Mailand steht für Mode, steht für Messe und auch für Motorrad. Zumindest alle zwei Jahre, wenn die Motorradhersteller aus aller Welt ihre neuen Modelle auf den Laufsteg schicken.
Mailand steht für Mode, steht für Messe und auch für Motorrad. Zumindest alle zwei Jahre, wenn die Motorradhersteller aus aller Welt ihre neuen Modelle auf den Laufsteg schicken.
Im Mittelpunkt des Interesses stehen in Milano wen wunderts? italienische Firmen wie Ducati oder Aprilia. Die Träume von morgen funkeln und glitzern im Rampenlicht. Oft reine Zukunftsmusik, um den den Geschmack und die Reaktionen der Besucher zu testen. Aber auch konkrete Projekte, wie beispielsweise die Ducati Multistrada, die viel Zustimmung, aber auch einige Kritik erntete. David Gross, Produktplaner bei Ducati: »Die Multistrada repräsentiert eine komplett neue Nische. Sie kombiniert die Leistung und das Design eines Sportmotorrads mit der Vielseitigkeit einer Enduro.«
Sitzposition, Bodenfreiheit und Federwege mögen endurotypisch sein, mit der supersportlichen Straßenbereifung auf 17-Zoll-Rädern ist die Studie doch eher an asphaltiertes Terrain gebunden. Das sieht Chefdesigner Pierre Terblanche ganz offensichtlich ebenso. »Dieses Motorrad entfaltet sein ganzes Potenzial in der Hand von Experten, die auf Küstenstraßen oder Pässen Spaß haben wollen.« Den soll bereits das Triebwerk garantieren, das auf den ersten Blick wie der bekannte Zweiventiler wirkt, bei dem sich beim genaueren Hinsehen jedoch einige teile als neu konstruiert erweisen. Etwa Zylinder und Köpfe mit engeren Ventilwinkeln und Doppelzündung, die auf dem bekannten Gehäuse sitzen. Eine Kurbelwelle mit mehr Hub liftet in Verbindung mit größeren Kolben den Hubraum auf 992 cm³.
Das Fahrwerk verfügt über den für Ducati charakteristischen Gitterrohrrahmen. Die Upside-down-Gabel sowie Bremsen und Räder scheinen eher aus dem Teileregal der Supersportler als von der Offroad-Fraktion zu stammen. Doch insgesamt könnte die Rechnung bei Motorradfahrern aufgehen, die des Zusammenfaltens auf Supersportlern überdrüssig sind, auf sportive Fortbewegung aber nicht verzichten wollen.
Bei den reinrassigen Supersportlern hat Ducati ebenfalls nachgelegt, was schon die Typenbezeichnung 998 signalisiert. Tatsächlich ist das 2001 bereits mit Weltmeisterlorbeer gekränzte Testastretta-Triebwerk, bisher der exklusiven »R«-Version vorbehalten, nun in weiteren Modellen zu haben. In Verbindung mit einem neuen Steuergerät des Motormanagements und einer geänderten Airbox sorgt es in allen drei Varianten für mehr Leistung. 123 PS sinds bei der 998, 136 beim der 998 S und 139 bei der R. Äußeres Erkennungsmerkmal der Neuen: die glattflächige Verkleidung.
Auf das probate Mittel eines jeden Modezaren, von Zeit zu Zeit auf Stilelemente vergangener Epochen zurückzugreifen, setzt Aprilia bei der Studie Blue Marlin. Auch wenn die Repräsentanten unermüdlich beteuern, dass es sich um einen reinen Prototyp handelt, dürfte auf dieser Basis das für 2003 erwartete Naked Bike entstehen. Ganz so radikal wie die Studie wird sich die Serienmaschine sicherlich nicht realisieren lassen leider, denn mit ihrer messerscharfen Linie avancierte die 1000 Blue Marlin zum umlagerten Star der Messe. Ursprung der Idee war das erste Motorrad des Aprilia-Chefs Ivano Beggio, eine Aprilia Colibri 50 aus den Sechzigern. Das Design entstand in Zusammenarbeit mit der französischen Firma Boxer Design, es rückt die essentiellen Bestandteile eines Motorrads in den Vordergrund: den Zweizylinder-Motor, den schmalen, unendlich langen Tank und kurze Lenkerstummel. Ähnlich waren die Sportmaschinen der siebziger Jahre gestrickt, man denke nur an die 750er-Sportmodelle von Ducati und Moto Guzzi.
Ganz real und schon im Frühjahr zu haben ist das 2002-Modell der YZF-R1. Bei der Erneuerung des sportlichen Flaggschiffs von Yamaha lautete die Devise offensichtlich »mehr Sein als Schein«. Die Front wirkt nahezu unverändert. Erst bei der Seitenansicht stechen vor allem der Tank und das kantige Heck mit neuem Rücklicht ins Auge. Hinter den Kunststoffteilen hat sich bis auf den Rumpfmotor beinahe alles geändert. Eine ähnlich wie bei den Suzuki-GSX-R-Modellen arbeitende Einspritzanlage sorgt für die Gemischaufbereitung. Ein unterdruckgesteuerter Schieber übernimmt wie beim Gleichdruckvergaser die Funktion der zweiten Drosselklappe. Zusätzlich soll ein System mit zwei Walzen im Sammler der Auspuffanlage das Drehmoment im unteren und mittleren Drehzahlbereich anheben. Dazu kommt ein geregelter Katalysator. Eine radikale Überarbeitung erfuhr das Fahrwerk mit dem 30 Prozent steiferen Rahmen, asymmetrischer Schwinge und Upside-down-Gabel mit nun 43 Millimetern Gleitrohrdurchmesser. Im Cockpit signalisiert ein Schaltblitz den optimalen Zeitpunkt für den Gangwechsel.
