Die BMW S 1000 RR diktiert seit 2010 auch dank ihrer Regelsysteme das Geschehen bei den Superbikes. Die Kawasaki ZX-10R kam ihr 2011 sehr nahe. Hat sich nach dem BMW-Update für 2012 die Kluft wieder aufgetan?
Die BMW S 1000 RR diktiert seit 2010 auch dank ihrer Regelsysteme das Geschehen bei den Superbikes. Die Kawasaki ZX-10R kam ihr 2011 sehr nahe. Hat sich nach dem BMW-Update für 2012 die Kluft wieder aufgetan?
Es ist zum Heulen! Da bekommt man eine Rennstrecke exklusiv überlassen, hat die heißesten Superbikes in Form der erstmals über- arbeiteten BMW S 1000 RR und der im Frühjahr neu erschienenen Kawasaki ZX-10R im Transporter auf geilen Pellen stehen und nichts, aber auch gar nichts geht voran. Dichter, feuchtkalter Nebel verhängt den Himmel, wabert ab Kniehöhe über den nassen Asphalt von Anneau du Rhin. Dringt durch die dickste Jacke, frisst sich bis ins Mark und lässt einen fröstelnd zittern.
Frust breitet sich aus, denn Besserung ist nicht in Sicht. Tags darauf dasselbe Bild - nur diesmal statt im Elsass im nebelgrau verhangenen Fahrerlager von Hockenheim. Wegen der feuchten Strecke dreht sich auch hier erst einmal kein Rad. Doch es gibt Hoffnung. Am Horizont hellt es auf, beginnt die Sonne die trübe Suppe zu vertreiben. Allerdings bleibt bis zur Test- und Foto-Action noch viel Zeit, um sich in die Pressemappe der für 2012 umfangreich überarbeiteten BMW S 1000 RR einzulesen. Auch wenn es optisch nicht so aussieht, die S 1000 wurde in allen Bereichen entscheidend nachgebessert. Doch gab es überhaupt Handlungsbedarf? Vielleicht keinen übermäßigen, dennoch wurde die Beemer zum dritten Modelljahr feingeschliffen. Hauptkritikpunkte am alten Modell waren die etwas zu harte Gasannahme, das nicht allzu leichtfüßige Handling, der nicht einstellbare Lenkungsdämpfer und der schwergängige Gasgriff. Im PS-Elektronik-Vergleichstest (siehe Heft 5/2011) fiel zudem die unsanfte "Wheelie-Kontrolle" negativ auf.
Optisch geht die 2012er S 1000 RR nur geringfügig modifiziert ins Rennen. An der schlanken Heckpartie springen die Luftdurchlässe ins Auge, die Luftfilterhutze trägt nun ebenfalls kleine, aufgesetzte Nüstern und am Übergang der Front- zur Seitenverkleidung sind nun transluzente "Winglets" angebracht. Tiefgreifender beschäftigten sich die Techniker mit dem Inneren der RR. Um das Handling zu verbessern, ging es dem Steuerkopf und damit der gesamten Lenkgeometrie an den Kragen. Wie behutsam ein Eingriff in diesem Bereich sein muss, zeigt ein Blick auf die nackten Zahlen. Der Lenkkopfwinkel ist nun um 0,1 Grad (66,0 statt 66,1 Grad) flacher, der Radstand schrumpfte um 9,3 auf 1423 Millimeter, während der Nachlauf um 2,6 mm wuchs und der Offset der Gabelbrücken um 2,5 mm verringert wurde. Außerdem ist der Gabelüberstand jetzt um 5 mm geringer. Millimeter hier, Millimeter dort - das soll entscheidende Pluspunkte im Handling bringen? Wenn nur die Strecke trocknen würde...
