Kawasaki ZXR 400 und Ninja 400 im Vergleichstest
Kawa-Duell

Im Grunde verdankt die Kawasaki ZXR 400 ihre Entstehung der TT auf der Isle of Man. Die moderne Kawasaki Ninja 400 fährt daneben und lauscht staunend der hochtourigen Erzählung von einer anderen Zeit.

Kawa-Duell
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Ende 1976 entzog die FIM, Fédération Internationale de Motocyclisme, der Tourist Trophy auf der Isle of Man den Status eines Weltmeisterschaftslaufs. Weil die Regierung der Insel um die Einnahmen aus dem TT-Tourismus fürchtete, schuf sie zusammen mit dem britischen Motorradsportverband ACU ein neues WM-Prädikat, die TT-Formeln eins, zwei und drei. Die Rennen der Formel 3 waren ausgeschrieben für Motorräder mit Zweitaktmotoren von maximal 250 cm³ Hubraum und Viertakter bis 400 cm³, die Formel 2 für Zweitakter bis 350 und Viertakter bis 600 cm³, während die große Klasse Zweitakter bis 500 und Viertakter bis 1.000 cm³ Hubraum vereinte. Die Rennmaschinen mussten auf der Basis von Serienmotorrädern aufgebaut sein, Tuningmaßnahmen waren reglementiert. Diese Hubraumeinteilung und die Idee einer serienmäßigen Basis der Rennmaschinen gaben wichtige Impulse für die Entwicklung des Motorrad-rennsports. Sie reichen bis zur Superbike-WM, wie sie heute existiert.

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Was hat das mit den beiden Kawasakis zu tun?

Eine ganze Menge. Denn während die TT-F3-Weltmeisterschaft auf der Isle of Man und später auf noch weiteren Rennstrecken nur bis 1981 ausgetragen wurde, feierte sie in Japan ab 1984 fröhliche Auferstehung und wurde bis einschließlich 1991 fortgeführt. In dieser Zeit entwickelten alle japanischen Hersteller aufwendige kleine Supersportler, Honda, Suzuki und Yamaha sogar Zwei- und Viertakter parallel. Leider kamen von diesen Preziosen nur wenige nach Europa. Offiziell importiert wurden nur die Honda VFR 400 R – teuer und selten –, die Suzuki RGV 250 sowie die Kawasaki ZXR 400.

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Die Kawasaki ZXR 400 zeigt sich sportlich ambitioniert.

Welch einen Unterschied macht deren rennsportliche Ausrichtung gegenüber der aktuellen Ninja 400! Denn trotz ihrer markanten Verkleidungsfront, die stark an das Superbike ZX-10R erinnert, ist die Ninja 400 mit Stahlrohrrahmen, konventioneller Gabel und Einscheibenbremsen vorn und hinten als preisgünstiges Allroundmotorrad konzipiert, das zwar sportliche Talente besitzt, aber keine rennsportlichen Ambitionen. Genau diese zeigt die ZXR 400 aber in jedem einzelnen Detail, angefangen bei der stämmigen Upside-down-Gabel über die Vierkolben-Festsättel der vorderen Doppelscheibenbremse, den Alu-Brückenrahmen bis zum Hebelsystem der Hinterradfederung und der aus Strangpressprofilen geschweißten Hinterradschwinge. Kawasaki hat das Superbike ZXR 750 in Klein nachgebaut. Oder war es umgekehrt und die 750er ist eine vergrößerte 400er? Nicht unwahrscheinlich.

