Vergleichstest Zweizylinder-Supersportler

Vergleichstest Zweizylinder-Supersportler Keine Gnade

Supersportliche Zweizylinder aus Japan hatten auf der Rennstrecke bislang nichts zu melden. Honda wagt mit der VTR 1000 SP-1 einen neuen Versuch gegen Aprilia RSV mille R und Ducati 996 SPS – wer ist Jäger, wer Gejagter?

Gegen die roten Renner aus Bologna schien lange Zeit kein Kraut gewachsen. 916 und das Nachfolgemodell 996 heimsten regelmäßig die Superbike-Krone ein. Die japanischen Vierzylinder hatten keine Chance. Und auch Suzukis Versuch, mit dem im Gegensatz zur S-Variante speziell für die Rennstrecke konzipierten Zweizylinder TL 1000 R die Italiener zu bezwingen, scheiterte. Die TL zog aufgrund von Fahrwerksschwächen den Kürzeren, in der Superbike-WM traten die Japaner mit ihrem Twin letztlich gar nicht an und haben die Produktion bereits wieder eingestellt. Lediglich Aprilia schaffte es, Ducati nicht mehr ganz so übermächtig erscheinen zu lassen.
Nun hat Honda eine ebenfalls speziell für den Renneinsatz gebaute Variante seines Zweizylindermodells auf den Markt gebracht, die VTR 1000 SP-1. In der Hochebene von La Mancha, in der einst Don Quichotte gegen übermächtige Windmühlen ankämpfte, soll einmal mehr der Ort sein, an dem Geschichte geschrieben wird. Genauer gesagt in Albacete mit seiner technisch sehr anspruchsvollen WM-Rennstrecke. Hier wollen Aprilia mille R und Honda VTR 1000 SP-1 endlich Schluss machen mit dem Mythos der Unbesiegbarkeit einer Ducati, selbst wenn es sich in diesem Vergleich um die 44340 Mark teure, edel ausgestattete 996 SPS handelt. Dagegen wirkt die brandneue Mille R mit 29998 Mark Einstandspreis fast bescheiden, die Honda für 26460 Mark wie ein Sonderangebot. Eins zu null für Japan. Doch was spielt Geld für eine Rolle, wenn es um schnelle Runden, ein sicheres Gefühl im Grenzbereich und Spaß geht?
Im fünften Gang ballert die Ducati 996 SPS die Zielgerade hinunter. Brüllt ihr Selbstbewusstsein aus den beiden Termignoni-Karbonfaser-Schalldämpfern heraus. Diese sind ebenso wie ein spezielles Eprom im Lieferumfang der SPS-Modelle enthalten, und die Ducati weiß: Bei diesem Vergleich kommt es auf jedes PS an, das in dieser Konfiguration freigesetzt werden soll. Hartes Anbremsen, drei mal runterschalten und rechts weg. Bereits in voller Schräglage das Gas wieder gefühlvoll aufziehen und den Schwung mitnehmen in die anschließende schnelle Links-rechts-Kombination. Haarnadel rechts, weit aufmachende Linkskurve, superschneller Linksknick – weit in einen 180-Grad-Bogen reinbremsen. Rechts, rechts, lange Gerade, schnell rechts, Schikane, Zielkurve – und wieder voll durchziehen.
Die Ducati scheint sich wie kein anderes Motorrad auf dem Asphalt festzusaugen, hält wie keine andere den gewünschte Kurs. Das teure Öhlins-Fahrwerk reagiert nahezu ungerührt auf Lastwechsel. Ob hart auf der Bremse oder beim spontanen Gasaufreißen, nie sacken Fahrzeugheck oder -front unberechenbar zusammen. Perfekte Balance und eine kompromisslos sportliche Grundabstimmung der Federelemente sind das Geheimnis. Selbst in der Schikane kurz vor Start und Ziel erweist sich die als äußerst bockig bekannte Ducati als vergleichsweise willige Gespielin. Dank der leichteren Fünfspeichen-Räder des 2000er-Jahrgangs ist die nur 208 Kilogramm schwere 996 jetzt auch ohne Einnahme von Anabolika zu bezwingen.
Was der Ducati allerdings fehlt, sind Bremsen mit Biss. Obwohl der spanische Importeur nach anfänglicher Kritik noch einen neuen Satz Beläge einbaut, ist das Ergebnis alles andere als überzeugend. Zu wenig Wirkung verlangt nach zu hoher Handkraft, worunter die Dosierbarkeit leidet. So fehlt die Rückmeldung und die Sicherheit, vor allem, wenn in Schräglage bis knapp an den Scheitelpunkt heran gebremst werden muss. Und gerade hier liegen wichtige Zehntelsekunden.
Einmal in voller Schräglage, folgt der Genuss des Gasaufziehens. Zuerst sanft, mit zunehmendem Öffnungswinkel der beiden 50 Millimeter großen Drosselklappen immer vehementer und direkter. Vom unvergleichlichen Ducati-Bass unterstützt, schiebt der Vau mit all seiner Leidenschaft voran. Keine störenden Vibrationen, kein lautes mechanisches Klappern - nur Druck.
