Der Schritt war nur logisch. Nachdem MV die Brutale-Baureihe mit 800er-Dreizylindern bestückt hat, bekommt nun auch der Supersportler F3 ein Hubraum-Update.Wie logisch, erläutert Plattform-Manager Brian Gillen in der Boxengasse von Misano: Die Dreizylinder sind derzeit die Erfolgsmodelle von MV und der 800er keine Neukonstruktion, vielmehr wurde er gemeinsam mit dem 675er-Triple entwickelt. Ein Motor, zwei Hubraumvarianten. Nur die Kurbelwelle mit längerem Hub, Pleuel und Kolben unterscheiden 675er von 800er. Der Rest der Mechanik ist bis zum Zylinderkopf mit den Titan-Ventilen absolut identisch. Rückwärts drehende Kurbelwelle und Kassetten-Getriebe inklusive. Das spart jede Menge Bauteile und (Entwicklungs-)Kosten. Halt, eine Anti-Hopping-Kupplung hat die 800er bekommen, auch wenn sie in keine Rennklasse passt. Schließlich ist sie genauso Sportler durch und durch.
148 PS verspricht MV
Sie gleicht folglich auch bei der Elektronik (vier verschiedene Mappings, ride-by-wire, achtstufige Traktionskontrolle) und vor allem äußerlich der F3 675 wie ein Ei dem anderen. Selbst die Fahrwerkseckdaten sind identisch. Dieselbe handlinggierige Geometrie mit 1380 Millimeter kurzem Radstand, nur 99 Millimeter Nachlauf und 66 Grad steilem Lenkkopf. Selbst das Gewicht soll mit 173 Kilo trocken identisch sein. Und das bei einem satten Leistungs- und Drehmomentplus. 148 PS verspricht MV, das sind 20 mehr als beim 675er. Im mittleren Drehzahlbereich sollen es gar bis zu 30 sein, schwärmt Gillen. Verlockende Aussichten! Na, da halten wir uns doch nicht mit langen Vorreden auf, sondern stürzen uns gleich auf die Strecke. Platz nehmen, einklinken, klasse die Sitzposition auf der kompakten, zierlichen F3.
MV Agusta F3 800 packt selbst die trickreichen Ecken
Bereits beim vorsichtigen Einrollen spannt der 800er in der unteren Drehzahlhälfte ordentlich die Muskeln. Kein Vergleich zum untenrum eher schwachbrüstigen Antritt der 675er. Und auch die Gasannahme geht in diesem Bereich erstaunlich unauffällig vonstatten. Aber wir sind ja nicht zum Cruisen hier. Die für diesen Auftritt montierten Pirelli Supercorsa SC1 (Serie: Pirelli Diablo Rosso Corsa) sind prächtig vorgewärmt, die Sonne heizt den Asphalt, Feuer frei. Der Kurs von Misano ist zwar mit einigen trickreichen Ecken gespickt, doch auch die 800er entzaubert die vermeintlich kniffligen Ecken, die oft nach spätem Abwinkeln verlangen, mit federleichtem Handling, hochpräzisem Einlenken, stets aufgeschlossen für Kurskorrekturen. Diese spielerische, superbe Wendigkeit kennzeichnet also auch die „große“ F3. Die Dämpfungsabstimmung der Gabel wurde etwas überarbeitet, am Federbein lediglich die Vorspannung und die Wirkungsweise der Klicks an der Druckstufe geändert.
Vor allem hier, wo oft und weit in Schräglage in die Kurven hineingebremst werden muss, ist Vertrauen ins Vorderrad wichtig, die Gabel liefert dazu das nötige klare Feedback. Das Federbein allerdings ist in der Grundeinstellung noch zu weich und lässt einige Bewegung am Heck zu. Etwas mehr Vorspannung, die Druckstufe bis auf eine halbe Umdrehung geschlossen, schon herrscht Ruhe an Bord. Und drangen die kurzen, harten Stöße der Fahrbahn anfangs etwas hart zum Fahrer durch, absorbiert sie das Sachs-Federbein so abgestimmt sogar eine Spur besser. Kraftvoll schiebt der Dreizylinder aus den Kurven heraus, verkneift sich bissige Temperamentausbrüche wie sie der 675er hat. Dessen variable Ansaugtrichtern besitzt der 800er übrigens nicht. Aber das kann ja noch kommen.
