Top-Test Kawasaki Ninja ZX-9R

Top-Test Kawasaki Ninja ZX-9R Neues Spiel- neues Glück?

Von Fahrwerksschwächen nach der letzten Runderneuerung vor zwei Jahren geplagt, haben die Kawasaki-Ingenieure gründlich nachgebessert. An allen Ecken und Enden verstärkt und optimiert, tritt die neue Ninja zum Top-Test in den Ring.

Neues Spiel- neues Glück? Jahn

Was für ein Aufruhr in der Szene. »Gibt’s nicht, kann nicht sein, unmöglich«, widersprachen die japanischen Techniker und Versuchsfahrer dem Ergebnis des ersten Tests der komplett überarbeiteten ZX-9R von MOTORRAD im Winter 2000. Diagnose: ein zum Teil gefährliches Gabelflattern beim Bremsen. Als Ursache vermuteten die MOTORRAD-Techniker eine zu flexible Rahmenkonstruktion im Bereich zwischen Lenkkopf und Motoraufhängung. MOTORRAD hatte weitere drei Testexemplare der ersten Serie überprüft, immer mit demselben Ergebnis: ein mehr oder weniger ausgeprägtes Gabelflatter beim Bremsen. Als Beleg reichte MOTORRAD eine Video-Aufzeichnung der von außen sichtbaren Schwingungen von Gabel und Vorderrad beim Kawasaki-Importeur ein. Dort wurden bereits Versuche mit anderer Abstimmung und Bereifung gefahren - ohne Aussicht auf Besserung. Letztlich entschärften geänderte, weniger bissige Bremsbeläge die Situation, tatsächlich behoben war die Ursache damit jedoch nicht.
Festgezurrt im Transporter steht die 2002er-Ninja bereit zur Flucht in den mediterranen Süden. Was in Anbetracht der Großwetterlage nicht ganz einfach ist: Schlittenfahren auf der Akropolis, Schneeballschlachten am Vesuv - nur im spanischen Calaft blinzelt die Sonne durchs Firmament und lockt zum zweirädrigen Vergnügen. Und wer sich am Choke-Gefummel nicht stört, vergnügt sich von der ersten Sekunde am ZX-9R Power-Paket. Sanfter, ruhiger Motorlauf mit akustisch kernigem Schnorcheln. Ohne das hässliche »Klonck« mancher Big-Bike-Getriebe rückt der erste Gang geschmeidig in seine Position, präzise lassen sich auch die restlichen fünf Gangstufen einsortieren. Ganz egal, ob bei hektischer Rennstreckenhatz oder gelassenem Landstraßenschwingen, auf das Kawasaki-Getriebe ist Verlass. Verlass ist auch auf den Schub aus 899 Kubikzentimetern, der unter 6000/min zwar nicht das barbarische Anreißen einer Yamaha R1 oder Suzuki GSX-R 1000 verkörpert, den zackigen Sprint von Kurve zu Kurve jedoch höchst dynamisch gestaltet. Noch schöner: der weiche, fast ruckfreie Leistungseinsatz und kaum spürbare Lastwechsel des vergaserbestückten Motors in engen Kurven und beim durchqueren vollgestopfter Innenstädte.
Darf’s ein bisschen mehr sein? Bitte schön, denn steht der Gasgriff am Anschlag, marschiert die grüne Spritze wie von der Tarantel gestochen los, dreht mit Biss in vierstellige Bereiche. Und genau das macht den spritzigen Charakter der Ninja aus. Bigbike hin oder her, dieser Motor schafft den Spagat zwischen bulliger Durchzugskraft und brüllender Drehfreude, macht dabei ein bisschen auf quirlige 600er, schleudert aber auch schaltfaule Reiter mit einem kurzen Dreh am Gasgriff in die Umlaufbahn. In acht Sekunden aus dem Stand auf 200 km/h - wer braucht mehr Druck? Mit 276 Knoten Topspeed über die Bahn – zu langsam? Natürlich, es gibt Apparate, die gehen noch eine Zehntelsekunde schneller, drücken noch ein paar Newton mehr ans Hinterrad. Doch der Zahlen-Hokuspokus ist Erbsenzählerei, unterm Strich trägt die Kawasaki einen klasse Motor im neuen Chassis, der sich weder bei der Abgasreinigung mit einer Kombination aus Sekundärluftsystem (SLS) und ungeregeltem Katalysator noch in Sachen Verbrauch vor den Einspritzmotoren verstecken muss.
Und das neue Chassis? Passt blendend zum Motor. Auch wenn die ergonomische Auslegung mit dem breiten Tank und der relativ hohen Verkleidungskuppel die ZX-9R größer, schwerer und massiger erscheinen lässt, als sie in Wirklichkeit ist, gehört die Ninja zu den handlichen und flinken Sportlern in der Oberklasse. Trotz der rund 16 Kilogramm die sie mehr auf den Rippen hat als Yamahas R1 und die GSX-R 1000, klappt die Kawasaki mühelos in Schräglage, witscht auch beim Slalomtest in Windeseile durch den Pylonen-Parcours.
