Test: Yamaha YZF-R1 gegen Ducati 1098 S
Circus Maximus

Zwei grundverschiedene Charaktere, zwei Superlative. Die Yamaha YZF-R1 reißt mit viel Elektronik und neuem Motor die 180-PS-Mauer ein. Und Ducati offeriert mit der 1098 den stärksten Serien-Zweizylinder aller Zeiten. Zwei Überflieger?

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Foto: fact

Mit grässlichem Quietschen bringen die Bremsen den schweren Laster neben R1 und Ducati zum Stehen. Der Fahrer ist völlig aus dem Häuschen. Wild gestikulierend und mit erhobenem Daumen sprudelt in einem wasserfallartigen Wortschwall seine Begeisterung über die Schönheiten zum Führerhäuschen hinaus. Dass er dafür kurzfristig die Ortsdurchfahrt des kleinen südfranzösischen Städtchens blockiert und ein Hupkonzert hinter sich provoziert, ist ihm egal.

Wo immer Yamaha YZF-R1 und vor allem Ducati 1098 S aufkreuzen, sorgen sie – optisch wie technisch – für mächtiges Aufsehen. Die Yamaha mit neuem, jetzt vier- anstatt fünfventiligem Motor, gewaltigen 180 PS als Hightech-Speerspitze mit Drive-by-wire und variablen Saugrohrlängen. Und die Ducati als stärkster und leichtester Superbike-Twin aller Zeiten sowieso. Aber Spitzenleistung hin oder her, was zählt, ist die Praxis. Das sind in diesem Fall traumhaft verschnörkelte südfranzösische Land- und Passsträßchen. Leider ist es auch hier mitten im Januar morgens erstmal kalt, saukalt sogar. Was die R1 herzlich wenig interessiert. Ihr Anlasser zwitschert nur kurz, dann ist der Vierzylinder da wie der Pfennig. Derweil zieht der Ducati-Starter schwer keuchend die Kolben durch die Zylinder. Schafft es jedoch stets gleichwohl, die Signorina zur Arbeit zu wecken.

Noch klamm und staksig gilt es, sich über die kalten Straßen zu tasten, langsam, nur nichts überstürzen. Vorteil R1. Da ist zum einen ihre Sitzposition. Locker, entspannt, unverkrampft. So wie man das von ihr kennt. Das passt. Und ihr Vierzylinder läuft schon knapp über Standgas rund. Er kann sich beim Gas anlegen unter 4000/min einen kräftigen Lastwechsel-Ruck zwar nicht verkneifen, lässt sich über dieser Marke aber mit leichter Hand durch enge Ecken und Serpentinen dirigieren.

Die Ducati hat ergonomisch zweifelsohne einen deutlichen Schritt vorwärts
gemacht. Dennoch ist ihr Tank noch immer länger, sind die Stummel noch immer tiefer angeklemmt. Wirkt Racing-mäßig und weit weniger entspannt, weil auch der Gasgriff und vor allem die Kupplung viel mehr Krafteinsatz fordern. Außerdem benötigt der kernige V-Zweizylinder selbst in den unteren Gängen wenigstens 2200 Umdrehungen, um ohne zu stolpern den Marsch durchs Drehzahlband in Angriff zu nehmen – darüber zieht er ab wie ein Bulle.

Klasse, genau der niedertourige Punch, der jetzt vonnöten ist, da die Straße Anlauf nimmt, um sich als kleiner Pass mit verführerischen Windungen den Hang hinaufzuschrauben. Mit wuchtigem Antritt, unge-stüm polternd, zerrt der V2 voran. Der fette Drehmoment-Kick und die herzhaft-direkte Gasannahme lassen die Duc fast nach Belieben auf dem Hinterrad aus den Ecken schnalzen. Dazu röhrt es ungeniert und wuchtig unter dem Höcker hervor.

Die R1 ist aus ganz anderem Holz geschnitzt. Kultivierter, sanfter, gleichmäßiger schnurrt sie aus den Ecken. Nicht so schmusig wie die Vorgängerin, aber nach wie vor ungleich laufruhiger als der Ducati-Twin. Allerdings drückt sie nicht annähernd mit der Gewalt der Italienerin aus den Kehren heraus.

Will man den Anschluss halten, bleibt mangels Drehmoment meist nur, den ersten Gang zu bemühen. Einer fetten 1000er eigentlich nicht würdig. Der Wechsel vom Fünf- zum Vierventilkopf hat daran nichts geändert. Doch wehe, man überschreitet die 7000er-Marke, dann ist Stimmung in der Hütte. Wobei da auch schon wenigstens 80 km/h auf der Uhr stehen. Was
soll’s, das Feuerwerk, das die R1 ab dieser Marke bis zum Begrenzer abfeuert, ist eine Wucht. Vom Absenken der Ansaugtrichter bei 10400/min zum leistungsfördernden Verkürzen der Ansaugwege ist jedoch nichts zu spüren. Immerhin fallen bei höheren Drehzahlen die Lastwechsel spürbar geschmeidiger aus.

