Vergleichstest Aprilia RSV4 R APRC und Ducati 1199 Panigale

Vergleichstest: Aprilia RSV4 R APRC und Ducati 1199 Panigale Die besten Italienischen Superbikes im Vergleich

Die teueren Versionen zuerst - wenige Vertriebs- und Marketingchefs handeln bei der Einführung eines neuen Motorrads gegen diesen Grundsatz. Sie wollen in der Anfangseuphorie möglichst viel Umsatz einsammeln. Wie die hier getesteten „Normal“-Motorräder zeigen, gibt es faszinierende Technik jedoch auch für deutlich weniger Geld.

Die besten Italienischen Superbikes im Vergleich fact

Den großen Supersportler-Vergleichstest in MOTORRAD (Ausgaben 10, 11 und 13/2012) bestritten die Factory-Version der Aprilia und die S-Variante der Ducati. Beide mit Öhlins-Federelementen, geschmiedeten Rädern und dem Besten ausgestattet, was Brembo für Straßenmotorräder an Bremstechnik zu bieten hat. Darüber hinaus bietet die Aprilia Factory variable Ansaugtrichter, welche den Drehmomentverlauf optimieren, und die Ducati Panigale S verwöhnt mit LED-Licht und elektronisch gesteuerter elektrischer Einstellung der Federelemente. Je nach Fahrmodus - Sport, Race oder Rain - verändert sich die Dämpfung; sie kann auch individuell programmiert werden. Macht 22590 Euro für die Aprilia und 24490 Euro für die Ducati.

Die Testmaschinen kosten 16990 (Aprilia) und 19490 Euro (Ducati), satte 5600 beziehungsweise 5000 Euro weniger als die Edelvarianten. Dafür bekommt der Kunde von Aprilia das APRC-Elektronikpaket mit Traktions- und Wheelie-Kontrolle sowie Startkontrolle für raketenartiges Beschleunigen aus dem Stand ohne Gefahr eines Überschlags. Ein Schaltassistent für blitzschnelles Hochschalten ohne Gaswegnehmen gehört ebenfalls dazu. Auch die Ducati ist schon in der Basisversion mit Traktions- und Bremsmomentkontrolle sowie Schalt-assistent ausgerüstet, obendrein ist bei allen Panigale-Modellen, die über die deutsche Niederlassung bezogen werden, ein ABS serienmäßig. Guss- statt Schmiederäder, Marzocchi und Sachs statt Öhlins bei den Federelementen, hier und da ein Spritzgussteil statt eines Karbonschnittchens, feste Ansaugtrichter bei der Aprilia und bei der Ducati H4-Licht und die Notwendigkeit, per Schraubendreher die Dämpfung justieren zu müssen - die Käufer einer Standardmaschine müssen nur geringe funktionale Nachteile in Kauf nehmen. Wie sehr der Statusnachteil schmerzt, muss jeder für sich selbst entscheiden.

Vermutlich werden ihn die meisten leicht verkraften, denn die beiden Motorräder sehen genauso scharf aus wie ihre Edelvarianten und sind allemal eine Attraktion, wenn sie irgendwo stehen. Beim Starten der Motoren vibriert dann endgültig die Luft. Das muss nicht unbedingt nur positiven Zuspruch bringen, zumindest im Fall der Ducati. Denn die Panigale ist laut, und zwar so laut, dass es nach drei Stunden Landstraßenfahrt sogar dem Fahrer allmählich zu viel wird. Das Serienmotorrad dürfte wohl sogar seinen eigenen IDM-Superbike-Ableger von Hertrampf Racing übertönen, wie ein streng subjektives Vergleichshören des Autors ergab. Hinzu kommt eine ziemlich rustikale mechanische Geräuschkulisse, die ebenfalls nicht gerade für Behagen sorgt.

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Wie die Panigale trotzdem die Zulassungshürden schafft? Man muss nur die Fahrgeräuschmessung simulieren, um das herauszufinden. Zweiter oder dritter Gang, dahinrollen mit gleichmäßig 50 km/h und dann Gas aufreißen. Und kaum glaubt sich der Brüller auf einer Messstrecke, kann er auf einmal schön dezent auspuffen. Eine clever programmierte Steuerung der Auspuffklappe machts möglich. Die Aprilia tönt leiser, wenngleich immer noch mit kräftiger Stimme. Wer sie nach dem Tanken in einem Dorf auf der Schwäbischen Alb wieder anlässt, sieht rings umher die Katzen hab Acht stehen. -Einen Moment lang fühlen sie sich vom König der Löwen zum Appell gebrüllt. Im -Gegensatz zum 2010er-Modell drücken ein anderer Auspuff und eine modifizierte Steuerung der Auspuffklappe den Schallpegel wenigstens unter die Peinlichkeitsgrenze.

