Top-Test Ducati 996

Top-Test Ducati 996 La Diva

Seit über sieben Jahren steht sie auf der Bühne, erfreut gleichermaßen die Herzen und Augen aller Motorradfahrer: die Ducati 996, genial, einzigartig, weltmeisterlich, Nicht gealtert, sondern gereift wie ein guter Wein.

La Diva Gargolov

Ducati 996, Baujahr 2001. Sozusagen im Jahr acht nach der Wende im modernen Sportmotorradbau, der Vorstellung der 916, Schöpfung der Genies Tamburini und Bordi. Die Liste der Features liest sich wie ein Wunschzettel delirierender Sportbiker: Motormanagement, jeweils zwei Einspritzdüsen pro Saugrohr, Trockenkupplung, Gitterohrrahmen mit verstellbarem Lenkkopfwinkel, Federelemente mit jeder Form von Einstellmöglichkeit, Einarmschwinge. Klein, geduckt und supersportlich lässt die Ducati 996 ihre Konkurrenz so alt aussehen, wie es die 916 bereits 1994 tat. Ein weltmeisterlicher, formell genialer Klassiker, der optisch nahezu unverändert ins Jahr 2001 einzieht.
Die Modellpflege greift im Verborgenen: das Öhlins-Federbein der letztjährigen SPS, stärker dimensionierte Verschraubung von Rahmen und Motor, zudem eine kleinere, leichtere Batterie, die das Gewicht der Duc um immerhin 2,7 Kilogramm drückt. Neugierig die Schnellverschlüsse gelöst, Verkleidung runter, und tatsächlich: Die kleine Batterie schafft endlich Zugang zum Öleinfüllstutzen. Nicht schlecht, weil die 996 sich gerne mal einen Schluck Schmierstoff genehmigt, das Testexemplar 0,2 Liter auf 1000 Kilometer.
Apropos Messwerte: 118 Pferde bei 8800/min vermeldet der Prüfstand fürs Testmotorrad – bei MOTORRAD neuerdings nach EG-Norm unter Berücksichtigung der aktuellen Luftfeuchte korrigiert und daher nominell etwas weniger als in der gewohnten DIN-Messung. Kaum rekordverdächtig unter modernen Sport-Twins, aber stark für eine 996. Nach reichlich Anlauf erreicht die Testmaschine denn auch stoisch stabile 265 km/h Höchstgeschwindigkeit, erzielt außerdem in puncto Beschleunigung Familienbestwerte, garniert vom einzigartigen Grollen des bejahrten Desmo-Vierventilers.
Der läuft unterhalb von etwa 3000/min ziemlich unrund, hat ein Loch bis 5000 Touren, wird oberhalb der 9000er-Marke rau, legt nur noch zäh Drehzahl zu. Aber zwischen 5000/min und 9000/min liegt geschmeidige, perfekt per Gasgriff dosierbare Kraft, die zumeist über die ellenlange Übersetzung hinweghilft, die wiederum bessere Durchzugswerte vereitelt. Ein Tribut an die Geräuchgrenzwerte, den viele Ducati-Fahrer durch ein 14er- statt des serienmäßigen 15er-Ritzels relativieren. Echte Outlaws entfernen zusätzlich die Reduziergummis aus den Ram-Air-Kanälen, was Extra-Pferde freisetzt. Im Testbetrieb bleibt die Duc aber gesetzeskonform, gefällt so durch ihre moderaten Trinksitten.
Nach reichlichen 20 Stunden Transporterfahrt ist die südspanische Wüstenregion um Almeria erreicht. Die Hebeleien eingestellt – Kupplungs- und Bremsgriff per Stellrad, die Pedale via Gewindespindel –, und los geht’s. Leute so ab 1,75 Meter fühlen sich auf Anhieb recht wohl, Kleinere müssen sich arg nach den Lenkern strecken, ganz Große tief danach bücken und nebenbei ihre Beine stark falten, was aber beim engen Knieschluss ganz hervorragend gelingt. Die straffe, spartanisch wirkende Sitzbank entpuppt sich auf langen Etappen als gefühlsechter wie erträglicher Arbeitsplatz. Auch der hintere Sitz findet Freunde. »Viel kommoder als auf der X, der Y oder der Z.« Oder auch: » Geil fahraktiv, fast wie selber fahren.« Alles Gewöhnungssache, wenn’s auch softere Sofas gibt. Nach ein paar hundert Kilometern spanischen Landstraßengewürms sitzt sich’s auf der 996 jedenfalls ziemlich selbstverständlich.
Alles andere als wieselflink folgt die 996 dem zwangsläufig kräftigen Zug an den tief montierten Lenkern. Besser geht’s mit zusätzlichem Einsatz des Körpergewichts: kurz am Lenker gezogen und zeitgleich in die gewünsche Richtung fallen lassen, dabei die Schräglage, sicher eingepasst zwischen Tankmulde, Fußraste und dem hinteren Ende der Sitzbank, nach Belieben durch Schenkeldruck steuern. Diese Lenkweise einmal verinnerlicht, schwindet nicht nur die Unhandlichkeit, sondern überrascht auch wunderbare Kontrolle über das schräge Treiben, das gar nie seine Grenzen in aufsetzenden Bauteilen findet.
