Während die Rennversion der Yamaha R7 bereits mächtig in der Superbike-Szene mitmischt, kommt das straßentaugliche Modell mit leichter Verspätung. Aber es kommt. Und wie.
Während die Rennversion der Yamaha R7 bereits mächtig in der Superbike-Szene mitmischt, kommt das straßentaugliche Modell mit leichter Verspätung. Aber es kommt. Und wie.
Was für eine Panne. Aus pechschwarzen Wolken kübelt es hektoliterweise die Straßen und Pisten klatschnass. Ausgerechnet jetzt. Jetzt, wo wir ungeduldig die R7 aus dem Transporter bugsieren, mit neugierigen Augen in den letzten Winkel schielen, ehrfürchtig über das schwarz beschichtete Alu-Chassis streichen. So, so, da steht sie also, die YZF-R7 mit der Typenbezeichnung OW 02. Schon allein dieses Kürzel genügt, und die Lauscher stehen auf Empfang. Alles hat seine Geschichte und die OW 02 eine legendäre dazu. FZR 750 R, in Insider-Kreisen unter dem Namen OW 01 bekannt, hieß das edle gerät, das 1989 den versammelten Sportverein um den Verstand und manchen um das stolze Sümmchen von exakt 35900 Mark brachte.
In bester Tradition hat es auch die OW 02 faustdick hinter den Ohren. Öhlins-Gabel vorn, Öhlins-Federbein hinten, dazwischen ein ultrakompakter, geradliniger und steifer Alu-Rahmen mit allen erdenklichen Variationsmöglichkeiten der Rahmengeometrie, gespickt mit feinen CNC-Frästeilen in Grand-Prix-Qualität.
Mit den übereinander platzierten Getriebewellen dem Yamaha R1-Motor in Layout und
Konstruktion sehr verwandt, birgt der Fünfventiler edle Innereien. Ventile und Pleuel aus federleichtem Titan, die Gemischaufbereitung mit Kraftstoffeinspritzung über zwei Düsen pro Zylinder, kurze, graphitierte Slipperkolben mit einer hitzefesten, isolierenden Nickelbeschichtung der Kolbenböden,(erlaubt ein hohe Verdichtung ohne Abbrand der Alu-Legierung) und und und.
Der große Spielverderber neben dem Preis von 49 990 Mark: die auf schlappe 106 PS strangulierte TÜV-Version. Also rüstete man bei Yamaha-Deutschland das Exemplar für den Rennstreckentest gleich mit dem 5778 Mark teuren Basic-Engine-Kit nach. Airbox mit Ram-Air-Anströmung durch den modifizierten Serienkühler, dazu passende Steuerelektronik und ein paar Kleinigkeiten bringen den Ofen auf Schwung: 138 gemessene PS und stramme 276 km/h Spitze. Einfach Spitze.
Aber es regnet immer noch. Land unter in Hockenheim, Land unter auf dem Nürburgring. Nur dort, wo die Sonne den Wein verwöhnt, strahlt der Planet. Also auf ins elsässische Colmar, um das Edelmetall standesgemäß um den kurvigen Rhein-Ring zu hetzen.
Sitzprobe hinterm riesigen 23-Liter-Tank. Passt. Nur die Lenkerstummel sind ein paar Grad zu weit gespreizt. Satter Halt auf dem großflächigen, brettharten Sitz«polster«, eleganter Knieschluss ohne Kanten. Noch kurz die Hebel einjustiert, die Rennkombi zurecht gezupft, und ab gehts. Etwas mühselig schleppt sich die R7 mit dem extrem langen ersten Gang aus der Boxengasse, unwillig brabbelt der Einspritzer vor sich hin. Mag er nicht, das Rumgezuckel. Den Gashahn aufgesperrt, und die R7 brüllt los. Meine Herrn, was für ein Apparat. Die Charakteristik einer 600er, gepaart mit der schieren Power der Yamaha R1. Ein Racer ohne Gnade und der Rhein-Ring ab sofort aus der Zeitraffer-Perspektive.
Keine halbe Runde, und schon fliegt die R7 im Eiltempo um die Ecken. Im Gegensatz zur Yamaha R1 und R6, beide in Richtung Federungskomfort abgestimmt, informiert die straffe, direkte Dämpfung der R7 den Piloten detailliert über alles, was sich zwischen Fahrbahn und Reifengummi abspielt. So wie es sich eben für einen echten Racer gehört. Wenn dazu noch jede Lenkbewegung an der verwindungssteifen 43er-Öhlins-Gabel umgehend in Schräglage verwandelt wird und das Ganze kaum mehr Kraft erfordert als bei der wuseligen R6, treibt es dem schrägen Typen am Lenker ein breites Grinsen ins Gesicht.
Bevor sich das Duett auf ein ganz heißes Tänzchen einlässt, mahnen die Pirelli MTR 01A und MTR 08 zur Vorsicht. An sich keine schlechten Greifer, sind die Corsa-Mischungen von den Fahrwerksqualitäten der R7 jedoch schnell überfordert. Etwas instabil und schaukelig beim Rausbeschleunigen, leichter Eiertanz auf der Bremse. Nichts für ungut, aber auf einen Renner gehören Rennreifen - sonst gar nichts.
Höchstes Lob an dieser Stelle nochmals für die Schwedischen Öhlins-Spezialisten, denn mit jedem Klick in die richtige Richtung an Gabel und Federbein reagiert die OW 02 mit zunehmender Sportlichkeit. Selbst der Reifengrip legt bei straff justierter Druckstufe etwas zu. Einfach Klasse.
