Calafat im Winter 1992. Winter heißt hier zirka 12 Grad und Sonnenschein. Die spanische Rennstrecke schimmert im roten Morgenlicht, die Jungs der MOTORRAD-Testcrew machen sich hemdsärmelig über den Transporter her. Kanister, Reifen, Kombis, Werkzeug, gestapelt bis unters Dach. In Windeseile sind die Utensilien in der Box verstaut, dann rollt sie knarzend über die Rampe, die superleichte, megageile, schier unfassbare Sensation: Honda CBR 900 RR, Modellkürzel SC 28, im Straßenjargon kurz zur Blade ernannt.
Ganz ehrlich, ich hatte dem Braten nicht getraut. 206 Kilogramm und 128 PS hatte die Honda-Presseabteilung vollmundig angekündigt für mich pure Aufschneiderei. Nur die 600er brachten damals weniger als 210 Kilo auf die Waage. Während vergleichbare Big Bikes wie etwa die Suzuki GSX-R 1100 R massige 246 Kilogramm durch die Landschaft schleppte. Und plötzlich wollte ein gewisser Tadao Baba, Honda-Konstrukteur und Leichtbau-Fetischist, die Motorradwelt aus den Angeln heben? Nie und nimmer. Ich musste mich korrigieren, zog den den Hut vor der Ingenieurskunst und dem Mut, dass Honda das Unmögliche jetzt in Großserie fabrizierte. Leichtbau in Reinkultur, die Kunst des Weglassens in der Vollendung. Der Wahnsinn.
Acht Jahre später, Winter in Calafat. Die Honda, die jetzt aus dem Transporter bugsiert wird heißt immer noch CBR 900 RR Fireblade und weist diesmal nicht nur in Sachen Gewicht den Weg. Geregelter Katalysator, Benzineinspritzung, Motor als tragendes Rahmenteil integriert. Und was bringts? Den Sieg der Straßenwertung beim Big-Bike-Vergleichstest in MOTORRAD 7/2000 und Platz zwei auf der Rennstrecke, nur getopt von Suzukis GSX-R 750.
Im Dunstkreis der MOTORRAD-Redaktion verdient sich eine CBR der 1992er-Generation ihr Gnadenbrot. Und jetzt muss das Ding zu allem Übel noch mal in den Vergleichstest mit der superduppertollen neuen Fireblade. Mein Gott, wie es dich lang zieht hinter diesem Benzinfass. Gestreckte Arme greifen die Lenker in weiter Ferne. Der Bauch inzwischen zu dick? Nee, der Tank zu klotzig, wie die Neue beweist. Rassig schlank im Kniebereich, keine Bauchprobleme, der Tank knappe 30 Millimeter kürzer, klasse Lenkerposition, prima Übersicht. Noch keinen Meter gefahren und die erste Runde schon gewonnen.
Knurrend rollt der betagte CBR-Motor los. Schiebt aus Standgas ohne Murren knackig an, besteht nur beim hurtig angeforderten Gasbefehl auf eine kurze Bedenkzeit. Die Ursache: Lediglich mit Verzögerung reagieren die unterdruckgesteuerten Gaschieber auf das Kommando der Drosselklappen (siehe Diagramm Seite 34).
Ganz anders die neue CBR 900 RR. Gas heißt Gas, unverzüglich füttert die Einspritzung den Motor mit Kraftstoff, setzt der Vierzylinder den Dreh in Schub um. Schub, der so berechenbar am Reifen zerrt, dass es dem Piloten beim Gasaufziehen keine Schweißperlen in den Helm treibt. Fahrbarkeit lautet das Zauberwort. Dazu passend die im Vergleich zur alten CBR präzise Schaltung und die relativ geschmeidigen Lastwechsel.
Doch von nichts kommt nichts, und so gibts spätestens an der Zapfsäule große Augen. Mit 4,9 Litern pro 100 Landstraßenkilometer verbraucht der Oldie exakt 0,4 Liter weniger als das Hightech-Triebwerk. Und selbst bei Autobahntempo 160 zerstäuben die vier 38er-Keihin-Vergaser mit 5,4 Liter auf 100 Kilometer 0,6 Liter weniger als die Einspritzdüsen der 2000er-CBR.
