Fahrbericht Werks-Superbikes von Aprilia, Ducati und Honda

Fahrbericht Werks-Superbikes von Aprilia, Ducati und Honda NUR 1 IM SINN

Während sich Weltmeister Troy Bayliss schon auf die Startnummer eins freut, durfte MOTORRAD seine diesjährige WM-Maschine und deren schärfste Zweizylinder-Rivalen von Aprilia und Honda testen.

Australier sind lockere Typen. Ein Australier, der mal eben Superbike-Weltmeister geworden ist, ist erst recht locker und cool. Und dennoch bilde ich mir ein, auf dem Gesicht von Troy Bayliss leichte Sorgenfalten auszumachen, während die Mechanikertruppe seinen diesjährigen WM-Brenner in der Boxengasse warmlaufen lässt. Könnte daran liegen, dass nicht er, sondern ich mir den Helm aufsetze, um das Edel-Bike aus Bologna um die spanische Grand-Prix-Strecke von Valencia zu treiben.
»First up, gearshifting is on.« Die letzten Anweisungen eines Mechanikers sind kurz. Erster Gang oben, der Schaltautomat ist aktiviert. Na dann mal los. Die Michelin-Slicks sind dank Reifenwärmer deutlich früher auf Temperatur als ich selbst. Ein, zwei Runden dauert es, bis ich mich mit den beengten Platzverhältnissen auf der Ducati zurechtfinde. Auch die Linie passt noch nicht richtig, obwohl ich den winkligen Kurs recht gut kenne. So ein Superbike will einfach nicht mit Glacéhandschuhen angefasst werden, sondern es braucht den Herrn, der ihm seinen Willen aufzwingt. Im Geiste sehe ich die beunruhigten Blicke von Troy Bayliss und seiner Mannschaft vor mir, die mein Treiben von der Boxenmauer aus beobachten. Ich werde noch eine Runde warten, ihnen zuliebe.
Runde vier. Einfahrt Zielgerade. Jetzt gilt’s. Ich spanne den Hahn voll auf, drehe den donnernden Zweizylinder bis knapp über 12000/min und tippe, ohne mit der Gashand zu zucken, viermal fast im Sekundentakt mit der Fußspitze auf den Schalthebel. Wie von der Tarantel gestochen schießt die Ducati mit leicht erhobenem Vorderrad nach vorn, findet erst nach zwei-, dreihundert Metern wieder sicheren Bodenkontakt. Die Boxenmauer fliegt im Zeitraffer vorbei, trotzdem läuft alles butterweich und stressfrei.
Knallhart und bissig dagegen die Brembo-Bremse. Nur mit zwei Fingern angetippt, staucht es mich brutal zusammen. Schnell drei Gänge runter und die Kupplung einfach kommen lassen. Ein spezieller Rutschmechanismus an den Kupplungen der Superbikes verhindert, dass das Hinterrad stempelt. Beim anschließenden Abwinkeln will die Duc am liebsten noch hart auf der Bremse eingelenkt werden. Von der Sturheit der Serienmaschinen ist so nichts mehr zu spüren, die Kurvenstabilität gleichwohl beeindruckend. Lediglich am Ausgang der schnellen Links am Ende von Start und Ziel beginnt die Hinterhand leicht zu pumpen. Dürfte an meinen Maßen liegen: 83 Kilogramm verteilt auf 190 Zentimeter. Bayliss ist am Rennfahrer-Ideal sicher näher dran.
Runde um Runde spule ich ab, finde Brems- und Schaltpunkte, treffe die Linie exakter und fange an, immer mehr Vertrauen in die Haftung der Slicks aufzubauen. Das Drehzahlband des nahezu vibrationsfreien V2 reicht von 5000 bis 12500/min, da stört der schlecht ablesbare digitale Drehzehlmesser kaum. Leistung immer und überall, je weniger, desto besser. Lieber einen Gang höher fahren, das beruhigt den Fahrstil und erhöht die Kontrollierbarkeit des Superbikes.
