
Für die einen ist sie die spannendste Neuerscheinung der Saison, für andere - diejenigen, die mit weniger als 180 PS nichts anfangen können - ist sie vermutlich nur ein weiterer Leistungs-Notstand. Eines jedoch dürfte selbst den verbissensten PS-Freaks ins Auge stechen: Die neue MV Agusta F3 ist eine der schönsten Supersportlerinnen, die jemals gebaut wurden. Besonders die Proportionen begeistern.

Verkleidung, Tank, Sitzbank - angesichts der harmonischen Erscheinung und der MV-typischen feinen Details wie der aufwendigen Einarmschwinge und den filigranen Rädern wird es selbst ausgebufften Profis warm ums Herz. Das ist auch bitter nötig, denn die Temperaturen bei der Präsentation in Le Castellet sind alles andere als rennstreckentauglich. Minusgerade am Morgen, knapp über null Grad am Mittag - da kommt einem normalerweise anderes in den Sinn, als im Kreis herumzufahren. Wie gesagt, normalerweise. Der Klangteppich jedoch, den der ultrakompakte Dreizylinder mit mächtiger 79-Millimeter-Bohrung und kurzem 45,9-Millimeter-Hub schon beim Aufwärmen über die Strecke legt, ließe sogar Eisberge auftauen. Wer dann Platz nimmt, erlebt das typische, gierige MV-Schnorcheln aus der Airbox. Und eine gelungene Ergonomie, die nichts mehr mit der „Streckbank“ der F4 zu tun hat, sondern an eine japanische Supersport-600er mit Wespentaille erinnert.

Kein Wunder, denn der schmal bauende Motor mit seiner gegenläufigen Kurbelwelle und einer Ausgleichswelle - er ist satte 80 Millimeter schmaler als der Triumph-Dreizylinder - fällt unglaublich zierlich aus. Lenkerenden und Fußrasten sind genau an der richtigen Stelle. Die für die Präsentation in Südfrankreich aufgezogenen, fantastischen Pirelli Supercorsa in griffiger SC2-Mischung (Standard ist der zivilere Pirelli Rosso Corsa) sind dank der Reifenwärmer auf Betriebstemperatur. Los geht’s!
Aber verhalten, na klar, schließlich muss auch der Fahrer erst mit der F3 und der Strecke warm werden. Zum Glück ist die 675er in dieser Hinsicht deutlich umgänglicher als der ehemalige GP-Kurs, der mit teuflisch schnellen Kurven (wie dem Rechtsknick am Ende der Gegengeraden) oder gemein zuziehenden Ecken Mensch und Material fordert. Vor allem die bestechende Handlichkeit der F3, gepaart mit einem guten Schuss traditioneller MV-Stabilität, überzeugen schon auf den ersten Metern. Wieselflink, aber keineswegs nervös, sticht die F3 ins Geschlängel, um im weiteren Verlauf satt und vertrauenerweckend dem vorgegebenen Radius zu folgen. Oder aber, falls erforderlich, blitzschnell auf Linienkorrekturen zu reagieren und willig die Richtung zu ändern.
Hey, der Weg zum Kurvenscheitel kann so einfach sein! Das hatte man bei dem ganzen 1000er-Geballer der jüngeren Vergangenheit fast vergessen. Ebenso wie die Tatsache, dass auch „nur“ zweiteilige Vierkolbensättel von Brembo mit fetten 320-Millimeter-Scheiben absolut keine Wünsche offen lassen. Und dann erst diese entspannte Beschleunigungsphase, wenn man sich nicht jedes weitere Grad Drosselklappenöffnung mental abwringen muss, sondern mit Freude Gas gibt. Ein Genuss, auch weil der Dreizyinder das Drehmoment im bevorzugten Schaffensbereich zwischen 10000 und 14500/min fein berechenbar an das Hinterrad weiterreicht. Und sollte es doch einmal zuviel sein: Kein Problem, MV hat die hauseigene achtstufige Traktionskontrolle aus der großen Schwester F4 überarbeitet und in der F3 zum Arbeiten gebracht. 47 statt der bisherigen vier Impulse pro Umdrehung kommen nun vom Hinterrad und werden zusammen mit den übrigen Parametern zu einem Datenmenü verarbeitet, das zu grobe Hinterradrutscher verhindert.

Überhaupt, die Elektronik! Nie war sie in der Supersportklasse präsenter als in der neuen F3. Neben der Traktionskontrolle sind auch verschiedene Mapping-Varianten mit an Bord, die Ansprechverhalten und Leistungsentfaltung des Drillings maßgeblich beeinflussen. Neben dem Regenmodus (aktiviert automatisch auch Stufe acht der Traktionskontrolle) sollen die Modi „Normal“, „Sport“ und „Custom“ die persönlichen Vorlieben und Streckenanforderungen befriedigen, wobei „Custom“ eine Programmierung ganz nach den individuellen Bedürfnissen zulässt. An dem eher harten Ansprechverhalten des 675-cm³-Motors kann aber auch diese Wahlmöglichkeit nicht viel ändern. Ebensowenig wie daran, dass dieser Kurzhuber seine zweifellose Stärke im oberen Drittel des Drehzahlbereichs hat und das Sechsgang-Kassettengetriebe sich mitunter etwas störrisch gibt. Angesichts des für eine MV Agusta sensationellen Preises von 11990 Euro sind das jedoch lässliche Sünden. Und eine Sünde ist diese F3 allemal wert.
FAZIT
Hoppla, da hat man in Varese ein rot-silbernes Statement (es gibt die F3 auch in Schwarz und Weiß) auf die Räder gestellt, womit für viele Fans der Traum von einer MV Wirklichkeit werden kann. Dieses Motorrad fasziniert auf ganzer Linie und wird mächtig Leben in die Supersportklasse bringen, die in den letzten Jahren etwas untergegangen ist. Ich bin gespannt auf den ersten Vergleichstest. Die F3 wird gewiss kräftig mitmischen.
Technische Daten

Technische DatenAntrieb
Dreizylinder-Reihenmotor, 4 Ventile/Zylinder, 94,2 kW (128 PS) bei 14400/min*, 71 Nm bei 10600/min*, 675 cm3, Bohrung/Hub: 79,0/45,9 mm, Verdichtung: 13,0:1, Zünd-/Ein- spritzanlage, 50-mm-Drosselklappen, mechanisch betätigte Mehrscheiben-Ölbad-Kupplung, Sechsganggetriebe, KetteFahrwerk
Leichtmetall-Zentralrohrrahmen, Lenkkopfwinkel: 66 Grad, Nachlauf: 99 mm, Radstand: 1380 mm, Ø Gabelinnenrohr: 43 mm, Federweg v./h.: 125/123 mm
Räder und Bremsen
Leichtmetall-Gussräder, 3.50 x 17/5.50 x 17, Reifen vorn: 120/70 ZR 17, hinten: 180/55 ZR 17, 320-mm-Doppelscheibenbremse mit Vierkolben-Festsätteln vorn, 220-mm-Einzelscheibe mit Zweikolben-Festsattel hinten
Gewicht (trocken) 173 kg* Tankinhalt: 16,0 Liter Super
Grundpreis 11990 Euro (zzgl. NK)*