Fahrbericht Roberts-Suzuki RGV 500

Fahrbericht Roberts-Suzuki RGV 500 Dichtung und Wahrheit

Ab Kurvenmitte quer driftend beschleunigen und mit rauchendem Hinterradreifen dicke schwarze Striche zeichnen. Mit so einer bärenstarken 500er kann das ja wohl kein allzu großes Problem sein – dachte Testchef Gerhard Lindner.

Sie steigt. Im ersten, zweiten, dritten, selbst im vierten Gang strebt das Vorderrad noch gen Himmel. Leistung satt, immer und überall. Ein Traum. Ab 7000 Touren geht’s los, jenseits der 13 000 endet’s. Wie aus dem Katapult geschossen jagt die blaue RGV 500 blitzartig auf die nächste Kurve zu. Fünf Meter länger stehen lassen, und schon bist du so schnell, dass zwangsläufig nur der weiten Bogen bleibt. Macht aber nichts, denn die 130 Kilogramm leichte Rakete fällt fast von allein ins Eck. Bleibt ungeachtet der brutalen Bodenwellen im ultraschnellen ersten Abschnitt der Grand-Prix-Strecke von Phillip Island immer auf Kurs und lechzt schon nach einem weiteren Gasstoß. Oder besser gesagt Halbgas-Stoß. Denn selbst der King persönlich reißt während einer superschnellen Qualifikationsrunde den Hahn nur einmal kurz bis zum Anschlag auf – abgesehen von der rund 900 Meter langen Zielgeraden natürlich (siehe Datenaufzeichnung Seite 155).

Okay, 500er-fahren bedeutet: Motorradfahren extrem. Erstaunlicherweise entpuppt sich die Weltmeister-Maschine von Kenny Roberts jr. in Sachen Leistung aber weniger brutal und aggressiv, als man es von einem Zweitakter erwarten würde. Vor allem der schier unglaubliche Druck bereits im mittleren Drehzahlbereich ist verblüffend. »Nicht zu früh schalten, sonst steigt nur das Vorderrad«, erinnere ich mich an den gut gemeinten Tipp von Cheftechniker Warren Willing. Erstaunlich auch dessen Aussage zur Spitzenleistung: »Irgendwo zwischen 180 und 200 PS, kommt ganz auf die Motorabstimmung für den jeweiligen Kurs an.«

Spitzenleistung ist mir im Moment auch völlig egal. Ich habe alle Hände voll zu tun, das enorme Drehmoment, das dieser V4 bereithält, zu kontrollieren und eine halbwegs runde, flüssige Linie zu finden. Immer wieder muss ich das Gas kurz lupfen, weil das Vorderrad leicht wird oder ich mich einfach mit der brutalen Beschleunigung verschätze. Überhaupt erweist sich das Einschätzen der passenden Geschwindigkeit für die nächste Kurvenpassage - neben den doch sehr beengten Platzverhältnissen auf der zierlichen Maschine - als ein echtes Problem. Vor allem in den superschnellen Kurven nach Start und Ziel und hinauf zur blinden Kuppe von Lukey Heights fehlen mir – wie das Studium des Datarecording später zeigt - gut 20 Sachen auf den Meister. In den langsamen Ecken sind es dagegen nur zwei bis drei. Woran liegt’s?
Zwei Runden lasse ich’s gemütlicher angehen, um nachzugrübeln. Bis klar ist: Diese Bremsen bringen mich aus dem Konzept. Nachdem sie in der ersten Runde aufgrund mangelnder Temperatur noch eher fad und unwillig zugebissen haben, reagieren die Karbon-Stopper jetzt so giftig, dass ich schon unter dem Druck nur eines Fingers immer wieder einen ungewollten Kopfstand mache. Bei Tempo 280 am Ende der Zielgeraden kratzt so etwas an meinem Selbstvertrauen. Es fällt mir ungewohnt schwer, diese gigantische Bremse gefühlvoll und gleichmäßig zu dosieren. So gleichen später auch die Aufzeichnungen des Bremsdrucks denen der Gasgriffbewegung: ein ständiges Gezacke zwischen Auf und Zu.

