Neuheiten Ducati, Kawasaki, Honda
Varieta italiana

Die Vielfalt italienischen Motorradbaus prägt diese Ausgabe von MOTORRAD. Durch die getesteten Maschinen, aber auch durch die hier folgenden Informationen, Spekulationen und Gerüchte über eine neue Ducati. Japanischen Perfektionismus wiederum zeigen die Visionen zweier neuer, sportlicher 600er von Kawasaki und Honda.

Varieta italiana
Foto: Retusche: Guerin

Lange hat MOTORRAD geschwiegen zur Nachfolgerin der Ducati 999. Weil man besser zuhören kann, wenn man selbst nichts sagt. Doch allmählich wird das Thema heiß, es ist Zeit, das Gehörte zu interpretieren und darzustellen. Den Ausgangspunkt bildet die Tatsache, dass die 999 nicht die Verkaufserfolge erzielen konnte, die Ducati dringend braucht.
Obwohl wesentliche Probleme der ersten Serie – lieblose Verarbeitung und anfällige Elektrik – seit dem Spätsommer 2004 abgestellt wurden, bleibt die Skepsis vieler potenzieller Kunden, insbesondere eingefleischter Ducatisti, gegenüber dem Design. So berichten Ducati-Händler, die Mehrzahl der 999-Käufer würde von anderen Marken umsteigen, während langjährige Anhänger der Marke lieber ihre 916, 996 oder 998 pflegten. Deren Kritik konzentriert sich auf zwei Bereiche, das Gesicht mit der vertikalen Anordnung der Scheinwerfer und den Auspufftopf. Er mag ein wichtiger Bestandteil der tadellosen Leistungscharakteristik sein, die den Testastretta-V2 auszeichnet, doch gesehen wird er als unförmiger Blechkasten, der an einem so sinnlichen Gerät wie einem italienischen Sportmotorrad nichts zu suchen hat.
Die Lösung heißt: volle Kraft zurück. Zurück zu zentralen Design-Merkmalen der ruhmreichen 916. Angeblich habe Ducati sogar bei Porsche angefragt, ob die Typenbezeichnung 917 geschützt sei, weil die Italiener so den Anschluss an die 916 signalisieren wollten, was Porsche jedoch nicht bestätigte. »Derzeit liegt keine solche Anfrage vor«, teilte ein Sprecher des Unternehmens MOTORRAD zu Anfang des Jahres mit, sagte damit jedoch nicht, was ein halbes Jahr früher vorgelegen haben mochte. Mittlerweile gilt ohnedies als sicher, dass das nächste Ducati-Flaggschiff wieder horizontal angeordnete Scheinwerfer bekommt – die jüngst präsentierte Desmosedici RR zeigt eine ansprechende Lösung – und dass die Schalldämpferanlage unter dem Heck der klassischen 916-Ansicht nachgebildet wird, wenngleich die Abgasführung selbst nach 999-Vorbild funktioniert.
Die Typenbezeichnung 917 hat sich erledigt zugunsten der traditionellen Angabe des Hubraums, von der Ducati bisher nur selten oder unwesentlich abgewichten ist. Zum Beispiel bei der 916 SPS, die eine 996er war und bei der 999 mit 998 cm3. Eine Einarmschwinge, der bei Erscheinen der 999 viele nachgeweint haben, wird die Neue wohl auch wieder haben. Zwar hat sich die kräftige Zqweiarmschwinge der 999 im rennsport bewährt, doch die Fans wünschen das spezielle Design der einarmigen Radaufhängung.
Bleibt die Frage, wie groß der namensgebende Hubraum ausfallen wird. Größer als ein Liter, das pfeifen die Spatzen schon von den Dächern, und selbst Ducati-Oberspatz Domenicali hat es im Interview mit MOTORRAD (siehe Heft 3/2006) bereits angedeutet. Zu groß wird die Werbewirksamkeit von Leistungen um 160 PS eingeschätzt und zu groß der Aufwand, sie mit 1000 cm3 zu erreichen, um bei diesem traditionellen Maß zu bleiben. Die auf der Computerretusche verzeichneten 1200 cm3 markieren allerdings die obere Grenze; sie wären ohne Vergrößerung der Bohrung sowie des Hubs und damit aufwendige Umkonstruktionen eh nicht möglich.