Weiter geht es mit dem Studium der Pressemappe zum Kapitel Fahrwerks-änderungen: Gabel und Federbein wurden im Grund-Setup für einen breiteren Einsatzbereich überarbeitet und viel Wert auf ein feineres Ansprechverhalten und besseres Feedback gelegt. Das Federbein erhielt in dem Zuge gleich eine im Durchmesser von 14 auf 18 Millimeter vergrößerte Kolbenstange. Gut versteckt, an der unteren Gabelbrücke, werkelt der nun in zehn Stufen einstellbare Lenkungsdämpfer, dessen Verstellbereich bereits im Stand überprüft werden kann. Am kurzhubigen, äußerst potenten Schrittmacher der S 1000 RR direkt änderten die Techniker nichts - warum auch? Jedoch wurden dessen Peripherie und die Motorelektronik modifiziert. Der neue Steuerkopf lässt mehr Luft in die Airbox, ein neu ausgelegter Auspuff entsorgt die Abgase klangstark und frech rotzelnd. Neben der um einen Zahn kürzeren Sekundärübersetzung spendierten die Ingenieure dem Motor auch eine neue Abstimmung der Einspritz-Kenn-felder. Dabei im Visier: Eine weichere Gasannahme für bessere Fahrbarkeit.
So besitzt die 2012er-RR nur noch zwei statt vier Kennlinien für die Gasannahme. Eine Kennlinie agiert im "Rain"-Modus, dieser setzt jetzt 163 PS statt wie zuvor 152 PS frei, eine andere ist in den drei übrigen Modi im Einsatz. Mechanisch wurde die Drosselklappenfeder verändert. Ihre Federrate sank, was einen leich-gängigeren Gasgriff zur Folge hat. Gab es am alten Modell für die vier Fahr-Modi lediglich zwei Kennfeldkurven, sind es jetzt drei. Volle Power und volles Drehmoment in allen Lagen gibt es nur in den Modi "Race" und "Slick". Im „Sport“-Modus gibt es zwar die volle Leistung, allerdings mit zahmerem Drehmoment-anstieg im unteren und mittleren Drehzahlbereich. Im "Slick"-Modus wurde zudem das Motorbremsmoment via -Einspritzung reduziert, was für ein stabileres und präziseres Einlenkverhalten in der Schubphase, also mit geschlossenen Drosselklappen, sorgen soll. Und "Rain" sorgt dank gekappter Drehmoment- und Leistungskurve dafür, dass man selbst bei Schneematsch nach Hause kommt oder aber bei feuchtkalter Piste Fotos für ein Motorradmagazin produzieren kann.
Unter widrigen Bedingungen geht es schließlich raus auf die Piste. Wie soll sich die 2011er-Kawa gegen diese beinahe übermächtige BMW nur zur Wehr setzten? Ganz klar: Feuer bekämpft man am besten mit Feuer! Und 197 PS, 112 Nm sowie Traktionskontrolle und ABS sind definitiv eine Ansage. Zumal die ZX-10R mit 203 Kilogramm vollgetankt ganze 5,5 Kilo leichter ist als die BMW und auf den selben Reifen steht. Trotz vorgeheizter Metzeler Racetec K3 ist unter diesen Bedingungen Vorsicht geboten. Ein Hoch auf die Assistenzsysteme, denn bei sieben Grad und leicht feuchtem Asphalt stärken sie nicht nur das Selbstbewusstsein des Piloten, sondern bewahren ihn in der kritischen Phase auf der Suche nach dem Limit vor Bodenproben.
Schon beim Einrollen punktet die S 1000 RR mächtig. Egal, in welchem Modus, sie geht im Vergleich zur ZX-10R geradezu sanftmütig ans Gas. Ab dem Scheitelpunkt wird der Schub weich und berechenbar gesteigert, das initiale "Ans-Gas-gehen" läuft gut kontrollierbar ab. Auf der Kawa dagegen kommt der Leistungseinsatz, also der Übergang des Motors von der Schubphase mit geschlossenen Drosselklappen in die Beschleunigungsphase mit sich öffnenden Drosselklappen, deutlich härter. Dies ändert sich erst, wenn die Kawa nicht in den Modi "F" oder "M", sondern in "L", also dem zahmen Regen-Mapping gefahren wird. Zudem vibriert der Japan-Vierer in allen Lebenslagen deutlich stärker als der Bayernbrenner. Will man auf der Kawa beim Rausbeschleuingen den Anschluss nicht verlieren, muss mutig und konsequent am Kabel gezogen werden. Dank der TC und einem warmen Hinterreifen kein Problem.