Motorenkonzepte mit verschiedenen Ansätzen

Besondere Aufmerksamkeit gebührt den Motoren, zumal sie sich meist hinter der Verkleidung verborgen halten. Da wäre zunächst der Reihenvierzylinder der ZXR mit 57 Millimeter Bohrung und 39 Millimeter Hub. Das ist in absoluten Zahlen ein überaus kurzer Hub, nicht aber im Verhältnis zur Bohrung. In dieser Beziehung sind die 600er-Supersportler noch extremer. So oder so, der kurze Hub ermöglicht der kleinen Kawasaki immense Drehzahlen von über 14.500/min sowie Ventilquerschnitte, die in solchen Regionen eine effiziente Gemischversorgung sicherstellen. Betätigt werden die vier Ventile pro Brennraum über Schlepphebel, die wiederum füllige Nocken und hohe Ventilbeschleunigungen ermöglichen. Kein Wunder also, dass die Spitzenleistung der kleinen Drehorgel schon im Serienzustand beeindruckt. Zeitgenössische Messungen erbrachten stets 65 bis 68 PS. Auf den Liter Hubraum hochgerechnet, sind das zwischen 162,5 und 172 PS. Anfang der 1990er-Jahre gab es keine 1000er mit dieser Leistung. Damit nicht genug; kompetente Tuner kitzeln problemlos über 80 PS aus diesem Motor.

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Die Kawaski Ninja 400 ist für Besitzer der Führerscheinklasse bis 48 PS konzipiert.

Der Antrieb der Ninja 400 folgt einem ganz anderen Ansatz. Für die Führerscheinklasse bis 48 PS konzipiert, strebt er nicht nach hoher Spitzenleistung. Deshalb und um Produktionskosten zu sparen, kommt er mit zwei Zylindern aus und ist im Verhältnis weniger kurzhubig als der Vierzylinder. Anders als die meisten modernen Reihenzweizylinder bewegt er Pleuel und Kolben mit 180 statt 90 Grad Hubzapfenversatz. Die Massenkräfte gleichen sich dadurch aus, nicht aber die Massenmomente, weshalb er eine Ausgleichswelle bekam, um Vibrationen zu dämpfen. So unterschiedlich die Technik, so unterschiedlich setzen sich die Motoren in Szene. Der Zweizylinder startet prompt und tuckert sehr dezent im Standgas vor sich hin. Der Vierzylinder ist anspruchsvoll und expressiv, will genau dosierte Choke-Unterstützung und verlangt einiges Orgeln des Anlassers, bis er zündet. Dann aber hebt ein Concerto grosso an; er saugt zischend an, scharrt mit der Steuerkette, klackert mit den noch kalten Kolben und trompetet überraschend tief aus der Vier-in-eins-Auspuffanlage, die komplett aus Edelstahl besteht.

Ninja 16 Kilogramm leichter als die ZXR

Ähnlich beim Anfahren. Auf der Ninja 400 rückt man mit dem Zug eines Fingers die Kupplung aus, legt den ersten Gang ein und fährt mit wenig Drehzahl von dannen, leicht und lässig. Auf der ZXR zieht die linke Hand gegen stramme Federkraft den Kupplungshebel, muss der linke Fuß erst einmal die hoch platzierte Raste ertasten, bevor er den ersten Gang einlegen kann, der mit einem trockenen „Klonk“ Bereitschaft meldet. Das Anfahren mit dem hochtourigen Motor und dem relativ langen ersten Gang erfordert wohldosierte Kupplungsschleiferei bei mindestens mittleren Drehzahlen. Wer es zügig haben will, sollte auf etwa 8.000/min einkuppeln. Die Fahrdynamik der ZXR 400 ist also nicht einfach so zu haben, sondern nur mit Konzentration und Einsatz.

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Die beiden Testkandidaten Rad an Rad.

Diese Erkenntnis bestätigt sich bei jedem Kilometer, egal, ob im Stadtverkehr, auf der Landstraße oder der Autobahn. Der Ninja-Zweizylinder bietet zwar längst nicht so viel Spitzenleistung wie der ZXR-Vierzylinder, verfügt aber über eine relativ kräftige Mitte, die – gemessen am Hubraum – fast schon schaltfaules Fahren ermöglicht. Weniger fordernd ist auch das Fahrwerk der Ninja. Sie ist 16 Kilogramm leichter als die ZXR, trägt schmalere Räder und Reifen und platziert den Fahrer in aufrechter Position. Leichtes Einlenken und gute Übersicht sorgen für ein unbeschwertes Fahrerlebnis, die sanfte Dämpfung für Komfort. Man lässt die Ninja zügig durch die Kurven laufen, entspannt aktiv und kommt selten auf die Idee, den drehfreudigen Motor bis zum Leistungsmaximum zu zwiebeln oder die nächste Kurve scharf auf den Punkt anzubremsen.

