Die Saison 2018 markiert das dritte Jahr nach der Rückkehr Michelins in die MotoGP und so langsam haben die Franzosen die Reifenentwicklung im Griff. Zu Beginn war es vor allem das Vorderrad, das den Fahrern und dadurch auch Michelin große Probleme bereitete. Nachdem Michelin hier mit einem angepassten Querschnittprofil nachbessern konnte, war im vergangenen Jahr vor allem der unberechenbare Grip das große Sorgenkind. Die Reifen funktionierten nur in einem sehr schmalen Temperaturfenster und schafften es die Fahrer nicht, die Reifen genug zu belasten, waren Topplatzierungen ausgeschlossen. Aber auch dieses Problem scheint weitgehend gelöst.
Doch während im vergangenen Jahr auch die Rennwochenenden zur Entwicklungsarbeit genutzt werden konnten, setzt die Dorna für die Saison 2018 neue Regeln um, wie Michelin Zweirad Motorsport-Chef Piero Taramasso erklärt: „Alle Reifenmischungen müssen nun für alle Rennen bereits vor dem Saisonstart festgelegt werden. Es ist jetzt natürlich schwieriger für uns. Aber die Dorna will damit für konstantere Bedingungen sorgen. In den letzten beiden Jahren haben wir die Reifen oft verändert. Wir haben die Kontur angepasst, wir haben neue Mischungen gebracht und wir haben die Karkasse verändert.“
Der Einfluss der Fahrer und Teams

Auf Nachfrage erklärt Taramasso, dass es die Fahrer und die Teams waren, die eine entsprechende Anpassung des Regelwerks gefordert haben: „Die Teams haben sich über die dauernden Änderungen und die damit einhergehenden, zeitintensiven Set-Up Anpassungen beschwert. Daher hat die Dorna entschieden, dass ab der Saison 2018 vor dem ersten Rennen der Karkassaufbau und die Kontur des Reifens festgelegt werden müssen, da entsprechende Veränderungen auch die Geometrie des Motorrads beeinflussen. Darüber hinaus müssen wir den Teams zu Saisonbeginn mitteilen, welche Mischungen wir wo einsetzen werden, damit sie sich schon zu Beginn des Jahres vorbereiten können.“
Was den Fahrern und Teams das Leben erleichtert, ist für Michelin bei den Tests und bei der Einführung von Neuerungen laut Taramasso aber kontraproduktiv: „Durch die neuen Regeln müssen wir neue Spezifikationen im Vorfeld bekanntgeben und wir können keine Anpassungen während der Saison vornehmen. Daher sind alle Neuerungen – wie zum Beispiel der neue Querschnitt, den wir am Montag nach dem Rennen in Barcelona getestet haben – für die kommende Saison. Am Montag nach dem Rennen in Brünn werden wir dann eine neue Karkasse in Verbindung mit dem Querschnitt aus dem Barcelona-Test testen. Sollten die Ergebnisse positiv ausfallen, werden wir diese Kombination in der Saison 2019 einsetzen. Für das nächste Jahr haben wir vor allem eine weitere Verbesserung bei der Rückmeldung des Vorderreifens sowie beim Verhalten am Kurveneingang als Ziel."