Wahrscheinlicher ist es, die Bohrung des Superbike-Basismodells 999 R (104 Millimeter) mit der alten 996-Kurbelwelle von 66 Millimeter Hub zu kombinieren. Deren Rohlinge müssten dann freilich nach dem Muster der Standard-999-Welle bearbeitet werden, die in Sachen Gewichts-/Schwungmassenrelation sowie Strömungsdynamik zum Modernsten und Feinsten gehört, was Ducati anbietet. 1121 cm3 wären mit dieser Kombination möglich, die Leistung könnte analog um etwa 12 Prozent steigen. Ausgehend von den 147 PS einer 999 R also auf rund 165 PS. Denkbar ist freilich noch eine andere Variante, nämlich die 999-Kurbelwelle und Zylinder mit 105 Millimeter Durchmesser. Dies entspräche dem anhaltenden Trend zu größeren Bohrungen und also weiteren Kanalquerschnitten, würde aber nur 1099 cm3 bringen. Spätestens auf der Intermot in Köln wird das Geheimnis gelüftet.
Während Ducati den Hubraum vermutlich um die zuerst genannten zwölf Prozent aufstockt, reduziert Kawasaki ihn um sechs Prozent. Bei der ZX-6R nämlich, deren nächster Modelljahrgang im September dieses Jahres mit 600 cm3 präsentiert wird. So angenehm die Leistungscharakteristik der 636er-Motoren für die Kunden bisher war, so aufwendig war es andererseits für die Ingenieure, stets zwei Triebwerke – die 636er für den zivilen Gebrauch und einen 600er als Supersport-Basistriebwerk – entwickeln zu müssen. Denn trotz minimaler Hubraum-Unterschiede entpuppte es sich als schwierig, beide Motoren für ihren jeweiligen Einsatzzweck zu optimieren. Falls es weiterhin ZX-6R und ZX-6RR nebeneinander geben wird, erhalten diese zumindest den selben Vierzylinder.
Höchstwahrscheinlich wird Kawasaki den Modellwechsel nutzen, um ihn deutlich leichter und kompakter zu machen, nach dem bei der ersten Auflage der ZX-10R mit Erfolg erprobten Muster (siehe Dauertest auf Seite 44f.). Die Wandstärken des Gehäuses werden optimiert, können folglich in vielen Bereichen dünner ausfallen, die Zylinder näher zueinander rücken, bei den Nebenaggregaten wie der Lichtmaschine werden die neuesten Miniaturisierungserfolge genutzt, also das ganze Spektrum ausgeschöpft.
Wie in letzter Zeit so häufig bei der Annäherung an neue Motorräder drängt sich die Frage nach der Auspuffkonfiguration auf. Sie ist ein auffälliges Designmerkmal und wegen der obligaten Euro-3-Homologation auch technisch eminent wichtig. Zu diesem Thema hätte Kawasaki eine interessante Variante zu bieten, nämlich eine Replika des MotoGP-Auspuffsystems mit zwei kurzen seitlich mündenden Schalldämpfern. Ob die Chefs den Mut für eine solche Lösung finden?
Wer die Rennerfolge auf sich wirken lässt, dürft für tief greifende Veränderungen wohl eher keien Handlungsbedarf sehen. Im Alltag jedoch agiert die 600er nicht ganz so glanzvoll wie mit den raffiniert entwickelten Supersport-Rennkits, fehlt es ihr sowohl im mittleren Bereich wie auch oben etwas an Druck. Hinzu kommt, dass die japanischen Hersteller sich bei den Supersportlern einem strengen zweijährigen Modellwechselzyklus verschrieben haben und einmal mehr Euro-3. Es stehen also Veränderungen an bei der »kleinen« CBR.
Sie werden mit Sicherheit nicht radikal ausfallen und sich auch weniger um das ohnehin schon ausgezeichnete Fahrwerk kümmern. Aber wie beim letzten Update der Fireblade dürften für die CBR 600 RR höhere Drehzahlen freigegeben werden, entsprechend wird auch die Leistung steigen. Um die 113 PS in der Spitze leistet das aktuelle Modell, knapp unter 120 echte PS wären wünschenswert. Am grundsätzlichen Layout der Underseat-Auspuffanlage braucht dafür nichts geändert werden, die Motorenentwickler indes müssen deutlich mehr Katalysator- und Dämpfervolumen unterbringen. Deshalb hat der Autor der oben stehenden Computerretusche unter der Sitzbank einen kastenförmigen Vorschalldämpfer vorgesehen. In Sachen Ausstattung stehen der elektrisch gesteuerte Lenkungsdämpfer der Fireblade und eine Anti-Hopping-Kupplung – Honda wäre der letzte Hersteller, der seiner 600er eine spendiert – ganz oben auf der Wunschliste der Fans.

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MOTORRAD 20 / 2023

Erscheinungsdatum 15.09.2023