Nur wenige Motorräder dürfen von sich behaupten, dass sie mächtig viel Aufmerksamkeit erregen, obwohl sie noch keinerlei Großtat vollbracht haben. Die Benelli Tornado Tre schon. So wie neulich im Fahrerlager der spanischen Rennstrecke von Calafat. Obwohl das Objekt der Begierde, 17000 Euro teuer, noch diskret versteckt im Transporter wartete, drückten sich jede Menge Renntrainingsteilnehmer die Nasen an den Seitenscheiben platt, um einen Blick zu erhaschen und gleich darauf leidenschaftlich über die zweisitzige Tornado-Variante zu diskutieren.
Anhänger der japanischen Vierzylinderfraktion und bekennende Italo-Fans ereiferten sich ob der Fähigkeiten der italienischen Schönheit. Einig wurden sie sich nur in einem Punkt: Die Wahrheit, die liege bekanntermaßen auf der Strecke, nirgends sonst. Und da hatte die Tre wenige Tage zuvor für Furore gesorgt. Christer Lindholm, mehrfacher Deutscher Superbike-Champ, hatte es hartnäckigen Gerüchten zufolge bei Testfahrten mächtig krachen lassen und mit der Benelli überaus respektable Zeiten in den zerfurchten Asphalt der trickreichen Piste von Calafat gebrannt. Allerdings nur so lange, bis ein technischer Defekt weitere Heldentaten verhinderte.
Womit das kapriziöse Wesen der Benelli offensichtlich wurde. Auch das von Importeur Ronald März vorbereitete Testmotorrad blieb von Kinderkrankheiten nicht verschont. Bereits nach wenigen Runden gemütlichen Einrollens trat am Ausrückmechanismus der Kupplung Öl aus, zum Glück bemerkte Kollege Koch diesen Fauxpas rechtzeitig. Eine der drei Schrauben an diesem Mechanismus war zu lang, folglich hebelte es den kleinen Deckel beim Ziehen der Kupplung aus.
Fehler behoben, auf ein Neues hinaus auf die Piste. Was gleich auffällt: Die Sitzposition der Tre ist niedriger als bei der Limited Edition, was vor allem kleinere Menschen wohlwollend zur Kenntnis nehmen, weil der Bodenkontakt leichter fällt. An die nach vorne orientierte Haltung und den charakteristischen Knubbel im Tankende gewöhnt man sich schnell: sportiv, aber nicht unbequem. Nach kurzer Zeit wächst das Vertrauen, kommt die goldrichtig gewählte Erstbereifung Marke Dunlop D 207 RR auf Betriebstemperatur.
Und dann stellt sich auch schon wieder das vom letzten Test der sündhaft teuren Limited Edition bekannte Gefühl ein: Wie kaum ein anderes Supersport-Motorrad auf dem Markt fährt die Tre neutral, zielsicher und absolut präzise die vom Fahrer gewünschte Linie. Da haben die Italiener wirklich ein fein ausbalanciertes Motorrad auf die Brembo-Laufräder gestellt. Zu diesem charmanten Charakterzug tragen einen gut Teil die Fahrwerkskomponenten bei. Benelli verzichtet bei der Tre auf exklusive Öhlins-Teile. Die gut ansprechende Upside-down-Gabel stammt von Marzocchi, das ebenfalls voll einstellbare Federbein liefert die in Deutschland noch unbekannte Firma Extreme Technology. Selbst ambitionierte Sportfahrer haben an diesen Komponenten nichts auszusetzen, im Gegenteil. Gerade in schnellen Ecken vermittelt einem die Kombination aus einem steifen Rahmen ein Mix aus Stahlrohren und Aluminiumgussteilen Federelemten ein sattes Gefühl der Sicherheit.
