Dass die Evolution Irrwege und Sackgassen beinhaltet, wissen wir nicht erst seit Tyrannosaurus rex und Daniel Küblböck. Es klappt eben nicht jedes Experiment, manche Laune der Natur wird schnell verworfen, anderes kann sich hingegen durchsetzen. In der Technik verhält es sich ähnlich, da gibt es Fehlentwicklungen und Flops was sich in den meisten Fällen erst nach einiger Zeit herausstellt. Und ab und zu passiert Revolutionäres, es merkt aber keiner.
Ein Beispiel ist die Entwicklungsgeschichte der Yamaha-Supersportler, die auf die FZR-Modelle aus den Achtzigern zurückgehen. Features, die heute Stand der Technik sind, waren zuerst bei Yamaha zu sehen. Etwa der kräftige Deltabox-Rahmen, auf dem inzwischen alle Japan-Vierzylinder auch die GSX-R 1000 aufbauen. Oder die Exup-Auspuffklappen, die mittlerweile unverzichtbar sind, um die Emissionsvorschriften zu schaffen und den Drehmomentverlauf zu stützen.
Aber nicht alle Technikexperimente von Yamaha waren von Erfolg gekrönt. Aktuelles Beispiel sind die Fünfventil-Zylinder-Köpfe, die 1986 in der FZ 750 debütierten, seitdem Markenzeichen von Yamaha-Sportmaschinen waren, während die Formel 1 (Toyota, Ferrari) oder der Pkw-Serienbau (Audi) diesen Trend rasch wieder verwarfen. Drei statt zwei Einlassventile sollten mehr Drehzahl bei schärferen Steuerzeiten, bessere Füllung und somit mehr Power bringen. Was in der R1 zuletzt nur teilweise gelang. Die drehte mit knapp 14000/min zwar etwa 1000 Umdrehungen höher als die Konkurrenz, konnte das aber nicht in ein spürbares Leistungsplus umsetzen und enttäuschte stattdessen mit einem im Alltag eher lästigen Hänger im mittleren Drehzahlbereich.
Nun die Notbremse, die neue R1 kommt ganz ordinär mit vier Ventilen pro Zylinder. Vergleicht man die Tellerflächen der Einlassventile, so kann der Vierventiler mit deutlich größeren Querschnitten (1709 gegen 1414 Quadratmillimeter) aufwarten. Entscheidend ist allerdings, was durch die ringförmigen Querschnitte bei geöffneten Ventilen durchpasst, wofür die Umfänge ein Maß sind. Und die sind bei drei Einlassventilen mit 230,8
Millimeter zu 207,2 beim Duo größer. Die Theorie spricht also zunächst für das Terzett. In der Praxis allerdings machen Nachteile in der dreigeteilten Kanalführung sowie die gegenseitige Behinderung der Gasströme die Vorteile wieder zunichte. Daher wahrscheinlich auch die nicht völlig ausgereizten Tellerdurchmesser. Bei der neuen R1 öffnen die Ventile außerdem deutlich weiter, was auf verbesserte Ansaugverhältnisse schließen lässt. Ungünstig beim Fünfventiler, dass das mittlere Ventil aus der Ebene der anderen beiden geneigt sein muss, weil es ja von derselben Nockenwelle betätigt wird. Das ergibt einen nicht ganz optimalen Brennraum.

Gut, dass die R1 mit neuen Features Technikfreaks weiterhin begeistern wird. Vor allem die variablen Ansauglängen, ein viel versprechender Ansatz, an den sich bisher nur Bastler oder Kleinserien-Hersteller (MV Agusta F4 Tamburini) getraut haben. Sport-liche Autos verfügen schon lange über so genannte Schaltsaugrohre, bei denen ein Klappensystem zwischen direktem Weg oder Umweg über verschachtelte Kanalführung schaltet. Beim Motorrad ist die Umsetzung dieser Idee aus Platzgründen nicht ganz so einfach, sie würde an den aufgrund der extremen Drehzahlen erforderlichen kurzen Ansauglängen scheitern. Yamaha hat sich daher ein einfaches, ausgesprochen kompaktes System einfallen lassen, indem die Oberteile des zweigeteilten Trichters per Stellmotor angehoben werden, so dass die wirksame Länge des Ansaugkanals reduziert werden kann. Bei 10400/min heben sich die Oberteile binnen 0,3 Sekunden um knapp drei Zentimeter, bei fallender Drehzahl senken sie sich dann bei 10100/min wieder ab. Eine interessante, vielleicht zukunftsweisende Lösung, auf deren Auswirkung die MOTORRAD-Tester bereits sehr gespannt sind.