Klare Fortschritte beim Ride-by-Wire





Beim Ausdrehen klingt der 800er bei Weitem nicht so schrill wie sein kleinerer Bruder, was ihn zusammen mit der ebenmäßigen Leistungsentfaltung angenehm, fast unspektakulär und gar nicht nach 148 kernigen PS wirken lässt. Zumal er bei 7000/min eine kurze Verschnaufpause einlegt. Doch sobald die Drehzahl über 8000/min steigt, schiebt er gleichmäßig und mit Nachdruck bis zum sanft einsetzenden Begrenzer bei 13 500/min. Und spätestens wenn er die F3 nach einer relativ kurzen Geraden mit 235 auf dem Tacho auf den Mut-Knick „Curvone“ zufeuert, legen sich die Zweifel an der Potenz des Drillings. Frei von bösartigen Leistungseruptionen lässt sich die Power am Kurvenscheitel prima einsetzen, der Drilling hängt sehr direkt, nur bei höheren Drehzahlen bisweilen noch ein bisschen hart am Gas, kann sich hin und wieder in oberen Lagen beim Spiel mit dem zu leichtgängigen Gasgriff noch etwas verhaspeln. Doch hat MV bei der Abstimmung des Ride-by-Wire erneut klare Fortschritte gemacht, die der F3 die bislang besten Umgangsformen bescheren.
Im „Normal“- statt im aggressiveren „Sport“-Modus gelingt die Gasannahme nochmals etwas sanfter, ohne dass der Motor darüber in Trägheit verfällt. Auch die achtstufige Traktionskontrolle, die noch immer ohne den Drehzahlabgleich von Vorder- und Hinterrad arbeitet, agiert unauffällig. Ab Stufe drei waren kurze Rutscher drin. So souverän und nachvollziehbar wie die Systeme von BMW, Ducati, Aprilia oder Kawasaki arbeitet sie dann doch nicht. Ein optisches Signal im Cockpit, das ihr Eingreifen signalisiert, bietet sie nicht. Ein Fall für die nächste Modellpflege.
Beim Fahrwerk ging der Sparzwang zu weit
Etwas mehr Augenmerk sollten die Techniker aber der knochigen Schaltbox schenken. Bei einigen Testmaschinen ließ sich trotz Schaltautomat der vierte Gang nur mit Nachfassen einlegen. Und beim Fahrwerk ging der Sparzwang doch ein wenig zu weit. Denn beim Herausbeschleunigen konnte die F3, hart am Lenker aufgerichtet, durchaus kräftig mit dem Lenker auskeilen. Ein Lenkungsdämpfer findet sich aber nicht an der Maschine, sondern nur im Zubehörkatalog. Er sollte jedoch unbedingt zur Grundausstattung gehören, damit kein Schatten die großartige Fahrwerksperformance trübt. Denn auch beim Bremsen macht die F3 eine ausgezeichnete Figur dank bärig packender, fein dosierbarer Monoblock-Brembos und piekfein agierender Rutschkupplung. Bei scharfen Starts noch mit der Tendenz zum Rupfen aufgefallen, hält die Kupplung beim harten Ankern das Heck sauber auf Kurs. Nur wer ein ABS will, muss sich noch bis 2014 gedulden.
Das Konzept, mehr als ausreichend Power kombiniert mit federleichtem 600er-Handling, macht jedenfalls mächtig an. Zur Nachahmung empfohlen!
Daten und Fakten

Motor
Wassergekühlter Dreizylinder-Viertakt-Reihenmotor, eine Ausgleichswelle, zwei obenliegende, kettengetriebene Nockenwellen, vier Ventile pro Zylinder, Tassenstößel, Nasssumpfschmierung, Einspritzung, geregelter Katalysator, Lichtmaschine 350 W, Batterie 12 V/9 Ah, hydraulisch betätigte Mehrscheiben-Ölbadkupplung, Sechsganggetriebe, O-Ring-Kette, Sekundärübersetzung 39:17.
Bohrung x Hub: 79,0 x 54,3 mm
Hubraum: 798 cm³
Verdichtungsverhältnis: 13,3:1
Nennleistung: 108,8 kW (148 PS) bei 13000/min
Max. Drehmoment: 88 Nm bei 10600/min
Fahrwerk
Gitterrohrrahmen aus Stahl, Motor mittragend, Upside-down-Gabel, Ø 43 mm, verstellbare Federbasis, Zug- und Druckstufendämpfung, Einarmschwinge aus Aluminium, Zentralfederbein mit Hebelsystem, verstellbare Federbasis, Zug- und Druckstufendämpfung, Doppelscheibenbremse vorn, Ø 320 mm, Vierkolben-Festsättel, Scheibenbremse hinten, Ø 220 mm, Zweikolben-Festsattel, Traktionskontrolle.
Alu-Gussräder: 3.50 x 17; 5.50 x 17
Reifen: 120/70 ZR 17; 180/55 ZR 17
Maße+Gewichte
Radstand 1380 mm, Lenkkopfwinkel 66,0 Grad, Nachlauf 99 mm, Federweg v/h 125/123 mm, Sitzhöhe 805 mm, Trockengewicht 173 kg, Tankinhalt 16,5 Liter.
Garantie: zwei Jahre
Farben: Rot/Silber, Weiß/Schwarz, Schwarzmetallic#
Preis: 13990 Euro
Nebenkosten: 275 Euro
Interview mit Giovanni Castiglioni

Fangen wir gleich mit den kritischen Themen an: In der Branche heißt es, MV Agusta würde mit einem russischen Investor verhandeln. Stimmt das?
