MV Agusta F3 800 gegen Suzuki GSX-R 750
Der einzige Tipp, den ich euch noch geben kann, ist: habt Spaß.“ Mit diesen Worten drückt uns Brian Gillen, Dreizylinder-Verantwortlicher bei MV, am Werkstor in Varese den Schlüssel der MV Agusta F3 800 in die Hand. Grazie, werden wir haben.
Denn am Werkstor wird die MV Agusta F3 800 bereits von der Suzuki GSX-R 750 erwartet. Dem letzten Vertreter der 750er-Kaste, stetig modellgepflegt. Und somit die Einzige, die die Lücke füllte, die mittlerweile zwischen den in astronomische Leistungssphären entschwundenen Superbikes und den hochagilen, von Spöttern aber auch als drehorgelige Luftpumpen belächelten 600er-Präzisionswerkzeugen klafft. In diese Lücke zielt nun auch die MV Agusta F3 800. Ein Supersportler modernster Prägung, der im Grunde eine mit mehr Hub und Anti-Hopping-Kupplung versehene MV Agusta F3 675 ist. Das verspricht superbe Handlich- und Leichtigkeit bei nominell 148 PS. Dazu Traktionskontrolle, drei verschiedene Einspritzmappings - damit sollte sie gegen das betagte Konzept der Suzuki prima Karten haben, oder? Wir werden sehen.
Der Generationenunterschied wird bereits beim Platznehmen spürbar. Der Suzuki-Pilot logiert tiefer ins Motorrad eingebettet auf einem knautschigen Sitzpolster. Der bauchige Tank schiebt sich mächtig zwischen die Beine. Die Rasten sitzen hoch, lassen sich aber noch etwas tiefer montieren.
Unterschiedlicher könnte der Klang kaum sein
Der Pilot rastet förmlich in die Kommandozentrale der MV Agusta F3 800 ein. Er sitzt höher, auf einem spartanisch gepolsterten Sitz, dichter am Lenker. Der wunderbar schmale Tank sorgt für klasse Knieschluss und Kontakt zur Maschine. Das fügt sich zu einer sportlichen, aber nicht verkrampften Sitzposition.
Dann der Druck auf den Anlasser. Spontan erwachen beide zum Leben. Mit stabilem, niedrigem Leerlauf die Suzuki GSX-R 750, während bei der MV Agusta F3 800 vor allem nach kalten Nächten die Leerlaufdrehzahl im ersten Moment auch mal bis 4000/min hinaufschnappt. So verschieden wie Sitzpositionen und Äußeres sind auch ihre Lebensäußerungen. Dezent grummelt die Suzuki aus ihrem triovalen Schalldämpfer. Knurrig, metallisch mahlend und selbstbewusst röchelt der Drilling aus den adrett geschwungenen drei Endrohren. Die Gänge rasten ein, ab Richtung Heimat über die Alpen und die Schwäbische Alb.
Vom Fleck weg lässt der MV-Drilling die Muskeln spielen, liefert bereits bis 4000/min knackigen Druck, klingt aber mechanisch rauer, härter. Die Suzuki GSX-R 750 wirkt untenrum verhaltener, aber auch sanfter. Zwar setzt der Vierzylinder beim Öffnen der Drosselklappen zunächst hart ein, reagiert dann aber brav und berechenbar auf Gaskommandos.
Die MV Agusta F3 800 lässt Luft nach oben

Bei der MV Agusta F3 800 dagegen hapert es nach wie vor an der Abstimmung des Ride-by-Wire. Bei niedrigen Drehzahlen schnappt die Drehzahl beim kleinsten Zupfen am viel zu leichtgängigen Gasgriff in die Höhe und rempelt sich die MV durch die ersten 3000 bis 4000 Umdrehungen. Was selbst im Normal- statt im Sport-Modus in der Stadt oder engen Kehren nervig ist. Das erfordert einige Konzentration und eine sensible Gashand, dann klappt’s einigermaßen.
Zumal sich die Abstimmung bei der MV Agusta F3 800 gegenüber den bisherigen Modellen erneut verbessert zeigt. Dennoch: Da ist noch Luft nach oben. Denn hängt der Dreizylinder in seinem Wohlfühlbereich ab 4000/min erst einmal am Gas und darf drehen, prescht er mit mächtig Schmackes voran. Und glüht dann vehement und bissig, begleitet von kernigen Lebensäußerungen und merklichen Vibrationen in Richtung Begrenzer, dass es im ersten Gang das Vorderrad nicht auf dem Boden hält. Dabei zuckt sie durchaus schon mal mit dem Lenker. Ein Lenkungsdämpfer wie ihn die Suzuki hat, würde zumindest die Nerven beruhigen.
Die MV Agusta F3 800 wirkt durchtrainiert