Die Ducati lässt sich in der zweiten Hälfte des Drehzahlbandes ebenfalls nicht lumpen. Die Explosivität, die Energie, mit der sie Richtung Begrenzer hechtet, das ist heftig. Einziges Härchen in der Suppe: Ab und an kommt der Einspritzrechner ein wenig ins Straucheln, wenn etwa in der Beschleunigungsphase die Drosselklap-pen leicht geschlossen werden. In diesem Augenblick bricht die Leistung kurz ab, um gleich danach wieder einzusetzen.

Auch die Yamaha schludert bei der Gasannahme. Trotz Drive-by-wire findet der Befehl der Gashand bei niedrigen Drehzahlen nur mit leichter Verzögerung seinen Niederschlag in den Brennräumen. Kein Vergleich zur fast schon gnadenlosen Direktheit der Ducati. Da kann man schon mal leicht ins Grübeln geraten.

Wobei sich die Yamaha subito wieder glänzend in Szene zu setzen weiß. Schließlich sind die südfranzösischen Sträßchen für die verwegene Verkettung abenteuerlichster Kurvenfolgen berühmt. Und hier begeistert die R1 mit für eine 1000er famoser Handlichkeit. Obwohl sie ein paar Speckröllchen zugelegt hat und nur mittelprächtige Rückmeldung von der Vorderhand liefert, vernascht die Yamaha flugs eine Kehre nach der anderen. Geht ganz locker, leichter Zug am Lenker, leichter Schenkeldruck – schwupps – rum ums Eck. Ein guter Schuss mehr Präzision beim Einlenken wäre zwar schön, aber dafür wirft die R1 ein gut ausbalanciertes Fahrwerk in die Waagschale. Selbst wenn man sie im
gestreckten Galopp den Pass hinuntertreibt, hat der Pilot die Sache jederzeit im Griff. Weil die neuen Sechskolben-Stopper ungemein sämig dosierbar und kräftig zupacken. Und sich der eilige Reiter auf die exzellente Darbietung der ebenfalls neuen Anti-Hoping-Kupplung verlassen kann.

Darüber hinaus gefallen die Yamaha-Federelemente mit einem praxisgerecht weiten Einstellbereich. Allein die Gabel, die nicht mehr ganz so sensibel zu Werke geht wie noch im Vorjahr, überraschte vereinzelt beim Anbremsen mit kräftigen Vibrationen. Ob das nur die Testmaschine betrifft? MOTORRAD wird dranbleiben. Ansonsten arbeiten die Federelemente, besonders das in der Druckstufe in High- und Lowspeed einstellbare Federbein, tadellos, haben von komfortabel bis sportlich-straff alles drauf. Und dank der höher angelenkten, längeren Schwinge ist die Neigung der R1, die Kurve beim Beschleunigen auf dem weiten Bogen zu verlassen, passé. Das alles macht flottes Kurvenräubern zu einer entspannten Sache.

Der Ducatista muss diesbezüglich schon mehr Einsatz aufbringen, um nicht abgehängt zu werden. Weil die 1098 zwar exakt, aber nicht so easy um die Ecken flitzt. Ihre Handlichkeit geht voll in Ordnung. Nur an die Leichtfüßigkeit der R1 reicht sie trotz Bestnoten beim Gewicht und superleichter Schmiederäder eben nicht heran. Offenbar setzt hier das Konzept des lang bauenden L-Twin mit seinen großen rotierenden Massen hinsichtlich Schwerpunktlage sowie Gewichtsverteilung und damit beim Handling Grenzen. In schnell aufeinanderfolgenden Wechselkurven, in die bei engagierter Gangart weit hineingebremst wird, hat der Pilot, dessen Gewicht schwerer auf den Handgelenken lastet, zusätzlich ein deutliches Aufstellmoment zu überwinden. Zudem taucht die komfortable Gabel unter der Wucht der bissig zupackenden Monobloc-Zangen beim harten Anbremsen tief ein.

Beim Herausbeschleunigen dagegen herrscht wieder eitel Sonnenschein. Weil die unglaublich straff abgestimmte Hinterhand keinen Millimeter einknickt und die 1098 präzise auf dem gewählten Radius
aus dem Eck feuert. Komfort gewährt das mit einer weichen, aber weit vorgespannten Feder mit einer Federrate von 80 N/mm und einer ungemein strammen Druckstufe ausgestattete Federbein dabei höchstens ansatzweise. Und das auch nur bei voll geöffneter Dämpfung und reduzierter Vorspannung. Somit gestattet die unterschiedliche Auslegung von Gabel und Federbein zumindest auf enger, ungehobelter Landstraße kaum eine stimmige Balance.

