Fahrbericht Yamaha YZF-R1 (2000)
Blick nach vorn

Mit konsequenter Modellpflege will Yamaha seinen Spitzensportler R1 fit machen fürs nächste Jahrtausend.

Nicht revolutionieren, sondern perfektionieren, nicht groß verändern, sondern im Detail verbessern. Politik der kleinen Schritte macht Yamaha, wenn es um ihren Vorzeige-Sportler R1 geht. Äußerlich kaum als neues Modell zu erkennen, aber in über 250 Punkten modifiziert. Besonders intensiv arbeiteten die Ingenieure an einer sanfteren Leistungsentfaltung des Motors und einer Verbesserung des Fahrwerks. Beides mit dem Ziel, die neue R1 leichter beherrschbar zu machen und damit ein stressfreies Fahren zu ermöglichen.
Der erste Eindruck, den sich MOTORRAD auf der neuen GP-Strecke von Valencia verschaffen konnte, gibt dem politischen Konzept Yamahas Recht. Durch eine veränderte Steuerung des Exup-Systems spricht der Motor jetzt weicher und sanfter auf Gasbefehle an. Aufgrund der etwas späterer öffnenden Exup-Klappe im Auspuff beißt er vor allem beim feinen Gasgeben nicht so brutal zu früher. Unverändert blieb – entgegen dem Wettrüsten der Konkurrenz – die Spitzenleistung von 150 PS. Dafür sorgt bei dem Vierzylinder nun ein Sekundärluft-System für die Einhaltung der strengen EO 1-Abgasnorm.
Eine weitere wichtige Änderung betrifft das Getriebe, das sich jetzt butterweich und nahezu lautlos schalten lässt. Hauptverantwortlich für diesen Fortschritt sind leichtere Getrieberäder und die dadurch verringerten rotierenden Massen. Außerdem ist das Schaltgestänge optimiert. Günstigere Winkel der Umlenkungen und eine zweifach gelagerte Schaltwelle sorgen für leichtgängige und präzise Gangwechsel.
Auf der Fahrwerkseite ist die Neue im Bereich der unteren Gabelbrücke und der Schwingenaufnahme nicht mehr so steif wie das alte Modell, weshalb Yamaha eine bessere Kontrolle über das Fahrzeug verspricht, es soll leichter beherrschbar und gutmütiger im Grenzbereich reagieren – und hält dieses Versprechen auch. Präzise Einlenken, einen sauberen Radius ziehen und dann mit der ganzen Macht der 1000 cm3 Hubraum aus den Ecken feuern – mit der neuen R1 kein Problem. Sie nimmt’s hin, ohne zu wackeln, ohne zu pumpen, ohne unkontrolliert hinten auszubrechen. Kurz: Sie vermittelt ein sehr direktes und sicheres Fahrgefühl – selbst wenn im ersten und zweiten Gang mal das Vorderrad abhebt.
Obwohl ein Lenkungsdämpfer fehlt, reagiert die Neue nach einem Wheelie extrem gutmütig. Vom gefährlichen Kickback-Verhalten der Vorgängerin bleibt nur noch ein leichtes Zappeln in der Lenkung. Das mag zum einen am modifizierten Fahrwerk liegen, zum anderen an den eigens für die R1 entwickelten Dunlop D 207-Reifen. Stabil, exakt einzulenken und in Schräglage neutral und ohne das nervige Aufstellmoment beim Bremsen. Außerdem bieten die Reifen guten Grip und einen sehr breiten, gutmütigen Grenzbereich.
Unaufällig, aber gewinnbringend hat Yamaha auch an der Sitzposition getüftelt. Die Sitzbank ist um 15 Millimeter höher und der Tank insgesamt etwas tiefer gesetzt worden. Der Winkel der Lenkerstummel ist angenehmer, die Handgelenke werden nicht mehr so schnell müde. Selbst auf der Landstraße ist die Sitzposition nun über mehrere Stunden hinweg für einen Supersportler vergleichsweise bequem.
Verbessert wurde zudem der Windschutz. Die Verkleidungsfront ist etwas steiler nach oben geneigt und die Scheibe zehn Millimeter höher. Jetzt können sich auch 190-Zentimeter-Menschen ohne große Mühe dahinter verstecken. Die Windgeräusche und Verwirbelungen am Helm sind kaum noch der Rede wert.
Und so liefert die R1 auch auf spanischen Landstraßen eine saubere Vorstellung ab. Drehmoment satt in allen Situationen, relaxtes, schalfaules Dahingleiten oder ein aggressiver Sprint beim Überholen – kaum eine Disziplin, die der R1 nicht liegen würde. Sie ist handlich und doch stabil, sportlich und dank der hervorragend ansprechenden sowie sehr weich abgestimmten Federelemente überraschend komfortabel. Nicht komplett neu, aber das, was man unter konsequenter Modellpflege versteht. Ein gutes Motorrad noch besser gemacht. Fit fürs nächste Jahrtausend. Vorausgesetzt natürlich, die Serienproduktion hält den hohen Level der ersten Präsentations-Maschinen.

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MOTORRAD 20 / 2023

Erscheinungsdatum 15.09.2023