Solche Feurigkeit hat der Suzuki-Vierer nicht im Repertoire. Er setzt seine Leistung gleichmäßig und gut dosierbar frei. Das stresst nicht, wirkt umgänglich, aber auch wenig spektakulär. Bei 12 000/min lässt sein Elan spürbar nach, und der Motor legt bis zum Begrenzer bei 14 500/min kaum noch an Leistung zu. Nur 138 statt der proklamierten 150 PS attestiert der Prüfstand. Der MV-Dreier kommt mit 142 PS deutlich dichter an die Werksangabe von 148 PS heran. Wobei er, das soll nicht verschwiegen werden, klar von seiner deutlich kürzeren Übersetzung profitiert. Doch was zählt, ist letztlich auf’m Platz. Just dort patzt die MV aber mit ihrem Getriebe. Bisweilen herausspringende oder schlecht sitzende Gänge trübten die Schaltarbeit. Und der Schaltautomat ist kein Garant für allzeit geschmeidige Gangwechsel. Das knochige Getriebe der Suzuki GSX-R 750 bekleckert sich allerdings auch nicht mit Ruhm, doch zumindest die Gänge sitzen sicher.
Einen weiteren Pluspunkt verbucht die Japanerin an der Zapfsäule. Gönnt sich die MV mit 5,6 Litern auf 100 Kilometer einen kräftigen Schluck aus der Pulle, nippt sie mit 4,3 Litern sparsam am Sprit. Zumindest hier wirkt sich die lange Übersetzung positiv aus. In Sachen Wendigkeit und Agilität aber hat sie gegen die MV nicht viel zu bestellen. Ungeheuer präzise schneidet die MV Agusta F3 800 ihre Radien, lässt sich wunderbar leicht in Schräglage bringen, zieht neutral und mit beeindruckender Stabilität ihre Bahn. Geringste Lenkkräfte genügen, um sie tiefer abzuwinkeln. Das Ändern der Linie ist ein Kinderspiel, sie wirkt durchtrainiert und sehnig, herrlich.
Die Stopper der Suzuki GSX-R 750 verlangen einen festen Griff
Ihre Monoblock-Zangen vorne - ABS-Unterstützung gibt es erst ab nächstem Jahr - packen wuchtig und fein dosierbar zu, beim heftigen Verzögern hält die Rutschkupplung das Heck ruhig. Und selbst auf der Bremse lässt sich die MV Agusta F3 800 punktgenau in die Kurve zirkeln. Vorausgesetzt die Temperaturen sind nicht im einstelligen Bereich und die Pirelli Diablo Rosso Corsa schön warm geknetet, dann gibt es ausreichend Rückmeldung von der Front.
Alles in Butter also, solange der Asphalt einigermaßen gepflegt ist. Doch je zerfurchter die Fahrbahn, desto schneller schwindet der Spaß. Weil das Federbein kurze, harte Stöße kaum absorbiert und knochig an den Fahrerhintern weiterleitet. Das dünne Sitzpolster sorgt beim sportlichen Ausritt zwar für guten Kontakt zur Maschine, ist beim Filtern von Härten aber ebenfalls keine Hilfe. Dazu leiten gröbere Unebenheiten ein Aufstellmoment ins steife Fahrwerk ein.
Genau andersherum läuft es bei der Suzuki GSX-R 750. Ihre Bremsen bieten mit Nissin-Radial-Bremspumpe und Brembo-Monoblock-Zangen zwar hochwertiges Material auf, wirken aber sportleruntypisch stumpf und verlangen nach festem Zupacken. Erst mit zunehmender Temperatur legen sie auch an Biss zu. Dazu lenkt die Suzuki beim Bremsen nur unwillig ein und wirkt im Handling träge und längst nicht so präzise wie die MV Agusta F3 800. Neutralität ist nicht ihre Stärke, sie will in Schräglage mit etwas Druck am Lenker auf Kurs gehalten werden. Das ist nicht wirklich sports-like. Vielleicht würden bereits andere Reifen als die betagten Bridgestone BT-016 einige dieser Unarten beseitigen oder zumindest mildern.