Landstraße kein Ersatz für eine Rennstrecke

Die ZXR 400 nötigt ihre Fahrer, genau dies zu tun. Vor allem die Maschine, die wir für unsere Ausfahrt über die Schwäbische Alb zur Verfügung hatten. Sie litt nach langer Standzeit an einer milden Form der Vergaserkrankheit. Vermutlich stand das Benzin etwas zu hoch in den Schwimmerkammern, denn obgleich sie im mittleren Bereich zwischen 6.000 und 10.000/min – ja, das ist bei ihr die Mitte – ordentlich durchzog, zeigte sie erst darüber, was sie wirklich draufhat. Mit einem begeisterten und begeisternden Aufschrei dreht der Vierzylinder im Nu über die 14.000/min. Auf der freien Autobahn feuerte er die kleine Kawa nach kurzem Anlauf auf eine Tachogeschwindigkeit von knapp unter 220 km/h. Viel zu schnell für die tapfer hinterhereilende Ninja. Perfekt gewartete Exemplare der ZXR 400 entfalten ihre Leistung gleichmäßiger, das ändert aber nur wenig an der Fahrweise, die sie verlangt.

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So sehen die Instrumente der ZXR 400 aus.

Selbst eine noch so anspruchsvoll gekurvte Landstraße ist kein Ersatz für eine Rennstrecke. Trotzdem deutete sich an, dass die Dämpfung der Ninja in jenem Bereich an ihre Grenzen kommt, wo man auf der ZXR zu begreifen beginnt, warum Gabel und Federbein so straff abgestimmt und verwindungssteif dimensioniert sind. Ihre Lenkpräzision und das Gefühl fürs Vorderrad beeindrucken noch heute. Der einzige Punkt, in dem die ZXR heutigen Maßstäben nicht mehr genügt, ist die Sitzposition. Die Sitzbank ist zu niedrig, die Fußrasten sind so hoch montiert, wie sie aus Gründen der Schräglagenfreiheit nun einmal sein müssen. Das zwingt zu schmerzhaft engen Kniewinkeln und mindert die Beweglichkeit des Fahrers. Der trotzdem bei keiner Pause die Augen von ihr wendet und überlegt, woher er wohl ein straffes, vier Zentimeter dickeres Sitzpolster bekommen könnte.

Fazit: so gut wie keine Gemeinsamkeiten

Beide werden oder wurden von Kawasaki produziert und haben Motoren mit rund 400 cm³ Hubraum. Das war es dann aber auch mit den Gemeinsamkeiten von Ninja und ZXR 400. Während die Ninja mit einfacher Konstruktion und gefälligen Manieren ein günstiges Preis-Leistungs-Verhältnis für Kunden und Hersteller bietet, ist die ZXR 400 mit geradezu schwelgerischem Aufwand gebaut. Heute könnte sie kaum günstiger sein als eine rund 14.000 Euro teure Yamaha YZF-R6. Doch wer sollte sie für einen solchen Preis kaufen, wo doch selbst die Möglichkeiten, sie im Rennsport einzusetzen, auf die Angebote weniger Renntrainingsveranstalter beschränkt sind? Wer dem Charme des kleinen Schreihalses verfällt, sollte sich beizeiten ein gut erhaltenes Exemplar sichern, es fahren und pflegen. Als Reminiszenz an eine kurze Zeitspanne, in der es solche wunderbar unvernünftigen Motorräder zu kaufen gab.

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MOTORRAD 12 / 2023

Erscheinungsdatum 26.05.2023