Die ersten Fotos der S 1000 RR bestätigen, was Erlkönigfotos bereits gezeigt haben: Das zierliche Motorrad folgt weitgehend den von den vier großen japanischen Herstellern in jahrzehntelanger Evolution entwickelten Mustern. Dazu gehört ein Leichtmetall-Brückenrahmen aus dünnwandigen Gussteilen, ein quer und relativ hoch eingebauter Vierzylinder-Reihenmotor mit kompaktem Getriebe, dessen Wellen übereinander angeordnet sind.
Das schafft eine kurze Motor-Getriebe-Einheit und ermöglicht eine lange Schwinge, ohne dass der Radstand gezwungenermaßen lang ausfallen müsste. Eine lange Schwinge ist deshalb erstrebenswert, weil sie den Einfluss des Kettenzugs auf die Federung vermindert. In welche Richtung er wirkt, lässt sich durch die Lage der Schwingenachse beeinflussen, deshalb erhält die S 1000 RR zur Feinabstimmung für den Rennbetrieb eine variable Achse. Auffällig ist der weite Einstellbereich des Kettenspanners, der es erlaubt, den Radstand zu variieren.
Die stämmige Telegabel und das Federbein, beide vielfach einstellbar, stammen von Sachs, ein Lenkungsdämpfer, sofern vorhanden, wird zumindest gut versteckt. Dass er sich wie bei der Honda CBR 600 RR oder Fireblade unter der Abdeckung vor dem Tankstutzen verbirgt, ist kaum wahrscheinlich. Der Raum zwischen Lenkkopf und Tank gehört wohl zur Gänze der Airbox, die ihre Ansaugluft durch eine zentrale Hutze und darauf deutet die Form der seitlichen Abdeckungen hin seitliche Kanäle zugeführt bekommt. Radial verschraubte Monobloc-Bremszangen von Brembo gehören zur Standardausrüstung europäischer Supersportler, die Aufnahme der Bremsscheiben im Drehzentrum des Vorderrads ist eine BMW-Spezialität. Wie bei den Boxer-Modellen sitzen sie direkt auf filigranen Gussstreben und sparen so das Gewicht der Adapterscheiben und Schrauben ein. Das angegebene Trockengewicht von 183 Kilogramm passt zu einer früheren Angabe von unter 204 Kilo vollgetankt und befindet sich ebenfalls auf dem Niveau der Konkurrenz. Nur die Honda Fireblade ohne ABS ist mit 200 Kilogramm deutlich leichter.
Technische Ausstattung
Einen Sonderweg beschreitet BMW in Sachen Ventilbetätigung. Wie bei den astronomisch hoch drehenden Formel-1-Motoren (bis 19000/min) üblich, setzen die bayrischen Motorenbauer beim Vierzylinder der S 1000 RR auf kleine Schlepphebel zwischen Nocken und Ventilschaft, während die Japan-Vierzylinder ihre Ventile traditionellerweise über Tassenstößel aufdrücken lassen sie heißen so, weil sie wie eine umgedrehte Tasse über den Ventilschaft gestülpt werden. Im Vergleich sind Schlepphebel deutlich leichter, außerdem bewegen sie sich mit geringerer Reibung, weil sie nicht wie die Tassenstößel eine relativ enge Führung brauchen. Aufgrund dieser Vorteile ermöglichen sie bei entsprechender Form, Hebellänge und Nockenprofil höhere Ventilbeschleunigungen und damit schärfere Steuerzeiten als Tassenstößel.