Die gleiche Strategie optisch dezente Retuschen, technisch völlig neue Konstruktion verfolgte Yamaha bei der TDM: auf 900 cm3 aufgebohrter Motor mit Einspritzung und geregeltem Katalysator, Sechsganggetriebe, Rahmen und Schwinge nun aus Aluminium, neue Räder und Bremsen.
Ebenfalls sehr intensiv hat Kawasaki den Tourensport-Oldie ZZ-R 1100 renoviert, der nun als 1200er Auferstehung feiert. Bisher liegen hierzu allerdings nur wenig Informationen vor. Der Motor basiert auf dem Antrieb der bewährten ZZ-R 1100 und wurde wie bereits vergangenes Jahr die ZRX mittels größerer Bohrung und mehr Hub auf 1164 cm3 aufgestockt. Zusammen mit neuen Vergasern soll das mehr Durchzug im unteren und mittleren Drehzahlbereich bringen. Rahmen und Schwinge sind neu, bei letzter werden einige ZZ-R-Fans vielleicht die praktischen Exzenter zur Einstellung der Kettenspannung vermissen. Für ein agileres Handling sorgt die geänderte Fahrwerksgeometrie. Die Sitzposition ist durch vorverlegte Fußrasten und den höheren Lenker etwas komfortabler als bislang ausgelegt.
Komfort war sicherlich auch das Ziel bei der neuen Zweizylinder-Enduro von Suzuki. Ihr eigentümlicher Name: DL 1000 V-Strom. Wobei laut Bert Poensgen von Suzuki Deutschland das V englisch auszusprechen ist, während Strom nichts anderes als das deutsche Wort bedeutet und entsprechend zu intonieren ist. Seis drum, was zählt, ist die Hardware. Der Motor stammt aus der TL 1000, seine Spritzigkeit ist legendär, Enduroqualitäten hat er in der Cagiva Navigator bewiesen. Die Einspritzanlage arbeitet mit zwei Drosselklappen, von denen eine per Gaszug, die zweite über einen Stellmotor betätigt wird. Dessen Steuerung übernimmt ein Motormanagment, das Stellung der Primär-Drosselklappe, Drehzahl und Gangstufe berücksichtigt. Entgegen bisherigen Annahmen haben die Japaner nun doch einen geregelten Kat eingebaut, zusätzlich ist sogar ein Sekundärluftsystem an Bord. Mit den blinzelnden Klarglas-Scheinwerfern, den kantigen Linien und dem aggressiven Bugspoiler besitzt die V-Strom im umkämpften Enduro-Segment ein eigenständiges Gesicht. Der Funbike-Charakter wird die Straßenbereifung auf 17 und 19 Zoll großen Gussrädern unterstrichen.
Einen ganz anderen Weg, nämlich den dornigen, steinigen, geht KTM mit der Zweizylinder-Enduro, die in Mailand in der knallharten Rallye-Version präsentiert wurde. Gegenüber dem vor einem Jahr gezeigten Prototyp, der wegen seines gewagten Designs allzu sehr polarisierte, haben die Österreicher noch einmal kräftig Hand angelegt. Das Kleid wirkt nun zwar unspektakulärer, aber unzweideutig sportlich. Und sicherlich wird es auch die straßentaugliche Version 950 Adventure ab Ende 2002 im gewohnten KTM-Orange geben. Die Frontpartie, etwa der 25-Liter-Tank und die Verkleidung, ist bei beiden Versionen gleich. Am Heck entfallen bei der Adventure freilich die Tanks des Wüstenschiffs, und die zwei Schalldämpfer werden nach oben verlegt.
Zielgruppe der Adventure sind Aufsteiger aus dem Bereich der Einzylinderenduros und die in den letzten Jahren stark gewachsene Fangemeinde der großen Reiseenduros wie BMW R 1150 GS oder Honda Varadero. Ein Trockengewicht von deutlich unter 200 Kilogramm ist erklärtes Ziel, das wären bis zu 50 Kilogramm weniger als bei der direkten Konkurrenz. Auch leistungsmäßig soll der kurzhubige 950er-V-Zwo mit über 100 PS top sein und in puncto Dynamik neue Maßstäbe setzen. KTM-Techniker sprechen von 93 Nm bei 3000/min, nur die 1150 cm3 große BMW kommt annähernd an diesen Wert heran. Zunächst soll die Adventure mit Vergasern, ungeregeltem Kat und Sekundärluftsystem kommen.
Wie leistungsfähig der Zweizylinder schon jetzt ist, will KTM bei den kommenden Rallyes beweisen, mangels Beteiligung anderer Werksteams leider nur im direkten Duell gegen die eigenen Einzylinder. Aber auch das verspricht Spannung, zumal es bei der Dakar-Rallye wohl kaum zu einem teaminternen Stillhalteabkommen im Interesse eines KTM-Siegs wie in der Vergangenheit kommen wird. Originalton von Sportchef Heinz Kinigadner: »Ab jetzt ist freies Blasen für alle angesagt.« Sicherlich der beste Härtetest vor dem Serienstart. Und so viel hat KTM gelernt: Der Spruch »Kleider machen Leute« gilt zwar auch für Motorräder, aber das Outfit muss eben doch zum Charakter passen.