Auf weitläufigen Radien mit feinerem Belag wiederum zeigt die 1098 S, wofür sie gebaut ist: Racing. Die Rückmeldung, ihre Präzision – die R1 erscheint längst nicht so entschlossen in der Linienwahl –, das satt und knackig wirkende Gefühl in schnellen Bögen, hier kehren all die Dinge wieder zurück. So bleiben die Neuauflagen von R1 und Ducati ihrem bisherigen Charakter treu: Die Yamaha verliert neben aller sportlichen Attitude den Alltag nicht aus dem Blick, während die Ducati kompromisslos Rennmaschine ist. Mit allen Risiken und Nebenwirkungen.

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Technische Daten Ducati 1098 S

Motor
Wassergekühlter Zweizylinder-Viertakt-90-Grad-V-Motor, je zwei oben liegende, zahnriemengetriebene Nockenwellen, vier Ventile
pro Zylinder, desmodromisch betätigt, Nasssumpfschmierung, Einspritzung, geregelter Katalysator, Lichtmaschine 520 W, Batterie
12 V/12 Ah, hydraulisch betätigte Mehrscheiben-Trockenkupplung, Sechsganggetriebe, O-Ring-Kette.

Bohrung x Hub 104,0 x 64,7 mm

Hubraum 1099 cm3

Verdichtungsverhältnis 12,5:1

Nennleistung
119,3 kW (162 PS) bei 9750/min
Max. Drehmoment 125 Nm bei 8000/min

Fahrwerk
Gitterrohrrahmen aus Stahl, Motor mittragend, Upside-down-Gabel, Ø 43 mm, verstellbare
Federbasis, Zug- und Druckstufendämpfung, Eingelenk-Einarmschwinge aus Aluminium, Zentralfederbein mit Hebelsystem, verstellbare Federbasis, Zug- und Druckstufendämpfung, Doppelscheibenbremse vorn, Ø 330 mm, Vierkolben-Festsättel, Scheibenbremse hinten, Ø 245 mm, Zweikolben-Festsattel.

Alu-Schmiederäder 3.50 x 17; 6.00 x 17

Reifen 120/70 ZR 17; 190/55 ZR 17

Bereifung im Test Pirelli Supercorsa
Maße und Gewichte
Radstand 1430 mm, Lenkkopfwinkel 65,5 Grad, Nachlauf 104 mm, Federweg v/h 127/
127 mm, Sitzhöhe* 810 mm, Gewicht vollgetankt* 196 kg, Zuladung* 194 kg, Tankinhalt/
Reserve 15,5/4,0 Liter.

Garantie zwei Jahre

Service-Intervalle alle 12000 km

Farben Rot, Schwarz

Preis 21295 Euro

Nebenkosten 255 Euro

Technische Daten Yamaha YZF-R1

Motor
Wassergekühlter Vierzylinder-Viertakt-Reihenmotor, zwei oben liegende, kettengetriebene Nockenwellen, vier Ventile pro Zylinder, Tassenstößel, Nasssumpfschmierung, Einspritzung, Ø 42 mm, geregelter Katalysator, Lichtmaschine 560 W, Batterie 12 V/9 Ah, mechanisch betätigte Mehrscheiben-Ölbadkupplung, Sechsganggetriebe, O-Ring-Kette.

Bohrung x Hub 77,0 x 53,6 mm

Hubraum 998 cm3

Verdichtungsverhältnis 12,7:1

Nennleistung
132,4 kW (180 PS) bei 12500/min
Max. Drehmoment 113 Nm bei 10500/min

Fahrwerk
Brückenrahmen aus Aluminium, Upside-down-Gabel, Ø 43 mm, verstellbare Feder-
basis, Zug- und Druckstufendämpfung, Zweiarmschwinge aus Aluminium, Zentralfederbein mit Hebelsystem, verstellbare Federbasis, Zug- und Druckstufendämpfung, Doppelscheibenbremse vorn, Ø 310 mm, Sechskolben-Festsättel, Scheibenbremse hinten, Ø 220 mm, Einkolben-Schwimmsattel.
Alu-Gussräder 3.50 x 17; 6.00 x 17
Reifen 120/70 ZR 17; 190/50 ZR 17
Bereifung im Test
Michelin Pilot Power, vorne »P”
Maße und Gewichte
Radstand 1415 mm, Lenkkopfwinkel 66,0 Grad, Nachlauf 102 mm, Federweg v/h 120/
130 mm, Sitzhöhe* 820 mm, Gewicht voll-getankt* 210 kg, Tankinhalt/Reserve 18,0/3,2 Liter.