Ein bisschen Unruhe beim Beschleunigen oder auf Bodenwellen in Kurven bringt der hintere Michelin Pilot Sport in 190/50 – zu breit für die 5,5-Zoll-Felge der Ducati, weshalb wir gleich mal den Reifendienst bemühen und hinten einen freigegebenen 180er setzen, bei weitem genug für die Leistung der Duc und in seiner Kontur besser zur Felge passend. Resultat: eine fast schon geniale, extrem spurtreue Ruhe in Schräglage, im Verein mit der straffen Dämpfung und der gelungenen Geometrie ein Tiefflug-Erlebnis ohnegleichen, ohne einklappendes Vorderrad, ohne weiten Bogen beim Beschleunigen, dazu recht zahmes Aufstellen beim Bremsen. Sensationell feinfühlig sprechen die Federelemente an, mit straffen Reserven bewehrt polieren sie die Asphaltrunzeln glatt. Ducati fahren, das heißt die Schräglage zu feiern, einen runden, harmonischen Fahrstil zu genießen. Geraden zum Bogen formen, Kurven sanft und ideal ausmalen, herrlich.
Bei flotter Landstraßenfahrt sollte spätestens nach 250 Kilometern eine Tankstelle in der Nähe sein, die gelbe Reserveleuchte schlägt allerdings rechtzeitig Alarm. Ärgerlich ist die schlechte Lichtausbeute in Schieflage, was die Vorfreude auf den Circuito de Almeria, wo das gut organisierte Rehm-Training auf uns wartet, indes kaum mildern kann.
Wie sich rasch herausstellt, schlägt sich die Serien-Duc gar nicht schlecht, denn der flüssige Verlauf des neuen Almeria-Kurses passt nicht nur zur Kurvenliebe der 996, sondern wie zufällig auch zu ihrer Übersetzung. Das Getriebe gibt sich dabei gewohnt knochig, die Gänge brauchen schon etwas Gewalt zum Einrasten, was auch durch Umkehr des Schaltschemas nicht besser wird. Dafür genügen wenige Schaltvorgänge pro Runde, den Rest erledigen der elastische Motor einerseits, die Sicherheit und Kontrollierbarkeit in Schräglage andererseits, gerade im oft heiklen Lastwechsel von Schub nach Zug in Schräglage perfekt. Keinerlei Schwächen leisten sich die vorderen Bremsen. Genial dosierbar machen sie im Verein mit der Showa-Gabel die Gratwanderung an der Haftgrenze beim Einbremsen in Schräglage zum Fest. Zusätzlich stabilisiert das hohe Bremsmoment des Motors. Hintere Bremse? Nur für den Notfall zu gebrauchen.
Ein paar Experimente: Umdrehen des Lenkkopf-Einsatzes macht handlicher, nimmt indes etwas Neutralität. Das Motorrad über die Schubstange der hinteren Umlenkung weiter als angegeben anzuheben, zeitigt einen ähnlichen Effekt. Richtig schnell geht’s in die Kurve, wenn vorn die Gabel durchgesteckt, hinten gleichermaßen hochgespindelt wird: hoher Schwerpunkt, großer Hebel, zackiges Einlenken. In Wechselkurven allerdings wird’s so zäher.
Klebgummi, bitte! Hastig ein Sätzchen zulassungsfähiger Dunlop D 207 RR montiert, und die Sport-besohlte 996 rennt wie beflügelt, gar noch kontrollierbarer, bringt so manchen Hobby-Racer in Verlegenheit. Allerdings überrascht das hintere Öhlins-Federbein zunächst durch Temperatur-Fading, nach mehreren Turns tritt der Effekt aber nicht mehr auf. 1:51,8 Minuten, fast zwei Sekunden schneller als auf den Serienpellen rennt die Duc – immer noch 13 langsamer als Troy-Bayliss auf dem 2001-Superbike. Na ja.
Fehlt nur noch das Messprogramm. Tatort Fahrerlager, Kreisbahn. Ziemlich schnell wird klar, dass der Asphalt nicht ganz wie gewünscht gript. So erreicht die Duc zwar keine hohe Spitzengeschwindigkeit, trotzdem aber eine sehr gute Kreisbahnzeit, was die Kurvenqualitäten nochmals belegt. Tatort Zielgerade, Bremsmessung und Handlingparcours. Bremse und Gabel ließen irre Verzögerungen zu, allein der vordere Michelin macht diese härteste Form der Ankerung nur unwillig mit. Versuchsweise erhöhen wir den Luftdruck vorn auf 2,8 bar, so geht’s besser. Ab zum Handling-Tanz im Pylonenwald! Auch hier eine Überraschung: Die 996 schwingt zwar spürbar unwillig durch den Parcours, kompensiert ihr zähes Handling aber durch hohe Fahrstabilität, was ihr sowohl eine gute Durchgangszeit als auch eine hohe Spitzengeschwindigkeit einträgt. Sie kann’s eben, die gereifte Diva. Besser denn je.