Castiglioni: (Lacht). Ich kenne die Gerüchte. Es heißt, ich sei jung, hätte keine Lust auf die Firma und würde lieber ein Leben in Saus und Braus führen. Die Wahrheit ist: Ich hatte in letzter Zeit um die 30 Anfragen von Fonds und Einzelpersonen, und darunter war tatsächlich einer der berüchtigten russischen Oligarchen. Aber ich bin nicht interessiert, ich verkaufe nicht, nicht an einen Russen, nicht an Mercedes – an niemanden. Mir macht die Leitung der Firma Spaß, und warum sollte ich sie jetzt abstoßen, wo sie dreimal so viel Wert ist wie noch vor Kurzem, und es weiter aufwärts geht? Ich bin doch nicht blöd.
Gleich noch eine Gerücht: Es heißt auch, MV würde an der F3 nichts verdienen und sei daher bald klamm. Was ist da dran?
Castiglioni: Ebenfalls nichts. Ich weiß, dass ein paar unserer Konkurrenten das behaupten, aber wir haben bei der F3 die gleiche Gewinnspanne wie bei der F4. Wir haben überhaupt noch nie ein Motorrad ohne Marge für uns verkauft, warum sollten wir? Manchmal wäre es besser, wenn die Leute sich um ihre eigenen Firmen kümmern würden, als sich über andere das Maul zu zerreißen … Und klamm sind wir auch nicht. Natürlich ist die finanzielle Situation nicht immer einfach: Wir wachsen enorm. Während wir vor zwei Jahren nur 200 Motorräder im Monat gebaut haben, sind es jetzt bis zu 800 Stück. Das Geld für die Komponenten muss man vorstrecken, und da muss man auch mal ein bisschen jonglieren. Aber es läuft wirklich gut für uns.
Was heißt das in Zahlen?
Castiglioni: Vor zwei Jahren haben wir 2000 Motorräder im Jahr gebaut, letztes Jahr 81 Prozent mehr, und am Ende dieses Jahres werden es an die 8000 sein. Unser Ziel ist eine Jahresproduktion von 12000 Motorrädern; wir haben einen Fünfjahresplan und daher noch drei Jahre Zeit, es zu erreichen. Ich denke, dass wir das schon früher schaffen. Zudem haben wir Leute eingestellt: Zu Beginn der Umstrukturierung waren es 160, jetzt sind es schon wieder 230. Und die Kunden mögen unsere neue Motorräder: Allein bei Ihnen in Deutschland haben sich unsere Zulassungszahlen verdoppelt. Dazu haben wir in den letzten sechs Monaten weltweit 91 neue Händler eingesetzt. MV Agusta ist bei ihnen beliebt, denn unsere Palette ist deutlich interessanter geworden.
Wird die Palette noch weiter ausgebaut?
Castiglioni: Sicher. Unsere Sportler- und Naked-Baureihen sind jetzt komplett, da bieten wir alles von der 600er bis zur 1000er. Im Herbst kommt die Rivale, unsere erste Motard. Auf der Messe in Mailand im November werden gleich drei neue Motorräder stehen, und wir werden uns ein weiteres Segment erschließen. Bevor Sie fragen: Welches, verrate ich noch nicht.
Sie haben jetzt gerade die F3 800 vorgestellt, die sich mit ihren 800 cm³ aber für keine Rennsportkategorie eignet. Oder wissen Sie mehr als wir, und es stehen Änderungen des Supersport-Reglements ins Haus?
Castiglioni: Nein, so weit ich weiß, wird da nichts geändert. Der Rennsport spielt für diese Maschine aber gar keine Rolle, sie ist für ganz normale Kunden gedacht. Vielen sind die modernen 1000er-Sportler mit ihrer brachialen Leistung einfach zu viel, eine 600er dagegen bietet ihnen zu wenig. Diese Lücke können wir mit der F3 800 schließen, denn wir haben ein leichtes und günstiges Motorrad gebaut, das dreht wie ein Zweizylinder und Druck hat wie ein Vierzylinder.
Roberto Rolfo ist mit der F3 675 in der Supersport-WM beim Lauf in Silverstone Dritter geworden, der erste Podestplatz für MV nach 37 Jahren. Werden Sie jetzt mehr in den Rennsport investieren?
Castiglioni: Wir werden mit Volldampf unseren Supersport-Renner weiterentwickeln, der dritte Platz war ein tolles Ergebnis. Wir sind ja noch Neulinge, während die anderen dort schon seit zehn, zwölf Jahren mitfahren. Unser Ziel für nächstes Jahr sind die Top Fünf, dieses Jahr wollten wir uns eigentlich mit den Top Zehn begnügen. Aber bessere Platzierungen sind natürlich immer willkommen! Außerdem möchte ich mit der F4 gern in die Superbike-WM einsteigen. Es ist nicht ausgeschlossen, dass wir das 2015 wagen.