Die Schlepphebel sind also eine Voraussetzung für eine gute Füllung und mithin eine hohe Leistung bei den beeindruckenden Drehzahlen, die der 1000er erreicht. Über 14000/min laut BMW-Chef von Kuenheim, eine andere Quelle präzisiert: maximal 14500/min, wobei noch etwas Luft nach oben herrsche. Zieht man die Voreilung der Drehzahlmesser ab, erreicht kein japanischer Vierzylinder der Saison 2008 diesen Wert; der Honda-Motor riegelt bei echten 13400/min ab, Yamaha nahm beim Wechsel vom Fünf- auf den Vierventilkopf im R1-Motor die Spitzendrehzahl von 13700 auf 13200/min zurück. Die Maximaldrehzahlen der kurzhubiger gewordenen 2009er-Motoren von Suzuki und Yamaha sind noch nicht bekannt.
Geheim gehalten wird vorerst auch das Bohrung-Hub-Verhältnis des neuen BMW- Vierzylinders. Der derzeit genutzte Bereich liegt zwischen den 73,4/59 Millimetern des eben in Rente gegangenen Suzuki-Motors und den extremen 88/40,7 des Ducati-Vierzylinders in der Desmosedici RR. Als kurzhubigster japanischer Motor weist das 2009er-R1-Triebwerk 78/52,2 Millimeter auf. Angesichts der kolportierten Drehzahlen liegt die Vermutung nahe, dass der BMW-Motor auf 80/49,7 kommt. Das liegt nicht allzu weit daneben, so der Kommentar zu diesem Wert. 80 Millimeter Bohrung besitzen zwar auch die neuen K-1300-Modelle, die Kolben der S 1000 RR stammen jedoch von einem anderen Zulieferer. Sie müssen, um den Klassenstandard zu erreichen, rund 35 Gramm leichter sein als die K-1300-Teile, die inklusive Bolzen und Ringen 289 Gramm pro Stück wiegen. Einen neuen Standard setzt die optionale Ausstattung des Supersportlers. Sie umfasst neben einem Schaltautomaten ein Elektronikpaket, bestehend aus einem vierstufig einstellbaren ABS und einer Traktionskontrolle. Was die Extras kosten, gibt BMW noch nicht bekannt, der Grundpreis der S 1000 RR beträgt 15150 Euro, 255 Euro teurer als die neue Yamaha YZF-R1.
Interview: Hendrik von Kuenheim, Chef von BMW Motorrad - "Maximale Leistung im Spitzenfeld des Wettbewerbs"
Zum Serienanlauf der S 1000 RR spricht Hendrik von Kuenheim, Chef von BMW Motorrad, über konventionelle und innovative Technikdetails des Supersportlers sowie dessen Stellung innerhalb des stark erweiterten BMW-Modellprogramms.

Herr von Kuenheim, die BMW S 1000 RR folgt technisch weitgehend der japanischen Schule. Eines der Unterscheidungs-merkmale bildet die Ventilbetätigung über Schlepphebel, darüber hinaus gibt es Gerüchte über einen sehr kurzen Hub. Wie ist denn nun das Bohrung-Hub-Verhältnis, und schafft die S wirklich eine Spitzendrehzahl von 14000/min?
Unser Supersportler basiert auf dem am besten geeigneten Grundkonzept. Der Reihen-Vierzylinder erfüllt die gestellten Anforderungen an Leistung, Gewicht und Package dabei mit Abstand am besten. Das Bohrung-Hub-Verhältnis geht in Richtung kurzer Hub. Ich kann Ihnen verraten, dass der völlig neu entwickelte Vierzylinder-Motor noch höhere Drehzahlen als 14000/min schafft. Die Ventile werden über sehr kleine, kompakte und leichte Schlepphebel betätigt. Ihre Dimensionen liegen auf Formel-1-Niveau. Diese Konstruktion ermöglicht die sehr hohen Drehzahlen.
Ist es richtig, dass die homologierte Spitzenleistung 192 PS betragen wird?
Soviel ich weiß, haben wir eine andere Leistung homologiert. Aber Spaß beiseite, wir werden bei der maximalen Leistung im Spitzenfeld des Wettbewerbs liegen.
Wie viele S 1000 RR sollen in den Jahren 2009 und 2010 gebaut werden?
