Porträt: Gunter Scherübl
Der passionierte Zweitaktfan Günter Scherübl

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Ein passionierter Zweitaktfan taucht alte Serienmotorräder in einen Jungbrunnen. Den Rest ihrer Tage verbringen diese dann als wunderschöne Renn-Replikas.

Der passionierte Zweitaktfan Günter Scherübl
Foto: Siemer

Wer bei Zwickau, Chemnitz oder Zschopau ins sächsische Kernland eindringt, der bekommt nach dem dritten oder vierten Radeberger gern den Satz zu hören, dass ein eingesperrter nackter Sachse, sofern er Nadel und Faden ergattern kann, garantiert im Anzug den Knast verlässt. Wahrscheinlich erzählen sich die Schwaben zur Schorle Ähnliches. Fakt bleibt, dass der Mangel an landwirtschaftlichen Reichtümern hier wie dort einen gesteigerten Erfindungsreichtum hervorrief.

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Dieser Hang zum Tüfteln und Kruschteln hat nicht nur glanzvolle ­Firmen – Daimler und DKW mögen als ­Beweis genügen – durchdrungen, sondern bis heute die merkwürdigsten Geschichten geschrieben. Jene des Elektromechaniker-Meisters Gunter Scherübl etwa, wohnhaft in Lichtenstein bei Zwickau. Der hat schon einen Anzug und läuft außerdem frei herum. Deshalb baut er sich Zweitaktrenner, während der Freizeit. Yamaha, Benelli, Malanca – in Scherübls Werktstatt geht es zu wie im Fahrerlager eines gut besetzten 125er- oder 250er-Laufs der 70er-Jahre.

Nicht ohne Stil

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In seinem kleinen Museum herrscht wunderbare Enge. Dabei hat alles so übersichtlich angefangen, mit einem schlanken Benelli-Nachbau.

Damals versammelten sich hinter den raren Werksrennern der ersten Startreihe zahlreiche weniger aufwendige, aber auch weniger empfindliche Production Racer. Wer mochte, konnte oft sogar eine gewisse Seriennähe entdecken, und genau da knüpft Gunter Scherübl an. Als er sich vor knapp 15 Jahren dem Veteranensport öffnete, wollte er nämlich Spaß haben. Nach dem Training das Kerzenbild kontrollieren, dann den Grill anschmeißen, anderntags ein paar fröhliche Runden drehen.

Letzteres nicht ohne Stil, versteht sich, und deshalb sah sein selbst aufgebauter Benelli-Renner just aus wie jene, die in den 70er-Jahren Italiens nationale Starterfelder füllten. Der luftgekühlte Zweitakt-Twin hängt im Serienrahmen, schlanker Renntank und knapper Höcker oben drauf, zwei kernige Auspuffbirnen unten drunter, enge Vollverkleidung drum herum. Alles zusammen ist herrliche 104 Kilogramm leicht.

Gesamtauftritt von Erbauer plus Benelli wirkte wie Reklame

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Außen Yamaha-Production Racer, hinter der Verkleidung bestens präparierte Serientechnik.

Und begehrenswert schön. Meinten auch andere Veteranenfreunde und bemerkten obendrein, dass die Sachsen-Benelli stets sauber lief. Was nicht wundern darf, denn Gunter Scherübl hatte damals gerade die Karriere als Schrauber seiner beiden schnellen Söhne, René und Alexander, hinter sich, die eigene Rennerei auf einer 50er-Simson hatte ebenfalls tiefe Kenntnisse über fixe Zweitakter hinterlassen. Kurzum: Der Gesamtauftritt von Erbauer plus Benelli wirkte wie Reklame; ehe er sich versah, kamen die Kollegen und wollten auch so einen praktischen Renner. Gunter Scherübl stimmte zu. Er bastelt und baut eben gern, zudem rechtfertigten die Anfragen weitere Besuche auf italienischen Teilemärkten.