Mit mächtig Zug an der Kette ballert die Grüne aus der Sachskurve, wird das Vorderrad leichter und leichter - und das ohne regelnde Traktionskontrolle. Unglaublich, wie viel mechanischer Grip aufgebaut wird. Dasselbe Spiel auf der BMW. Dem vorsichtigen Heranzittern an den Scheitelpunkt auf der unwirtlichen Strecke folgt ein umso härteres Herausbeschleunigen. Früher undenkbar, heute ohne Angst vor Highsidern möglich. Im direkten Vergleich und bei immer feisterem Aufziehen der Drosselklappen greift die Kawasaki-TC etwas früher ein als das BMW-System. Und dabei regelt die Kawa-Traktionskontrolle auch etwas unsanfter. Trotz aller Elektronik, und da hilft auch kein ABS, bleibt das Einlenken und die anschließende Suche nach dem Grip in Schräglage die große Herausforderung bei miesem Wetter.
Da hilft nur, sich nach klassischer Art von unten ans Limit heranzutasten. Das geht am besten mit einer glasklaren Rückmeldung von Vorder- und Hinterrad. Ob die BMW S 1000 RR in diesem Bereich Fortschritte gegenüber ihrer Vorgängerin gemacht hat, muss der direkte Vergleich in der nächsten PS klären. Gegenüber der ZX-10R kann sich die BMW allerdings nicht absetzen. Beide Gabeln unterrichten auf gutem Niveau über den Untergrund. Die Federbeine dagegen agieren im gefahrenen, vom Serienzustand kaum veränderten Setup, gänzlich unterschiedlich. Während sich die Kawasaki beim harten Beschleunigen etwas in die Feder zieht, bleibt das BMW-Federbein standhaft. Grundsätzlich ist die BMW straffer, also deutlich sportlicher abgestimmt als die Japanerin, was im Alltag für Härten sorgt. Diesen Härten steht das leichtfüßigere Handling entgegen. Und ja, die Eingriffe in die Lenkgeometrie haben sich definitiv gelohnt. Denn die neue S 1000 RR fährt deutlich geschmeidiger und einfacher in Kurven hinein als die Kawasaki und somit auch als ihre Vorgängerin.
Die ZX-10R könnte mit einem strafferen Setup und mehr Federvorspannung im Heck in dieser Disziplin sicherlich besser abschneiden, doch leider ließ das Wetter bei diesem Vergleich Testfahrten im vollen Race-Modus nicht zu. Es sei aber versprochen: Spätestens beim großen Superbike-Vergleichstest zum Jahreswechsel werden wir keine Mühen scheuen, die Bikes einem schonungslosen Härtetest zu unterziehen.
Weitere Power-Bikes im Test: BMW S 1000 RR, Kawasaki ZZR 1400 und Yamaha Vmax
PS-URTEIL
BMW S 1000 RR: Das Über-Bike der letzten zwei Jahre plättet die Kontrahenten nach der Überarbeitung souveräner als je zuvor. Trotz widriger Testbedingungen sage ich für 2012 eines vorher: Die S 1000 RR wird auch in der kommenden Saison kaum zu schlagen sein. Kawasaki ZX-10R: Die Kawa wird auch 2012 am Start stehen und sich gegen die anderen Japaner durchsetzen. Nur eben nicht gegen die BMW S 1000 RR.
So gleich und doch so anders. Die Volllastkurven der BMW S 1000 RR und der Kawasaki ZX-10R umschlingen sich wie zwei Würgeschlangen im Kampf. Erst ab 8500/min kann sich die BMW-Leistungskurve von jener der Kawa lösen. Im Bereich von 9000 bis 11500/min liefert die Bayerin zwischen 6 und 9 PS mehr an der Kette ab als die Japanerin. Exakt in diesem Drehzahlbereich überragt auch die Drehmomentkurve der S 1000 RR die der Kawa. Subjektiv fühlt sich die BMW allerdings immer etwas stärker als die Kawasaki an, was den Fahrspaß in eine andere Dimension hebt.
