30 Jahre alte Kawasaki ZXR 400 und neue Kawasaki ZX-4RR: 400er-Ninjas im Vergleich-Test

Kawasaki ZXR 400 & Kawasaki ZX-4RR im Test
400er-Ninja als Oldtimer und neu im Vergleich

Veröffentlicht am 01.01.2025

Blick zurück ins Jahrs 1989, der offiziellen Geburtsstunde der Kawasaki ZXR 400. Die bauten sie in Akashi für fordernde Einsätze in japanischen 400er-Rennklassen. Bis 1981 kämpften 400er-Racer zuvor sogar noch bei der Tourist Trophy auf der Isle of Man um die F3-WM-Krone. Geboren aus einer heißen Rennsport-Klasse, serviert fürs allgemeine Motorradfahrende Volk, mit diesen Worten ließe sich die weitere Geschichte der ZXR 400 beschreiben. Ab 1991 vertrieb Kawasaki sie in Deutschland, das Modell, das hier so gekonnt ins eigene Erinnerungsbuch blickt, stammt von 1993. Ihre flotte Dekorbeklebung franst an den Kanten aus, vorher gab’s gerade Linien.

Und die Kawasaki ZX-4RR ? Über 30 Jahre nach ihrer Vorgängerin fallen die Fußstapfen reichlich groß aus, die ihr die Kawasaki ZXR 400 hinterlassen hat. Wir gehen mit beiden auf eine Vergleichstfahrt.

Oldie bietet am Start Frustpotenzial

Die Kawasaki ZX-4RR pöttelt schon neuzeitlich leise vor sich hin. Und bei der Kawasaki ZXR 400? Einfach so den Startknopf drücken und loshuschen? Pustekuchen. Reise in die Vergangenheit: Damit die vier 32er-Vergaser überhaupt Sprit erhalten, sollte der Pfeil auf dem Benzinhahn auf die Markierung "On" zeigen und der Choke am linken Lenkerstummel den eingehängten Bowdenzug stramm ziehen. Dann den Daumen zart auf den Starter legen und mit Gefühl und leichter Gasgriffunterstützung dem 398 Kubik großen Vierer Leben einhauchen. Nix digital, sondern schon beim Start ein inniger, beziehungsfördernder Prozess. Der aber auch Frustpotenzial bietet.

Die Kawasaki ZX-4RR hingegen brummt einfach so los. Zwar benötigt sie manchmal ein paar Anlasserumdrehungen, und ab und zu hängt sie nicht sofort sauber am Gas – aber sie läuft in 99 Prozent alle Startvorgänge sofort. Die Kawasaki ZXR 400 nicht. Ein schaurig-tiefes Röcheln bahnt sich für einen Moment den Weg unterm Tank hervor, dann herrscht Ruhe. Schwache Batterie, eingeklemmte Benzinleitung oder nur keine Lust? Der 30 Jahre alte 400er-Sportler menschelt schon vorm ersten Fahrmeter mehr als die ZX-4RR es bis zur ersten Inspektion jemals tun würde. Anschieben, mit Kraft, mit Leidenschaft, mit einem ersten Ärger-Zornes-Fältchen auf der Stirn und nach zehn Minuten Stille läuft der Sportler-Oldie. Tief brummend, mit schwankender Drehzahl, aber er lebt. Ein Startvorgang als eigene Geschichte.

4 Zylinder und 14.200 Umdrehungen – neue Kawasaki ZX-4RR

Kurven, wir kommen. Vorfreude, let’s go. Allerdings erwartet die ZXR 400 Yoga-geübte Dehnfähigkeiten und Körpermaße nur kurz über der Höhe eines Gartenzwergs. Wer saugend-schmatzend ins Arrangement aus engen Lenkerstummeln, hohen Rasten und harter Sitzbank rutscht, hat in Jugendjahren wahrscheinlich Baumhäuser auf Bonsais gebaut. Anders die Kawasaki ZX-4RR. Und zwar komplett. Die Stummellenker liegen rund zehn Zentimeter über der Sitzbank, die Rasten tief. Fokus: Sporttouring, kein Racing. Auf der Landstraße eine gute Wahl, weil entspannter. Die Kawasaki ZXR 400 will, braucht die Auseinandersetzung, volle Konzentration, mag nicht bummeln. Bitte keine Kaffeepause, bitte kein Sightseeing. Nur eine Stunde brennen: anbremsen, Scheitelpunkt treffen, rausfeuern – und danach zum Physiotherapeuten.

Spannend: Beide verlangen und feiern Drehzahlen. Die Bereiche unten und in der Mitte ihrer Drehzahlmesser dürfen gerne mit Tape abgeklebt werden. Ab 8.000 bis 9.000 Touren zählt es. Wenn die zwei so durchs Drehzahlpotenzial huschen, streben sie in ziemlichem Paarlauf nebeneinander her. 30-jährige Evolution, wo bist du? Auf den ersten Blick und abgesehen vom Startverhalten fällt sie motorisch zurückhaltend aus. Zwar treffen hier 63 auf 76 PS, die Leistungskurven verlaufen mit friedlichem Handshake aber dicht neben- oder übereinander her. Bis die in Ehren ergraute ZXR 400 bei 12.500 Umdrehungen ihren Leistungszenit überschritten hat. Die neue 400er erreicht kreischend erst bei 14.200 ihren Power-Topwert. Da kann das ältere Semester nicht mithalten. Allerdings sticht das Kraft-Plus nur, wenn die Linie passt.