In diesem Jahr werden wir auf jeden Fall mehr Fahrzeuge bauen, als die Homologation für die Superbike-WM vorschreibt. Wie viele es ab 2010 sein werden, hängt natürlich von der Nachfrage auf den Märkten ab.
Es liegt auf der Hand, dass die S 1000 RR für BMW neue Kundenkreise erschließen soll. Welchen Anteil am Verkauf wird sie in den nächsten fünf Jahren erreichen?
Das Supersportsegment ist in den letzten Jahren kontinuierlich gewachsen. Es sind weltweit um die 220000 Motorräder über 500 Kubik, die in diesem Segment abgesetzt werden. Der Markt teilt sich etwa hälftig in 600er und 1000er. Von dem etwa 100000 Stück großen Kuchen der Ein-Liter-Klasse wollen wir uns ein Stück abschneiden und uns ein weiteres starkes Standbein aufbauen.
Wie könnte die S 1000 RR eingefleischte Honda-, Kawasaki-, Suzuki- und Yamaha-Fahrer locken? Was ist ihr Alleinstellungsmerkmal?
Als Latecomer in diesem Segment werden wir ein Motorrad hinstellen, das technologisch auf Augenhöhe mit dem Wettbewerb ist. Zehn PS weniger und zehn Kilo mehr Gewicht bringen da keinen Erfolg. Wir sind gleich gut oder vielleicht sogar besser als das Referenzmodell in der Klasse. Leistung, Leistungsentfaltung, Gewicht und Handling liegen auf Top-Niveau. Das Design unserer 1000er nimmt zwar die Formensprache des Segments auf, repräsentiert aber gleichzeitig unverkennbar die Marke BMW. Deshalb bin ich absolut überzeugt, dass wir mit unserem neuen Supersportler den Nerv der Kunden treffen werden. Er wird sowohl auf der Straße als auch auf der Rennstrecke begeistern!
Die S 1000 RR kann ab sofort bei den Händlern bestellt werden. Also müssten die Preise für die Sonderausstattungen wie ABS, Traktionskontrolle und den Schaltautomaten schon feststehen. Wie lauten sie?
Die Homologation für die Superbike-WM schreibt vor, dass das Motorrad bestellbar ist. Unsere Händler wurden deshalb über den Basispreis der S 1000 RR informiert. Die Preise zu den Sonderausstattungen haben wir noch nicht festgelegt und werden sie spätestens im Frühsommer zur Vorstellung des Motorrads bekannt geben.
Das ABS ist vierfach einstellbar. Was bewirken die verschiedenen Stufen?
Ich möchte zu dem Bereich Regelsysteme keine weiteren Details verraten. Für unterschiedliche Einsatzgebiete verfügt die S 1000 RR über spezifische Abstimmungen. Wir werden mit diesem neuen System unsere Vorreiterrolle erneut unter Beweis stellen.
Leserbriefe an MOTORRAD berichten von Befürchtungen treuer BMW-Kunden, die Alltags- und Touringqualitäten der Motorräder würden künftig unter dem Supersport-Engagement und den Offroad-Aktivitäten leiden. Wie ist Ihr Kommentar dazu?
Unsere Stammkunden kann ich beruhigen. Enduros und Tourenmotorräder bleiben die starken Säulen unseres Geschäfts. Sowohl bei den Boxer-Modellen als auch bei den Top-Modellen mit Reihenmotoren arbeiten wir schon heute an sehr attraktiven Neuheiten, die in einigen Jahren auf die Straße kommen.
Die Kooperation von BMW mit dem chinesischen Hersteller Loncin macht eine 125er-BMW wahrscheinlicher denn je. Vielleicht sogar mit Anklängen an die S 1000, ähnlich der sehr erfolgreichen Yamaha YZF-R 125.
Eine 125er-BMW ist für uns kein Thema. Eine 125er-Supermoto für 16-Jährige bietet unsere zweite Motorrad-Marke Husqvarna an.