Weshalb der Glauben an sich und an die Fähigkeiten der Tre von Runde zu Runden wachsen. Noch dazu, weil die Vierkolbensättel von Brembo sich mächtig und toll dosierbar in die 320er-Bremsscheiben verbeißen, die Bremspunkte ergo immer optimistischer gewählt werden. Alles könnte so schön sein, würde einem nicht ein weiteres Mal die Kupplung einen Streich spielen. Dass sie ebenso schwergängig wie schlecht dosierbar arbeitet, ist noch tolerabel. Auch mit dem knorrigen, je nach Last mehr oder minder schwer schaltbaren Getriebe kann man sich arrangieren. Sogar dass die Leerlaufsuche de facto ein Glückspiel ist, trägt ein Benelli-Fan mit stoischer Gelassenheit. Bei der launischen Arbeitsauffassung der derzeit schwer in Mode geratenen Anti-Hopping-Kupplung hört der Spaß jedoch auf. Beim schnellen Herunterschalten mehrerer Gänge trennt das Teil so unterschiedlich, dass die Bremswirkung am Hinterrad manchmal komplett ausfällt . Das führt beim Fahrer zu Adrenalinschüben, verhagelt die Linie und endet unter Umständen im Kiesbett. Richtig gemein wird es, wenn die Kupplung zum völlig unpassenden Moment wieder einrückt: nach dem Einlenken, direkt am Scheitelpunkt der Kurve. Gottlob verhinderte der haftstarke und gutmütige D 207 RR-Hinterreifen Schlimmeres. Laut Importeur März ein Einzelfall, um den sich Benelli nichtsdestotweniger schleunigst kümmern muss.
Wenn die Techniker dann schon mal am Motor zugange sind, dürfen sie auch gleich noch die Abstimmung des Dreizylinders überdenken. Das Triebwerk präsentiert sich zwar potent wie nie: Mit gemessenen 130 PS steht der charismatische Drilling toll im Futter. Selbst der spürbare Leistungseinbruch bei 7000/min stört nicht über die Maßen, die guten Fahrleistungen belegen das. Beim Durchzug hält die gekonnt übersetzte Tre eine Ducati 999 in Schach. Aber in puncto Lastwechsel liegen zwischen einer Duc und der Benelli Welten. Ihre harten Lastwechselreaktionen beim Gasanlegen nerven insbesondere auf Landstraßen ziemlich. Ein weiteres Indiz dafür, dass die Italiener die Einspritzanlage noch nicht im Griff haben, sind die beispiellos hohen Verbrauchswerte: 8,6 Liter während einer betont moderaten Landstraßenfahrt sind des Guten zu viel. Auf der Rennstrecke fackelte der Drilling über 18 Liter pro 100 Kilometer ab. Wie die Benelli mit dieser Abstimmung die gängigen Abgasnormen erfüllt, ist nur schwer vorstellbar.
Und auch beim Geräusch schlägt die Tre über die Stränge. Da hilft kein Prüfstempel im Arrow-Endschalldämpfer, keine verzückten Gesichter an der Boxenmauer täuschen darüber hinweg: Die Italienerin ist schlichtweg viel zu laut. Gar mancher Rennstreckenbetreiber wird ihr deshalb die rote Karte zeigen. Von deutschen Ordnungshütern mal ganz abgesehen.
Dass Benelli Fahrwerke bauen kann, beweist diese Biposto eindrucksvoll, von einem kompletten Motorrad, das seinen Preis in allen Belagen rechtfertig, ist die Tre allerdings noch ein gutes Stück entfernt. Sie besitzt zweifellos die Anlagen, eine Große zu werden, davor steht aber noch ein hartes Stück Arbeit, damit die Hoffnungsträgerin Tornado Tre nicht als »die Unvollendete« in die Analen eingeht.
Test Benelli Tornado Tre Biposto : Die Unvollendete
Benelli Tornado Tre ein charismatisches Motorrad mit zwei Gesichtern: sagenhaft fahrbar, aber unvollkommen. Was nicht nur der erste Test offenbarte.