2009 zog MOTORRAD den Nietenpokal im Beschleunigungs-Duell. Auf der Viertelmeile von einem 1973er-VW-Käfer gebürstet. Wer hat bei der Revanche die Nase vorn?
2009 zog MOTORRAD den Nietenpokal im Beschleunigungs-Duell. Auf der Viertelmeile von einem 1973er-VW-Käfer gebürstet. Wer hat bei der Revanche die Nase vorn?
Wer erinnert sich nicht an das unglaubliche Sprintduell 2009? Auf der ehemaligen US-Airbase in Bitburg forderte Thomas Kemp mit seinem optisch harmlosen, technisch aber extrem heissen VW Käfer MOTORRAD über die Quartermile heraus. Quartermile heisst: Ampel auf Grün, Feuer frei, und gewonnen hat, wer als Erster die finale Marke nach 402,34 Metern erreicht. Einfach, klar, übersichtlich - eben Dragster-Sport.
Die Redaktion nahm die Herausforderung siegesgewiss an und setzte auf den Beschleunigungskracher der Saison, eine serienmäßige Yamaha Vmax. Und mit Testfahrer Karsten Schwers schickte die Redaktion den absoluten Beschleunigungs-Profi. Was sollte da noch schief gehen? Tat es aber doch. Denn auch wenn die Yamaha-Dschunke beim Ampelstart fast alles niederwalzt, was zwei Räder hat, für den Wunderkäfer reichte es weder vorn (Achtung, Ampel) noch hinten (Hoppla, Zielstrich). Eine peinliche Schlappe für die Zweiradzunft. Eingedost von einem VW Käfer!
Aber, Lebbe geht weiter! Nach der Schockstarre wurde den beteiligten Beschleunigungsexperten der Redaktion schnell klar, dass nur eine Revanche den ruinierten Ruf wieder halbwegs retten kann. Also zunächst einmal nüchtern analysieren, warum die Sache überhaupt in die Hose ging. Klar, der Grip war ein Problem. Und das Gewicht, Es musste ein leichterer, aber keineswegs schwächerer Hobel her. Was lag also näher, als den Überflieger der Saison 2010 zu nehmen? BMW S 1000 RR, 200 PS, 210 Kilogramm. Das deutliche Mehr an Pferdestärken und das Weniger an Gewicht dieses Weißwurst-Expresses sollte den Käfer locker hinrichten.
Trotzdem, Vorsicht ist die Mutter der Porzellankiste. Also vertiefte sich Top-Tester Karsten Schwers in Messprotokolle und Excel-Dateien. 400 Meter misst MOTORRAD normalerweise zwar nicht, aber Karsten filterte aus dem Datenwust Werte um die 10,2 Sekunden für die serienmäßige S 1000 RR heraus. Zur Erinnerung: 10,35 hatte der Käfer 2009 vorgelegt. Den "Käfertrick" hatte Karsten ohnehin durchschaut. Das sind die ersten Meter. Wie bei diesen kleinen Spielzeugautos, die man auf dem Boden hin und her bewegt und dabei eine Feder aufzieht? Wie irre schießen die auf ihre Höchstgeschwindigkeit los, um alsbald auszurollen und dann zügig stehenzubleiben.
So macht das Thomas Kemp mit seinem bis ins allerletzte Detail piekfein und effektiv aufgebauten Käfer. Sich in den Asphalt krallen, wie eine Donnerkugel losjagen und dann irgendwie den Vorsprung über die 400-Meter-Marke retten. Da sind die üblichen Werte wie null auf zweihundert, PS oder Höchstgeschwindigkeit blanke Theorie. Du holst den roten Herbie nicht mehr ein und guckst nur deppert in das Auspuffrohr.
Die Frage ist nur: Was hat der Wunder-Käfer noch auf der Pfanne? 10,21 war bisher sein Rekord, kann Thomas Kemp da noch etwas abzwacken? Damit die Geschichte nicht ein zweites Mal im munteren "Bikebashing" endet, gab es nach kurzer Diskussion auf der MOTORRAD-Seite eine klare Vorgabe: Die 9,9 sollte stehen, und zwar sicher reproduzierbar, immer und überall. Spitzenleistung steht im Überfluss zur Verfügung, Gewicht ist ebenfalls okay. Es musste an anderen Problemzonen gefeilt werden: Traktion und Wheelie-Neigung. BMW selbst, die natürlich ihren aktuellen Leistungsdominator gern als fahrende Reklame zur Verfügung stellte, bot folgende Umbaumaßnahmen an: kürzere Übersetzung, Akrapovic-Auspuffanlage für mehr Dampf in der Mitte, Front etwas absenken und das Hinterrad in der Schwinge ganz nach hinten schieben. Eigentlich sollte das reichen. Aber der Dragster-Sport ist ein riesiges Puzzlespiel, bei dem du die Einzelteile selbst zuschneidest. Manchmal fügen sich die ineinander, manchmal ergibt es nur ein Durcheinander.
9,9 Sekunden schaffte der BMW-Umbau beim Probelauf als Bestwert. Allerdings nur unter optimalen Gripverhältnissen, es stand auch mal 10,2 auf der Uhr. Also zündete MOTORRAD die nächste Stufe der Strategie, etwas Feinschliff war noch nötig. Ein Anruf bei Hubert Hofmann und seiner Firma HH Racetech. Der Hans Dampf in allen Umbaugassen, bei dem zu jeder Tages- und Nachtzeit eine Metallbearbeitungsmaschine läuft, machte natürlich mit. Kompletter Gabelumbau, um vorn noch weiter abzusenken, gefräste Schwingenadapter, um den Radstand weiter zu vergrößern. Aber Hubert wäre nicht Hubert, wenn nicht erst alles in der letzten Sekunde fertig wäre. Einbauen, einladen, Abfahrt. Testen? Geschenkt. Ein Wurfpuzzle ohne Garantie.