Beim Fahren wird dann fast alles gut, ein Eindruck, der bestimmt wird von der wunderbaren Handlichkeit beider Motorräder. Die Ducati, unter den aktuellen Superbikes die leichteste Maschine, lässt sich nicht nur spielerisch rangieren, sie lenkt auch buchstäblich mit einem Hauch von Impuls ein. Unwillkürlich zieht man vor den ersten Kurven etwas zu stark am Lenker, gewöhnt sich dann aber rasch an die Kurvengier der Duc. Zumal sie nicht kippelig wirkt. Leicht, sehr leicht findet auch die Aprilia ihre Linie in die Kurven, sie wirkt dabei im Vergleich abgeklärter als die Ducati, reagiert nicht gar so vehement auf etwas festeren Zug am Lenker. Da die fahrwerksgeometrischen Daten beider Motorräder sehr ähnlich sind, liegt das wohl an der Kombination von höherem Gewicht, höher platziertem Fahrer und dem höheren Schwerpunkt. Letzterer wird vor allem beim Rangieren spürbar; hierbei wirkt die RSV4 sogar schwerer, als sie tatsächlich ist. Dieses Gefühl verfliegt aber sofort, sobald sie fährt.

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Aprilia RSV 4 R APRC.

So kommt es, dass die beiden Italienerinnen sogar noch auf solchen Strecken viel Fahrgenuss spenden, für die sie eigentlich nicht konzipiert sind - kleine, relativ schmale, kurvige Landstraßen. Die geduckte Sitzhaltung und schmale Stummellenker sind dafür zwar nicht die ideale Kombination, mit etwas Einsatzbereitschaft der Piloten lässt sich aber die schon gelobte Handlichkeit auch abseits geräumiger Rennstrecken für elegante Kurventänze nutzen. Der Ausdruck „Einsatzbereitschaft der Piloten“ bedeutet wie bei allen Supersportlern im Alltagsbetrieb eine gewisse Grundspannung in der Beinmuskulatur, das Halten des gebückten Oberkörpers hauptsächlich durch die Rücken-, Schulter- und Nackenmuskulatur und das aktive Verlagern des Körpergewichts je nach Fahrsituation. Wer reglos mit durchgestreckten Armen auf solchen Motorrädern sitzt, wird keinen Spaß haben.

Was die Sitzposition allein betrifft, ist die so rennmäßig wirkende Ducati sogar fast bequem zu nennen. Die Heizschlange unter dem Sitz, also der Krümmer des stehenden Zylinders, brät jedoch unweigerlich die Hinterschinken des Fahrers an, selbst in Fahrt und bei kühlem Wetter. Das Lob der Handlichkeit darf getrost für den oberen Geschwindigkeitsbereich fortgeschrieben werden. Die größeren Kreiselkräfte machen beide Sportlerinnen nur geringfügig träger, somit gelingt auch das Einlenken in schnelle Kurven mit wenig Kraftaufwand und äußerst präzise. Man braucht keine Angst zu haben, die Linie nicht zu treffen, und kann entspannt schnell fahren. Abermals kann die Aprilia in dieser Disziplin einen kleinen Vorteil herausfahren; sie verwöhnt in Schräglage mit einem Tick mehr Gelassenheit. Beide können gleichermaßen gut ausgangs der Kurven mit richtig Zug am Hinterrad eine schöne enge Linie halten. Mag sein, dass die noch leichteren Schmiederäder der Factory und der Panigale S in dieser Hinsicht auch noch einen Tick besser funktionieren, doch das lässt sich höchstens im direkten Vergleich feststellen. Kollegen, die beide Motorräder im Abstand von einigen Wochen gefahren sind, konnten keine Unterschiede in der Linientreue feststellen. Damit ist klar: Wenn es sie gibt, sind sie gering.

