Premiere: BMW S 1000 RR

Premiere BMW S 1000 RR

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Genervt haben sie einen, die BMW-Strategen. Hinz und Kunz fuhren mit der BMW S 1000 RR "Dauererprobung", in IDM und Superbike-WM war sie am Start, aber Kunden und Tester schauten in die Röhre. Und jetzt das!

BMW S 1000 RR BMW

Alles wird gut! Wirklich, glaub mir, alles wird gut! Das muss jetzt aber auch wirklich alles gut werden! Bratpfannengroße Augen, Pressatmung und Pobacken, so eng zusammengekniffen, dass eine dazwischen geklemmte Münze ihre Prägung verlieren würde, sorgen für die passenden körperlichen Begleiterscheinungen dieser Gedanken und des unglaublichen Adrenalinschubs im Körper. "Kleinhirn an Großhirn: Das geht doch nicht gut..." Uaaah, und es geht doch!

Sekundenbruchteile vor diesem wirklich sehr intensiven Erlebnis brannte die BMW S 1000 RR im sechsten Gang mit voll geöffneten 48-Millimeter-Drosselklappen weit im fünfstelligen Bereich drehend die Start-Ziel-Gerade der portugiesischen Achterbahn zu Portimão entlang, der tückisch abfallenden Bremszone vor dem ersten, sehr schnellen Rechtsbogen entgegen. Und da muss dann auch wirklich alles gut werden! Mit leicht tänzelndem Hintern und massivem Druck auf dem Vorderrad hurtig in den zweiten Gang runtersteppen, die inneren Curbs anpeilen, Bremse langsam lösen und spät einlenken. Um einen Wimpernschlag später nach dem Scheitelpunkt wieder optimal bis zu den Außencurbs hinausgetragen zu werden. Auf dem Weg dorthin wird das E-Gas beherzt geöffnet, direkt am Scheitel des folgenden Rechtsbogens der Dritte nachgelegt und voll aufgezogen.

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Die S 1000 RR ist ein graziles, sehr handliches und auf der Rennstrecke – trotz ihrer spitzen Leistungsentwicklung – von Laien wie Profis gut beherrschbares Motorrad.

Wer weiß, dass der erste Gang des Bayern-Brenners bis 140 km/h übersetzt ist, kann sich ausmalen, wie schnell diese Passage durchflogen wird. Völlig unbeeindruckt von diesem psychischen wie fahrdynamischen Premium-Vorgang zeigen sich Bremse und Fahrwerk. Okay, die Serienabstimmung der Gabel ist alltagsfreundlich ausgelegt, weshalb die Front der Beamer tief eintaucht, doch ein Durchschlagen bei den harten Bremsattacken war nie zu spüren. Selbst bei gezogener Bremse ließ sich die S 1000 RR noch zielgenau und leicht dirigieren. Stellte sich weder auf noch klappte sie nach dem Lösen der Stopper unvermittelt auf eine engere Linie ab. Applaus, die Abstimmug der Federelemente und die Geometrie des Chassis sind hinsichtlich des Handlings, der Kurvenstabilität und des Feedbacks wirklich geglückt.

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Die 320-mm-Scheiben sorgen mit und ohne ABS für eine sehr gute Verzögerung.

Einzig die vordere Bremse ist mit einer kleinen unangenehmen Eigenheit behaftet. Sie lässt während der ersten zwei Runden den Druckpunkt etwas Richtung Gasgriff wandern, bleibt dann aber stabil. Auf der Rennstrecke muss der Bremshebel folglich vor der Abfahrt etwas weiter weg gestellt werden, um ihn ab Runde drei dann in der richtigen Distanz zu haben. Dass einen in der heißen Phase des Ritts das momentan beste käufliche ABS-System unterstützt, ermutigt zu immer später gewählten Bremspunkten, die für wahre Adrenalin-Tsunamis in den Adern sorgen.

Eine dicke Welle macht auch der kurzhubigste aller 1000er-Motoren, welcher im schmalen Alu-Brückenrahmen selbstlos eine tragende Aufgabe übernimmt. Er drückt glaubhafte 193 PS bei 13000/min und benimmt sich vibrationsmäßig trotz fehlender Ausgleichswelle sehr manierlich. Dank seinem nur 47,2 Millimeter kurzen Hub und der gewaltigen 80 Millimeter großen Zylinderbohrung übernehmen einlassseitig 33,5 und auslassseitig 27,2 Millimeter messende Titan-Ventile die Fütte-rung der vier Brennräume. BMW-typische Schlepphebel regeln deren mechanische Steuerung. Den Rest der Beschickung erledigen acht Einspritzdüsen und die quasi allumfassende Elektronik der S. Egal, ob zylinderselektive Klopfregelung, die Berechnung der Einspritzmengen und -dauer, das Anheben der aufgesetzten Saugrohrtrichter im Luftfilterkasten oder die Umsetzung der Gasbefehle des Fahrers, alles kontrolliert, dosiert und manipuliert der Bordrechner.