Leider lässt es die für den Rennstreckentest für alle drei Sportler gewählte Pirelli-Bereifung in 190er-Originalgröße angesichts solchen Temperaments an Stabilität vermissen. Die Reifenflanken knicken unter diesen Extrembedingungen ein, der Kurvenradius wird meist größer als geplant, und das Gefühl für den Grenzbereich geht flöten. Pirelli Deutschland empfiehlt für den sportlichen Einsatz deshalb den 180er-Reifen auf der Sechs-Zoll-Felge und verspricht deutlich höhere Stabilität, mehr Grip und bessere Kontrolle im Grenzbereich. Einziges Problem: Die Reifengröße muss in die Papiere eingetragen werden.
Der Aprilia ist das egal, steht sie bereits serienmäßig auf 180er-Schlappen. Und die Experten von Pirelli Deutschland scheinen Recht zu haben. Die RSV mille R verhält sich in Kurvenfahrt leichtfüssiger als die Ducati, bietet bessere Rückmeldung. Doch das ist nur einer von vielen Vorteilen, die das R-Modell offeriert. Zuerst fällt diese unglaubliche Leichtigkeit auf, mit der sich die immerhin acht Kilogramm schwerere Aprilia dirigieren lässt. Blitzschnelles Abklappen bis zu maximaler Schräglage, kinderleichtes Korrigieren der Linie, engste Kurvenradien – mit der Mille R kein Problem. Dann die Schikane mit einem Schräglagenwechsel, so zackig und präzise, als handle es sich um eine 600er. Einfach sensationell.
Der Schlüssel zur Dynamik liegt nicht zuletzt in den neuen, von der Firma OZ gefertigten Schmiederädern. Aufgrund der extremen Gewichtsersparnis der filigranen Felgen (vorn 1,5, hinten 1,7 Kilogramm) wird aus der ohnehin schon handlichen Basis-Mille ein echtes »Rasiermesser«. Dazu besitzt die R ein der Ducati fast ebenbürtiges Öhlins-Fahrwerk. Fast – weil die Grundabstimmung im Vergleich zur 996 deutlich weicher ist. Selbst nach mehrfachem Nachjustieren der Federelemente kommt die Mille nicht ganz an das satte Fahrgefühl der Ducati heran.
Macht aber nichts, denn auch so lässt die Mille R nichts anbrennen. Trotz Leistungsnachteil markieren alle vier Piloten der Testcrew auf dem Renner aus Noale ihre Bestzeit (siehe Rundenzeiten-Tabelle Seite 43). Und alle vier geben das gleiche Urteil ab: super handlich und enorm präzise das Fahrverhalten, spontan und spurtstark der Motor, wirkungsvoll und gut dosierbar die Brembo-Stopper – die gleiche Version, die Ducati verwendet. Die Verantwortlichen in Bologna sollten auf die gleichen Beläge wie ihre Aprilia-Kollegen setzen. Weiterer Vorteil der Mille: die für jedermann passende Sitzposition, während auf der Ducati ein 1,90-Meter-Mann wenig zu lachen hat.
Am wenigsten hat allerdings Hondas Superbike-Hoffnung VTR 1000 SP-1 zu lachen. Schon die ersten Runden lassen nichts Gutes ahnen. Wie sich im ersten Test in MOTORRAD 5/2000 angedeutet hat, ist es mit der versprochenen Sportlichkeit nicht weit her. Über den Vorsatz: »Von der Rennstrecke auf die Straße« hat ganz offnsichtlich einmal mehr die japanische Kompromissbereitschaft gesiegt. Die VTR ist einfach zu brav, wirkt träge beim Einlenken, instabil in Kurvenfahrt und lustlos beim Herausbeschleunigen. Ein Problem, das, wie bei der 996 schon beschrieben, vom instabilen 190er-Hinterreifen noch verstärkt wird.
Die satte Leistung, die der Honda-V2 auf dem Prüfstand abdrückt, kommt auf der Rennstrecke nicht richtig zur Geltung. Zwar verwöhnt er mit der sanftesten Gasanahme, doch fehlt der spontane Leistungseinsatz, der die theoretisch schwächere Aprilia so erfrischend flink nach vorn peitscht. Obwohl die Honda über ein breites, gleichmäßig ansteigendes Leistungsband verfügt, wirkt sie nicht annähernd so spontan wie die italienischen Zweizylinder. Gleichgütig, ob 5000 oder 9000/min anstehen, die VTR wirkt wenig angriffslustig. Vor allem beim schnellen Gasaufziehen reagiert der Motor, als würde sich seine volle Kraft erst leicht verzögert aufbauen. Ein ähnliches Phänomen zeigt sich auch beim Gas zumachen. Der Zweizylinder baut kaum Bremsmoment auf, die VTR schiebt ungewöhnlich stark nach. Vor allem im schnellen Linksknick, der im dritten Gang durchfahren wird, sorgt diese Eigenart mehrfach für einen ungewollten Anstieg des Adrenalinspiegels.
