Versucht haben es einige, geschafft hat es keiner: Weder Aprilia mit der RSV mille noch Honda mit den VTR- oder Suzuki mit den TL-1000-Modellen konnten Ducatis Vormachtstellung beim Bau von zweizylindrigen Supersportlern gefährden. Mit zwei Superbike-WM-Titeln war Honda am nächsten dran, doch weil sie sich nicht in Verkaufserfolge umsetzen ließen, wandten sich die Japaner fluchtartig ab von diesem Konzept. Mit der Entwicklung der RSV4 lief auch noch Aprilia zur Vierzylinder-Fraktion über. KTM will das nicht; Anfang letzten Jahres präsentierten die Österreicher ihren ersten eigenen Supersportler mit V2-Motor, dessen Entwicklung sie seither schon wieder ein gutes Stück vorangetrieben haben: Die neue RC8 R wurde als Basismotorrad für Renneinsätze geschaffen, und ihr gelang ein beeindruckendes Debüt in der Superbike-IDM. Bei drei Läufen, mithin sechs Rennen, kamen Stefan Nebel und Didier van Keymeulen auf ihren RC8 R etliche Plätze vor den besten Ducati ins Ziel. In den Händen der IDM-Elite entfaltet die RC8 R also viel Potenzial, das weckte die Neugier der MOTORRAD-Tester. Was bringt die Österreicherin serienmäßig mit, wie gut funktioniert sie auf der Rennstrecke?
Der KTM-Motor, ein kompakter, aufrecht stehender 75-Grad-V2, rüstete sich für seine Rennkarriere nicht nur mit zwei Millimetern mehr Bohrung und 47 cm³ mehr Hubraum, er legt gegenüber dem Standardmodell auch 15 PS an Leistung zu. Nominell überflügelt er den mit 163 PS homologierten 90-Grad-V-Motor der Ducati 1198 S. Auf dem MOTORRAD-Prüfstand drückte der Italo-V2 jedoch 170 PS und damit 1,4 PS mehr als das KTM-Triebwerk. Dass er sich im Vergleich zu seinem österreichischen Konkurrenten anfühlt wie die schiere Urgewalt, liegt freilich eher an dem Aufschwung, den Leistung und Drehmoment ab 7000/min nehmen. Bis 10000/min hält dieses Hoch an; es liegt bis zu 14 PS und 15 Nm über der gleichmäßig ansteigenden KTM-Kurve. Kein Zweifel: Mit dieser Leistungscharakteristik schlägt ab dem Scheitelpunkt einer Kurve die große Stunde der Ducati. Zumal ihre Traktionskontrolle (Ducati Traction Control, DTC) dabei hilft, die Kraft auf die Straße zu bringen. Stufe vier von acht ist ein guter Ausgangspunkt fürs Herantasten an leichte Drifts. Superbike-Weltmeister Troy Bayliss fuhr bei der Präsentation der 1198 S im portugiesischen Portimão Stufe zwei, die bei Rutschern noch später eingreift. Man kann nachvollziehen, warum der Champion sich für das System eines Serienmotorrads nicht zu schade ist, das DTC-Fahrgefühl ist wirklich verblüffend. Unterstützt von der straffen Hinterradfederung, führt die Elektronik das Motorrad wie auf Schienen aus der Kurve. Kein Pumpen, kein Knautschen der Hinterhand stört auf der Ducati, wenn die KTM schon deutlich fühlbar ihren Hinterreifen knetet und dieser das Erreichen des Grenzbereichs anzeigt. Es bleibt das Verdienst der RC8 R, diese präzise Rückmeldung mit mechanischen Mitteln zu leisten. Auf der Ducati signalisiert die DTC durch Unterbrechen der Benzinzufuhr diesen Zustand; die vorangegangene Zurücknahme des Zündzeitpunkts in drei Stufen bleibt unbemerkt.
