Das Reglement der Superbike-WM lässt wenig Tuning zu, fast gar keine Modifikationen sind in den Superstock-Klassen erlaubt. Wer bei Rennen Erfolg haben will, braucht deshalb ein Motorrad, das schon im Serienzustand beste Voraussetzungen für den Sport bietet. Den Käufern solcher Produktionsrenner beschert dieser Umstand happige Preise, faszinierend hochkarätiges Material und mitunter mehr „racing spirit“ als ihnen lieb sein kann, wenn sie noch auf öffentlichen Straßen fahren wollen. Konsequenterweise pflegen auch die Kawasaki-Entwickler die Renn-Performance ihrer Kawasaki Ninja ZX-10R in manchen Details auf Kosten der Alltagstauglichkeit.
Deutlich wird dies bei der Getriebeabstufung. Schon die seit 2011 gebaute Kawasaki Ninja ZX-10R besaß einen extra lang übersetzten ersten Gang, um die folgenden Gänge eng anschließen zu können. Ein klarer Vorteil auf der Rennstrecke, wo man selten so langsam fährt, dass man im ersten Gang aus dem drehmomentträchtigen Bereich rutscht. Auf der Straße jedoch fällt diese Auslegung lästig, nicht nur im Stadtverkehr. Auch manche Kehre auf den südfranzösischen Winter-Hausstrecken von MOTORRAD drückt den Vierzylinder so tief in den Drehzahlkeller, dass ihm nur Kupplungsschleifen wieder heraushilft.
Primär- und Sekundärübersetzung sind gleich geblieben
Daran hat sich beim 2016er-Modell der Kawasaki Ninja ZX-10R nichts geändert. Primär- und Sekundärübersetzung sind gleich geblieben, ebenso die Übersetzung des ersten Gangs und die Reifendimension. Die Leistungskurven unterscheiden sich auch kaum, mal liegt die eine oben, mal die andere. Dafür liegen die Gänge zwei bis sechs jetzt noch enger beisammen, was die Gesamtübersetzung im sechsten Gang etwas verkürzt.
Wie die Vergleichsmessungen zeigen, hat dies dem Durchzugsvermögen kaum geholfen, weil der überarbeitete Motor bis 8000/min deutlich zurückfällt. Auch die Beschleunigungswerte fallen bei der neuen Kawasaki Ninja ZX-10R trotz engerer Gangstufen und Schaltassistenten nicht besser aus. Erst nahe der Höchstleistung kann sich die Neue von der Vorgängerin absetzen.
Gasannahme bei der alten Kawasaki Ninja ZX-10R besser
Kawasaki musste offenbar viel Aufwand treiben, um der neuen nach Euro 4 homologierten Maschine die gleiche Fahrdynamik anzuerziehen wie dem bisherigen Modell. Dafür liegt der Verbrauch der Neuen um 0,2 Liter auf 100 Kilometer höher, wohl wegen der kürzeren Übersetzung. Wenn beide Motorräder leistungsfreudig gefahren werden, geht die Schere noch weiter auf. Die alte Kawasaki Ninja ZX-10R kommt dann auf 7,2, die neue auf 7,8 Liter pro 100 Kilometer.
Ein weiteres Detail, in dem die alte Kawasaki Ninja ZX-10R Vorteile gegenüber der neuen bietet, ist ausgerechnet die Gasannahme. Ausgerechnet deshalb, weil die bisherige ZX-10R für ihre harten Lastwechsel kritisiert wurde. Doch mit ihnen kommt man im Vergleich immer noch besser zurecht als mit der Eigenart der neuen, die Drosselklappen in der Kurvenmitte nur zögerlich zu öffnen. Oft fehlt einem im Scheitelpunkt für einen Moment die stützende Wirkung einsetzender Beschleunigung; und unwillkürlich dreht man dann weiter auf, als es für den Kurvenverlauf passt, um das Zaudern des Ride-by-Wire zu überwinden. Der Wechsel in den Modus „middle“, in dem maximal 80 Prozent der Motorleistung freigesetzt werden, brachte keine Änderung.
Showa-Gabel der neuen Kawa überzeugt
Man kann sich daran gewöhnen. Wer längere Zeit nur die neue Kawasaki Ninja ZX-10R fährt, wird diese Kritik möglicherweise nicht nachvollziehen können. Im direkten Vergleich wird jedoch klar, dass sie ein hohes Grundtempo und oft mehr Gefühl vom Fahrer verlangt als andere Motorräder ihrer Klasse. Spektakuläre Neuerungen bietet die 2016er-ZX-10R in Gestalt ihrer Showa-Gabel mit den markanten rot eloxierten Ausgleichsbehältern. Wie auch das Federbein ist sie nach dem Prinzip der geschlossenen unter Gasdruck stehenden Dämpferkartuschen konstruiert. In der Testmaschine überzeugte diese aufwendige Gabel auf ganzer Linie.
Drückt man im Stand die Front, dämpft sie so straff, dass man sofort zum Schraubendreher greifen will, um die Dämpfung weit zu öffnen. Das braucht es nicht, denn beim Fahren bügelt sie Bodenwellen in kaum glaublicher Weise glatt. Die Big-Piston-Fork der alten Kawasaki Ninja ZX-10R spricht selbst bei weit geöffneter Druckstufe schlechter an; statt über die Wellen zu gleiten, rumpelt sie darüber. Auch das neue, kompakt gebaute Federbein arbeitet im Zusammenspiel mit einer neuen Hebelübersetzung viel besser als das alte. Es spricht sensibler an und bietet größere Reserven. Auf einer holprigen Teststrecke, welche die Tester mit hohem Tempo entlangfuhren, behielt die 2016er-Kawa die Räder fast immer am Boden, während die Vorgängerin vor allem mit der Hinterhand das ganze Repertoire von springen bis durchschlagen aufführte. Lenkerschlagen kannten jedoch beide nicht.