Im Verbund mit dem geregelten Katalysator verhilft das elektonische Motormanagment der Neuen jedoch zu drastisch reduzierten Abgaswerten. Bis zu 75 Prozent weniger Kohlenmonoxyd und ein halbierter Kohlenwasserstoff-Ausstoß beweisen die Wirksamkeit der vorbildlichen Abgasreinigung. Und das unter allen erdenklichen Einsatzbedingungen.
Und die Power? Bei der Alten hielt sich Honda mit nominell 128 PS eher zurück. Nicht die schiere Gewalt, sondern die effiziente Umsetzung in Fahrleistungen respektive Rundenzeiten standen im Vordergrund. Heute werden in den Papieren zwar 148 PS versprochen, aber mit gemessenen 134 zu 124 PS des 1992er-Modells schrumpft der Unterschied in der Realität von 20 auf 10 PS. Serienstreuungen bis zu 16 PS lassen den einen oder anderen Fireblade-Reiter verärgert beim Honda-Händler vorsprechen.
Im Landstraßenleben jedoch bringt die neue Blade für den zackigen Kurventango alles mit, was der Sportsmann braucht. Mächtigen Schub im Handumdrehen, dazu ein fein ausbalanciertes Chassis, handlich, zielgenau, stabil. Starke, feinst zu dosiernede Bremsen, geringes Aufstellmoment der griffigen Michelin Sport (vorn in »E«-Spezifikation), eine glasklare Rückmeldung der Federelemente an den Piloten. Fahrspaß in Perfektion.
Und die Alte? Spaß auch. Nur nicht so perfekt, sondern indirekter. Verweigert mit dem 16-Zoll-Vorderrad flinkes Einlenken auf der Bremse, tapst etwas unsicher über Flickstellen und Bodenwellen, büßt aber in schnellen Schräglagenwechseln kaum an Handlichkeit im Vergleich zur jungen CBR ein. Warum auch? Lenkgeometrie und Gewicht sind fast identisch, der Hinterreifen ist sogar zehn Millimeter schmaler. Entscheidender Faktor und Pluspunkt für die Neue: Durch den schmalen Tank und die kompaktere Sitzposition lässt sich der aktuelle Renner leichter, sicherer und messerscharf dirigieren.
Trotzdem, kein schlechtes Motorrad, die olle CBR. Mit der löchrigen Verkleidung, den riesigen Doppelscheinwerfern, das hat was. Stemmt sich aber mächtig gegen den anbrausenden Orkan, bietet deutlich weniger und vor allem turbulenten Windschutz. Da ist die keilförmige Front der 2000er-CBR überlegen. Bastler und Schrauber haben ihren Spaß mit der alten Fireblade. Schnipp, und die Schnellverschlüsse lassen die Verkleidung purzeln. An der Neuen schraubt man sich die Finger wund. Tank runter? In wenigen Sekunden bei der alten, kompliziertes Gefummel mit verschraubten Benzinleitungen, armdicken Kabelbäumen und sinnfreien Schlauchgebilden bei der aktuellen CBR 900 RR. Was nichts daran ändert, dass Tadao Baba seinem jüngsten Spross noch einmal kräftig Pfunde abtrainierte. Trotz Einspritzelektronik und Katalysator setzt die neue Blade mit 202 Kilogramm eins drauf.
Fazit: Fortschritt, ick hör dir trapsen. Umweltgerechte Motorentechnik im Einklang mit supersportlichen Qualitäten, narrensicheres Fahrverhalten ohne Hinterhältigkeiten, filigraner Leichtbau ohne kapriziöse Zerbrechlichkeit die neue CBR-Generation schafft den Spagat mit Bravour. Die Ablösung der alten CBR-900-Baureihe war also durchaus mehr als eine marketingtechnische Frischzellenkur.