Im Vergleich zum Vorjahresmodell profitiert die neue Ninja in allen Einsatzbereichen von der optimierten Abstimmung der Gabel und Federbein. Der nutzbare Verstellbereich ist breit genug gefächert, um das Sport-Krad auf beinahe jeden Geschmack und Einsatz zu trimmen. Mit den griffigen Michelin Pilot Sport besohlt, trifft die Kawasaki exakt die gewünschte Kurvenlinie, knallt ohne Kippeligkeiten um Kurven aller Art. Enge, weite, gebügelt oder gefaltete, der Ninja ist’s grad egal. Nur auf der Bremse wird sie zum widerspenstigen Esel, verweigert das Einlenken, sträubt sich gegen Schräglagen, dreht dafür beim Lösen der Bremse vor lauter Leichtigkeit schier Pirouetten. Dieses Aufstellmoment ist jedoch weniger der Kawasaki, als vielmehr dem Michelin-Vorderreifen anzulasten.
Apropos Bremsen: Die Tokico-Sechskolbenzangen der alten ZX-9R sind out, ab sofort verbeißen sich Nissin-Vierkolbensättel in den von 310 auf 320 Millimeter vergrößerten Bremsscheiben. Und das mit Erfolg. An Dosierbarkeit dem Sixpack einen Tick überlegen und bei der Wirkung auf ähnlich hohem Niveau, ist die Umstellung tatsächlich auch ein Fortschritt.
Und das Gabelflattern beim Bremsen? Ist verschwunden. Lediglich ein leichtes Zittern der Gabeltauchrohre in horizontaler Richtung ist auf schlechten Straßen zu beobachten. Was jedoch mit dem heftigen Gabelflattern der Vorgängermodelle nichts mehr zu tun hat, sich in keinster Weise auf das Fahrverhalten auswirkt und bau beui manch anderen Maschinen zu beobachten ist. Ein massives Alugussteil zwischen Lenkkopf und der neuen, vor dem Zylinderkopf angebrachten Motorverschraubung unterstützt die Formblechteile des Brückenrahmens und hat die enormen Biege- und Torisionskräfte jetzt locker im Griff. Egal, ob mit Sozius beladen, ob auf spanischen Landstraßen vierter Ordnung oder bei den mehr als 400 Rennstreckenkilometer - das Gabelflattern ist verschwunden. Basta.
Und das ist auch gut so, denn jetzt sticht der Choker, den die Kawasaki-Ingenieure der Ninja mit auf den Weg gegeben haben: nicht gandenlose Sportlichkeit, sondern der gelungene Kompromiss zwischen Spiel und Sport. Im Grunde genommen ist sie ausgewachsene Version einer Honda CBR 600 F, die Touren, Sporteln und Brötchenholen locker unter einen Hut bekommt. Die nicht allzu tief angeklemmte Lenkerhälften machen stundenlanges Landstraßenfegen zum herzhaften Vergnügen ohne orthopädische Spätfolgen, dem Wind wird durch die hohe Scheibe ein Schnippchen geschlagen, und eine sensible Feder/Dämpferabstimmung lässt die Plomben da, wo sie hingehören. Trotz der Stabilisierungsmaßnahmen an Rahmen und Schwinge sowie einer strafferen Grundabstimmung der Federelemente macht die ZX-9R in Sachen Lenkerschlagen wenig Zicken. Wo andere Big Bikes nervös zucken, bleibt die Ninja fast ungerührt, zeigt nur leichte Unruhen, die ruckzuck abklingen. Wer dem Frieden nicht traut, findet am Rahmen angeschweißte Aufnahmen für die nachträgliche Montage eines Lenkungsdämpfers. Sehr klug.
Schön, dass man bei der Renovierung der ZX-9R das Sitzpolster wieder in die richtige Form gebracht hat und der Pilot auf einem flächigen, straffen Sattel Platz nehmen darf. Schön fürs Auge, dass die hässlichen Verkleidungsbügel im Cockpitbereich, gemeinhin auch als Hirschgeweih bezeichnet, ausgedient haben. Jetzt hat man freie Sicht auf die Uhrensammlung, konventionell mit Ziffernblatt und Zeiger, aber informativ und übersichtlich arrangiert.
Mit einer Lobeshymne über das hervorragende Scheinwerferpärchen kommen wir zum Ende des Alltäglichen und drehen noch ein paar Runden auf der Rennpiste im spanischen Calafat. Mittendrin statt nur dabei, bügelt die Ninja im Amateur-Renntraining mit, macht mit dem verstärkten Chassis auch hier ein gute Figur. Ruhiger beim Beschleunigen, präziser beim Einlenken, stabiler in Schräglage als das Vorgängermodell, die Anstrengungen haben sich gelohnt. Auch wenn Gabel und Federbein beim Rennstreckenheizen noch einen Tick mehr Dämpfungsreserven, mehr Rückmeldung vertragen könnten, ist es höchst erstaunlich, wie der Brummer um die Ecken drischt. Ritsch-Ratsch, kritzeln die Rasten über’n Asphalt, doch die Ninja hält den Kurs, macht mächtig Laune und bringt auf dem engen Kurs ihre spritzigen 600er Qualitäten voll zur Geltung. Kein überbordender Drehmoment-Anfall zerreißt die Reifen, stattdessen schiebt die Kawasaki mit hoher Drehzahl aber kontrollierbarem, linearem Druck aus den Ecken, lässt sich auf den kurzen Geraden vergnüglich bis zum roten Bereich ausquetschen. Die neuen Bremsen stehen ihren Mann, steigen auch nach zwanzig eiligen Runden nicht aus.

