Künftig machen wohl nur noch jene Hersteller gute Geschäfte, die ihre supersportlichen Bikes mit ausgeklügelten elektronischen Fahrhilfen ausrüsten. Aprilia setzt voll auf diesen Trend und spendiert der RSV4 Factory reichlich innovative Elektronik.
Künftig machen wohl nur noch jene Hersteller gute Geschäfte, die ihre supersportlichen Bikes mit ausgeklügelten elektronischen Fahrhilfen ausrüsten. Aprilia setzt voll auf diesen Trend und spendiert der RSV4 Factory reichlich innovative Elektronik.
Der Puls rast. Bei stehender Maschine und eingelegtem erstem Gang wandert der Gashahn auf Anschlag. Das kostet Überwindung, denn normalerweise jodeln Motoren bei dieser Aktion gnadenlos in den Begrenzer. Doch die neue Aprilia RSV 4 Factory APRC Special Edition (welch ein Name!) bietet mit der sogenannten Launch Control ein elektronisches Feature, das im aktivierten Zustand perfekte Rennstarts ermöglichen soll. Trotz voll gespannten Kabels dreht die Italienerin im Stand nun maximal zwischen 10 000 und 11 000/min - offenbar die ideale Startdrehzahl. Bei komplett geöffneter Brause langsam einkuppeln, los geht‘s. Gleichmäßig und mit beiden Rädern am Boden zieht die Fuhre los. Bei zu schnellem Einkuppeln fällt die Drehzahl allerdings leistungsmordend in den Keller, nach wie vor dosiert der Pilot die Kraftübertragung mit dem Kupplungshebel selbst. Während der Präsentation auf dem Rundkurs von Jerez durften die Tester lediglich die beiden letzten, relativ zahmen Stufen zwei und drei ausprobieren. Sie begrenzen das Drehmoment beim Losfahren recht deutlich; geübte Starter vermissen auf den ersten Metern etwas Punch. Ein Test der schärfsten Stufe eins folgt. Versprochen!
Hinter dem Kürzel APRC (Aprilia Performance Ride Control) steckt ein umfassendes Elektronikpaket, das außer der Launch Control (ALC) den Schaltautomaten AQS (Aprilia Quickshifter), die Anti Wheelie Control (AWC) sowie die Traktionskontrolle ATC beinhaltet. Fehlt nur noch das ABS. "Wir arbeiten daran", so Aprilia-Produktmanager Francesco Polimeni, "spätestens 2012 rüsten wir die RSV4 damit aus."
Bis dahin dürfen sich Fans zünftigen Rennstreckenkreiselns mit der Traktionskontrolle austoben, die den Kern des APRC ausmacht. Acht Stufen bietet die Schlupfregelung. Vollprofis stellen sie auf Position eins, Pussys auf acht. Mittels zweier Bedienknöpfe am linken Lenkergriff geht der Wechsel auch während der Fahrt easy vonstatten. Nach einigen Runden kristallisiert sich Stufe vier als gute Basis für Helden-taten heraus. Hier regelt die Traktionskon-trolle nicht zu spät und ermöglicht es auch vorsichtigen Naturen, sich an die Rutschgrenze heranzutasten. Wie weit das physikalische Limit vom eigenen entfernt ist, versetzt selbst geübte Hobbyisten immer wieder in Staunen: Wahnsinn, welche Beschleunigung in Schräglage möglich ist! Mit steigendem Mut muss der Pilot das Bike am Kurvenausgang auf immer engere Linien dirigieren und benötigt vermehrten Krafteinsatz, da der satte Vortrieb die Fuhre vehement Richtung Curbs treibt.