Ansonsten setzt Yamaha bei der R1 wie Suzuki bei der GSX-R auf Konstruktionsmerkmale, die den aktuellen Stand der Technik bei supersportlichen Vierzylindern repräsentieren. Das bedeutet: fast gerade Ansaugwege, enge Ventilwinkel, ein kurzer, kompakter Motorblock mit verschachtelten Wellen. Feine, aber nicht unwesentliche Unterschiede sind bei näherem Hinsehen in der Gemischaufbereitung zu erkennen. Suzuki benutzt die heute gängige Methode mit zwei Drosselklappen. Dabei öffnet der Fahrer ganz konventionell per Zug die primäre Drosselklappe,
die Sekundärklappe betätigt ein elektronisch durch das Motormanagement geregelter Stellmotor. Auf diese Weise kann verhindert werden, dass die Gemischversorgung trotz riesiger Ansaugkanäle zusammenbricht, wenn im unteren Drehzahlbereich schlagartig das Gas aufgerissen wird. Auch können Übergänge geglättet werden, indem der Stellmotor verzögert nachregelt.
Yamaha löst dieses Problem auf andere Weise: Wie die R6
hat die neue R1 lediglich eine elektronisch geregelte Drosselklappe. Der Fahrer gibt per Gaszug quasi nur noch die Grenzen vor, in
denen die Regelung arbeitet. Das bedeutet etwa beim Beschleunigen mit Vollgas, dass die Rechner die Drosselklappe je nach Drehzahl öffnen, um in jeder Situation das optimale Drehmoment zur Verfügung zu stellen. Doch keine Angst, der Fahrer bleibt immer noch Herr der Lage, die Elektronik kann nicht mehr Gas geben, als er mit der rechten Hand vorgibt. Die Wirkung unterscheidet sich prinzipiell gar nicht einmal so stark von den konventionellen Systemen mit zwei Klappen. Vorteile der einfachen
Klappe sind ein kurzer Ansaugkanal und verringerte trömungswiderstände. In der R6 hat das System die Feuertaufe bereits hinter sich, dort funktioniert es mit minimalen Abstrichen in ganz speziellen Situationen bestens.
Theoretisch ließ sich die Drive-by-wire-Technik auch hervorragend mit elektronischen Fahrhilfen kombinieren. Aber noch verzichtet die R1 auf eine Traktionskontrolle oder ähnliche Steuerungen. Im Rennsport geht es dagegen gar nicht mehr ohne, sämtliche MotoGP-Maschinen sind heutzutage vollgestopft mit Elektronik, und selbst die Superbike-Ableger der Serienmaschinen nutzen in der Weltmeisterschaft solche Technologien.
Kehren wir von der Software zurück zur Hardware. Was die Eckdaten angeht, Hub und Bohrung, bleiben GSX-R und R1 unverändert. Immerhin lassen sich bei aller Monotonie in dieser Beziehung noch gewisse Differenzen ausmachen. Die beiden markieren bezüglich Hub-Bohrungs-Verhältnis weiterhin die Band-breite bei den Vierzylinder-Supersportlern. Die R1 ist mit nur 53,6 Millimeter das kurzhubigste Aggregat, die GSX-R mit 59 Millimetern das langhubigste. Was sicher bislang schon Auswirkungen auf die unterschiedlichen Drehmomentkurven hatte. Die Suzuki überzeugte mit ihrem fülligen Drehmomentverlauf, in puncto Spitzenleistung lagen die beiden jedoch recht eng beieinander.