Die Macht der Motoren

Nicht unerwähnt darf im Zusammenhang mit der Motormacht der beiden 1200er-Twins bleiben, dass sie sich in der reinen Geradeausbeschleunigung in aller Lebhaftigkeit fulminanten Hochdrehens ein totes Rennen liefern beide erreichen nach exakt acht Sekunden die 200-km/h-Marke. Der Durchschnitt aller Durchzugsmessungen verzeichnet einen kleinen, zwischen 0,2 und 0,4 Sekunden betragenden Vorteil der Ducati. Ergo nichts Weltbewegendes. Beschleunigen in Schräglage ist eine ungleich schwierigere Gratwanderung. Sind die unterschiedlichen Kräfteverhältnisse auf der Renn- und der Messstrecke also ein Indiz für die Unverzichtbarkeit der Elektronik? Einerseits ja. Andererseits beweist die KTM, dass sie mit höherer Spitzendrehzahl und einer kürzeren Übersetzung manches von dem ausgleicht, was ihr zwischendurch an der Kurbelwelle fehlt. Seit dem letzten Jahr haben die KTM-Ingenieure die Schaltung aller RC8-Modelle modifiziert. Die R weist darauf hin, indem sich der erste Gang häufig sogar ohne ein kerniges "Klonk" einlegen lässt. Im weiteren Verlauf der Fahrt erweist sich das Getriebe dann endgültig als geschmeidig agierender Partner. Voraussetzung dafür ist allerdings die korrekte Einstellung des Schaltgestänges. Werden die Fußrasten umgesetzt, muss auch der kleine Hebel auf der Schaltwelle weitergedreht werden, sonst steht er in einem ungünstigen Winkel, die Schaltung wird unexakt und braucht zu viel Kraft. Wenn alles passt, rasten die Gänge bei der RC8 R schon nach einem leichten kurzen Tupfen der linken Fußspitze, die Bedienkräfte sind geringer als bei der Ducati.
Etwas sanfter als der KTM-Motor reagiert der Ducati-Twin auf Lastwechsel, wobei die emsigen KTM-Entwickler auch in diesem Punkt bereits große Fortschritte erzielt haben. Das gefühlvolle Anzupfen aus der Nulllage hat der Fahrer rasch verinnerlicht, und wenn er es dann noch schafft, pro Kurve nur einmal ans Gas zu gehen, gibt es kein Problem. Zudem hat, wer eine R bestellt, die Wahl zwischen zwei Gasgriffen; der eine wickelt den Gaszug linear mit dem Drehwinkel auf, er war an der Testmaschine montiert. Der andere soll sanftere Lastwechsel ermöglichen, indem er zu Anfang weniger Zuglänge einholt und beim weiteren Aufziehen progressiv wirkt. Während die Fahrwerke der 848, 1198, 1198 S sowie 1098 R grundsätzlich gleich sind und sich lediglich durch die Federelemente unterscheiden, wurde das Fahrwerk der RC8 R umfänglicher modifiziert. Geänderte Gabelbrücken verlängern den Nachlauf gegenüber dem Standardmodell um sieben auf 97 Millimeter, und weil die R ausschließlich solo gefahren wird, bekamen Gabel und Federbein weichere Federn. Vor allem die Hinterhand gewinnt dadurch an Komfort, ohne lasch zu wirken. Während die KTM vorne und hinten schön synchron federt, kombiniert die 1198 S eine weich gefederte Gabel mit einer ziemlich hart gefederten Hinterhand. Piloten, die gerne weit in eine Kurve hineinbremsen, im Scheitel einen engen Bogen fahren, um dann mächtig zu beschleunigen, kommt dieses Setup entgegen. Wer lieber höhere Kurvengeschwindigkeiten fährt, wird es wegen der stärker ausgeprägten Nickbewegungen inhomogen finden.
Ergonomie und Fahrverhalten
Immer aufs Neue überrascht die Sitzposition auf der KTM. Selbst wenn sich die breiten Lenkerhälften in der tiefsten und der Heckrahmen mitsamt Sitzbank sowie Fußrasten in der höchstmöglichen Stellung befinden, sieht sich der Fahrer mit relativ aufrechtem Oberkörper platziert, in einer wunderbaren Position für sportliches Landstraßenfahren. Taugt diese Haltung auch für die Rennstrecke? Schließlich integriert die Ducati, immerhin die Referenz in diesem Segment, ihren Piloten stärker vorderradorientiert, ja in geradezu angriffslustig gebückter Haltung. Keine Sorge, das passt schon und ist sogar eine wichtige Voraussetzung für die überlegene Handlichkeit der Österreicherin, die im Kurveneingang und in Wechselkurven der trägeren Italienerin regelrecht davonwieselt. Eine wichtige Rolle spielt dabei die Anti-Hopping-Kupplung der KTM, die so gut funktioniert, dass der Fahrer beim Zurückschalten im Kurveneingang keine Probleme mit einem stempelnden oder in Schräglage wegrutschenden Hinterrad bekommt. Ranfahren, spät bremsen, zurückschalten, Kupplung rein und ab in Schräglage. Wie leicht das geht, wird im Vergleich zur Ducati richtig klar, die neben den üblichen Tätigkeiten wie Bremsdruckdosierung, Zurückschalten und Einlenken akkurate Arbeit am Kupplungshebel verlangt. Mit tiefen Stummeln, hoher Bank und hohen Rasten bietet die KTM folglich beste ergonomische Voraussetzungen für die Rennstrecke. Der Exzenter der Hinterradfederung sollte dann aber in Mittelstellung stehen. Denn mit einer aggressiveren Fahrwerksgeometrie durch ein zusätzlich angehobenes Heck der Einstellbereich des Exzenters ist doppelt so groß wie bei der Standard-RC8 lupft die R beim Anbremsen viel zu rasch das Hinterrad.
