Wieviel teure Renntechnik braucht der Freizeitsportler zu seinem Glück? Machen sich die 2800 Mark Mehrpreis der GSX-R 750 gegenüber der GSX-R 600 bezahlt?
Wieviel teure Renntechnik braucht der Freizeitsportler zu seinem Glück? Machen sich die 2800 Mark Mehrpreis der GSX-R 750 gegenüber der GSX-R 600 bezahlt?
Für edlere Fahrwerkskomponenten und einen breiteren Hinterradschlappen 2800 Mark - sicher eine lohnende Investition für spektakuläre Auftritte vor fachkundigem Eisdielenpublikum. Aber lohnen sich die 2800 Mark, die eine GSX-R 750 gegenüber ihrer kleinen Schwester mehr kostet, auch für jene, die auf Landstraßen ihren Fahrspaß suchen und ab und an bei Renntrainings den Gasgriff würgen? Was können eine Upside-down-Gabel oder eine Bremsanlage mit Sechskolbensätteln besser als eine konventionelle Telegabel oder eine Vierkolbenanlage? Und wieviel davon läßt sich im wirklichen Leben davon umsetzen?
Zumindest theoretisch bietet eine Upside-down-Gabel zwei Vorteile: Durch den größeren Durchmesser der Standrohre im Bereich der Gabelbrückenklemmung und der größeren Überlappung von Stand- und Tauchrohren ist die Biegesteifigkeit höher. Außerdem verkanten die Tauchrohre wegen der längeren Führung in den Standrohren nicht so stark, die Losbrechkraft ist somit geringer und die Gabel spricht besser an. Den wesentlichen Anteil zu einem guten Ansprechverhalten einer Gabel tragen aber geringe Bearbeitungstoleranzen und eine gelungene Abstimmung bei, und da bockelt zum Beispiel die Upside-down-Gabel der GSX-R 750 über Absätze und Kanten, während die Telegabel der 600er auf Landstraßen brav und unauffällig ihren Dienst tut. Und selbst auf der Rennstrecke gab die Verwindungsteifigkeit der konventionellen und zudem um ein Kilogramm leichteren Telegabel keinen Anlaß zur Kritik - nur die fehlende Druckstufenverstellung.
Natürlich bringen auch die Sechskolbenzangen auf der Waage keine Vorteile, mit 2460 Gramm sind sie knapp ein halbes Kilogramm schwerer als die beiden Vierkolbenzangen der GSX-R 600 (2000 Gramm). Dafür erzeugen sie aber bei gleichem Bremsscheibendurchmesser und gleicher Zuspannkraft der Beläge ein höheres Bremsmoment, weil der mittlere Reibradius nach außen wandert. Doch auch eine Vierkolbenanlage ist für knapp 200 Kilogramm Fahrzeugmasse schon mehr als üppig dimensioniert und bringt ein Rad locker zum Blockieren. Viel entscheidender ist dagegen das richtige Übersetzungsverhältnis zwischen Hauptbremszylinder- und Bremskolbenfläche, um die Bremskraft über einen deutlich spürbaren Druckpunkt vernünftig dosieren zu können. Und auch hier kann die 750er gegenüber der 600er keinen Boden gutmachen: Schon bei geringen Handkräften beißen ihre Beläge so brachial zu, daß man schon auf trockener Straße alle Konzentration zum Dosieren der Bremse braucht. Bei einer Schreckbremsung, wie sie im Alltag nun mal vorkommt, blockiert schlagartig das Vorrderrad. Die Stopper der GSX-R 600 verlangen zwar höhere Handkräfte, aber dafür läßt sich die gewünschte Bremswirkung - wenn auch mit Abstrichen im Rennbetrieb - viel streßfreier erzielen.
Zuletzt zur Breite der Hinterreifen: Auf der GSX-R 750 sitzt ein 190er Pneu mit einer tatsächlichen Breite von 193 Millimetern auf einer Sechs-Zoll-Felge, das komplette Rad wiegt 15,9 Kilogramm. Das Hinterrad der GSX-R 600 mit der 5,5-Zoll-Felge wiegt nur 15,4 Kilogramm. Wegen der verstärkten Schwinge übertreffen die ungefederten Massen der 750er Hintenterhand die der 600er sogar um 1,3 Kilogramm (21,1 und 19,8 Kilogramm). Die 600er begnügt sich mit einem »180 S«-Reifen. Das »S« steht für Suzuki und bedeuted, daß es sich in Wahrheit um einen Reifen der Dimension 170 handelt, der nur des Werbeeffekts wegen eine »180« aufgedruckt bekam - genau wie alle 170er Pirelli- und Metzteler-Reifen mißt auch ein montierter »180 S« in der Breite 176 Millimeter. Ein breiterer Reifen kann zwar wegen seiner größeren Aufstandsfläche größere Längs- und Seitenkräfte übertragen, doch die Nachteile überwiegen: In der Kurve wandert der Reifenaufstandspunkt weiter von der Fahrzeugmitte zur Kurveninnenseite, dadurch wird zum einen eine größere Schräglage erforderlich, zum anderen bewirken die außermittig angreifenden Kräfte über Bodenwellen ein kippeliges Fahrverhalten (siehe auch MOTORRAD 4/1996). So war bei Fahrversuchen zumindest auf der Landstraße ein von der 600er entliehener getarnter 170er Reifen auch auf der GSX-R 750 die bessere Wahl.
2800 Mark für eine um zwölf km/h höhere Topspeed in der offenen Version, 2800 Mark für den satteren Durchzug - immer noch eine lohnende Investition? Zumindest die einfacheren Fahrwerkskomponenten sollten keinen Freizeitsportler davon abhalten, sein Glück mit der billigeren GSX-R 600 zu versuchen.