Beide Hersteller proklamieren für die 2007er-Modelle einige zusätzliche Pferde. Hut ab, falls das gelungen sein sollte. Denn die Euro-3-Abgasnorm zwingt zu hohem Aufwand in der Gemischaufbereitung, also Lambdasonden und wirksameren Katalysatoren mit größerem Auspuffvolumen. Weshalb beide Supersportler ein paar Kilo schwerer wurden. Mehr Leistung, mehr Gewicht was das heißt, zeigt der Fahrbericht der R1.
Honda CBR 600 RR - Technik






Bei den 600em ist die Suche nach mehr Leistung noch diffiziler als bei den 1000ern, schließlich bewegt man sich nominell bereits jenseits von 200 PS pro Liter. Für die neue CBR proklamiert Honda »nur« drei zusätzliche PS, betreibt jedoch einen enormen Aufwand, um die Dynamik zu verbessern. Und zwar durch eine radikale Diät, die einen Gewichtsverlust von strammen acht Kilogramm ergab. Geblieben ist der Underseat-Auspuff, obwohl der Schalldämpfer ungünstig weit weg vom Schwerpunkt platziert ist. Vorteile: schlanke Bauweise und drehmomentfreundliche
Auspufflänge.
Um das Motorrad nicht nur leichter, sondern auch kompakter zu machen, musste ein völlig neuer Motor her, rund drei Zentimeter kürzer als sein Vorgänger. Erstmals im Supersportbereich verwendet Honda
einen Klopfsensor, der die Verbrennung überwacht und bei Unregelmäßigkeiten die Vorzündung zurücknimmt. Die Einspritzung arbeitet wie übrigens schon bei der aktuellen ZX-6R zweistufig, bei hohen Drehzahlen injiziert ein zweiter Satz Düsen zusätzlichen Treibstoff von oben in den Ansaugkanal. Dies bringt in Kombination mit einem optimierten Ansaugbereich inklusive Luftführung durch den Lenkkopf des Rahmens das gewünschte Plus an Leistung und Drehmoment.
Kawasaki ZX-6R





Nach einem Intermezzo als 636er ist die neue ZX-6R endlich wieder eine echte 600er mit 599 cm3 Hubraum, was Vergleichstests in Zukunft wieder auf eine faire Basis stellt. Wobei die Ausrichtung klar definiert wird:
Es geht den Grünen nicht um Alltagstauglichkeit oder Abgaswerte, Kawasaki will schlicht und einfach die schnellste 600er auf der Rennstrecke liefern. Technisch gesehen ist die 6er erstmals nach zehn Jahren stetiger Modellpflege eine komplette Neuentwicklung, Motor und Chassis wurden von Grund auf renoviert und haben weder mit den bisherigen R- noch Doppel-R-Versionen zu tun.
Wie bei Honda wurde der Motor deutlich kürzer, nämlich vier Zentimeter. Laut Kawasaki soll er nicht nur einen besseren Drehmomentverlauf als die Konkurrenzmodelle liefern, sondern außerdem höher drehen als das R6-Triebwerk, das ja bekanntlich mit echten 16200/min die vollmundig verkündete Werksangabe von 17500/min klar verfehlte. Nach der Yamaha-Pleite in den USA wurde R6-Besitzern deswegen die Wandlung angeboten darf man dieser Aussage von Kawasaki wohl Glauben schenken.
Neben der Gewichtsreduktion stand die Minimierung der inneren Reibung und das direkte Ansprechverhalten des ZX-6R-Antriebs im Vordergrund. Geheimnisvolle Technik-Features sind nicht zu erkennen, eher Feinschliff im Detail wie verkürzte Ansaugwege für hohe Maximaldrehzahlen und relativ enge Einlasskanäle, um einen kraftvollen Drehmomentverlauf zu gewährleisten. Das Verdichtungsverhältnis von fast 14 zu eins ist auf jeden Fall schon einmal rekordverdächtig.