Test Aprilia RSV mille

Test Aprilia RSV mille Al dente

So mag der Italiener seine Pasta. Und so serviert auch Aprilia die neue RSV mille. Nicht unnötig weich gekocht, sondern so richtig mit Biß.

Daß der Italiener sich auf Mode versteht, kann man sehen. Daß der Italiener sich auf eine exzellente Küche versteht, kann man schmecken. Ob sich der Italiener auch darauf versteht, gute Motorräder zu bauen, kann man erfahren. Freilich nur dann, wenn das begehrte Exemplar als Testmotorrad zur Verfügung steht. Und das kann dauern. Die Mailänder Messe, auf der die RSV mille erstmals präsentiert wurde, ist schon einige Tage her. Aber auch dafür ist der Südländer ja bekannt: Termine machen, um sie kurz darauf mindestens ein halbes Dutzend mal wieder zu verschieben.
Doch aller Ärger über die Verzögerungen bei der Aprlia RSV mille ist verflogen, als endlich das erste Testexemplar aus Italien wohlbehalten in der Redaktion eintrifft. Zwar handelt es sich »nur« um eine dieser handverlesenen Maschinen, die bereits bei der ersten Präsentation in Barcelona bereitstanden, aber immerhin. Die versprochene Auslieferung der Serienmaschinen ist trotz offizieller Ankündigung bis jetzt noch nicht erfolgt.
Die Neugier ist groß, und so steht der mille schon am nächsten Morgen die erste Prüfung bevor: Leistungsmessung auf dem Rollenprüfstand. Und siehe da, nicht nur versprochene, sondern auch gemessene 128 PS - alle Gerüchte über mangelnde Power des österreichischen Rotax-Triebwerks sind mit einem Streich aus der Welt geschafft.
Auch die zweite Übung bereitet der Mille nicht das geringste Problem. In nur drei Sekunden katapultiert sie sich, trotz einer schlecht dosierbaren Kupplung, aus dem Stand auf 100 km/h. Und in Sachen Durchzug braucht sich der Neuzugang in der V2-Klasse ebenfalls weder vor der italienischen noch der japanischen Konkurrenz zu fürchten. Die Mille brennt in jeder Disziplin Spitzenwerte auf den Asphalt. Ihr Meisterstück gelingt ihr allerdings bei der Messung der Höchstgeschwindigkeit. XXX km/h verlangen nach einem dicken Lob für die Aerodynamiker in Noale (siehe auch Windkanalvergleich, MOTORRAD 13/1998).
Nachdem die RSV bereits bei der Präsentation ihre Talente auf der Rennstrecke unter Beweis gestellt hat (MOTORRAD 16/1998), soll sie jetzt ihre Qualitäten auf der Landstraße zeigen. Und wieder überrascht sie positiv. Denn es ist herzerfrischend, wie locker und selbstverständlich dieser immerhin 223 Kilogramm schwere Zweizylinder durch die engen Täler des Südschwarzwalds stürmt. Mit welcher Neutralität die Italienerin sowohl langgezogene Kurven als auch enge Kehren meistert. Als ob die Mille seit Generationen nichts anderes gemacht hätte. Punktgenaues Einlenken, ein sauberer Kurvenradius und spielend leichter Schräglagenwechsel auch in schnellen Wechselkurven, das sind ihre Stärken. Ein weiterer Pluspunkt: die geringe Aufstellneigung beim Verzögern in Schräglage. Mit ein Verdienst der supersportlichen Serienbereifung von Pirelli. Prima Handling, gute Dämpfungseigenschaften und beste Haftung zeichnen die Sportgummis MTR 01S vorn und MTR 08 hinten aus. Ein leicht schwammiges Gefühl in schnellen Kurven bei mäßiger Schräglage ist auf die Null-Grad-Stahlgürtelkonstruktion des Vorderrades zurückzuführen und trübt den guten Eindruck nur wenig. An der erschreckend schlechten Haftung bei regennasser Fahrbahn sollten die Pirelli-Reifentechniker allerdings schnellstens etwas ändern. Das kann bei einem so leistungsstarken Sportler schnell ins Auge gehen.
Gabel und Federbein verfügen jeweils über einen breiten und sinnvoll nutzbaren Einstellbereich von Zug- und Druckstufendämpfung. Die recht straffe Grundabstimmung verhindert auch auf den holprigen und welligen Straßen ein Aufschaukeln, ohne daß dabei der Komfort zu kurz kommt.
Und das gilt nicht nur für die Federelemente, sonder die Aprilia ist insgesamt ein Motorrad, das bei aller sportlichen Ambitionen die Alltagsbelange nicht vernachlässigt. Eine recht aufrechte Sitzposition, hervorragender Knieschluß dank des schmalen Tanks, guter Windschutz und ein multifunktionales Cockpit lassen nur wenig Wünsche offen. Vielleicht ein etwas härteres Sitzpolster, das könnte auf längeren Touren ein Durchsitzen bis auf das Plastik verhindern. Die sind nämlich dank der moderaten Trinksitten des V-zwei und einem großzügigen Tankvolumen von 20 Litern mit der Mille kein Problem.
Längere Touren bringen allerdings noch einen anderen Makel zum Vorschein. Zwar hängt die Mille dank Einspritzanlage sauber und gutmütig dosierbar am Gas, dennoch ist der RSV-Motor ein eher rauhbeiniger Geselle. Da helfen auch zwei Ausgleichswellen nur wenig. Über 6000/min rüttelt er kräftig am Alu-Chassis und regt so Lenkerstummel und Fußrasten zu nervenden Schwingungen an. Rein subjektiv klingt der Kraftprotz mechanisch härter und lauter als andere sportliche Zweizylinder-Triebwerke. Auch das Kettenpeitschen beim untertourigen Gasaufziehen ist deutlich ausgeprägter als bei den Konkurrenzmodellen von Ducati, Suzuki oder Honda.
Während sich das rüde Benehmen des Antriebs noch mit Charakter entschuldigen läßt, gibt es beim Thema Bremsen keinerlei Erklärung. Warum um alles in der Welt halten die Italiener immer an diesen Brembos fest? Die Dosierbarkeit der vorderen Doppelscheiben-Anlage ist mangelhaft, die benötigte Handkraft viel zu groß, ein exakter Druckpunkt nicht auszumachen und die gebotene Wirkung nur mittelmäßig. Über die Dosierung der hinteren Bremse kann nicht viel gesagt werden, da selbst ein beherzter Tritt auf den schönen Alu-Hebel eigentlich keine Wirkung zeigt. Zumindest in Sachen Bremsen gilt also: nix bella Italia.
Von diesem Mangel abgesehen sind 22 920 Mark für die Aprilia ein durchaus fairer Preis. Vorausgesetzt natürlich, daß die Auslieferung der Maschinen, Kundenbetreuung, Ersatzteilversorgung und die Qualität in der Serienfertigung keine größeren Probleme bereiten. Aber was sollte bei einem italienischen Motorradhersteller schon daneben gehen?

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