Ansonsten wäre zu den Fahrwerken zu sagen, dass die Federelemente durchweg straff abgestimmt sind. Allzu holprig sollten die Straßen nicht sein. Falls doch, setzt es trockene Schläge, die man am besten stehend, mit leicht erhobenem Hintern ausreitet. Wie auf einer Enduro, wenn dieser Vergleich hier erlaubt ist. Bei aller Härte und Straffheit arbeiten die Federelemente schön synchron. Bei der Ducati kam im Verlauf der Testfahrten sogar der Eindruck auf, die Abstimmung der Marzocchi-Gabel würde besser zur relativ hart gefederten Hinterhand passen als bei der S-Version mit Öhlins-Federelementen. Bei ihr erschien die Gabel in der Federung etwas zu weich in Relation zur Hinterhand.

Trotz hilfreicher Elektronik im Hintergrund stellen die Motoren der Aprilia und der Ducati jeder auf seine Weise gewisse Anforderungen an die Fahrkunst der Piloten. Der 1199er-V2 der Ducati mit der riesigen Bohrung von 112 Millimetern und großen Einlassquerschnitten ist nicht gerade auf sattes Drehmoment bei niedrigen Drehzahlen optimiert. Einem steilen Anstieg, der bis 4000/min reicht, folgt zwischen 5000 und 6600/min eine Art Hochtal im Drehmomentverlauf. Hoch deshalb, weil es um die 90 Nm herum liegt. Tal deshalb, weil die Kurve davor und dahinter eben noch höher steigt. Und so luxusproblematisch es sich auch anhören mag, man merkt das beim Fahren. Aus dem Hochtal heraus mit 60 km/h zu beschleunigen ist zunächst eine betuliche Angelegenheit, nicht nur weil die Elektronik diese Übung möglicherweise mit einer Geräuschmessfahrt verwechselt. Bei Vollgas vollzieht sich der Übergang zum Leistungsorkan dann mit frappanter Schnelligkeit, von der sich der Fahrer keinesfalls die Besonnenheit rauben lassen sollte. Dank ihrer gleichmäßiger ansteigenden Leistungskurve bleibt die Aprilia leichter beherrschbar.

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Ducati 1199 Panigale.

Weitere Ansprüche stellt die Ducati bei den Lastwechseln. Sie vollziehen sich direkt, fast barsch, selbst im sanfteren Sportmodus und wenn das Gas mit Gefühl angezupft wird. Wobei sich bei einem Ride-by-Wire-System schwer bestimmen lässt, was der Fahrer zum sanften Umschalten von Schiebe- auf Lastbetrieb beitragen kann und was die Elektronik. Selbst in unbekannten Kurvenfolgen sollte man mit der Panigale nach dem Ideal des einen Lastwechsels pro Kurve streben, sonst zerhaut man sich die Linie.

Auch die RSV4 hat beim Lastwechsel noch nicht ganz die sittliche Reife erreicht, welche beispielsweise die Yamaha YZF-R1 auszeichnet. Aber sie profitiert im Vergleich mit der Ducati von den geringeren Gleichlaufschwankungen eines Vierzylinders. Sie legt einfach nicht gleich so heftig los wie der Motor der Duc. Wie der Vergleich mit der Dauertest-RSV4 der Redaktion zeigt, hat sie sich überdies seit ihren Anfängen beachtlich weiterentwickelt. Das betrifft nicht nur die Abstimmung des Motors, sondern auch Änderungen bei der Gestaltung von Kanälen und Brennräumen zur Optimierung der Verbrennung.

Richtig bescheiden in ihrem Benzindurst ist sie dadurch nicht geworden. Knapp über sechs Liter auf 100 Kilometer politisch korrekter Landstraßenfahrt lassen noch Wünsche offen. Die 1000er von Honda, Kawasaki und Suzuki fahren die gleiche Strecke gleich schnell mit rund einem Liter weniger. Die Panigale allerdings nicht, sie braucht genauso viel Sprit wie die RSV4. Kleinere Schwankungen im Bereich von Zehntellitern ausgenommen.

Eine sehr besondere Spezialität ist das rennmäßig gestufte Getriebe der Aprilia mit einem ersten Gang, der bis über 150 km/h reicht. Ohne Kupplungseinsatz lässt sie sich nicht durch enge Kehren zirkeln. Wohl dem, der sich die nötige Geistesgegenwart und Fingerfertigkeit schon antrainiert hat. Fingerfertigkeit beim Bremsen wird dagegen von beiden temperamentvollen Italienerinnen mit dem reinen Verzögerungsgenuss belohnt. Kräftig zupackend, gut dosierbar und standfest arbeiten beide Bremsanlagen. Das ABS der Panigale bietet neben zusätzlicher Sicherheit auch noch mehrere Modi, die sehr treffsicher auf verschiedene Fahrprogramme wie normale Straßenfahrt, Regenfahrten oder verschärften Rennstreckenbetrieb abgestimmt sind. Da bleiben keine Wünsche offen.