Klasse auch die grenzenlose Schräglagenfreiheit und die punktgenaue Lenkpräzision. Ebenso die messerscharfen Bremsen, die in leicht modifizierter Form von der R1 stammen.
Und der Motor? Geht wie ein Kugel. Aber erst ab 7000/min, drunter nur müdes Röcheln. Doch das stört uns nicht. Wir fahren keine Koffer und keinen Sozius spazieren, wir fahren im Kreis. So schnell und so schräg es geht. Und dann paßt das schon. Vor allem deshalb, weil der Fünfventiler mit geradezu suizidverdächtiger Drehfreude und begleitet von einem metallischen Fauchen im gestreckten Galopp davonfetzt. Bis 14200/min lässt sich der Motor gerne ausquetschen, dann grätscht der rettende Begrenzer dazwischen. Ein dynamischer wie akustischer Hochgenuss, keine Frage.
Und er hängt am Gas, wie Jim Knopf bei der Augsburger Puppenkiste am Faden. Ein kurzer Dreh, und die Einspritzung heizt den vier Zylindern gnadenlos ein, bleibt dabei mit verlässlich progressiver Leistungskurve schön kontrollierbar. Leichtes Gasanlegen in akrobatischer Schräglage dagegen bringt in Drehzahlen unter 7000/minn durch ruckelige Lastwechselschläge die Fuhre aus dem Tritt, was sich dank extrem steifem Chassis und straffer Abstimmung in Sekundenbruchteilen wieder stabilisiert.
Zu vermerken wäre noch die Tatsache, dass Yamaha bei der OW 02 auf die markentypische EXUP-Auslass-Steuerung verzichtet. Das System, daß bei der R1 für mehr Drehmoment und Durchzug sorgt, steht, bedingt durch die Strömungsverluste an der elektronisch angesteuerten Klappenmechanik, absoluter Höchstleistung und Drehfreudigkeit entgegen.
An alle R1- und R6-Treiber, die mit krachenden Gangwechseln leben müssen: Dieses Yamaha-Getriebe wechselt die Gänge wie im Schlaf. Exakt, knackig, präzise, lautlos. Stände den Straßenmodellen auch gut zu Gesicht. Mit ein Grund für diese Tugenden: die extrem kleinen Drehzahlsprünge des eng gestuften Renngetriebes, die sich nur bedingt auf eine Straßenmotorrad übertragen lassen.
Womit wir beim Thema sind: Landstraße. Quer durch den Schwarzwald, superklasse Kurvenwetzsträßchen, bergauf, bergab, einfach traumhaft. Aber nicht mit der R7. Weil jetzt die Lenkerposition zur Folter wird und der Rennmotor in engen Serpentinen nur via Kupplung bei bei Laune bleibt. Voll ausgedreht, stehen im ersten Gang laut Tacho locker 150 km/h auf der Uhr. Wenn wundert`s da, wenn die R7 beim Sprint auf 100km/h nicht aus dem Quark kommt.
Was die R7 gar nicht mag: Stadtverkehr. Wie ein Schneck kriecht der Renner von Ampel zu Ampel, köchelt sich ruckzuck in den roten Kühlwasserbereich. Nein danke. S-Bahn fahren macht mehr Spaß. Und ist billiger.
Zügige Kurvenkombinationen dagegen meistern Chassis und Motor tadellos. Nicht nur weil der Verstellbereich der Dämpfung eine geradezu komfortable Abstimmung erlaubt, sondern auch die frontlastige Gewichtsverteilung sorgt im Zusammenspiel mit der fahrstabilen Pirelli-Bereifung für Ruhe im Gestühl und reduziert gefährliches Lenkerschlagen auf ein Minimum. Einfach perfekt, diese OW 02.
Weltmeister-Titel sind wichtig, doch Weltmeister zu werden ist nicht ganz einfach. Um die Superbike-Lorbeeren zu kassieren versuchte sich Yamaha 1988 mit einer »verkleinerten« 750er Version der ersten FZR 1000. Doch das windige Chassis taugte zu allem, nur nicht zum Rennen gewinnen. Das tat dafür die Rumi-Honda RC 30 unter dem Amerikaner Fred Merkel. Ein Jahr später machten die Yamaha-Techniker ernst. Mit der OW 01 schuf man eine hervorragende Basis, doch Weltmeister wurden andere. Ducati zum Beispiel. Dafür staubte der Schwarzwälder Udo Mark die deutsche Superbike-Meisterschaft ab. Markenkollege Bernd Caspers hielt derweil die Konkurrenten in der 750er Serienklasse in Schach. Als Ablösung der OW 01 folgte 1993 die YZF 750 SP. Weitaus billiger, aber ohne technischen Highlights, scheiterte auch dieser Versuch, die WM-Krone zu ergattern. Mit dem japanischen Draufgänger Noriuki Haga und der neuen R7 schnürte Yamaha für 1999 abermals ein schlagkräftiges Paket, dass bereits in der ersten Saison einen Laufsieg verbuchen konnte.
Die OW 02 passt prima in die neue Epoche. MV Agusta hat es mit der F4 750 vorexerziert, Yamaha kontert umgehend. Feinste Technik, gebündelt zum schlagkräftigen und pfeilschnellen Supersportler. Damit beweisen die Japaner, dass sich die Erfahrung aus unzähligen GP-Siegen in die Serie übertragen lässt. Nicht nur die gebotene Technik, auch die Ausstrahlung und Dynamik der R7 stellen dem engagierten Sportsmann die Nackenhaare auf. Bissig, schnell, faszinierend. Einfach eine Klasse für sich.