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ABS und Trak­tionskontrolle lassen sich per Knopfdruck abschalten.

Und er macht seine Sache gut, schließlich regelt er zusätzlich die Traktionskontrolle DTC (ausfpreispflichtig) und hält so die wilde Leistungsentfaltung des drehzahlorientierten, bayrischen Kraftprotzes unter Kontrolle. Jawohl, der Beamer-Motor geht unten herum sehr zivil, zieht ab 3000 Touren im letzten Gang tapfer voran, wird ab 6000 lebendig, bei 7500/min sportlich und ab 11000 Umdrehungen ein Heißsporn. Auf der Rennstrecke klasse, wenn man sich nach ein paar Turns daran gewöhnt hat. Doch leichte Bedenken melden sich bereits hinsichtlich des Landstraßenbetriebs. Stellt sich die Frage, ob dort für standesgemäße Fortbewegung Drehzahlen bis 11000/min reichen und wie stark sich die auf der Rennstrecke nur leichten, aber vorhandenen Lastwechselreaktionen und die direkte Gasannahme in Szene setzen.

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Alles drin, alles dran und gut ablesbar. Das Kombiinstrument ist sehr informativ und übersichtlich gehalten.

Doch bleiben wir bei der hervorragenden Elektronik der S 1000 RR. BMW offeriert dem Piloten vier verschiedene Fahr-Modi, zwischen denen er frei wählen kann.Jeder Modus beeinflusst dabei ABS und DTC (soweit beides vorhanden - eine dringende Empfehlung) abhänging von einander. Der "Rain"-Modus: Reduziert die Leistung auf 150 PS, sorgt für sanftes Ansprechverhalten und lässt die DTC weit vor dem Erreichen der Haftgrenze regeln. Der "Sport"-Modus: Gibt die volle Leistung frei, das Ansprechverhalten wird direkter, die DTC regelt aber immer noch sehr früh. Der "Race"-Modus: Hier beginnt der wenig reglementierte Fahrspaß. Volle Power, direktes, knackiges Ansprechen des Motors und ein spätes Eingreifen der DTC erlaubt ein sicheres, kaum beschränktes Ausquetschen moderner, straßenzugelassener Sportbereifung. Regelt die DTC jetzt, wird es auch langsam wirklich Zeit dafür. Der "Slick"-Modus: Wird erst aktiv, wenn eine Steckverbindung unter der Sitzbank aktiviert wird. Maximales Brennen bei maximaler Sicherheit ist nun angesagt. Und dank der modernen Elektronik sind in "Race" und "Slick" sogar Stoppies, Anbremsdrifts und fette Wheelies möglich.

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Sieht aus wie ein Kunstwerk aus schmelzendem Eis. Das Rücklicht ist nur eines der vielen gefälligen BMW-Details.

Und sonst? Für Fahrspaß ist dank einem starken Motor und dem tollen Chassis mit sehr guten Dämpfungselementen gesorgt. Bleibt nur noch die Frage nach der Unterbringung des Piloten. Nun, auch die ist fast BMW-typisch dem Einsatzzweck entsprechend top. Lediglich der Windschutz fällt etwas dürftig aus.

Fazit: Bang, Boom, Bang! BMW ist mit der S 1000 RR definitiv eine Punktlandung im Kreis der etablierten Mitbewerber gelungen. Und noch viel mehr, denn ein sporttauglicheres ABS-System und eine bessere Traktionskontrolle bietet derzeit kein anderer Motorradhersteller auf dem gesamten Markt.

Technische Daten

BMW
Die hübsche Motorsport-Lackierung kostet gegenüber den Uni-Lack-Versionen 415 Euro Aufpreis.

Antrieb:
Vierzylinder-Reihenmotor, 4 Ventile/Zylinder, 142 kW (193 PS) bei 13000/min, 112 Nm bei 9750/min, 999 cm3, Bohrung/Hub: 80,0/ 49,7 mm, Verdichtung: 13,0:1, Zünd-/Einspritzanlage, 48-mm-Drosselklappen, mechanisch betätigte Mehrscheiben-Anti-Hopping-Ölbadkupplung, G-Kat, Kette

Fahrwerk:
Leichtmetall-Brückenrahmen, Lenkkopfwinkel: 66,1 Grad, Nachlauf: 96 mm, Radstand: 1432 mm, Ø Gabelinnenrohr: 46 mm, Federweg v./h.: 120/130 mm

Räder und Bremsen:
Leichtmetall-Gussräder, 3.50 x 17"/6.00 x 17", Reifen vorn: 120/70 ZR 17, hinten: 190/55 ZR 17, 320-mm-Doppelscheibenbremse mit Vierkolben-Festsätteln vorn, 220-mm-Einzelscheibenbremse mit Einkolben-Schwimmsattel hinten

Gewicht (vollgetankt):
204 kg*, mit ABS 206,5 kg* Tankinhalt: 17,5 Liter Super

Grundpreis:

15150 Euro (zzgl. Nk), ABS 915 Euro, ABS+DTC 1220 Euro, Schaltautomat 360 Euro

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