Keine Chance außerdem, das Potenzial der hervorragenden Nissin-Bremsen auszuschöpfen. Sobald die Vierkolben-Zangen hart in die 320 Millimeter großen Scheiben beißen, taucht die Verkleidungsfront blitzartig ab, die Honda macht auf stur und weigert sich einzulenken. Gut 30 Meter früher als bei der Aprilia müssen die VTR-Bremspunkte gesetzt werden. Ein runder Fahrstil ist also gefragt.
Ein Fahrstil, wie er im öffentlichen Straßenverkehr gepflegt werden soll. Doch für den werden die Testmaschinen erst auf die Originalbereifung zurückgerüstet. Selbst beim Reifenwechsel ist bei der Honda die direkte Abstammung von der Rennstrecke nur schwer zu erkennen. Der Ausbau oder genauer gesagt der Einbau des VTR-Hinterrads verlangt dem Schrauber besonderes Geschick ab. Entweder klemmt der Bremssattel, oder eine der beiden Distanzhülsen fällt heraus, oder alles verklemmt sich. Ein Trauerspiel, über das Ducati und Aprilia nur schmunzeln können.
Die Honda hat eine Nacht, sich von der Schmach auf der Rennstrecke zu erholen. Am nächsten Morgen beim Ausflug über Land kann sie dann bei entsprechender Fahrwerkseinstellung (siehe Kasten Seite 43) mit höchstem Fahrkomfort und dem bequemsten Arbeitsplatz endlich glänzen. Perfekt die Bedienbarkeit der Schalter, leichtgängig die Hebeleien sowie versammelt und nahezu ermüdungsfrei die Sitzposition. Das breite und straff gepolsterte Sitzkissen bietet auch für großgewachsene Zweizylinder-Fans jede Menge Platz .
Im normalen Landstraßenbetrieb kommen die Probleme des breiten Hinterradpneus nicht zur Geltung. Moderate Schräglagen und weniger harte Bremsmanöver können den 190er-Serien-Metzeler kaum aus der Reserve locken. Hier gefallen der hohe Abrollkomfort und die guten Dämpfungseigenschaften der Konstruktion. Auch motorseitig kann sich die VTR einiges auf ihr Haben-Konto schreiben. Der weiche Leistungseinsatz und das breite, unspektakulär wirkende Leistungsband sorgen für ein jederzeit stressfreies Landstraßen-Erlebnis. Einziger Wermutstropfen: ein im Vergleich zur Aprilia recht hoher Verbrauch.
Die Mille macht ihre Sache allerdings nicht nur in diesem Punkt erstaunlich gut. Auch sie profitiert von der etwas weicheren Grundabstimmung ihres Fahrwerks. Und anders als die träge Honda kann sie ihren enormen Handlingvorsprung in echten Fahrspaß ummünzen. Wieselflink und mit leichter Hand zu dirigieren, steht sie der ausgewogenen Honda in nichts nach. Nur an den guten Manieren hapert es ein wenig. Zu hackig reagiert der Twin auf leichtes Öffnen der Drosselklappen, zu ruckartig setzt der Schub in unteren Drehzahlen ein. Das Spiel im Antriebsstrang trägt bei langsamerem Tempo und speziell in engen Kurven und Kehren wenig zur Harmonie bei.
Dennoch, trotz der supersportlichen Talente auf der Rennstrecke kommen die alltagstauglichen Qualitäten nicht zu kurz. Großer 21-Liter-Tank aus Kunststoff, geringer Verbrauch, gutes Licht, informatives, gut ablesbares Cockpit und nicht zuletzt der prima Windschutz machen die Aprilia selbst für die tourige Honda zur ernst zu nehmenden Konkurrenz.
Davon ist und bleibt die Ducati 996 SPS meilenweit entfernt. Zwar weiß der Charakter-V2 mit seiner unbändigen Leistungsentfaltung auf der Landstraße genauso zu begeistern wie das sportlich straffe und steife Fahrwerk. Doch der Duc fehlt es einfach an Komfort, guter Erziehung und dem nötigen Tick an Leichtigkeit. Zu extrem, zu kompromisslos, zu schwierig und kapriziös im Umgang. Ob schmerzende Handgelenke oder eingeschlafene Fußsohlen, die rennmäßige Fahrerhaltung ist auf Dauer nur bedingt gesellschaftsfähig. Aber für ihre Kompromisslosigkeit lieben wir sie ja, diese 996.
Und darum sind wir auch ein wenig enttäuscht von der VTR 1000 SP-1. Weil ihr zu viele Kompromisse auferlegt wurden. Von der Rennstrecke auf die Straße – es wäre allzu schön gewesen. Vielleicht sollte Honda mal Tadao Baba an den Zweizylinder ran lassen. Der Vater der CBR 900 RR hat ja eindrucksvoll bewiesen, dass auch Honda ein kompromisslos sportliches Bike für die Straße bauen kann.
Und wir sind begeistert von der Aprilia Mille R. Die angesichts der langen Diskussionen um die neue Honda keiner so richtig auf dem Tippzettel hatte. Toller Motor, prima Fahrwerk, spitzen Handling, gute Bremsen und die passende Bereifung. Gratulation.

