit der
Tendenz zum Kopfstand, verschafft die leichte und kurze MBS auf der Bremse keinen spürbaren Vorteil gegenüber den Big Bikes, klappt jedoch Sekunden später
auf den klebrigen und gutmütigen Pirelli Supercorsa wie selbstverständlich in unbarmherzige Schräglagen. Sauber am Gas geführt, zirkelt die MBS 656 haarscharf an den Kerbs entlang und zieht, wo andere Powerbikes aus der Spur geraten, auf kürzestem Weg den Längeren.
Heftig angezettelte Schräglagenwech-
sel in den verzwickten Schikanen gehören mit der MBS zur leichteren Übung, wenn auch nicht ganz so leicht, wie es die Gewichtsangabe vermuten lässt. Schließlich stemmen sich die relativ großen rotierenden Massen der breiten Vierzylinder-Kurbelwelle spürbar gegen den Kurswechsel. Schauriges Lenkerschlagen oder nerviges Kurvenkippeln kennt die MBS dagegen nicht. Im Handling ist die 656 zwischen 600er-Supersport-Rennmaschine und 250er-Production-Racer einzustufen. Nicht mehr und nicht weniger. Denn die »Fahrbarkeit« stand ganz oben im Lastenheft, und demzufolge legte Konstrukteur Heiko Heinemeyer die Lenkgeometrie gemäßigt aus. Mit 66,5 Grad Lenkkopfwinkel und 92 Millimeter Nachlauf bleibt die MBS eher auf der sicheren, sprich stabileren Seite.
Daran ändert sich auch nichts, wenn der Renner auf die miserablen spanischen Landstraßen entführt wird. Bodenwellen, Schlaglöcher, Sprunghügel, die 656 nimmt’s trotz der straffen Federungsauslegung gelassen. Tatsächlich werden lediglich knapp 100 der 105 Millimeter
Federweg genutzt, trotzdem schlägt die MBS nur ansatzweise mit dem Lenker, hält die Räder sauber auf dem Asphalt, federt und dämpft, wie es sich gehört. Nicht komfortabel, aber für ein Renn-
motorrad mit Straßenzulassung geht das in Ordnung.
Stellt sich nur die Frage: Wer soll das bezahlen? Ex-Rennfahrer Heinemeyer sieht die Sache realistisch: »Der aktuelle Prototyp ist unsere Highend-Version,
Zwischenstufen mit einfacheren Komponenten sind durchaus machbar. Keine Frage.« Einzig an der Motorbasis der
ZZ-R 600 hält er fest. Denn nur die passt von den Motorhaltepunkten perfekt in sein Rahmenkonzept. Und an Leistung mangelt es dem unter Verwendung von Honda-CBR-600-Kolben auf 656 cm3 aufgebohrten und penibel überarbeiteten Kraftpaket nach der MBS-Frischzellenkur garantiert nicht.

Unsere Highlights

Technische Daten - MBS 656

Motor: Wassergekühlter Vierzylinder-Viertakt-Reihenmotor, zwei obenliegende Nockenwellen, vier Ventile pro Zylinder, Tassenstößel, Nasssumpfschmierung, vier Keihin-Gleichdruckvergaser, Ø 36 mm, E-Starter. Bohrung x Hub 67 x 46,6Hubraum 657 cm3Verdichtungsverhältnis 12,8:1Leistung 92 kW (125 PS) bei 12500/minMax. Drehmoment 75 Nm (7,6 kpm) bei 10000/min Kraftübertragung: Primärantrieb über Zahnräder, mechanisch betätigte Mehrscheiben-Ölbadkupplung, Sechsganggetriebe, Kette.Fahrwerk: Brückenrahmen aus Stahlrohr, Motor mittragend, Up-side-down-Gabel, Gleitrohrdurchmesser 43 mm, verstellbare Federbasis, Zug- und Druckstufendämpfung, Zweiarmschwinge, Zentral-federbein über Umlenkwippe und Schubstangen betätigt, verstell-bare Federbasis und Länge, Zug- und Druckstufendämpfung, Doppelscheibenbremse vorn, Ø 320 mm, Achtkolben-Zangen, Scheiben-bremse hinten, Ø 190 mm, Braking-Zweikolbenzange, geschmiedete BBS-Magnesium-Räder, vorn 3.50 x 17, hinten 5.50 x 17; Bereifung Pirelli Supercorsa, vorn 120/70 ZR 17, hinten 180/55 ZR 17.Fahrwerksdaten: Radstand 1380 mm, Lenkkopfwinkel 66,5 Grad, Nachlauf 92 mm, Federweg vorn/hinten 105/105 mm, Gewicht vollgetankt 168 Kilogramm.Preis: 50000 Euro (zirka 97800 Mark)Hersteller: MBS Motorcycle GmbH, Dannhof 1, 37574 Einbeck-Stroit, Telefon 05565/859

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MOTORRAD 20 / 2023

Erscheinungsdatum 15.09.2023