Dass die Umstellung des Regelwerks für den Reifenhersteller nicht ganz einfach ist, ist leicht nachvollziehbar. Zum einen verzögert sie natürlich die Entwicklungsarbeit, zum anderen nimmt sie auch die Möglichkeit, während der Saison auf Änderungen wie neu asphaltierte Streckenabschnitte oder auch Wetterkapriolen zu reagieren. Letzteres war durch die Produktionszyklen bei Michelin aber schon in den vergangenen Jahren nur noch bedingt möglich und hat vor allem bei Übersee-Rennen kaum eine Bedeutung: „Produziert werden die Reifen in der Regel bereits drei Wochen vor dem jeweiligen Rennen.“ beschreibt der Michelin Motorsport Chef den Ablauf. „Für die Europa-Rennen ist das kein Problem. Geht es aber nach Übersee, werden die Reifen per Schiff verfrachtet und dann müssen sie zwei bis drei Monate vorher verschickt werden.“ Diesen zeitlichen Nachteil nehmen die Franzosen hauptsächlich aus Kostengründen in Kauf, wie Piero Taramasso weiter erklärt: „Mit dem Flugzeug dauert die gesamte Lieferung zwar nur fünfzehn Tage, das ist aber auch sehr teuer und wir versuchen daher, den Transport per Luftfracht zu vermeiden.“
Zum Rennen in Assen trat eine weitere Änderung des Regelwerks bezüglich der Reifen in Kraft. Zusätzlich zu den regulären zehn Vorder- und zwölf Hinterreifen stand den Fahrern, die den Weg über das erste Qualifying für das Abschluss-Quali der besten Zwölf nehmen müssen, ein zusätzlicher Hinterreifen zur Verfügung. Seit dem Grand Prix in den Niederlanden gibt es für die Piloten, die beide Qualifyings absolvieren, nun auch einen zusätzlichen Vorderreifen. Auch hier hatten laut Taramasso die Fahrer maßgeblichen Einfluss auf die Regeländerung: „Bisher war es so, dass die beiden Fahrer, die im ersten und im zweiten Qualifying starten mussten, einen soften Hinterreifen zusätzlich bekommen haben. Jetzt haben die Fahrer darum gebeten, dass sie auch einen extra Vorderreifen bekommen.“ Während allerdings beim zusätzlichen Hinterreifen die Mischung durch das Reglement vorgegeben ist, können die Fahrer beim Vorderrad zwischen der soften, der mittleren und der harten Varianten wählen, wie Taramasso die Neuerung näher beschreibt: „Beim Vorderreifen haben sie freie Wahl. Auch bei den Regenreifen können sie frei wählen und bekommen sowohl Vorder- als auch Hinterreifen in der gewünschten Mischung. Einzig bei den Slicks ist vorgeschrieben, dass der zusätzliche Hinterreifen eine softe Mischung haben muss.“
Michelin und die Zukunft

Aktuell entwickelt Michelin aber nicht nur die MotoGP Reifen weiter, seit dieser Saison ist auch ein neues Prototypenprojekt dazugekommen. Die Franzosen werden auch in der im kommenden Jahr startenden Moto-e Weltmeisterschaft Alleinausstatter und führen laut Taramasso aktuell bereits die ersten Praxistests mit der neuen Bereifung durch: „Wir haben mit den Tests begonnen und am Donnerstag am Sachsenring auch einen Nasstest absolviert.“ Obwohl die Dimensionen denen der MotoGP entsprechen werden, wird es sich bei den Reifen für die Moto-e erstaunlicherweise um eine Neuentwicklung handeln, wie Taramasso weiter erklärt: „Wir entwickeln die Reifen direkt mit den Energica Rennmotorrädern mit den Rennrahmen und den Rennmotoren. Natürlich verwenden wir hier Technologien aus der MotoGP und auch von freiverkäuflichen Reifen, die Pneus werden aber speziell für die Moto-e entwickelt.“
Laut Taramasso stellt die Moto-e den Reifenhersteller dabei gleich in mehreren Bereichen vor neue Aufgaben: „Es ist eine Herausforderung. Das neue Motorrad hat mehr Drehmoment und ist schwerer. Aktuell arbeiten sie bei Energica daran, das Motorrad leichter zu machen und ich denke, es geht in die richtige Richtung. Wir werden mit einem Basisreifen anfangen und das Ziel ist es, einen Reifen mit guter Performance zu haben. Wir wollen aber auch neue Technologien wie zum Beispiel die Verwendung von natürlichen und recycelte Materialien einfließen lassen, um auch in diesem Bereich dem Geist der Moto-e zu folgen. Die Tests laufen aber gegenwärtig sehr gut und wir gehen davon aus, dass die Spezifikationen bei den Tests in Jerez im November stehen werden. Der Anfang ist bereits sehr vielversprechend.“
Bei so viel Entwicklungsaufwand stellt man sich natürlich die Frage, welchen Nutzen Michelin aus dem Engagement in der MotoGP zieht und ob die gewonnenen Erkenntnisse auch in die Straßenreifenproduktion einfließen. Laut Piero Taramasso ist dieser Entwicklungsstand aber noch nicht erreicht: „Es dauert circa drei bis vier Jahre, bis man hier Dinge ableiten kann. Im Moment arbeiten wir bei den Mischungen am Technologietransfer. Die letzten Jahre haben wir daran gearbeitet, die richtigen Mischungen für die verschiedenen Strecken zu finden. Hier haben wir bereits viel Erfahrung und hier wird es auch den ersten Technologietransfer zu den kommerziellen Reifen geben. Hauptziel ist es, den Grip und die Beständigkeit verbessern.“