Andererseits wird es schwierig, beim energischen Beschleunigen auf der Rennstrecke genügend Gewicht nach vorn zu bringen, wenn Bank und Rasten tief und die Lenkerhälften hoch montiert sind. Dann nämlich steigt das Vorderrad des Öfteren schon in Schräglage, was auf Dauer auch nicht schnell macht. Der Königsweg besteht aus einem schmalen Pfad zwischen diesen Extremen. Nebenbei bemerkt: Auch auf schnellen Autobahnetappen benimmt sich die KTM mit der tiefen Fahrerposition nicht vorbildlich; bei hohem Tempo wird die Front zu stark entlastet. Man sieht, die KTM bietet nicht nur mehr Einstellmöglichkeiten als die in Sachen Variabilität auch nicht gerade arme Ducati, sie verlangt von ihrem Fahrer zudem, dass er unter diesen Möglichkeiten das Optimum herausfindet. Zu groß sind die Unterschiede zwischen den Extremen, um nachlässig damit umzugehen. Die Ducati ist von eher stoischem Charakter und reagiert weniger stark auf unterschiedliche Einstellungen. Wegen der vorderradorientierten Fahrerposition wirkt sie, als wäre sie vorn zehn Kilogramm schwerer. Dabei ist es umgekehrt; im Stand packt die KTM fast acht Kilogramm mehr aufs Vorderrad. Insgesamt hat die RC8 R gezeigt, dass sie ihren selbstbewusst gestalteten Preis von 20995 Euro plus Nebenkosten wert ist. Die Federelemente sind von hoher Qualität für den Hersteller teurer als die Öhlins-Teile der Ducati, wie ein KTM-Sprecher anmerkte , die Ausstattung ist reichhaltig, und in puncto Verarbeitungsqualität bleibt nichts zu wünschen übrig. Fehlt nur noch die fantastische Traktionskontrolle der Duc.
Technische Daten Ducati - Ducati 1198 S
Motor
Wassergekühlter Zweizylinder-Viertakt-90-Grad-V-Motor, je zwei oben liegende, zahnriemengetriebene Nockenwellen, vier Ventile pro Zylinder, desmodromisch betätigt, Nasssumpfschmierung, Einspritzung, Ø 64 mm, geregelter Katalysator, Lichtmaschine 520 W, Batterie 12 V/12 Ah, hydraulisch betätigte Mehrscheiben-Trockenkupplung, Sechsganggetriebe, O-Ring-Kette, Sekundärübersetzung 38:15.
Bohrung x Hub 106,0 x 67,9 mm
Hubraum 1198 cm³
Verdichtungsverhältnis 12,7:1
Nennleistung 120,0 kW (163 PS) bei 9750/min
Max. Drehmoment 131 Nm bei 8000/min
Fahrwerk
Gitterrohrrahmen aus Stahl, Motor mittragend, Upside-down-Gabel, Ø 43 mm, Lenkungsdämpfer, verstellbare Federbasis, Zug- und Druckstufendämpfung, Einarmschwinge aus Aluminium, Zentralfederbein mit Hebelsystem, verstellbare Federbasis, Zug- und Druckstufendämpfung, Doppelscheibenbremse vorn, Ø 330 mm, Vierkolben-Festsättel, Scheibenbremse hinten, Ø 245 mm, Zweikolben-Festsattel.
Alu-Schmiederäder 3.50 x 17; 6.00 x 17
Reifen 120/70 ZR 17; 190/55 ZR 17
Bereifung im Test Pirelli Supercorsa SP
Maße+Gewichte
Radstand 1430 mm, Lenkkopfwinkel 65,5 Grad, Nachlauf 104 mm, Federweg v/h 120/127 mm, Sitzhöhe* 810 mm, Gewicht vollgetankt* 197 kg, Zuladung* 193 kg, Tankinhalt/Reserve 15,5/4,0 Liter.
