Windkanalvergleich
Aero-Plan

Ob die Motorradhersteller bei der aerodynamischen Gestaltung ihrer Supersportler nach Plan vorgehen, mußte ein Test im Windkanal beweisen.

Schneller, leichter, stärker lautet die Devise der Hersteller von Supersport-Motorrädern. Allen voran reklamiert die 1000er Yamaha YZF-R1 mit 202 Kilogramm vollgetankt und 150 PS Leistung die Spitzenposition unter den Supersportlern dieser Welt. Was das Leistungsgewicht anbelangt, steht sie tatsächlich auf der Pole Position. Doch bezüglich der Höchstgeschwindigkeit stiehlt ihr unter ihresgleichen gar die Kawasaki ZX-9R mit weniger Hubraum die Show. Ganz offensichtlich hat die Yamaha R1 Schwächen im aerodynamischen Bereich. Doch Aufschlüsse über die aerodynamischen Qualitäten können letztendlich nur Messungen im Windkanal bringen. Mit den Kollegen der italienischen Motorradzeitung Motociclismo ging MOTORRAD deshalb in den Windkanal des Hubschrauberherstellers Gruppo Agusta, exakt jener Firma, die früher die legendären MV Agusta-Motorräder produzierte. Als Referenz diente eine Ducati 916, die mit dem geringsten Luftwiderstand den Windkanalvergleich in MOTORRAD 10/1997 gewonnen hatte. Als weiterer Neuheiten-Kandidat mußte auch die neue Aprilia RSV 1000 ihre aerodynamischen Qualitäten unter Beweis stellen.
Bereits die Ermittlung der Stirnfläche bringt ein eher unerwartetes Ergebnis. Die gegenüber der Ducati schon fast bullig wirkende Aprilia mit der vergleichsweise voluminös wirkenden Verkleidung hat mit Fahrer exakt die gleiche Projektionsfläche wie die deutlich zierlichere Ducati. Der Zweizylinder aus Bologna ist zwar im unteren Verkleidungsbereich sichtlich schlanker und die Scheibe meßbar niedriger. Doch der Fahrer ragt selbst in zusammengefaltetem Zustand weit aus der Verkleidung heraus. Und sogar die Yamaha mit ihrem breiter bauenden Reihenvierzylinder bringt es gerade auf 1,5 Prozent mehr Stirnfläche als ihre beiden Konkurrentinnen.
Doch auch als im Windkanal der Orkan mit 160 km/h dem Fahrer um die Ohren tost, sorgt die Aprilia für eine Überraschung. Mit einem Wert für das Produkt aus Luftwiderstandsbeiwert und Stirnfläche von 0,314 stellt sie die Ducati mit 0,322 in den Windschatten. Die Yamaha dagegen zeigt mit einem Wert von 0,354 deutliche aerodynamische Defizite.
Das wird bei Betrachtung der reinen Luftwiderstandsbeiwerte cw, dem Maß für die aerodynamische Qualität, noch offensichtlicher. Während die Aprilia mit 0,52 die Spitzenposition einnimmt und die Ducati mit 0,53 dichtauf folgt, fällt die Yamaha mit 0,57 stark ab und sieht auch im Vergleich zu einer Suzuki GSX-R 750 vergleichsweise alt aus. Selbst ihr direkter Vorgänger, die YZF 1000, meistert diese Disziplin weit souveräner.
Hilfsmittel wie aufgeklebte Fäden, Rauchfahnen und Laserlicht offenbaren dann schonungslos die aerodynamischen Todsünden der Yamaha. Die Verkleidungsscheibe ist viel zu kurz und zu niedrig. Der Luftstrom fällt hinter dem Rand der Scheibe nach unten auf den Tank und trifft den Fahrer im gesamten Oberkörper- und Helmbereich mit der Konsequenz eines entsprechend schlechten Windschutzes. Da die Scheibe den Luftstrom nicht über den Fahrer ablenkt, wird die Strömung zerteilt und bildet hinter dem Helm im Rückenbereich eine turbulente Wirbelschleppe, die zudem auch noch auf das aerodynamisch ungünstige, nach oben gerichtete Heck auftrifft. Weitere Unzulänglichkeiten im Bereich des zu kurzen Verkleidungsunterteils und des mächtigen Schalldämpfers sorgen hier ebenfalls für leistungszehrende Turbulenzen.
Die Ducati bietet da schon bessere Voraussetzungen. Die ebenfalls zu kurze und tiefe Scheibe hat an ihrer Oberkante einen Gegenzug, der zumindest einen Teil des Luftstroms nach oben über den Fahrer ablenkt. Auch im Heckbereich sorgen keine freistehenden Schalldämpfer für Turbulenzen. Totzdem bietet die Verkleidung noch jede Menge Freiraum für aerodynamischen Feinschliff. Klarer Sieger nach Punkten ist die Aprilia, deren höheres Verkleidungsteil den Luftstrom über den Fahrer lenkt und auch den mit Abstand besten Windschutz bietet. Vielen Maßnahmen, wie dem lang nach hinten geführten Verkleidungsunterteil oder dem günstig geformten Heck sieht man an, daß die Aprilia bereits zuvor einen Windkanal gesehen hat. Doch auch ihre Verkleidung läßt sich aerodynamisch noch optimieren.
Speziell die Yamaha beweist, daß Aerodynamik auf dem Plan der japanischen Motorradentwickler hinsichtlich der Prioritäten weit unten zu finden ist. Um so bedauernswerter, weil eine gute Aerodynamik in der Regel mit gutem Windschutz Hand in Hand geht, bei hohen Geschwindigkeiten Kraftstoff spart und einer hohen Endgeschwindigkeit zugute kommt.