Aerodynamik im Vergleich
Neun Jahre Entwicklung in mehreren Stufen: Gilt das auch für die Verkleidung der Honda CBR 900 RR? Weder aus aerodynamischer Sicht noch in Sachen Windschutz galt die erste CBR 900 RR als vorbildlich. Bereits die 1992 gemessene Höchstgeschwindigkeit von 256 km/h attestiert der nominell 128 PS starken CBR einen vergleichsweise hohen Luftwiderstand, rennen heute doch selbst etwa 110 PS starke 600er schneller. Doch auch die Neue ist aerodynamisch gesehen nicht der letzte Schrei, wie der Windkanaltest in MOTORRAD 16/2000 schonungslos offenbarte. Im direkten Vergleich mussten die 1992er- und die 2000er-CBR noch einmal in den Windkanal. Bei der Vermessung der Stirnfläche bestätigt die Alte ihre etwas pummelig wirkende Erscheinung. Mit liegendem Fahrer hat sie gegenüber der Neuen eine um sechs Prozent größere Stirnfläche, mit sitzendem Fahrer beträgt der Unterschied dann nur noch zwei Prozent. Auch als sich beide im Windkanal von VW gegen den tosenden Orkan stemmen, kann die junge CBR 900 RR Vorteile verbuchen. Der neben der Stirnfläche für den Luftwiderstand ausschlaggebende Luftwiderstandsbeiwert cw fällt für sie mit liegendem Fahrer vier Prozent günstiger aus als beim Urmodell, sitzend beträgt die Differenz weniger als ein Prozent. Doch entscheidend für den Luftwiderstand ist letztich das Produkt aus cw * A. Und da kann sich die aktuelle CBR mit liegendem Fahrer mit zehn Prozent deutlicher absetzen, während die Differenz mit sitzendem Piloten gerade 1,5 Prozent beträgt. Für den Alltag, also in sportlich sitzender Haltung, ist der Leistungsbedarf für neu und alt also nahezu gleich. Nur wenn sich der Fahrer hinter der Scheibe zusammenfaltet, kann die 2000er-CBR ihre Aerodynamik in eine höhere Endgeschwindigkeit umsetzen. So benötigt die Ur-CBR für 250 km/h 105 PS am Hinterrad,während das arodynamisch optimierte 2000er-Modell mit 105 Hinterrad-PS 258,4 km/h schnell rennt. Insgesamt gesehen hält sich der Fortschritt in Grenzen, eine Tatsache, die man der in vielen Bereichen wenig effizient gestalteten Verkleidung auch ansieht.
Technische Änderungen im Detail
Der Grundaufbau des neuen Motors ist seinem Urahn sehr ähnlich. Kurbel- und Getriebewellen liegen auf einer Ebene, die Steuerkette treibt rechtsseitig zwei obenliedende Nockenwellen an. Das Verhältnis Bohrung/Hub wurde stärker auf Drehzahlfestigkeit getrimmt und fällt mit 74 x 54 Millimeter deutlich kürzer aus als bisher (70 x 58 Millimeter). Die 38er-Gleichdruckvergaser ersetzen Saugrohre mit 40 Millimeter Durchmesser. Natürlich wuchsen mit den größeren Zylinderkopfflächen auch die Ventile. Ein-/Auslass früher 27,5/23 Millimeter groß, messen sie nun 29/24 Millimeter bei gleichem Schaft von 4,5 Millimeter. An den Titankrümmern schließt sich heute eine Steuerklappe an, die für mehr Drehmoment und weniger Lautstärke im unteren Drehzahlbereich verantwortlich ist. Lambdasonde und Katalysator ergänzen den Auslasstrakt. Völlig neu auch die Rahmenkonstruktion, die nur noch eine steife Verbindung zwischen Motor und Lenkkopf herstellt. Die Schwinge selbst ist im Motorgehäuse gelagert, wodurch sie um rund 20 Millimeter länger ausfallen kann, ohne dass sich der Radstand vergrößert. Der Trend bei der Vorderradführung geht wieder eindeutig zur Upside-down-Konstruktion, die auch bei der Fireblade die 45er-Telegabel ersetzt. Mit 17-Zoll-Bereifung (effektiv 116 Millimeter Reifenbreite) und mächtigen 330er-Bremsscheiben (früher 296er) klinkt sich Honda in die gängige Linie ein. Das breite 16-Zoll-Vorderrad (1128 Millimeter Reifenbreite) hat ausgedient. Trotz der größeren Raddurchmesser (60,5 zu 58,9 Zentimeter) wuchsen die fürs Handling entscheidenden Kreiselkräfte vorn lediglich um drei Prozent.