MOTORRAD - Fazit

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Ducati 1199 Panigale und Aprilia RSV 4 R APRC.

Ducati 1199 Panigale

Sie ist betörend schön, und sie hat die Grenzen der Motorradtechnik neu definiert, vor allem auf dem Feld der Elektronik. Außerdem ist sie ein gleichermaßen handliches wie fahrstabiles, hochdynamisches Motorrad. Aber sie fordert immer den vollen körperlichen und mentalen Einsatz vom Fahrer, ist anspruchsvoll und teuer, auch als sogenanntes „Normalmodell“.

Aprilia RSV4 R APRC

Man merkt der RSV4 ihre Reifezeit an. Lastwechsel, Lauf- und Klangkultur haben sich seit 2010 enorm verbessert, der Verbrauch ist nicht mehr exorbitant hoch. Ihr Fahrwerk mit seiner ans Magische grenzenden Verbindung von Leichtigkeit und Verlässlichkeit musste nicht geändert werden. Die Ergonomie als Teil davon fordert freilich einen hohen Einsatz.

Technische Daten

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Ducati 1199 Panigale und Aprilia RSV 4 R APRC.

Aprilia Ducati
Motor 
Bauart Vierzylinder-Viertakt-65-Grad-V-Motor Zweizylinder-Viertakt-90-Grad-V-Motor
Einspritzung Ø 48 mm Ø 68 mm
Kupplung Mehrscheiben-Ölbadkupplung (Anti-Hopping) Mehrscheiben-Ölbadkupplung (Anti-Hopping)
Bohrung x Hub 78,0 x 52,3 mm 112,0 x 60,8 mm
Hubraum 1000 cm3 1198 cm3
Verdichtung 13,0:1 12,5:1
Leistung 132,4 kW (180 PS) bei 12 500/min 143,0 kW (195 PS) bei 10 750/min
Drehmoment 113 Nm bei 10 000/min 132 Nm bei 9000/min
Fahrwerk
Rahmen Brückenrahmen aus Aluminium Monocoque aus Aluminium
Gabel Upside-down-Gabel, Ø 43 mm Upside-down-Gabel, Ø 50 mm
Lenkungsdämpfer Lenkungsdämpfer Lenkungsdämpfer
Bremsen vorne/hinten Ø 320/220 mm Ø 330/245 mm
Assistenzsysteme Traktionskontrolle und Startkontrolle ABS und Traktionskontrolle
Räder 3.50 x 17; 6.00 x 17 3.50 x 17; 6.00 x 17
Reifen 120/70 ZR 17; 190/55 ZR 17 120/70 ZR 17; 200/55 ZR 17
Bereifung Metzeler Racetec Interact K3 Pirelli Supercorsa SP
Maße + Gewichte
Radstand 1420 mm  1437 mm 
Lenkkopfwinkel 65,5 Grad 65,5 Grad
Nachlauf 105 mm 100 mm
Federweg vorne/hinten 120/130 mm 120/130 mm
Sitzhöhe** 840 mm 820 mm
Gewicht vollgetankt** 212 kg 195 kg
Zuladung** 194 kg 175 kg
Tankinhalt/Reserve 17,0/4,0 Liter 17,0/2,0 Liter
Service-Intervalle 10 000 km 12 000 km
Preis 16 990 Euro 19 490 Euro
Nebenkosten 286 Euro 305 Euro
MOTORRAD-Messwerte
Höchstgeschwindigkeit* 290 km/h 296 km/h
Beschleunigung
0–100 km/h 3,1 sek 3,2 sek
0–140 km/h 4,8 sek 4,7 sek
0–200 km/h 7,8 sek 7,8 sek
Durchzug
60–100 km/h 3,5 sek 3,9 sek
100–140 km/h 3,4 sek 3,7 sek
140–180 km/h 3,3 sek 4,8 sek
Verbrauch Landstraße 6,1 Liter Super 6,1 Liter Super
Reichweite Landstraße 279 km 279 km

*Herstellerangabe, **MOTORRAD-Messungen

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