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Was sonst noch auffiel

Plus 0 Alle Umlenkhebel mit Schmiernippeln versehen0 Großer, praktischer Öleinfüllstutzen0 Angeschweißte Gewindehülsen an der Schwinge für Montageständer Minus0 Schlechte Zugänglichkeit der Federvorspannung am Federbein0 Stiefelabsätze zerkratzen den Lack der Schwingenoberzüge bei sportlicher Sitzhaltung0 Knarzgeräusche beim harten Bremsen im Bereich von Gabelbrücken/Lenkkopf Fahrwerkseinstellungen im TestLandstraße: Gabel Zugstufe 1 ½, Druckstufe 2 Umdrehungen offen, Vorspannung 2 Ringe sichtbar. Gabelüberstand 10 mm. Federbein: Zugstufe 5, Druckstufe 2 Umdrehungen offen. Federvorspannung 180 mm vorgespannte Länge, Federbein mit 9-m-Distanzhülse unterlegt.Rennstrecke: Gabel Zugstufe ¾, Druckstufe ¼ Umdrehungen offen, Vorspannung 2 Ringe sichtbar, Gabelüberstand 10 mm, Federbein: Zugstufe 5, Druckstufe 1 Umdrehung offen, Vorspannung 180 mm, Federbein mit 12-mm-Distanzhülze unterlegt.

Die wichtigsten Änderungen im Detail

0 Mittels Gussteilen verstärkter Rahmen im Lenkkopfbereich0 Zweite, vorverlegte Motorverschraubung am Zylinderkopf0 Hintere, obere Motorlagerung jetzt starr (bisher mit Gummilagerung) verschraubt für mehr Rahmenstabilität0 Schwinge mit stabilisierenden Oberzügen versehen0 Optimierter, besser nutzbarer Einstellbereich der Dämpfung an Gabel und Federbein0 Härtere Gabelfedern0 Verbessertes und komfortableres Fahrersitzpolster0 Nissin-Vierkolbenzangen vorn0 320er- ersetzten die 310er-Bremsscheiben0 Hintere Haltegriffe für Sozius entfallen0 Neu gestaltete Heckverkleidung0 Leichtere und schmalere 525er-Kette und Kettenräder anstatt 530er0 Versatz der Gabelstandrohre von 30 auf 28 Millimeter reduziert (ergibt einen längeren Nachlauf) Gabelbreite von 205 auf 210 mm erhöht (für mehr Stabilität und bessere Lenkpräzision)

Fazit

Endlich. Mit neuem Fahrwerk und Verbesserungen im Detail, kann die neue ZX-9R zur Konkurrenz aufschließen. Ein famoser Landstraßenknaller mit flinkem Handling, besten Bremsen und ordentlichem Windschutz. Geht’s auf der Rennpiste zur Sache, hat die neue Ninja noch ein paar spitze Pfeile im Köcher. Ob die genügen, den etablierten Racern die Schow zu stehlen?

MOTORRAD Messwerte
Bremsen Und Fahrdynamik

BremsmessungBremsweg aus 100 km/h 38,8 MeterMittlere Verzögerung 9,9 m/s2Bemerkungen: Spontanes, gut kontrollierbares Ansprechverhalten. Gute Bremswirkung mit feiner Dosierbarkeit. Bei abhebendem Hinterrad federt die Gabel bis auf den hydraulischen Anschlag durch, Motorrad bleibt jedoch spurstabil und frei von Bremsstempeln. Handling-Parcous I (schneller Slalom)Beste Rundenzeit 21,2 sekVmax am Messpunkt 104,5 km/hBemerkungen: Für diese Motorradkategorie sehr geringe Lenkkraft erforderlich. Gute Fahrstabilität im Schräglagenwechsel bei sportlich straffer Dämpferabstimmung. Subjektiv störend wirkt lediglich der breite Tank. Am engen Umkehrpunkt sehr ruhig und stabil dank geringer Lastwechselreaktionen. Aus witterungsbedingten Umständen (sibirischer Winter) konnten der Slalom-Parcours II und die Kreisbahn mit 46 Meter Durchmesser auf der MOTORRAD-Teststrecke nicht befahren werden. Werte werden baldmöglichst ermittelt und nachgeliefert. Die Testabteilung bittet die Leser um Verständnis.

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