Es könnte so einfach sein! Man nehme einen Japan-Supersportler, schraube Überflüssiges ab und Rennerprobtes dran – fertig ist die erfolgversprechende Rennfeile. Nach der Devise hatte Klaus Bretter als Teamchef schon mehrfach den Saisonauftakt-Klassiker der 1000 Kilometer von Hockenheim gewinnen können.
Jetzt wurde es Zeit für eine neue Herausforderung. Deshalb eine MV Agusta F3 800. „Ein wunderschönes Motorrad“, meint Klaus zwar. Doch die MV ist in Rennserien oder -trainings selten anzutreffen. Wohl, weil ihr der Nimbus technischer Anfälligkeit anhaftet. Schön, selten, zerbrechlich – wenn das für einen Langstrecken-Einsatz nicht Herausforderung genug ist. Zusammen mit Danijel Peric, der auch Fahrer im Team ist, und Modellbauer Viessmann ging es mit der F3 800 im ViessmannBretter Racing Team nach Hockenheim. Dazu bot der „RaceAttack Track“ von Conti als komplett neuer Slick ein weiteres Lockmittel für diese PS-Versuchsanordnung, und so konnte ich als dritter Fahrer angasen.
Dass sich Klaus Bretter mit der Wahl der MV Agusta F3 800 keine leichte Aufgabe gestellt hat, wurde dem Team sehr schnell klar. Zwar ist die MV von ihrer Basis her ein ziemlich schnelles Bike, sehr handlich, kurvenstabil und leistungsstark. Allerdings ist die Auswahl an Zubehör und Rennteilen für so ein relativ seltenes Motorrad ziemlich spärlich. Deshalb hat ABM etwa eigens eine Fußrastenanlage nach Teamvorgaben angefertigt, mit der eine einfache Umkehrung des Schaltschemas möglich ist. Der Gänsehaut fördernde Sound des Dreizylinders ist leider ein weiteres Problem: Sie ist zu laut! Zumindest für die Anwohner in Hockenheim und die strikte Lärmbegrenzung auf 98 dB. Die F3 ist übrigens mit Originalauspuff mit 102 dB homologiert und somit von Haus aus schon zu laut für die meisten Rennstrecken.
dB-Killer kosten rund 20 PS
Oft schafft außerdem die Beseitigung eines Problems eine Kette weiterer Schwierigkeiten. Bretter hat für die verwendete Arrow-Auspuffanlage eigene Spezial-dB-Killer mit sehr kleinem Querschnitt gebaut. Damit kommt die MV Agusta F3 800 zwar in die Nähe der Lautstärkevorgabe, allerdings können dann unter Volllast die anfallenden Abgase nicht mehr angemessen abgeführt werden. Das schmälert nicht nur die Spitzenleistung um zirka 20 PS, sondern verstärkt auch das bereits vorhandene Hitzeproblem der MV zusätzlich. Ohne einen extra Rennkühler könnte man dann spätestens bei den Sommerrennen gleich ein zentrales Loch ins Motorgehäuse hämmern.
Dass von den angegebenen 150 PS immerhin noch 140 im „Flüstertrimm“ übrig geblieben sind, ist nur unzähligen Stunden auf Bretters eigenem Leistungsprüfstand und dem Elektronik-Spezialisten Frank Rehberg zu verdanken. Frank hat den MVs zum Beispiel einen modifizierten Kabelbaum spendiert, die Schaltzeiten verändert und das Original-Steuergerät so umprogrammiert, dass die MV Agusta F3 800 jetzt auch über eine Blipperfunktion zum Runterschalten ohne Kupplung verfügt. Da genug Skepsis für den klassischen Langstrecken-Einsatz mit einem einzigen Motorrad blieb, wurden drei MV F3 800 auf diese Weise aufgebaut.
So vorbereitet, sollten die 1000 Kilometer beweisen, dass es geht. Das vom ADAC Hessen-Thüringen ausgetragene Rennen wird seit einigen Jahren nicht mehr im alten Seriensportmodus mit Dauerprüfung und anschließendem Sprintrennen gefahren. Jetzt ist es ein klassisches Langstreckenrennen vom Le Mans-Start bis ins Ziel – fast sieben Stunden Rennzeit. Auch das Fahrerfeld hat sich verändert. Waren früher teilweise noch blutige Rennstreckenanfänger unterwegs, starteten 2016 wieder diverse junge und ältere Rennsportgrößen. Zum Beispiel Supersport-WM-Fahrer Kevin Wahr, Ex-Supersport-Weltmeister Jörg Teuchert und sein früherer Teamchef Michael Galinski, die zusammen mit Toni Heiler im Vorjahr gewinnen konnten, oder auch die IDM Superbike-Fahrerin Lucy Glöckner.