Samstag, 3. Juli. 37 Grad, aber nur im Schatten, der Asphalt brennt in Bitburg. Thomas Kemp wirkt ein wenig abgespannt, ist ebenfalls erst auf der letzten Rille fertig geworden. Etliche bestellte Tuningteile sind entweder gar nicht gekommen oder konnten nicht getestet werden. Die Spannung kocht am Siedepunkt. Kann der Käfer die fantastischen 2,44 Sekunden von Null auf Hundert nochmals wiederholen, die 10,35 Sekunden auf der Viertelmeile verbessern? Karsten dampft in seiner Lederkombi. Der erste Probegalopp muss zeigen, was der Umbau brachte. Auf der linken Fahrbahnseite gibt es nur wenig Grip für Karsten, jede Menge Gummiabrieb, Hitze. Die Folge: Wheelspin, das Hinterrad kommt quer. Eine mühsame 10,30.
Jetzt wird es ernst. Diesmal steht die BMW auf der rechten Seite. Karsten sucht die optimale Linie. Käfer und BMW schnalzen ab. Das Auto hat den besseren Start. War ja klar, auf den ersten Metern ist Herbie unschlagbar. Doch die BMW kommt, zieht wie ein Düsenjäger davon. Nach 400 Metern gewinnt Karsten haushoch. 9,82 auf der Quartermile mit einem fast serienmäßigen Motorrad, ohne "Klebereifen" und auf traktionsschwachem Asphalt, das ist selbst in den offenen Dragster-Klassen eine Hausnummer. Thomas Kemp schafft "nur" 10,48 Sekunden. Aber das ist der Dragster-Sport: Als Zauberer bist du immer nur so gut wie dein letzter Trick.
Im Dragster-Sport geht es nicht vorrangig um Geschwindigkeit, sondern um Meter. Daher führen die üblichen Beschleunigungsangaben leicht in die Irre. Käfer und S 1000 RR sind dafür gute Beispiele. Nehmen wir beispielsweise die Beschleunigung von 0 auf 100 km/h. Da sind beide mit 2,7 respektive 2,8 Sekunden ungefähr gleich.
Das heisst aber keineswegs, dass beide auf der Straße im Gleichschritt nebeneinander beschleunigen. Denn wenn beide Tachos die 100er-Marke erreichen, ist der Käfer aufgrund seines brutalen Antritts aus dem Stand weit vorn. Für Tempo 50 braucht er keine Sekunde, die BMW 1,5. Aber auf 200 km/h ist der Käfer über drei Sekunden langsamer als die BMW.
Den krassen Unterschied veranschaulicht das Weg-Zeit-Diagramm. Die BMW benötigt rund 5,1 Sekunden, um nach 125 Metern ihren anfänglichen Rückstand aufzuholen. Dann zieht sie allerdings mit einem brutalen Geschwindigkeits-überschuss am Käfer vorbei, kann ihn so am Ende der Viertelmeile um mehr als eine halbe Sekunde distanzieren.
Im Ziel hat es die S 1000 RR auf über 240 km/h katapultiert, während der Käfer wegen der in Relation zum Luftwiderstand recht dürftigen Motorleistung bei höherer Geschwindigkeit regelrecht verhungert und am Ende nur auf knapp über 200 km/h kommt. Deutlich schneller könnte der rund 300 PS starke Käfer nur mit mehr Leistung werden - viel mehr Leistung.
Um ein Motorrad optimal zu beschleunigen, braucht man erstens natürlich viel Leistung. Entscheidend auf den ersten Metern ist aber die Traktion am Hinterrad, die Kraft muss auf den Boden übertragen werden können. Gleichzeitig gilt es, das Abheben des Vorderrads zu verhindern, denn in beiden Fällen muss der Pilot das Gas zudrehen.
Gehen wir mal davon aus, dass der Reibbeiwert 1 ist. Dann kann eine Beschleunigungskraft übertragen werden, die genau so groß ist wie die vom Hinterrad übertragene Gewichtskraft. Wenn im Optimalfall das komplette Fahrzeuggewicht nach hinten verlagert wird, kann die Beschleunigungskraft maximal so groß werden wie die Gewichtskraft. Aus der Gleichung F = m x a ergibt sich dann eine maximale Beschleunigung von 1 g. Dies entspricht 0 auf 100 km/h in 2,77 Sekunden.Das klappt aber nur dann, wenn die resultierende Kraft am Schwerpunkt nicht hinter dem Hinterrad den Boden trifft. Andernfalls hebt das Vorderrad ab, siehe oberes Bild. Als Gegenmaßnahme kann man den Schwerpunkt absenken oder (unteres Bild) den Radstand verlängern. Trifft die Resultierende vor dem Hinterrad auf, könnte man eine höhere Beschleunigungskraft übertragen. Das wiederum geht nur, wenn die Leistung reicht und der Reibbeiwert höher wird. Ohne spezielle Klebereifen dreht das Hinterrad durch, was bei der MOTORRAD-BMW S 1000 RR das Problem war. Mit solchen Dragsterreifen erscheinen Werte um die 9,4 Sekunden realistisch.
Käfer 10,93 sek - Ferrari 430 12,89sek
Käfer 10,89 sek - Bergrennwagen 12,50 sek
Käfer 10,66 sek - DTM Audi TT 11,92 sek
Käfer 10,82 sek - BAR-Honda-F1 9,46 sek
Käfer 10,35 sek - Yamaha Vmax 10,55 sek
Käfer 10,48 sek - BMW S 1000 RR 9,82 sek