Fahrbericht Superbike Werks-Ducati 996
Zwei gewinnt

Zur Schmach der japanischen Vierzylinder-Geschwader feierte Carl Fogarty mit seinem feuerroten Twin den hart erkämpften dritten WM-Titel. MOTORRAD jagte Foggys weltmeisterliche Ducati 996 um den Grand Prix-Kurs von Mugello.

»Glaube mir, unsere Bikes haben mit Abstand die geringste Motorleistung im ganzen Feld, und wir sind trotzdem - oder gerade deshalb - auch 1998 Weltmeister.« Davide Tardozzi, Teamchef des frisch gekrönten Superbike-Helden Carl Fogarty, ist davon überzeugt, daß die schiere Kraft der aktuellen Superbikes kaum mehr zu beherrschen ist. »Wir züchten unsere Werksmaschinen immer stärker auf eine bessere Fahrbarkeit anstatt auf horrende PS-Zahlen. Und wenn es sein muß, nehmen wir auf manchen Strecken sogar die Beschleunigung, also das Drehmoment der Motoren zurück. Oft ist das die einzige Lösung, um Fahrwerk, Reifen und Handling in den Griff zu bekommen«, erklärt Tardozzi, während seine Mechaniker die Weltmeister-Ducati für den Pressetermin in Mugello vorbereiten.
Noch bevor man die Boxengasse verläßt, wird klar, daß auf der 158 PS starken Werks-Ducati mit dem 996 cm3 großen V2-Motor der Mensch das Maß der Dinge ist. Die Sitzposition locker entspannt, der Motor mit einem Leistungsband breit wie italienische Nudeln und ein Fahrwerks-Set-up, das keine knochige Härte, sondern überraschend viel Komfort bietet.
Weil sich die schön aufgeheizten Michelin-Pilot-Slicks vom ersten Meter an sicher im Asphalt verzahnen, geht’s gleich zügig um die Ecken. Wie mit dem Zirkel markiert, biegt die 996 im sauberen Strich durchs Kurvenlayrinth von Mugello. Schön, daß der kräftige Twin dem Superbike-Neuling überflüssige Schaltarbeit wohlwollend erspart und trotzdem atemberaubend aus den Ecken schnalzt. Ab 6500/min kann der Gashahn bis zum Anschlag aufgesperrt werden, knapp 2000 Touren später stürmt der Vierventiler brachial los und kommt erst zur Ruhe, wenn der digitale Drehzahlmesser an der 12000er Markierung knabbert. Oberkörper platt auf den Tank gepreßt, Vollgas stehen lassen, ein knackiger Tritt auf den mit CTS-Halbautomatik bestückten Schalthebel - und ruckzuck sind die sechs knapp aneinander gereihten Gangstufen durchgesteppt. Die Werks-996 ist am Ende der Zielgeraden knapp 300 km/h schnell, so daß man lieber 100 Meter zu früh als 10 Meter zu spät die Brembo-Bremsen zur Arbeit bittet.
Sollte sich der Druckpunkt durch extreme Beanspruchung während der Schlacht um WM-Punkte verändern, kann der Pilot über eine links am Lenker angebrachte Rändelschraube jederzeit und ohne das Gas zu lupfen korrigieren. Auch der elektronische Schaltautomat läßt sich per Kippschalter im Cockpit zu- oder abschalten. Gleich daneben bietet sich dem eiligen Reiter die Option von zwei unterschiedlichen Zünd- und Einspritzkennfeldern, die den Desmo-Twin mehr oder weniger aggressiv beschleunigen lassen. Damit der Fahrer umgehend über die Auswirkungen seiner Änderungen informiert wird, zeigt das Display, via Infrarot-Impuls angesteuert, beim Überfahren der Ziellinie die aktuelle Rundenzeit.
Leichtes, aber permanentes Pendeln um die Lenkachse beim kraftvollen Antritt über wellige Streckenpassagen macht deutlich, daß die Fahrwerksgeometrie der 996 hart an der Grenze zum Eiertanz ausgelegt ist. Doch nur so bügelt die Ducati unter Meister Fogartys eiserner Gashand in Windeseile durch die verzwickten Schikanen. Eine Disziplin, die die von Haus aus nicht gerade handliche Straßenversion im Renntrimm schon deutlich leichter beherrscht.
Der markante Unterschied zur Serienmaschine: federleichte Magnesium-Räder in moderater 3.50 x 17- und 5.75 x 17-Zoll-Dimension mit spitz konturierten Slicks. Logisch, daß auch die Reglement-konformen 162 Kilogramm Trockengewicht mit den kompakt um den Schwerpunkt gruppierten Massen der Handlichkeit zugute kommen.
Auffallend an der Werksmaschine sind die fein gezogenen Schweißnähte am Gitterrohr-Chassis, während das Serienpendant von den eher schwulstigen Verbindungsstellen eines Schweißroboters zusammengehalten wird.
Ob das Testexemplar nun tatsächlich mit dem knapp 160 PS starken WM-Motor oder nur mit einer »Trainingsvariante« bestückt war, läßt sich für den Gastfahrer kaum feststellen. Und sollte uns auch kein großes Kopfzerbrechen bereiten. Schnell genug war`s allemal.
Ob Carl der Große allerdings mit einer dermaßen weichen Fahrwerksabstimmung den WM-Titel eingefahren hat? Beim Bremsen steht die 46er Öhlins-Telegabel mitunter schon auf dem Anschlag, und in den schnellen Schikanen und Bergabkurven geht eine informative Rückmeldung in der softigen Abstimmung zuweilen unter. »Carl stimmt seine 996 tatsächlich extrem weich ab, viel weicher als alle anderen Ducati-Fahrer«, weiß Teamchef Tardozzi zu berichten. So falsch kann Fogy jedoch mit seiner Abstimmung nicht liegen, denn mit 48 Siegen ist der amtierende Weltmeister zugleich der mit Abstand erfolgreichste Superbike-Pilot.