Garantie zwei Jahre

Service-Intervalle alle 10000 km

Farben Blau, Schwarz, Rot/Weiß

Preis 13782 Euro

Nebenkosten 215 Euro

Die Rennstrecke

Auch wenn der große 1000er-Vergleich noch aussteht, durften R1 und 1098 S zu einem ersten Schlagabtausch in Calafat antreten, beide besohlt mit Pirelli Diablo Corsa III. Der verhalf der R1 zu spürbar mehr Präzision beim Einlenken. Ex-GP-Pilot Peter Öttl war nach kurzer Eingewöhnungszeit für die Rundenzeiten zuständig. Die Pluspunkte der Yamaha auf der freilich engen Strecke: das tolle Handling und die stabile Hinterhand, die jetzt beim Herausbeschleunigen engere Linien ermöglicht. Dazu die wirkungsvolle Anti-Hopping-Kupplung und die toll zupackenden, standfesten Bremsen. Die Ducati schafft trotz geringerer Handlichkeit dank des drehmomentstarken Twins und der brachialen Bremsen das Patt. Handicap auch hier: die Disbalance der Federelemente und das starke Aufstellmoment.

Kommentar Motor

So viel Feuer aus zwei Zylindern ist ein-malig. Der Ducati-Motor ist die Krönung der 1098. Auch der wesentlich laufruhigere R1-Antrieb platzt vor Kraft aus allen Nähten – allerdings erst bei hohen Drehzahlen. Sein deutlich geschmeidigeres Getriebe und die leichtgängigere Kupplung unterstreichen seinen kultivierten Charakter. Gasannahme und Lastwechsel könnten aber sowohl 1098 als auch R1 noch ein wenig feiner absolvieren.

Kommentar Fahrwerk

Nach wie vor klasse ist das Handling
der Yamaha. Selbst wenn die vorne mit einem Michelin Pilot Power in Sonderkennung »P« bestückte R1 etwas teigig einlenkt. Außerdem ist das Gefühl für die
Straße bestenfalls Durchschnitt. Dafür nimmt sie vor allem ausgemergelte
Kurven wesentlich harmonischer und ausgewogener unter die Räder als die Ducati, die in Schräglage auf Boden-
wellen kippelig wirkt.

Kommentar Alltag

Mit ihrem Flutlicht macht die R1 die Nacht zum Tag. Ihr fast vertikaler
Öleinfüllstutzen dagegen ist unpraktisch, ebenso die sehr fummelig und nur
mit hochwertigem Werkzeug gut zugängliche Zugstufen-Verstellung des Ducati-Federbeins. Der 1098-Pilot ist jetzt zwar deutlich angenehmer unter-gebracht, das Sitzplatzarrangement der Yamaha aber dennoch bequemer. Ein schlechter Witz sind beide Soziusplätze.

Kommentar Sicherheit

Die biestig zupackenden Bremsen der
Ducati sind der Hammer, aber es braucht viel Feingefühl für die passende Dosierung. Die Yamaha wäre dank Anti-Hopping-Kupplung am Kurveneingang der Chef. Das gelegentlich auftretende Gabelflattern führt jedoch zum Punktabzug.

Kommentar Kosten

Einigkeit herrscht bei den Trinksitten. Wer viel leistet, sollte auch ordentlich was
zu sich nehmen. Bemerkenswert: die niedrigen Inspektionskosten der Ducati.

Preis-Leistungs-Verhältnis

Bestes Preis-Leistungs-verhältnis:
Die R1, teuerste der vier japanischen 1000er, bietet viel Hightech, hochwertige Ausstattung und eine ordentliche Verar-
beitung. Ein 50 Prozent größeres Loch reißt die Ducati 1098 S in die Geldbeutel. Da heißt es Zähne zusammenbeißen.

Platz 1 - Yamaha YZF-R1

Yamaha YZF-R1 Klarer Punkt-
sieg. Aber es ist nicht alles Gold, was glänzt.
Komfort, Handling, Bremsen und Fahrwerksabstimmung sind top. Dem stehen der zöger-liche Antritt aus dem Drehzahlkeller und die durchschnittliche Rückmeldung gegenüber.

Platz 2 - Ducati 1098 S

Ducati 1098 S Den zweiten
Platz trägt die Ducati mit Würde. Sie ist
ein Renneisen, basta. Edel, mit dem
stürmischsten Twin aller Zeiten und bärigen Bremsen. Wer fragt da nach Komfort.

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MOTORRAD 12 / 2023

Erscheinungsdatum 26.05.2023