MV Agusta hatte die infernalisch klingende Sechszylinder für den Rennsport entwickelt. Doch wegen einer Reglementsänderung durfte sie nie im Grand-Prix-Orchester mitspielen.
MV Agusta hatte die infernalisch klingende Sechszylinder für den Rennsport entwickelt. Doch wegen einer Reglementsänderung durfte sie nie im Grand-Prix-Orchester mitspielen.
Konkurrenz belebt das Geschäft. Diese Binsenweisheit treibt Hersteller auch heute noch zu konstruktiven Höchstleistungen, wenn es darum geht, dem Gegner auf der Rennstrecke Paroli zu bieten.
Mitte der 50er-Jahre hatte MV Agusta still und leise eine 350er- und 500er-Sechszylinder entwickelt um der Gefahr, die von Moto Guzzis 500er-Achtzylinder ausging, zu begegnen. Durch den Rückzug von Moto Guzzi und Gilera war die Gefahr erst einmal gebannt. Die Vierzylinder reichten weiterhin aus, um die Privatfahrer locker in Schach zu halten. Doch Ende der 60er-Jahre trat ein neuer Widersacher in Erscheinung.
Renzo Pasolini auf der Vierzylinder-Benelli bedrängte Giacomo Agostini auf der Dreizylinder-MV in der 350er-Klasse hart und rang den Champion in den italienischen Frühjahrsrennen bisweilen sogar nieder. Wieder entwickelte MV Agusta eine Sechszylinder komplett neu, nun mit vier Ventilen pro Zylinder. Mit einem deutlich engeren Ventilwinkel als bei den Dreizylindern nahm sie bereits die Konstruktionsmerkmale der späteren Vierzylinder von 1974 und 75 vorweg.
Nach Art des Hauses trieben Zahnräder die beiden oben liegenden Nockenwellen an. Die wiederum betätigten über Tassenstößel die Ventile. Ebenso MV-typisch war der komplette Motor in einem sogenannten Bankett vormontiert und ließ sich als vollständige Einheit aus dem eigentlichen Motor-Getriebe-Gehäuse herausnehmen. Ein Magnet vor der Kurbelwelle sorgte für den zündenden Funken.
Mit über 70 PS bei 16000/min war der Sechszylinder dem in der Weltmeisterschaft dominierenden Dreizylinder klar überlegen. Trotzdem bereiteten vor allem Kriterien wie das Fahrverhalten und die Handlichkeit offensichtlich Probleme.
In Modena und Monza hatte Giacomo Agostini 1969 bereits ausgiebig getestet. In Ausgabe 9/1969 kündigte Das MOTORRAD an, dass die neue Sechszylinder-Rennmaschine von MV einsatzbereit sei und beim spanischen Grand Prix ihr Debüt feiern sollte. Doch die Erprobung verlief nicht annähernd so erfolgreich wie geplant; ihre Abstimmung gestaltete sich äußerst schwierig.
Trotz der Leistungsvorteile war der Sixpack noch nicht wettbewerbsfähig. Daraufhin kehrte um das Projekt wieder Ruhe ein. Erst 1971 setzten Giacomo Agostini und Angelo Bergamonti die Six noch ein letztes Mal im Training in Modena ein. Doch für die Weltmeisterschaft hatte die FIM die Zylinderzahl in der 350er- und 500er-Klasse auf vier begrenzt und damit den Multizylinder ins Museum verbannt.
Auch wenn sie sich mit der Konkurrenz auf der Rennstrecke nie messen konnte, hat sie überlebt und sorgt bis heute für Furore. Egal, wo das seltene Stück auftritt: Menschentrauben laufen zusammen, nicht nur, um die Rarität zu bestaunen, sondern auch, um dem infernalischen Sound zu lauschen.
Als Graf Domenico Agusta zu Lebzeiten die Geschicke der Firma und deren Rennaktivitäten leitete, war stets seine oberste Prämisse, sich mit der Konkurrenz zu messen und sie zu besiegen. Dieser Maxime hat der Sechszylinder seine Entstehung zu verdanken. Für dessen Überleben zeichnet heutzutage Lucio Castelli verantwortlich.
Der Mechaniker begann bereits 1960 bei MV Agusta als Testfahrer für die Serienmaschinen. Dank seiner Talente übernahm ihn 1964 das Rennteam. Dort schraubte er für Größen wie Mike Hailwood, Giacomo Agostini und Phil Read. Auch der Conte schätzte Castellis Fähigkeiten und seine Gewissenhaftigkeit und belohnte ihn mit einem unglaublich großzügigen Geschenk: der Sechszylinder-Rennmaschine.
Bei Lucio Castelli ist das einzigartige Sammlerstück in den besten Händen. Er hält das komplizierte Triebwerk am Laufen und lässt bei Klassik-Veranstaltungen das Publikum optisch und akustisch an dem seltenen Stück teilhaben. Kein geringerer als Gianfranco Bonera, der Vizeweltmeister von 1974, selbstverständlich auf MV Agusta, präsentiert die Rarität auf der Strecke.
Sowohl auf engen Stadtkursen als auch auf schnellen Rennstrecken bewegt er die Sechszylinder gewohnt souverän – obwohl sie zweifelsohne schwieriger zu fahren ist als die Drei- und die späteren Vierzylinder. Darauf deuten ungewöhnliche Fahrwerksdetails wie ein zweiter Steuerkopf oder eine zweite Aufnahme für die Hinterradachse hin.
Auf die speziellen Details angesprochen, erinnert sich Lucio Castelli an eine starke Wheelie-Neigung, die seinerzeit eine Verlängerung des Radstands erforderte. Doch auch Stabilitätsprobleme mögen eine Ursache gewesen sein: Das deutlich höhere Gewicht des Sechszylinder-Motors und eine ungünstigere Schwerpunktlage im Vergleich zum Dreizylinder sind bereits beim Rangieren der beiden Motorräder im Fotostudio eindeutig zu spüren.
Leider konnte das hochinteressante Konzept nie wie so viele andere MV Agusta-Rennmotorräder seine Leistungsfähigkeit unter Beweis stellen. Trotzdem wird die Sechszylinder als ein bedeutendes Stück Technik in die Rennhistorie eingehen.
Bereits 1957 veröffentlichte Das MOTORRAD Meldungen über eine Sechszylinder-Rennmaschine von MV Agusta, die 1958 ins Renngeschehen eingreifen sollte. Doch sie ereilte ein ähnliches Schicksal wie die Six von 1969: Für 1958 zogen sich MV Agusta und andere italienische Firmen offiziell vom Rennsport zurück. Der Motor zeigt die Verwandschaft zu den Vierzylindern mit zwei Ventilen; mit dem späteren Sechser hat er keine Gemeinsamkeiten.