Diesen Fahrstil pflegt auch der zweite Troy im Bunde. Troy Corser zählte auf seiner Aprilia dieses Jahr ebenfalls zu den Top-Favoriten, konnte seine guten Leistungen zu Saisonbeginn aber leider nicht stabilisieren. Erst gegen Ende der Saison ging es mit Aprilia wieder steil bergauf. Diese letzte Version der RSV mille steht ebenfalls in Valencia für eine Testfahrt bereit. Und präsentiert sich zu meiner Überraschung als völlig anderer Charakter. Während die Ducati sanft, aber bestimmt zu Werke geht, agiert die Aprilia eher hart, aber herzlich. Viel aggressiver hängt sie am Gas, verwandelt jeden kleinen Zucker der rechten Hand in einen grimmigen Vorwärtsruck. Das Fehlen der unteren Ausgleichswelle macht den wohl stärksten Zweizylinder im Feld nicht gerade geschmeidiger. Die harten Vibrationen in Fußrasten und Lenkerstummeln sind nichts für zarte Naturen.
Auf der anderen Seite bietet die RSV genügend Platz zum Turnen. Ich kann mit dem Motorrad arbeiten, es aktiv im engen Kurvengeschlägel von einer Schräglage in die andere werfen. Kein Zweifel, die Mille kommt großen Fahrer entgegen. Da, wo die Ducati leichte Unruhen beim Beschleunigen zeigt, liegt die Aprilia wie ein Brett. Und dieses Brett will mit entsprechender Kraft um die Ecken gebogen werden. Je härter man die Aprilia anpackt, umso besser funktioniert sie, umso sicherer fühlt man sich.
Mit steigendem Drehzahlniveau wirkt der Motor auch nicht mehr ganz so giftig, die Anschlüsse zwischen den Gängen sind dann harmonischer. Das Getriebe flutsch fast so sanft wie das der Ducati, die Übergänge von Schiebe- in Lastbetrieb werden weicher. Und die Vorderhand bäumt sich nicht mehr ganz so schlagartig auf wie noch in den ersten Runden. An den rauen, bei Standgas auch mechanisch klappernden Motorlauf habe ich mich gewöhnt. Was bei der Brembo-Bremsanlage nicht vonnöten ist, Ducati benutzt eine identische.
Auch der japanische Konkurent Nissin versteht sich auf feinste Bremsentechnik. Wie die Honda SP-2 beweist, das Bike des entthronten Weltmeisters Colin Edwards, das nur drei Tage später im Süden Spaniens zu Testfahrten bereitsteht. Und erneut für eine Überraschung sorgt. Dieser V2 bildet sozusagen die goldene Mitte zwischen Ducati und Aprilia. Er reagiert wie die Aprilia sehr direkt auf die kleinsten Änderungen der Drosselklappen, setzt seine brachiale Leistung dabei aber nahezu so weich ein wie die Ducati. Vertraut man auf die Aussagen von Aprilia-Renndirektor Jan Witteveen, Corsers Aprilia stehe mit rund 165 PS an der Kupplung recht gut im Futter, dürfte sich sowohl Ducatis als auch Hondas Zweizylinder in diesen Regionen bewegen.
Wobei die Fahrwerksgeometrie der SP-2 etwas kopflastiger wirkt als die der Konkurrenz. Der spürbare Vorteil liegt jedenfalls im kinderleichten Einlenken ohne großen Krafteinsatz. Auch die Unart, bei jedem Beschleunigen das Vorderrad bis in den dritten, vierten Gang gen Himmel zu heben, ist bei der Honda deutlich geringer. Dafür macht ihr Fahrwerk beim bloßen Geradeausfahren Mucken. Eine leichte Anregung genügt, und schon beginnt die Fuhre bedenklich zu wackeln und ist bis zur nächsten Kurve nur schwer zu beruhigen.
Dort kann die SP-2 dann wieder ihre Trümpfe ausspielen, bremst punktgenau und absolut exakt dosierbar an, biegt spielerisch ein, lässt sich millimetergenau auf die gewünschte Linie zirkeln, um mit mächtig Zug am Hinterrad gut kontrollierbar aus den Ecken zu schnalzen. Selbst der eine oder andere leichte Slide lässt sich so provozieren. Ich bin begeistert, überlege mir jedoch gleichzeitig, wo ich denn die sechs Sekunden verliere, die mir auf die Profis fehlen.

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