Dort fanden sich genügend Recycling-fähige 125er- und 250er-Benellis, auch Hochschulterfelgen oder Rennbremsen ließen sich bei diesen Gelegenheiten noch auftreiben. Hinter passenden Tanks oder Rennhöckern herzujagen, war aber auf Dauer sehr mühsam – beides entsteht schon seit Jahren neu in einem kleinen ­italienischen Handwerksbetrieb. Nebenher ließ sich auf dem Apennin noch so manches entdecken, was mit Repliken eher weniger zu tun hatte, dafür aber dem Aufbau einer feinen Sammlung diente.

Hauptsache Zweitakter

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Auch vom berühmten Kawasaki-Production Racer H1R gibt es ein toll gemachtes Scherübl-Double-

Hauptsache Zweitakter, so lautet deren Motto, und das wird kaum überraschen. Aber sie reicht beispielsweise mit einer Peugeot von 1939 oder der touristischen Suzuki GT 750 weit über dessen sportliche Verwendung hinaus. MZ fehlen keinesfalls, obwohl Scherübl selber eine eher gespaltene Position zum Zschopauer Einheitsmotorrad einnimmt. Es war quasi verordnet, damals in der DDR, und deshalb fuhr er voller Stolz eine Jawa mit 350er-Zweizylinder. Zweitakt natürlich. Später ergatterte er für viel Geld eine 500er-Honda-Four. Viertakt, na ja, aber rund um Zwickau eine echte Sensation und bestens geeignet, um mit den Kumpels alle erreichbaren Grand Prix-Kurse anzusteuern.

Als Zehnjähriger schon war Gunter Scherübl zum Sachsenring gepilgert. Mit dem Fahrrad. Egal ob Piloten oder Motorräder – die Namen jener Jahre begleiten ihn bis heute. Zu den üblichen Verdächtigen gesellen sich in seiner Heldengalerie noch Heinz Rosner, der auf MZ in den Klassen von 125 bis 350 cm³ tapfer gegen den Rest der Welt kämpfte, sowie Rodney Gould, Kel Carruthers und Kent Andersson, allesamt unterwegs auf schnellen Zweitakt-Twins.

Der Nippon-Twin bietet einfach größeres Tuning-Potenzial

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Andere Leute sammeln Autogrammpostkarten ihre Idole, Gunter Scherübl die passenden Motorräder.

Die stammten von Yamaha, also hätte Gunter Scherübl wissen müssen, was ihm mit seinem Benelli-Renner über kurz oder lang blühen würde: Links und rechts schossen sie an ihm vorbei. Nicht nur echte Production Racer, sondern auch gemachte Serienmotorräder – der Nippon-Twin bietet einfach größeres Tuning-Potenzial. Bei den 250ern kämpft die Benelli-2C obendrein mit einem Hubraumhandicap von beinahe 20 cm³. Kurzum: Der Macht des Faktischen gehorchend, baut Gunter Scherübl seit 2003 vor allem Yamahas auf.

Der Serienrahmen verliert dabei alle überflüssigen Halter, in den Lenkkopf kommen Schrägrollenlager, Messingbuchsen nehmen die Schwingenachse auf, Halter für Verkleidung, Tank und Höcker werden angeschweißt. Den meisten Kunden genügen die serienmäßigen Bremsen, je nach gewünschter Anmutung eben die Trommeln der AS/DS/R5-Serie oder die vorderen Scheibenbremsen der RD-Reihe. Höchst selten findet sich auch mal eine schöne Doppel-Duplex-Bremse aus einer TR oder TD, eher schon italienische Edelware von Grimeca oder Ceriani. Ähnlich pragmatisch behandeln Scherübl und ­seine Kunden das Thema Federelemente, auch hier genügen meist die renovierten Seriengabeln und hinten handelsübliche Federbeine.