Immerhin absorbiert die Suzuki GSX-R 750 trotz ebenfalls eher straff abgestimmter Federelemente Asphaltverwerfungen besser und spendet mit ihrem üppigen Sitzpolster dem Fahrer mehr Komfort. Was beim zügigen Galopp über zweitklassige Sträßchen Aufstellmoment hin oder her - ohne Frage die Nerven mehr schont. So ist es letztlich weniger eine Frage, ob die MV Agusta F3 800 der bessere Mittelklasse-Sportler ist. Sie ist von gänzlich anderem Charakter, kompromissloser und mit den klar sportlicheren Genen. Aber auch - noch - mit der geringeren Reife als die Suzuki GSX-R 750, die sich in Alltagsdingen umgänglicher und komfortabler zeigt, dafür nicht so durchtrainiert daherkommt.
Das Konzept der MV Agusta F3 800 aber, Leichtfüßigkeit mit mehr als ausreichender Power und Emotionen zu paaren, ist goldrichtig. Und mehr als nur ein Fingerzeig für die Konkurrenz. Wenn dann noch ihre Umgangsformen den letzten Schliff haben, dann passt auch die Sache mit dem Spaß 100-prozentig, ganz sicher, Brian.
MOTORRAD-Fazit

Suzuki GSX-R 750
Ihr gebührt zweifellos die Ehre, die Fahne in der einstigen Superbike-Kategorie hochgehalten zu haben. Doch sind die sportlichen Lorbeeren reichlich welk. Sie ist umgänglich, von der Entwicklung aber eingeholt. Motor und Bremsen ohne Biss, fahrdynamisch im Hintertreffen, ABS nicht in Sicht. Eine Überarbeitung tut not, denn mehr denn je hat diese Hubraumklasse ihre Berechtigung. Und ihre Fans ohnehin.
MV Agusta F3 800
Sie ist das wesentlich knackigere, flinkere und fahraktivere Motorrad. Wesentlich druckvoller, macht an mit Sound, Optik. Der Schritt von MV, zwischen die gängigen Racing-Kategorien Supersport und Superbike die F3 800 zu platzieren, verdient Lob. Doch bitte, bitte legt noch einmal Hand an Getriebe und Gasannahme. Dazu etwas Detailarbeit an den Federelementen, und sie wäre eine sündhaft schöne Alternative zu den Big Bikes.
Technische Daten

MV Agusta F3 800 | Suzuki GSX-R 750 | Motor |
Bauart | Dreizylinder-Viertakt-Reihenmotor | Vierzylinder-Viertakt-Reihenmotor | Einspritzung | Ø 50 mm | Ø 42 mm |
Kupplung | Mehrscheiben-Ölbadkupplung (Anti-Hopping) | Mehrscheiben-Ölbadkupplung (Anti-Hopping) | Bohrung x Hub | 79,0 x 54,3 mm | 70,0 x 48,7 mm |
Hubraum | 798 cm3 | 750 cm3 | Verdichtung | 13,3:1 | 12,5:1 |
Leistung | 108,8 kW (148 PS) bei 13000/min | 110,3 kW (150 PS) bei 13200/min | Drehmoment | 88 Nm bei 10600/min | 86 Nm bei 11200/min |
Fahrwerk | Rahmen | Gitterrohrrahmen aus Stahl | Brückenrahmen aus Aluminium |
Gabel | Upside-down-Gabel, Ø 43 mm | Upside-down-Gabel, Ø 41 mm | Lenkungsdämpfer | – | hydraulischer Lenkungsdämpfer |
Bremsen vorne/hinten | Ø 320/220 mm | Ø 310/220 mm | Assistenzsysteme | Traktionskontrolle | – |
Räder | 3.50 x 17; 5.50 x 17 | 3.50 x 17; 5.50 x 17 | Reifen | 120/70 ZR 17; 180/55 ZR 17 | 120/70 ZR 17; 180/55 ZR 17 |
Bereifung | Pirelli Diablo Rosso Corsa | Bridgestone BT 016 „G“ | Maße + Gewichte |
Radstand | 1380 mm | 1390 mm | Lenkkopfwinkel | 66,0 Grad | 66,4 Grad |
Nachlauf | 99 mm | 97 mm | Federweg vorne/hinten | 125/123 mm | 120/130 mm |
Sitzhöhe** | 810 mm | 805 mm | Gewicht vollgetankt** | 195 kg | 195 kg |
Zuladung** | 175 kg | 185 kg | Tankinhalt | 16,5 Liter | 17,0 Liter |
Service-Intervalle | 6000 km | 6000 km | Preis | 13990 Euro | 11490 Euro |
Nebenkosten | 275 Euro | 190 Euro | MOTORRAD-Messwerte |
Höchstgeschwindigkeit* | 269 km/h | 280 km/h | Beschleunigung |
0–100 km/h | 3,6 sek | 3,2 sek | 0–140 km/h | 5,3 sek | 4,7 sek |
0–200 km/h | 9,1 sek | 8,6 sek | Durchzug |
60–100 km/h | 3,5 sek | 4,2 sek | 100–140 km/h | 3,7 sek | 3,9 sek |
140–180 km/h | 3,6 sek | 4,3 sek | Verbrauch Landstraße | 5,7 Liter/Super | 4,3 Liter/Super |
Reichweite Landstraße | 289 km | 395 km | *Herstellerangabe; **MOTORRAD-Messungen |