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Änderungen im Detail

Änderungen zum Modelljahr 2001:Öhlins-Federbein hinten wie bei der 2000er-996 SPS (2000er-996: Showa-Federbein), großer Verstellbereich, verstellbar in Federbasis, Zug- und DruckstufendämpfungKleinere, 2,7 Kilogramm leichtere Batterie (12 V/12 Ah), schaff Platz für bessere Zugänglichkeit des ÖleinfüllstutzensVerbindungsbolzen von Motor und Rahmen für noch größere Fahrstabilität und bessere Haltbarkeit im Durchmesser von zehn auf zwölf Millimeter gewachsenÄnderungen zum Modelljahr 2000:Leichtere Marchesini-Felgen vorn und hinten im Fünf-Speichen-Design, Gewichtsersparnis jeweils zirka 500 GrammGleitrohre der Showa-Gabel im Interesse besserer Standfestigkeit Titan-Nitrit-hartbeschichtetSeitenständer mit ArretierungKleinerer Geberkolben an der Kupplungs-Handpumpe für verringerte Handkraft

Was sonst noch war

Plus Hervorragende Schrauber-Freundlichkeit. Verkleidungs-, Sitzbank- und Tankdemontage per Schnellverschlüssen jeweils eine Minute (Tank ist Airbox-Oberteil), Lufttrichter per Bajonettverschluss, Schalldämpfer per SpannfedernSehr gute VerarbeitungNach wie vor eines der besten FahrwerkeKostet 2001 nur rund 1000 Mark mehr als 1994 die 916MinusHohe UnterhaltskostenNach wie vor bescheidener WindschutzGeringer Lenk-Einschlagwinkel, schwer zu rangierenBescheidene RückspiegelVerschlussstopfen an den fetten 45-Millimeter-Krümmerrohren öfters nachziehen, sonst VerlustgefahrFahrwerkseinstellungen*GabelZugstufe 10 Klicks (14 Klicks), Druckstufe 2 Klicks (6 Klicks), Federbasis fünf Ringe sichtbar, Niveau alle Ringe plus acht Millimeter sichtbarFederbeinZugstufe 4 Klicks (10 Klicks), Druckstufe 10 Klicks (14 Klicks), Federbasis 14 Gewindegänge sichtbar, Niveau 3,5 Gewindegänge sichtbar (Schubstange)*Klammerwerte für komfortablen Landstraßenbetrieb

Fazit - Ducati 996

Viva la Diva – die Ducati 996 zählt auch nach vielen Reifejahren zu den schönsten, besten und begehrenswertesten Sportmotorrädern überhaupt. Wen stört’s da, dass sie nicht zu den Stärksten zählt, ihre Handlichkeit nicht gerade überragend ist, ihre Alltagstauglichkeit kaum für die lange Reise taugt?

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