Abgaswerte im Vergleich
Auf dem Abgasprüfstand des TÜV wurden beide Honda auf die Schadstoffwerte überprüft. In drei unterschiedlichen Testzyklen zeigte sich deutlich, dass der geregelte Katalysator der 2000er-CBR in allen Fahrzuständen eine graviende Reduzierung der Schadstoffe bewirkt, speziell der Kohlenwasserstoffe (HC) und der Kohlenmonoxyde (CO). Die Werte geben den Schadstoffausstoß in Gramm pro gefahrenem Kilometer an.
Technische Daten: Honda CBR 900 RR/1992
Vierzylinder-Reihenmotor, vier Keihin-Gleichdruckvergaser, 0 38 mm, keine Abgasreinigung.Nennleistung 128 PS (91 kW) bei 10500/minmax Drehmoment 90 Nm (9,2 kpm) bei 8500/minBohrung x Hub 70 x 58 mmHubraum 893 cm3Verdichtung 11:1 Literleistung 143 PS FahrwerkAlu-Brückenrahmen, Telegabel, 0 45 mm, Doppelscheibenbremse vorn, 0 296 mm, Alugussräder, 3.5 x 16; 5.5 x 17, Bereifung 130/70 ZR 16; 180/55 ZR 17. Radstand 1405 mm, Lenkkopfwinkel 66 Grad, Nachlauf 89 mm, Gewicht* 207 kgGewichtsverteilung* 51/49 %Gewichtsverteilung mit 75-kg-Fahrer* 48/52 %Leistungsgewicht mit 75-kg-Fahrer* 2,20 PS/kgHöchstgeschwindigkeit* 256 km/hBeschleunigung* 0-100 km/h 3,3 sek0-160 km/h 6,3 sek0-200 km/h 10,0 sekDurchzug*60-100 km/h 4,2 sek60-140 km/h 8,6 sek60-180 km/h 13,6 sekVerbrauch* bei 100 (160) km/h 3,7 (5,4)l/100 kmLandstraße 4,9 l/100 kmPreis 1992: 19575 Mark
Technische Daten: Honda CBR 900 RR/2000
MotordatenVierzylinder-Reihenmotor, elektronische Einspritzung, Saugrohrdurchmesser 40 mm, geregelter Katalysator.Nennleistung 148 PS (108 kW) bei 11000/minMax Drehmoment 100 Nm (10,2 kpm) bei 9000/minBohrung x Hub 74 x 54 mmHubraum 929 cm3Verdichtung 11,3:1 Literleistung 159 PSFahrwerkAlu-Brückenrahmen, Upside-down-Gabel, 0 43 mm, Doppelscheibenbremse vorn, 0 330 mm, Alugussräder 3.50 x 17; 6.00 x 17, Reifen 120/70 ZR 17; 190/50 ZR 17. Radstand 1400 mm, Lenkkopfwinkel 66,3 Grad, Nachlauf 97 mm, Gewicht* 202 kg.Gewichtsverteilung* 50/50 %Gewichtsverteilung mit 75-kg-Fahrer* 47/53 %Leistungsgewicht mit 75-kg-Fahrer* 1,9 PS/kgHöchstgeschwindigkeit* 269 km/hBeschleunigung* 0-100 km/h 3,0 sek0-160 km/h 5,5 sek0-200 km/h 8,6 sekDurchzug*60-100 km/h 4,0 sek60-140 km/h 7,7 sek60-180 km/h 11,6 sekVerbrauch* bei 100 (160) km/h 4,0 (6,0)l/100 kmLandstraße 5,3 l/100 kmPreis: 22520 Mark* MOTORRAD-Messungen