Traumhaft dagegen die Neutralität und Gutmütigkeit des Fahrwerks. Gleichgültig, ob schnelle Bögen oder enge Kehren, tiefe Bodenwellen oder holpriger Belag, die RGV zieht unbeeindruckt ihre Bahn. Blitzschnelles Abwinkeln - Kinderspiel. Bremsen bis zum Scheitelpunkt – ohne Aufstellmoment. Mal schnell in voller Schräglage die Linienwahl korrigieren – kein Problem. Am Kurvenausgang über die holprigen Kurbs räubern – hoppla. Allzu forschen Einsatz quittiert die Suzuki schon mal mit wildem Schlingern, das sich aber durch einen festen Griff der Lenkerstummel nach ein paar Metern wieder beruhigt.
Gewöhnungsbedürftig dagegen ist die Balance des leichten Renners bei harten Bremsmanövern. Ich werde das Gefühl nicht los, mich im nächsten Moment einfach stumpf nach vorn zu überschlagen. Das Hinterrad wird leicht, ohne dass ich den Eindruck habe, überdurchschnittliche Verzögerung aufzubauen. Was ich im ersten Moment auf meine Körpergröße (1,90 Meter) und die Probleme mit der Bremsdosierung schiebe, stellt sich später als völlig normal heraus. Bei der Datenanalyse erhasche ich einen Blick auf die Verzögerungswerte des Weltmeisters. Und zu meinem Erstaunen bremst auch Kenny Roberts aus hohen Geschwindigkeiten nur mit kapp über zehn m/s2. Das schafft jeder gute Sportfahrer mit seiner serienmäßigen 600er. Ein Topwert bei den Superbikes liegt bei rund 13 m/s2, Aufzeichnungen aus meiner 250er-Zeit belegen Werte um die 12 m/s2. Zu Gründen für diese vergleichsweise schlechten Bremswerte wollen sich die Suzuki-Techniker allerdings nicht äußern.

Im Gegensatz zu mir benutzt Kenny auch immer die Hinterradbremse. »Zum einen stabilisiere ich damit die Maschine, zum anderen kann ich durch gezielten Bremsdruck die Balance der Maschine während der Kurvenfahrt beeinflussen«, erklärt er mir am Ende meines Abenteuers. Und als Kennys Datarecording-Spezialist Alfred Willeke mir dann noch erzählt, dass Kenny es genau spürt, wenn das Fahrzeugheck einen Millimeter höher oder tiefer steht, sehe ich ein, dass zwar alle Rennfahrer nur mit Wasser kochen, bei einigen scheint es jedoch etwas heißer zu sein.

Daten

Ohne Datenaufzeichnung geht nichts mehr im Rennsport. Pro Maschine zeichnet die Suzuki-Mannschaft 54 verschiedene Messparameter auf und speichert pro Rennwochenende rund 400 Megabyte Daten. Obwohl die meisten davon streng gehütete Geheimnisse sind, durfte MOTORRAD die Kurven von Geschindigkeit und Gasgriffstellung von Tester Lindner (blau) und Weltmeister Kenny Roberts (rot) vergleichen. Während es in den langsamen Kurven (4,5,7) keine allzu große Differrenz gibt, fehlt es dem MOTORRAD-Testchef und erfahrenen Rennfahrer neben der mangelnden Streckenkenntnis hauptsächlich an Speed in den schnellen Streckenpassagen (1,3,6,8), wo Kurvengeschwindigkeiten um 200 km/h ein gehöriges Maß an Mut verlangen. Und obwohl er deutlich vorsichtiger mit dem Gasgriff umgeht, zeigen die Zacken in der Beschleunigungskurve häufig unbeabsichtigte Wheelies.

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