Garantie: zwei Jahre
Mobilitätsgarantie: ein Jahr
Service-Intervalle: 12000 km
Farben: Rot, Schwarz
Preis: 21990 Euro
Nebenkosten: zirka 255 Euro
Technische Daten KTM - KTM 1190 RC8 R





Motor
Wassergekühlter Zweizylinder-Viertakt-75-Grad-V-Motor, Kurbelwelle quer liegend, je zwei oben liegende, kettengetriebene Nockenwellen, vier Ventile pro Zylinder, Tassenstößel, Trockensumpfschmierung, Einspritzung, Ø 52 mm, geregelter Katalysator, Lichtmaschine 450 W, Batterie 12 V/11 Ah, hydraulisch betätigte Mehrscheiben-Ölbadkupplung, Sechsganggetriebe, O-Ring-Kette, Sekundärübersetzung 37:17.
Bohrung x Hub 105,0 x 69,0 mm
Hubraum 1195 cm³
Verdichtungsverhältnis 13,5:1
Nennleistung 125,0 kW (170 PS) bei 10250/min
Max. Drehmoment 123 Nm bei 8000/min
Fahrwerk
Gitterrohrrahmen aus Stahl, Motor mittragend, Upside-down-Gabel, Ø 43 mm, Lenkungsdämpfer, verstellbare Federbasis, Zug- und Druckstufendämpfung, Zweiarmschwinge aus Aluminium, Zentralfederbein mit Hebelsystem, verstellbare Federbasis, Zug- und Druckstufendämpfung, Doppelscheibenbremse vorn, Ø 320 mm, Vierkolben-Festsättel, Scheibenbremse hinten, Ø 220 mm, Zweikolben-Festsattel.
Alu-Schmiederäder 3.50 x 17; 6.00 x 17
Reifen 120/70 ZR 17; 190/55 ZR 17
Bereifung im Test Pirelli Supercorsa SP
Maße+Gewichte
Radstand 1425 mm, Lenkkopfwinkel 66,7 Grad, Nachlauf 97 mm, Federweg v/h 120/120 mm, Sitz-höhe* 805825 mm, Gewicht vollgetankt* 199 kg, Zuladung* 181 kg, Tankinhalt/Reserve 16,5/3,5 Liter.
Garantie: zwei Jahre
Mobilitätsgarantie: ein Jahr
Service-Intervalle: 7500 km
Farben: Schwarz/Weiß/Orange
Preis: 20995 Euro
Nebenkosten: zirka 200 Euro
MOTORRAD-Fazit
Ducati 1198 S
Reden wir nicht von Rundenzeiten. Die Duc braucht beim Einlenken eine kräftige Hand und fordert viel Aufmerksamkeit. Ein pfeilschnelles, aber schwierig zu fahrendes Motorrad.
KTM 1190 RC8 R
Als Neuling gebührte ihr in diesem Test etwas mehr Aufmerksamkeit, die sie auch verdient hat. Mit dem richtigen Setup erleichtert sie das Schnellfahren ungemein.
MOTORRAD-Messungen
Kann und muss man nicht verstehen: Laut Prospekt soll die Ducati 1198 S 170 PS haben, in der Zulassungsbescheinigung stehen aber nur 163. Auf dem Prüfstand wiederum drückt sie akkurat 170 PS. Jedenfalls entfaltet der Testastretta evoluzione ganz unten und ganz oben wahre Urgewalten, dazwischen ist auch nicht gerade Hängen im Schacht angesagt. Dagegen setzt die KTM ihre gleichmäßige Leistungsentfaltung, ihre Laufkultur, höhere Drehzahlen und eine kürzere Übersetzung.
Motoren im Vergleich
KTM 1190 RC8 R
Seit dem 950er-Adventure-Motor ist äußerst kompakte Bauweise ein Markenzeichen der KTM-Zweizylinder. Eine Besonderheit des 1195er-RC8-Triebwerks ist das im Gehäuse integrierte Reservoir der Tockensumpfschmierung. Trotz der großen Einzelhubräume läuft der KTM-Motor auch bei hohen Drehzahlen sehr kultiviert.
Ducati 1198 S
Das neue, leichte Gehäuse der Ducati-Motoren spart den dicken Alu-Kragen um den Ölfilter ein und kommt im Bereich der hinteren Motorhalterungen mit deutlich weniger Material aus. Die wie ein L im Fahrwerk positionierten Zylinder machen die Ducati länger als die KTM und sorgen für ihre stoischen Handlingeigenschaften.