Unsere Highlights

Modellgeschichte - Phoenix aus der Asche - die Ducati-Story

Von der Ducati Pantah bis zur 996 - ein Konzept mit Tradition und Erfolg

1987 beherrschten die Japaner den internationalen Rennsport nach Belieben, ganz egal welche Klasse. Niemand maß dem Auftritt der ersten Vierventil-Ducati, Basis war die 750er F1, in der TT-Formel-1-WM ernsthafte Bedeutung zu. Das sollte sich ändern. Denn die Mannschaft um den jungen und ehrgeizigen Ingenieur Massimo Bordi reizte auf Biegen und Brechen aus, was an Substanz der alten V2-Pantah-Motoren vorhanden war. Auf 851 Kubikzentimeter aufgestockt, feuerte Marco Lucchinelli gleich beim Superbike-WM- Auftakt 1988 in Donington mit einem Sieg den ersten Warnschuß ab, der mit drei WM-Titeln in Folge von Raymond Roche (1990 auf der 851er) und Doug Polen (1991 und 1992 auf der 888er) zum wahren Feuerwerk eskalierte. Mit den Rennerfolgen stiegen auch Umsatz und Image. Ducati - das war nun nicht mehr maroder Italo-Müll, das war der donnernde Konter gegen die japanische Übermacht, wenngleich die Twins von einem im Reglement festgeschriebenen Gewichtsvorteil von 25 Kilogramm profitieren konnten. Dann mußte Ducati stufenweise Gewicht aufpacken, bis 1996 das Niveau der 750er Vierzylinder von 162 Kilo erreicht war. Doch auch diese Maßnahme konnte den Siegeszug der Italiener nicht stoppen. Mit dem 1994 präsentierten 916er Konzept - durchzugsstarker V2-Motor, versteckt hinter einer schlanken Verkleidung - gab es vier weitere WM-Titel zu feiern. Das rief jüngst auch die Suzuki-Techniker auf den Plan, die parallel zum GSX-R 750er Vierzylinder die TL 1000 R mit V2-Motor ins Rennen schickten. Doch bis dato brummte der Japan-Twin nur sporadisch über die Rennpisten. Eine Tatsache, die Massimo Bordi recht gibt, der bereits vor Jahren orakelte: »Die Japaner werden in Zukunft moderne V2-Motoren entwickeln, aber sie werden sich wundern, wie kompliziert es ist, eine leistungsstarke V2-Maschine auf der Rennpiste wirklich schnell zu machen.“

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MOTORRAD 12 / 2023

Erscheinungsdatum 26.05.2023