Passt Stufe vier für schnelle Ecken, so regelt die ATC in Erste-Gang-Kurven in dieser Position einen Hauch zu früh. Die Abstimmung trägt der höheren Zugkraft am Hinterrad in den unteren Gängen Rechnung und nimmt früh Power aus dem Antrieb. Auf Position drei folgen selbst bei höheren Geschwindigkeiten die ersten Rutscher. Theoretisch sollte das patentierte System sanfte, kontrollierbare Slides zulassen, in der Praxis überraschte die Traktionskontrolle jedoch teils mit unverhofftem Ausbrechen des Hinterrads. Hier gilt einmal mehr das Gebot, sich behutsam auf das System einzuschießen.
Ein klarer Vorteil der ATC besteht darin, dass sie sich selbstlernend auf unterschiedliche Sekundärübersetzungen sowie verschiedene Reifen-Abrollumfänge einstellen kann. Sicherlich kalibrierte Aprilia das System auf diese Weise auf den Pirelli Diablo Supercorsa SP, der in neuen Größen an den Start rollt. Die hintere Walze prahlt mit fetter 200/55er-Dimension und bietet dank größerer Auflagefläche mehr Grip. Den größeren Durchmesser gleicht Pirelli mit dem Vorderreifen in Sonderspezifikation "C" aus, der ebenfalls einen etwas größeren Abrollumfang aufweist. Erstmals verpassen die Reifenbäcker zudem dem hinteren Gummi in der Reifenmitte eine andere Mischung als an den Flanken. Den Vorderreifen gibt es wie gehabt lediglich als Mono-Compound, also in einer Mischung. Trotz fetter hinterer Schluffe büßt die rassige Italienerin nur wenig an Handlichkeit ein, noch immer bildet die RSV4 in dieser Disziplin sowie in Sachen Zielgenauigkeit den Maßstab bei den Superbikes.
Auf den Geraden kommt die Anti Wheelie Control zum Einsatz. Je nach gewähltem Modus lässt sie ein mehr oder weniger steigendes Vorderrad zu. Wie die Traktionskontrolle unterstützt die AWC den Piloten bei flotten Rundenzeiten, eine Anti-Überschlag-Funktion bei wild provozierten Wheelies bietet sie aber nicht. Jedes System der APRC ist unabhängig voneinander justier- und aktivierbar. Mit der "Special Edition" in edler Dreifarblackierung und spezieller Beklebung feiert Aprilia den Gewinn der Superbike-WM 2010. Der 22 490 Euro teure Renner steht ab sofort bei den Händlern.
Fazit: Gut gemacht, Aprilia! Die elektronischen Assistenzsysteme der Factory überzeugen, mit ihnen können sich Hobbyisten erstklassig ans Limit tasten. Gleichwohl darf sich der Pilot nie in absoluter Sicherheit wiegen, Feingefühl bleibt weiterhin gefragt.
Antrieb:
Vierzylinder-65-Grad-V-Motor, 4 Ventile/Zylinder, 132 kW (180 PS) bei 12 250/min*, 115 Nm bei 10 000/min*, 1000 cm3, Bohrung/Hub: 78,0/52,3 mm, Verdichtung: 13,0:1, Zünd-/Einspritzanlage, 48-mm-Drosselklappen, mechanisch betätigte Mehrscheiben-Ölbad-Anti-Hopping-Kupplung, Sechsganggetriebe
Fahrwerk:
Leichtmetall-Brückenrahmen, Lenkkopfwinkel: 65,5 Grad, Nachlauf: 105 mm, Radstand: 1420 mm, Ø Gabelinnenrohr: 43 mm, Federweg v./h.: 120/130 mm
Räder und Bremsen:
Leichtmetall-Schmiederäder, 3.50 x 17"/6.00 x 17", Reifen vorn: 120/70 ZR 17, hinten: 200/55 ZR 17, 320-mm-Doppelscheibenbremse mit radial angeschlagenen Vierkolben-Festsätteln vorn, 220-mm-Einzelscheibenbremse mit Zweikolben-Festsattel hinten
Gewicht vollgetankt: 204 kg*, Tankinhalt/davon Reserve: 17/4 Liter Super
Grundpreis: 22 490 Euro (inkl. Nk)