Die Fahrwerksgeometrie der neuen Kawasaki Ninja ZX-10R ist weitgehend gleich geblieben. Eine längere Schwinge verlängert den Radstand, während der um sieben Millimeter nach hinten gesetzte Lenkkopf mehr Gewicht aufs Vorderrad bringt. Diese Änderungen und fünf Kilogramm Mehrgewicht müssten die Maschine eigentlich träger machen, tatsächlich lenkt sie aber leichter ein als die Vorgängerin und ist präziser zu lenken.
Diese Vorzüge verdankt sie ihrer Serienbereifung, Bridgestone RS 10 in Sonderkennung L. Die in die Jahre gekommenen BT 16 der alten Kawasaki Ninja ZX-10R haben gegen die modernen Pneus nicht viel zu bestellen.
Fahrwerk wohl das große Plus der neuen Kawasaki
Auch wenn der umfassende Rennstreckenvergleich zum Zeitpunkt dieses Tests noch aussteht sei die Prognose gewagt: Das Fahrwerk ist das große Plus der neuen Kawasaki Ninja ZX-10R. Und obgleich schon die alte mit ihren Tokico-Bremszangen und den 310er-Wave-Scheiben vorzüglich bremst, setzt die neue noch eins drauf. Ihre Brembo-Anlage mit 330-Millimeter-Scheiben beißt schon beim Anlegen der Beläge energisch, aber gut dosierbar zu. Ihre Standfestigkeit hat sie schon bei der Präsentation in Sepang bewiesen.
Allerdings ist das ABS der neuen Kawasaki Ninja ZX-10R schärfer abgestimmt als das der alten. Nicht nur bei Vollbremsungen bergab lässt sie vergleichsweise hohe Stoppies zu, und das Heck hebt auch vehementer ab. Auch dies ist wohl dem Streben nach Rennstreckentauglichkeit geschuldet. Weil sich das ABS nur mit einem Stecker aus dem Rennkit abschalten lässt, wollten die Ingenieure die Bremsperformance von Supersportreifen nicht durch eine defensive ABS-Abstimmung reduzieren.
Ausgefeiltes System von Fahrhilfen beim 2016er-Modell
Die Entwicklungsarbeit der Elektronikspezialisten von Kawasaki und Bosch hat der neuen Kawasaki Ninja ZX-10R ein ausgefeiltes System von Fahrhilfen eingebracht, die sich freilich bei einem Landstraßentest kaum ausschöpfen lassen. Den Rennstart-Assistenten für Ampelstarts zu nutzen, ist albern, und die jetzt fünfstufige Traktionskontrolle (drei Stufen beim Vorgängermodell) lässt in den Stufen drei und zwei schon deftiges Beschleunigen in Schräglage zu.
In der schärfsten Stufe eins sind lange Drifts möglich, erfordern aber eine lebensverneinende Fahrweise, auf die man zwischen Felswänden und Abgründen gerne verzichtet. Und wer bei Nässe die defensiven Stufen vier und fünf aktiviert, wird sich wundern, wie energisch er immer noch aus der Kurve beschleunigen kann. Für den Alltag funktioniert auch das normale Motorbremsmoment bestens.

Bei der Präsentation der neuen Kawasaki Ninja ZX-10R in Sepang erklärte Projektleiter Yoshimoto Matsuda, man habe zugunsten der aufwendigen Federelemente und Bremsanlage auf andere hochwertige Ausstattungsdetails verzichtet, wenn diese nicht unmittelbar der Fahrdynamik zugutekämen. Er nannte das Anzeigeinstrument als Beispiel, doch dieser Ansatz führte noch an anderen Stellen zu Einsparungen. So wurde das Heck der Neuen mit konventionellen Blinkern altmodisch gestaltet, während bei der Alten die Blinker in die Heckverkleidung integriert sind.
Auch sind die Fußrasten bei der neuen ZX-10R nicht mehr in der Höhe verstellbar, sondern in einer Position fixiert, die in etwa der niedrigen Fußrastenposition bei der alten entspricht. Auch die Verkleidungsfront mit einer integrierten statt wie zuvor aufgesetzten Scheibe wirkt konventionell. Begründet wird diese Wahl mit dem besseren Windschutz, doch der Grund für diese Wahl dürfte eher darin liegen, dass die einfache Bubble-Scheibe der Neuen günstiger herzustellen ist als das aufwendig geformte Teil der Vorgängerin. In der Gestaltung der Auspuffanlage gewinnt freilich klar die neue Kawasaki Ninja ZX-10R, und auch die gekröpften Ventile in den Rädern sieht und nutzt man gerne. Sie wurden wohl wegen der riesigen Bremsscheiben im Vorderrad nötig.
Technische Daten und Messwerte

Motor:
Kawasaki Ninja ZX-10R (2015) | Kawasaki Ninja ZX-10R (2016) | |
Bauart | Vierzylinder-Viertakt-Reihenmotor | Vierzylinder-Viertakt-Reihenmotor |
Einspritzung | 4 x Ø 47 mm | 4 x Ø 47 mm |
Kupplung | Mehrscheiben-Ölbadkupplung (Anti-Hopping) | Mehrscheiben-Ölbadkupplung (Anti-Hopping) |
Bohrung x Hub | 76,0 x 55,0 mm | 76,0 x 55,0 mm |
Hubraum | 998 cm³ | 998 cm³ |
Verdichtung | 13,0:1 | 13,0:1 |
Leistung | 147,0 kW (200 PS) bei 13.000/min | 147,0 kW (200 PS) bei 13.000/min |
Drehmoment | 112 Nm bei 11.500/min | 113 Nm bei 11.500/min |