Bei der Präsentation auf der Rennstrecke von Misano konnte die Suzuki GSX-R 750 vor allem durch ihren drehfreudigen Motor überzeugen. Allerdings handelte es sich dabei um die italienische Ausführung mit offener Leistung von 128 PS und Michelin-Bereifung, die auf der Rennstrecke leichte Schwächen zeigte. Mit Spannung erwarteten die Tester das Fahrverhalten der deutschen 98-PS-Version mit der Metzeler ME Z1-Bereifung in Racing-Mischung. Um die Möglichkeiten der GSX-R auszuloten, ging`s zunächst noch mal auf die Rennstrecke, diesmal nach Le Luc in Südfrankreich. Schon die ersten Runden machen den Einfluß der Reifen deutlich. Während die Suzuki beim ersten Fahreindruck in Misano mit guter Handlichkeit brillierte, will sie nun mit deutlichem Kraftaufwand eingelenkt werden. Auch in Wechselkurven muß der Fahrer nachhaltig am Lenker ziehen, um das Motorrad von einer Schräglage in die andere zu dirigieren. Schwerfällig ist die GSX-R zwar nicht, doch gemessen am geringen Gewicht - die MOTORRAD-Waage bestätigte 204 Kilogramm vollgetankt - und den kompakten Fahrwerksdaten mit dem vergleichsweise kurzen Radstand und Nachlauf, könnte sie handlicher sein. Eine Kawasaki ZX-6R, gerade zwei Kilogramm schwerer, absolviert diese Disziplinen deutlich leichtfüßiger. Dafür besticht die Suzuki durch hervorragende Stabilität und Zielgenauigkeit. Einmal eingelenkt, fährt sie eine saubere Linie, ohne sich von irgend etwas beeindrucken zu lassen. Und das nicht nur im Kurvenlabyrinth der Rennstrecke. Auch auf der Autobahn läuft die GSX-R mit einer geradezu stoischen Ruhe geradeaus. Selbst Bodenwellen und Absätze bringen sie nicht aus dem Konzept. Außerdem glänzen die Metzeler durch hervorragende Haftung und machen in Verbindung mit der großen Schräglagenfreiheit Kurven aller Art fast zum Spiel ohne Grenzen.Der Motor überzeugt selbst in der gedrosselten Version durch seine Drehfreudigkeit, auch wenn er ab 11 000 Umdrehungen der Maximaldrehzahl entschieden verhaltener entgegenstrebt als das ungedrosselte Pendant. Dabei produziert er allenfalls dezente Vibrationen. Mit 103 auf dem Bosch-Rollenprüfstand gemessenen PS schöpft das Testexemplar die Toleranzgrenze nach oben voll aus. Die Stärke des Triebwerks spiegeln auch die Fahrleistungen wider. 3,2 Sekunden von null auf hundert km/h und 237 km/h Höchstgeschwindigkeit, unter widrigen Wetterbedingungen gemessen, sind hervorragende Werte. Und auch im Durchzug ab 140 km/h wird es die Konkurrenz gegen die GSX-R schwer haben. Weniger gut als das Triebwerk setzen sich die Bremsen in Szene. Die Dosierung der supergiftigen Stopper fällt schwer, und außerdem beginnt der Druckpunkt nach einigen schnellen Runden zu wandern. Generell müssen sich die Hersteller fragen, ob immer geringere Handkräfte im Alltagsbetrieb von Vorteil sind. Ein Handbremszylinder mit größerem Kolbendurchmesser würde zwar mehr Handkraft erfordern, aber mit Sicherheit einen besser definierten Druckpunkt bringen. Für die Rennstrecke dagegen bis auf Kleinigkeiten gelungen ist die Fahrwerksabstimmung mit den straffen Federelementen. Die Gabel könnte selbst bei geringster Druckstufendämpfung sensibler ansprechen, und am Federbein muß bei strammer Gangart die Zugstufendämpfung voll in Richtung hart verstellt werden. Bei nachlassender Dämpfung kann die optimale Fahrwerksabstimmung dann nicht mehr erreicht werden. Die zweite Prüfung muß die GSX-R auf der Landstraße absolvieren. Bei zügiger Gangart zieht die Suzuki spurstabil ihre Bahn. In engen, verwinkelten Ecken mit Bodenwellen und mittlerer Schräglage ist es dann aber vorbei mit der Stabilität, die GSX-R neigt zum Kippeln um die Längsachse, was möglicherweise