Unsere Highlights

Aprilia RSV 1000 - Allrounder

Die Aprilia RSV 1000 hat gute aerodynamische Anlagen. Die Verkleidung sieht im Vergleich zu den Konkurrenten zwar wuchtig aus, lenkt aber den Luftstrom gut über den Fahrer und sorgt so für einen geringen Luftwiderstwand und ordentlichen Windschutz. Weitere Details, wie der eng verlegte Schalldämpfer und die am Unterteil lang nach hinten gezogene Verkleidung, zeugen von aerodynamischen Überlegungen. Auch das Heck, das sich nach hinten verjüngt und leicht abfällt, setzt der über den Rücken des Fahrers fliesenden Strömung keinen zusätzlichen Widerstand entgegen. Die Aprilia beweist mit dem geringsten Luftwiderstand und dem besten Windschutz im Trio, daß sich beide Kriterien hervorragend kombinieren lassen.

Ducati 916 - Showtalent

Die Ducati 916 liebt die Show. Die sportlich knapp geschnittene Verkleidung bietet dem Fahrer durch den kleinen Gegenzug der Scheibe zumindest ansatzweise Windschutz. Das Unterteil ist eng um das schmale Triebwerk gelegt, und bietet dem Wind wenig Angriffsfläche. Pfiffige Lösungen kennzeichnen die Ducati im Heckbereich. So verursachen die im Sitzhöcker untergebrachten Schalldämpfer keinen unnötigen Luftwiderstand, und selbst die Einarmschwinge baut vergleichsweise schmal. Mit einer günstiger geformten Scheibe müßte die Ducati keine Einbußen der aerodynamischen Qualitäten hinnehmen, würde aber den Schutz des Fahrers verbessern. Allein bezüglich des Erscheinungsbildes gäbe es vor der Eisdiele Punktabzug.

Yamaha YZF R1 - Windei

Bei der Yamaha R1 waren Verkleidungsbauer am Werk, denen das Wort Aerodynamik wenig geläufig ist. Die kurze Scheibe bringt dem Fahrer nur minimalen Windschutz, weil der Luftstrom an ihrer Oberkante nach unten abgelenkt wird und so auf den Oberkörper des Fahrers trifft. Bei hohen Geschwindigkeiten ist der enorme Winddruck nur kurzzeitig zu ertragen. Seitlich wird ein Teil der Strömung um den Oberkörper herumgeleitetgeleitet und bildet im Rücken des Fahrers eine breitgefächerte Wirbelschleppe. Doch auch die Gestaltung des Sitzhöckers und des Verkleidungsunterteils, das hinter dem Motor große Freiräume zur Wirbelbildung freigibt, sind keine aerodynamische Glanzleistung. Sowohl hinsichtlich der Aerodynamik als auch dem Windschutz gebührt der R1 mit Abstand die rote Laterne.

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MOTORRAD 12 / 2023

Erscheinungsdatum 26.05.2023