Gunter Scherübl will keine Kleinserien herstellen

Etwas aufwendiger gestaltet sich der Motorenaufbau, denn nicht nur Gunter Scherübl fährt ungern hinterher. Also lässt er mit geänderten Steuerzeiten, bearbeiteten Kanälen und höherer Verdichtung richtig Rauch rein, die Rennbirnen sind exakt für den jeweiligen Hubraum geformt, eine elektronische Zündung sorgt für Präzision und spart die Batterie. Dem 250er und 350er gönnt Scherübl 30er-Rundschieber-Vergaser von Mikuni, der 125er bekommt maximal 26er. Die Ölpumpe der Getrenntschmierung wird ausgebaut, stattdessen kommt gleich Gemisch von 1:20 bis 1:25 in den Tank. Manche finden eine Trockenkupplung schick. Am Ende sieht die Bilanz dann so aus: Die 250er-Replika aus Sachsen wiegt kaum mehr als der 100 Kilo leichte Production Racer TD von 1971 und drückt mit 43 ganze vier PS weniger. Dafür ist sie nicht so zickig und nicht so kostbar und hat einen viel kürzeren ersten Gang – gut auf den meisten bei heutigen Klassik-Veranstaltungen üblichen Kursen.

Gunter Scherübl will keine Kleinserien herstellen. Der Mittfünfziger denkt ans Ende seiner Manufaktur. Er hat zehn Benellis nachgebaut und noch viel mehr Yamahas. Weil ihr Motor dem der Yamaha ähnelt, entstanden fünf Renner auf Malanca-125-Basis, zierliche Schönheiten, von denen eine in Scherübls Sammlung wanderte. Otello Buscherini steht auf der Verkleidung, Erinnerung an den 1976 tödlich verunglückten Werksfahrer, der sowohl auf dem Sachsenring als auch in Tschechien hinreißende Vorstellungen geliefert hat. Es gibt eine 250er-Suzuki, die ein wenig an Barry Sheenes erste 500er dieser Marke erinnert. Daneben eine Kawasaki, die Paul Smart bekannt vorkommen könnte.

Kent Andersson zeigte sich interessiert

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Gunter Scherübl kann es manchmal selbst nicht fassen, was sich alles ansammelt, nur weil man sportliche Zweitakter mag.

Andere Leute sammeln Autogrammpostkarten ihrer Idole, Gunter Scherübl die passenden Motorräder. Ein Freund – der Veteranen-Racer Thomas Korn aus München – gab den Anlass, einem ganz besonderen Idol zu huldigen. Der schnelle Mann hatte schon drei Scherübl-Renner, fand aber seine 125er-Benelli etwas zu lahm. Da ist Gunter Scherübl in Schotten zur Box von Kent Andersson gepilgert, dem Weltmeister der Jahre 1973 und 1974, hat sich dessen Siegermaschine genauer angeschaut und Fotos gemacht. Das blieb dem Champion nicht verborgen, man kam ins Gespräch, Gunter deckte seine Nachbau-Pläne auf, Kent zeigte sich interessiert und war gespannt aufs Ergebnis. Dann also bis zum nächsten Jahr.

Kent Andersson hat Scherübls Replikas nie gesehen. Wenige Tage nach der Begegnung starb er im August 2006 ebenso plötzlich wie überraschend, und vielleicht steckt deshalb ganz besonders viel Liebe in den beiden Achtelliter-Yamahas. Die luftgekühlte ganz dem Production ­Racer TA nachempfunden, die wasser­gekühlte optisch mehr an Anderssons WM-Twin YZ 623 angelehnt.

Für Vortrieb sorgt hier ein wasser­gekühlter Zweizylinder aus der Malanca-Ecke, aber richtig scharf gemacht. Vorn verzögert eine Yamaha-Rennbremse, hinten eine Trommel der DS. Die breitere Schwinge erforderte eine geänderte Schwingenaufnahme, Grimeca-Felgen erhöhen den Renn-Spirit. Auf jeden Fall liegt es nicht am Material, wenn Thomas Korn heute überholt wird. Der Bayer hat übrigens schon Scherübl-Yamahas wieder auf Straßenzulassung zurückgerüstet, und auch Gunter Scherübl geht neuerdings merkwürdige Wege: Auf seiner Werkbank steht eine Jawa, die es so nie gegeben hat. Der seltene Einzylinder-Sportmotor von 1954 mit 350 cm³ diente meist als Antrieb für Motocrosser. Damit kann Scherübl nichts anfangen. Aber wie war das noch mit Sachsen, Nadel und Faden? Genau, er hat sich einen Serienrahmen besorgt und einen Straßenrenner aufgebaut.

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Erscheinungsdatum 05.05.2023