dem überbreiten 190er Hinterreifen zuzuschreiben ist. Auch auf Längsrillen reagiert die Metzeler-Bereifung ausgesprochen unwillig. Urplötzlich kippt die Suzuki ab und fährt ihre eigenen Wege. Ihre schlechteste Note fährt die GSX-R in der Stadt ein. Hier tritt eine Unart zutage, die den Stop and Go-Verkehr erschwert. Speziell im zweiten und dritten Gang vollführt der spontan ansprechende Motor beim Lastwechsel in Verbindung mit dem spielbehafteten Antriebsstrang ein nerviges Ruckeln. Beim Runterschalten und gleichzeitigen Bremsen beginnt das Hinterrad kräftig zu stempeln. Auch die Gänge rasten nicht mehr so sauber ein wie auf der Rennstrecke. Das Getriebe will mit Nachdruck geschaltet werden und tut dies durch deutliches Klacken kund. Zu guter Letzt noch ein paar Dinge, die im Alltagsbetrieb entscheidend sein können. Mitfahrer fühlen sich auf der Suzuki nicht sonderlich wohl. Wie der Bezug des Fahrersitzes ist auch der des Soziusplatzes rutschig. Beim Beschleunigen rutscht der Beifahrer zurück, ohne auf der sich nach hinten verjüngenden Sitzbank Halt zu finden, um beim Bremsen dann wieder abrupten Kontakt mit dem Fahrer aufzunehmen. Auch die harte Polsterung und die stark angewinkelten und wegen der Heckverkleidung weit gespreitzten Beine festigen nicht gerade eine Zweierbeziehung. In der Federabstimmung kann die Suzuki dagegen auch zu zweit überzeugen. Selbst auf übelsten Bodenwellen bieten die Federelemente genügend Reserven, die ein Durchschlagen verhindern. Allein die Zugstufendämpfung kommt mit Beifahrer schnell an ihre Grenzen. Ganz auf hart gestellt, wippt das Heck nach Bodenwellen nach. In den Spiegeln sind zwar die Ellbogen des Fahrers gut zu sehen, aber dennoch behält der Pilot den Überblick über den rückwärtigen Verkehr. Bei Nachtfahrten geht dagegen schnell der Durchblick verloren. Das Abblendlicht ist am heutigen Standard gemessen allenfalls schlechter Durchschnitt. Hier haben die Kalkulatoren ganz offensichtlich den Rotstift angesetzt. Die Armaturen mit der integrierten Kühlwasser-Temperaturanzeige im weißen Drehzahlmesser sind kompakt und funktionell. Für den Gesamt- und Tageskilometerzähler gibt es nur ein Display, abzurufen durch eine Tipfunktion. Die Verkleidung bietet für ein Supersportmotorrad einen ordentlichen Windschutz. Bei normaler Haltung ist der Helm dem Fahrtwind ausgesetzt, der Körper dagegen weitgehend entlastet. Hinter die Scheibe geduckt, streicht der Fahrtwind fast über den Helm hinweg. Der Verbrauch ist bei zügiger Landstraßenfahrt mit 6,2 Litern auf hundert Kilometer noch akzeptabel. Doch auf der Autobahn kommt die Zehn-Liter-Grenze schon mal in Gefahr. Insgesamt zeigt die Suzuki GSX-R 750 eine klare Tendenz auf. Sie macht bei zügiger Fahrweise die beste Figur. Um so geringer das Tempo wird, um so mehr nerven kleine Schwächen wie kippliges Fahrverhalten bei moderater Fahrweise bis zum lästigen Lastwechselruckeln im Stop and Go-Verkehr. Die optimale Papierform kann die Suzuki also noch nicht unter allen Bedingungen in perfektes Fahrverhalten umsetzen. Die Konstrukteure sollten die Zeit nutzen und spätestens bis zum nächsten Modelljahr Schwachstellen ausmerzen, um nicht nur die Leistungsfähigkeit im Extrembereich, sondern vor allem die Alltagstauglichkeit zu verbessern.
Suzuki GSX-R 750 `96 (T) (Archivversion)
Bei schneller Gangart bereitet die Suzuki zweifellos Vergnügen, auch wenn sie in Anbetracht ihrer Voraussetzungen handlicher sein könnte. Außerdem wünsche ich mir eine besser dosierbare Bremse. Wirklich störend ist im Alltagsbetrieb die sensibel auf Bodenunebenheiten reagierende Bereifung, und das Lastwechselruckeln nervt im Stadtverkehr.