Es scheint vollbracht. Ein neuer Name verschafft der Laverda 668 den Aufstieg in die nicht allzu üppig besetzte Klasse Motorräder mit eigenem Charme, womit ihr endlich der Durchbruch gelingen könnte. Denn was zuerst unter der Bezeichnung 650 Sport vertrieben und später auf den Namen Formula 650 hörte, hat mit der 668 kaum noch etwas gemein - zumindest äußerlich.
Technisch halten sich die Neuerungen dagegen in Grenzen. Nach wie vor übernimmt der stark angegraute Zweizylinder die Antriebsarbeit. Allerdings mit deutlich verbesserter Leistungscharakteristik. Mit neuen Nockenwellen bestückt, zeichnet der MOTORRAD-Prüfstand eine deutlich harmonischere Leistungskurve auf das Meßblatt. Durch diese Erziehungsmaßnahme bleiben luft-/ölgekühlte Italienerherz zwar nur noch 72 der von MOTORRAD gemessenen 76 PS des 650 Sport- Triebwerks (siehe Heft 17/1995), was aber leicht zu verschmerzen ist. Denn die Drehzahlregion, in der die damalige Spitzenleistung zur Verfügung stand, mied man wegen der brutalen Vibrationen sowieso besser. Der gelben 668 sind diese extrem harten Vibrationen fremd.
Geblieben ist jedoch das starke und ausgesprochen nervige Ruckeln unterhalb 2500 Umdrehungen. Weil dieser untere Drehzahlbereich nicht einmal im Schiebebetrieb zu nutzen ist, zwingt die 668 schon im Bummeltempo zu ständiger Schaltarbeit. Und Schalten bedeutet bei der Laverda tatsächlich noch Arbeit. Das fängt bei der extrem schwergängigen Kupplung an, die schon nach einem halben Tag Testarbeit für Schmerzen im linken Handgelenk sorgt. Und wo moderne Getriebe nur mal eben mit der linken Zehenspitze angetippt werden wollen, verlangt die rund 20 Jahre alte Laverda-Schaltbox nach einem gehörigen Tritt. Zu den konstruktiven Problemen im Inneren der Box addiert sich noch eine ausgesprochen schlechte Hebelanordnung des Schaltgestänges. Durch die ungünstigen Winkel kann vor allem beim Herunterschalten nur wenig Kraft auf die Schaltwalze übertragen werden. So findet man sich bei nicht ganz exakter Schalterei oftmals zwischen den einzelnen Gangstufen wieder.
Hat man sich an die Eigenheiten des Getriebes erst einmal gewöhnt, kann man die positiven Dinge des 668-Antriebs genießen. Zum Beispiel die Einspritzanlage von Weber-Marelli. Spontan und direkt reagiert der Vierventiler auf jede noch so feine Bewegung am extrem leichtgängigen Gasgriff. Leistung ist dabei jederzeit ausreichend vorhanden, auch wenn die Meßwerte vor allem in der Beschleunigung im Vergleich zur 650 Sport deutlich abfallen. Doch der Grund hierfür ist weniger der gelben Italienerin mit ihrer etwas geringeren Spitzenleistung anzulasten als vielmehr den äußeren Umständen. Die zum Testzeitpunkt herrschenden sibirischen Temperaturen führen zwangsläufig zu einem schlechteren Ergebnis, als wenn, wie die 650 Sport, bei hochsommerlichen 34 Grad gemessen wird. Dazu kommt noch der Bremsfallschirm in Form eines dick gefütterten Winterpelzes. So sind auch die höheren Verbrauchswerte der 668 zu erklären, die sich noch in einem durchaus akzeptablen Rahmen halten.
Doch unabhängig von Meßbedingungen gilt, daß die Laverda 668 zwar supersportlich aussieht, des weiteren mit diesem Metier aber nicht allzuviel zu tun haben möchte. Wer auf die Idee kommt, sie mit einer Ducati 748 zu vergleichen, der wird enttäuscht werden. Mit einer Ducati 750 SS kann die Laverda dagegen jederzeit konkurrieren. Bei nahezu gleichem Preis ist sie sogar um ein Vielfaches edler ausgestattet als ihre Landsfrau: Vierventiltechnik, Einspritzanlage, Leichtmetallrahmen und voll einstellbare Federelemente von White Power, alles appetitlich in eine elegante Schale aus gelbem Kunststoff verpackt.
Weil also der Laverda-Motor nicht zu den kompromißlosen Hochleistungssportlern zählt, stört es auch nicht, daß das Fahrwerk nur wenig sportlichen Ehrgeiz entwickelt. Die unverändert aus der 650 Sport übernommenen Federelemente sind angenehm komfortabel abgestimmt. Schlechte Straßenbeläge scheint es für die 668 gar nicht zu geben. Dank weicher Federn, geringer Dämpfungsstufen und hervorragendem Ansprechverhalten bügelt die Laverda selbst Straßen dritter Ordnung noch mühelos glatt.
Einziger Nachteil dieser soften Abstimmug: Schon bei weniger brutalen Bremsmanövern federt die Upside-down-Gabel zu weit ein. So verliert das Vorderrad vor allem auf schlechten, welligen Straßen nicht nur wichtigen Federweg, sondern auch die Zielgenauigkeit läßt durch die starken Eigenbewegungen des Fahrwerks zu wünschen übrig.
Auf gut ausgebauten Abschnitten dagegen zeigt sich die Laverda von ihrer besten Seite. Zwar will sie bei flotter Fahrt mit etwas Kraft eingelenkt werden, aber einmal in Schräglage, zieht sie unbeirrbar eine saubere Bahn. Auch Vollgasfahrten auf der Autobahn macht sie ohne den geringsten Zucker in der Lenkung mit. Nicht ganz so lässig bewältigt die Brembo-Bremsanlage die ihr gestellten Aufgaben. Hinten problemlos zu dosieren, verlangen die beiden vorderen 320 Millimeter großen Scheiben nach sehr hoher Handkraft.
Ganz ohne Makel ist die schöne Italienerin also nicht. Und einem Punkt gab's auch im Erscheinungbild der 668, der zwar kein Anlaß zur Kritik war, aber zunächst doch Kopfzerbrechen bereitete: Sinn und Zweck der hinteren Fußrasten bei einem bildschönen Einzelhöcker. Nach Rückfragen bei Importeur Ronald März klärte sich das Rätsel schnell auf: Verkauft wird die Laverda 668 offiziell mit einem Sitzkissen, das wahlweise statt der hinteren Höckerabdeckung zu verwenden ist. Außerdem bestückt März noch die beiden Scheinwerfer mit H4-Lampen, bevor die ersten Exemplare Ende Februar zum Preis von 16 840 Mark ausgeliefert werden.