Keine Aufwärmrunde
Das fahrerische Niveau war also hoch, ganz im Gegensatz zu jenem des Wetters, das mit Dauerregen bis Freitagabend Angst vor einer erneuten Wasserschlacht wie im Vorjahr schürte. War bei Trainingsbeginn am Samstagvormittag der Asphalt dann tatsächlich noch feucht und sehr kalt und musste sich das Fahrerfeld erst langsam an die schwierigen Bedingungen gewöhnen, purzelten zum Ende des Qualifyings die Rundenzeiten im Sekundentakt. Leider konnte unser Team bei dieser Tempoverschärfung nicht ganz mithalten. Wir fielen von einem zwischenzeitlich beachtlichen zehnten Gesamtrang noch bis auf den 31. Platz in der Startaufstellung zurück.
Als erfahrenster Pilot des Teams sollte ich den Start absolvieren. Die Anspannung vor meinem ersten Langstreckenrennen seit Le Mans 2011 war entsprechend hoch. Für zusätzliche Aufregung sorgte nach meiner Rückkehr aus der Besichtigungsrunde Danijels Entdeckung, dass sich der Lenkungsdämpfer der MV Agusta F3 800 an einem Haltepunkt gelöst hatte. Nichts wurde es damit aus der Warm-up-Lap.
Als fast alle anderen Fahrer wieder aus der Aufwärmrunde zurück sind, ist der Lenkungsdämpfer einfach abgeschraubt und ich kann für den Start auf meine Position gegenüber der Boxenmauer gehen. Blöd nur, dass die Reifen jetzt nicht mehr auf Temperatur sind. Doch die Conti-Slicks bieten vom ersten Meter an auch bei nicht optimaler Temperatur fabelhaften Grip. Schnell finde ich einen guten Rhythmus zwischen Risiko und dem Stück Zurückhaltung, das man im Langstreckensport braucht, um unbeschadet über die Distanz zu kommen.
MV Agusta F3 800 auf Meisterkurs
Da wir mit den normalen Tanks mit 16 Liter Benzin unterwegs sind, ist mein erster Turn nach ungewohnt kurzen 45 Minuten bereits zu Ende. Nach 20 Runden mahnt die Reservelampe zum Besuch an der Box. Dort sitzt Tim Stadtmüller, der dritte Racer im Bunde, bereits auf seiner MV Agusta F3 800. Punktgenau muss ich neben ihm halten. Denn es wird nach DLC-Reglement nur kurz der Transponder für die Zeitnahme von einem ans andere Motorrad gesteckt – und weiter. Mit konstanten Rundenzeiten können wir uns gut in den Top 15 halten. Konstanz auf hohem Niveau ist für uns der Schlüssel zum Erfolg. Zwischenzeitlich kommen wir im Gesamtklassement bis auf den 13. Platz nach vorne. Und das, obwohl die zahlreichen starken 1000er vor allem in der langen Parabolika ihren Leistungsvorteil eiskalt ausspielen können.
Kurz nachdem Tim seinen dritten Turn in Angriff genommen hat, gibt es auf einmal große Aufregung in der Box. Er signalisiert, dass er bereits schon wieder reinkommt und wird am Eingang der Boxengasse von den technischen Kommissaren angehalten. Tims Motorrad wurde bei der Vorbeifahrt als zu laut gemessen. Eilig wird daraufhin an seiner MV Agusta F3 800 der dB-Killer nochmals mit frischer Dämmwolle umwickelt. Anschließend führen die Kommissare eine erneute Geräuschmessung durch, die wir mit Ach und Krach an der oberen Toleranzgrenze bestehen. Aber wir bewegen uns ab da bis zum Ende des Rennens ständig am Rand von Anschiss und Rausschmiss.
Durch diesen Zwischenfall fallen wir leider wieder auf den 19. Gesamtrang zurück, haben aber in unserer Klasse immer noch genügend Vorsprung vor den Zweiten. Die italienischen Diven halten bis zum Ende tapfer durch, und so können wir als Klassensieger über die Ziellinie fahren – eine starke Leistung für den ersten Einsatz als neues Team. Es gibt an einigen Stellen sicher noch Verbesserungspotenzial. Aber schon beim ersten Rennen konnten so manche Ressentiments ausgeräumt werden. Die harte und aufwendige Vorbereitung hat sich für das ganze Team gelohnt. Die MV Agusta F3 800 ist schon mal auf Meisterkurs.