Fazit: Aprilia

Platz 1 RennstreckeEin Sieg oder Wenn und Aber. Kein Motorrad in diesem Vergleich ist so spielerisch leicht zu beherrschen und fährt so schnell wie die RSV mille R. Es passt einfach alles zusammen: Handling, Bremsen und Motor.Platz 2 StraßeNur knapp geschlagen – die Mille überascht auch im Alltagsbetrieb. Nicht ganz so routiniert und glatt geschliffen wie die Honda, aber mit extrem hohem Spaßfaktor. Bei Aprilia bewegt sich was.

Fazit: Ducati

Platz 2 RennstreckeDie erste Niederlage für die erfolgsverwöhnte 996 SPS. Da helfen alle WM-Titel nichts, der Fortschritt der Konkurrenz ist nicht aufzuhalten. Der Duc fehlt es vor allem beim Bremsen und im Handling.Platz 3 StraßeEs ist weder Überraschung noch Schande, dass die SPS auf der Landstraße das Nachsehen hat. Das ist der Preis für eine kompromisslose Umsetzung des Sportgedankens. Der Faszination dieser Maschine tut das keinen Abbruch.

Fazit: Honda

Platz 3 RennstreckeDiese Vorstellung darf guten Gewissens als misslungen bezeichnet werden. Von den supersportlichen Versprechungen wurden wenig eingelöst. Zu schwerfällig, zu weich, zu widerspenstig beim harten Bremsen. Ein ernüchternder Rückstand.Platz 1 StraßeAlles flutscht, alles passt, alles ist gefällig. Typisch Honda eben. Die VTR 1000 SP-1 ist zwar nicht der Supersportler geworden, den man erwartet hat, für den Alltag allerdings die beste Wahl.

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