BMW S 1000 RR (Modell 2012)
Antrieb: Vierzylinder-Reihenmotor, 4 Ventile/Zylinder, 142 kW (193 PS) bei 13 000/min*, 112 Nm bei 9750/min*, 999 cm³, Bohrung/Hub: 80,0/49,7 mm, Verdichtungsverhältnis: 13,0:1, Zünd-/Einspritzanlage, 48-mm-Drosselklappen, mechanisch betätigte Mehrscheiben-Ölbad-Anti-Hopping-Kupplung, Sechsganggetriebe, G-Kat, Kette, Traktionskontrolle
Fahrwerk: Leichtmetall-Brückenrahmen, Lenkkopfwinkel: 66,0 Grad, Nachlauf: 99 mm, Radstand: 1423 mm, Upside-down-Gabel, Ø Gabelinnenrohr: 46 mm, einstellbar in Federbasis, Zug- und Druckstufe. Zentralfederbein mit Umlenkung, einstellbar in Federbasis, Zug- und Druckstufe (high/low). Federweg vorn/hinten: 120/130 mm
Räder und Bremsen: Leichtmetall-Gussräder, 3.50 x 17/6.00 x 17, Reifen vorn: 120/70 ZR 17, hinten: 190/55 ZR 17, Erstbereifung: Metzeler Racetec K3, 320-mm-Doppelscheibenbremse mit radial angeschlagenen Vierkolben-Festsätteln vorn, 220-mm-Einzelscheibe mit Einkolben-Schwimmsattel hinten, ABS
Maße und Gewicht: Länge/Breite/Höhe: 2020/800/1090 mm*, Sitz-/Lenkerhöhe: 805/855 mm, Lenkerbreite: 640 mm, 208,5 kg vollgetankt, v./h.: 51,5/48,5 Prozent
Hinterradleistung im letzten Gang: 137 kW (186 PS) bei 273km/h
Verbrauch: Kraftstoffart: Super bleifrei. Durchschnitts-testverbrauch: 6,9 Liter/100 km, Tankinhalt 17,5 Liter, Reichweite: 254 km
Grundpreis: 16 100 Euro (zzgl. Überführungskosten)
Kawasaki ZX-10R (Modell 2012)
Antrieb: Vierzylinder-Reihenmotor, 4 Ventile/Zylinder, 147 kW (200 PS) bei 13 000/min*, 112 Nm bei 11 500/min*, 998 cm³, Bohrung/Hub: 76,0/55,0 mm, Verdichtungsverhältnis: 13,0:1, Zünd-/Einspritzanlage, 47-mm-Drosselklappen, mechanisch betätigte Mehrscheiben-Ölbad-Anti-Hopping-Kupplung, Sechsgang-getriebe, G-Kat, Kette, Traktionskontrolle
Fahrwerk: Leichtmetall-Brückenrahmen, Lenkkopfwinkel: 65,0 Grad, Nachlauf: 107 mm, Radstand: 1425 mm, Upside-down-Gabel, Ø Gabelinnenrohr: 43 mm, einstellbar in Federbasis, Zug- und Druckstufe. Zentralfederbein mit Umlenkung, einstellbar in Federbasis, Zug- und Druckstufe (high/low). Federweg vorn/hinten: 120/140 mm
Räder und Bremsen: Leichtmetall-Gussräder, 3.50 x 17/6.00 x 17, Reifen vorn: 120/70 ZR 17, hinten: 190/55 ZR 17, Testbereifung: Metzeler Racetec K3, 310-mm Doppelscheibenbremse mit radial angeschlagenen Vierkolben-Festsätteln vorn, 220-mm-Einzelscheibe mit Einkolben-Schwimmsattel hinten, ABS
Maße und Gewicht: Länge/Breite/Höhe: 2130/900/1130 mm*, Sitz-/Lenkerhöhe: 810/850 mm, Lenkerbreite: 655 mm, 203 kg vollgetankt, v./h.: 51,7/48,3 Prozent
Hinterradleistung im letzten Gang: 134,5 kW (183 PS) bei 280 km/h
Verbrauch: Kraftstoffart Super bleifrei. Durchschnittstestverbrauch: 6,4 Liter/100 km, Tankinhalt 17,0 Liter, Reichweite: 266 km
Grundpreis: 16 495 Euro (zzgl. Nebenkosten)
*MOTORRAD-Messungen