"Fünfstellig lautet die Losung. Alles andere kann man vergessen"

Schwung, Schwung, Schwung lautet hüben wie drüben die Devise. Einmal nur ein paar Meter zu weit in die Kurve verzögert, einen Hauch zu spät die Vergaser aufgezogen oder der Einspritzung den Volllastwunsch mitgeteilt – und das Leben begleitet einen nur noch in Zeitlupe. Fünfstellig lautet die Losung. Früher und heute. Alles andere kann man vergessen. Für diesen Freudentaumel im Drehzahlhimmel fehlen die Worte.

Ein Fest – bei beiden zum Glück kein lautes für die Mitmenschen –, das man mit jeder Faser seines Körpers erleben, mitgestalten, fassen muss. Vor allem, weil die Kategorie der 400er-Vierzylinder lange brachlag wie ein vergessener Acker. Erst jetzt, 2024, keimt das grüne Pflänzchen ZX-4RR aus dem Boden und reaktiviert den roten Bereich bei 15.000/min als absolute und dauerhafte Schaltempfehlung. Die Danksagungen der Drehzahljünger sind ihr gewiss. Doch kurz zurück zur Vernunft, so viel Zeit muss sein: Die Kawasaki ZX-4RR arbeitet auch manierlich, allerdings recht kraftlos, bei vierstelligen Drehzahlen, hängt butterweich am Gas, selbst bei 40 km/h in Gangstufe sechs, die sich innerorts per Blipper schnell einlegen lässt. Alltagstauglichkeit, ein Begriff, um den die Kawasaki ZXR 400 einen Bogen schlägt. Die ZX-4RR bringt’s zwar unter diesem Aspekt nicht zu meisterhaften Ehren, aber sie kennt ihn wenigstens.

Unterschiedliche Richtungen beim Fahrwerk

Eine Tugend, die daneben auch das Fahrwerk offenbart. Hier zeigt sich, wie weit die beiden 400er trotz aller Ähnlichkeiten auseinanderliegen. Mit ihrer in der Vorspannung einstellbaren Gabel und dem voll justierbaren Federbein erweckt die Kawasaki ZX-4RR zwar den Anschein sportlicher Pistentauglichkeit, die Realität raubt dem aber schnell jede Berechtigung. Wer die vorderen radialen Stopper zur Arbeit zwingt, dem serviert die Forke ein"Klonk". Federweg aufgebraucht, Reserven nicht vorhanden. Ziemlich ähnlich sieht’s hinten aus, daran können die wichtig aussehenden Schrauben für die Dämpfungsverstellung nicht viel ändern.

Die ZX-4RR gleitet fahrwerksseitig gerne kommod-komfortabel, ohne große sportliche Ansprüche über Land. Flotter Name, aber nicht wirklich viel dahinter. Mit so einer Einstellung fremdelt die Kawasaki ZXR 400. Ihre Gabel und ihr Dämpfer bieten Set-up-Optionen zwischen hart und härter. Kompromisse in Richtung Bandscheibenschonung geht sie nur äußerst ungern ein. Sie verweist auf ihren Ursprung, ihre Entstehung als Racebike, das Lichter, Spiegel und Soziusplatz erhielt. Die Kawasaki ZX-4RR vollzieht diesen Weg aus der komplett anderen Richtung. Ihre Fahrwerksgene entsprechen viel mehr der Ninja 400 als einer ZX-6R. Ein Freund auf zwei Rädern, mit Hochdrehzahlmotor – kein Ass für den Blick auf die Stoppuhr.

Ein gelungener Nachfolger der Kawasaki ZXR 400

Aber mit den Tugenden, mit denen die ZXR 400 prahlt, gewinnt heutzutage vermutlich kein Händler mehr neue Kunden. Die Kawasaki ZXR 400 verfolgt Kuschelkurs-frei nur ein Ziel: Sport, gerne zum Spaß, noch lieber an Curbs entlang und mit montiertem Laptimer. Die reine Speed-Lehre mit vier Zylindern und 400 Kubik. Das Anforderungsprofil der Kawasaki ZX-4RR fällt umfangreicher aus, gleicht heutigen Stellenausschreibungen, die Auslandserfahrung, Studium, Praktikum und drei Fremdsprachen für jeden 25-jährigen Bewerber fordern. Bei alledem ist die reine Lehre der flotten Fahrdynamik eben nur ein Teil. Alltag, Sicherheit, Kosten samt viel geringerem Verbrauch – die ZX-4RR tanzt auf zahlreichen Hochzeiten, will das Beste aus dieser Schnittmenge herausholen. Das packt sie auf hohem Niveau.

Eine Musterschülerin mit ikonischem Race-Typenkürzel und heißblütigem Vierzylinder. Flotte Namen gab’s allerdings schon vor 30 Jahren, herrliche Drehzahl-Ungeheuer ebenfalls. So hält die ZX-4RR die Erinnerung an die ZXR 400 lebendig, kramt sie aus den Kawasaki-Geschichtsbüchern heraus. Ob die Kawasaki ZX-4RR selbst einmal Teil eines erinnerungswürdigen Kapitels im Lexikon der Motorradgeschichte wird? Das werden wir uns in 30 Jahren noch einmal fragen.