Szene: Rückblick: 26 Jahre Buell - Erik Buell erinnert sich
"Ich wollte Harleys mit Handling bauen"

Kurz vor dem überraschend verkündeten Harley-Aus für sein Werk, hatte Erik Buell dem rasenden Reporter Alan Cathcart von seinen Anfängen erzählt: Buell über Buell.

"Ich wollte Harleys mit Handling bauen"
Foto: Cathcart

Nicht nur seine technischen Lösungen sind unkonventionell, Erik Buell selbst schwimmt sein ganzes Leben lang schon gegen den Strom. Auf einer Farm im US-Bundesstaat Pennsylvania, wo der heute 59-Jährige aufgewachsen ist, hatte er als elfjähriger Dreikäsehoch eine 110er- Honda mit Durchstieg getunt: Klein Erik wollte mehr Power und vor allem besseres Handling, wenn er damit raus auf die Felder tuckerte. Später heuerte er als Mechaniker in einem Motorrad-Laden an, das Geld sollte ihm ein Maschinenbaustudium an der Uni Pittsburgh finanzieren. Parallel hatte er als Mechaniker für einen Hobby-Rennfahrer angefangen, der aber mitten in der Saison urplötzlich ausstieg und Erik für seine Dienste mit der Rennmaschine entlohnte: eine Kawasaki Big Horn 350-Ein-zylinder. "Damit bin ich 1972 und 1973 bei örtlichen Rennen dann selber gestartet", erinnert sich Erik Buell grinsend an den damals gelegten Grundstein seiner späteren Karriere als Rennfahrer, Konstrukteur und schließlich Firmengründer.

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1978 hatte er es, mit dann 28 Jahren, in der landesweiten Meisterschaft der American Motorcycle Association (AMA) bis in die 750er-Klasse gebracht. "Im Qualifying für Daytona 200 war ich schnellster Rookie, 17. von 80 Fahrern", erzählt er heute noch stolz. "Ich stand in der Startaufstellung vor Randy Mamola und glaubte zu träumen. Im Rennen selbst war ich unter den ersten Zehn - als die Zündung durchbrannte. Und im Superbike-Rennen, in welchem ich mit einer Ducati 900 SS gestartet war, lag ich kurz vor Schluss auf Platz sechs. Dann fiel einer der Vergaser ab. Das war bei Ducatis damals nix Besonderes. Trotzdem habe ich in den Jahren bis 1982 eine Reihe guter Ergebnisse eingefahren, bin dann mit Ingenieurs-Titel von der Uni abgegangen und habe bei Harley in der Entwicklung angefangen. Damals beschloss ich, dass es irgendwie nicht richtig sei, mit dem Material unserer Konkurrenz zu fahren. Aber nach ein paar Rennen mit einer RR 250-Zweitakt-Harley, für die ich erstens zu groß war und die zweitens sowieso nicht konkurrenzfähig gewesen ist, kaufte ich eine 750er-Sparton, einen Zweitakter mit Drehschieber-Ein-lass, und bin damit die AMA-Meisterschaft gefahren. Das Teil war echt schnell, aber extrem empfindlich und hatte das Handling eines Trucks. Daher hab ich meinen eigenen Rahmen gebaut und den Motor mit eigenen Kurbelwellen, Zylindern und Kolben bestückt. Das Ergebnis waren 163 PS bei 10500 Umdrehungen, höllisch viel für die Zeit. Und da dachte ich, dass es dafür doch einen Markt geben muss. Also nahm ich eine Hypothek auf mein Haus auf und gründete die Buell Motorcycle Company, um eine Serienproduktion zu starten."


Zuvor war Erik Buell 1979 bis 1984 bei Harley in der Forschungs- und Entwicklungsabteilung angestellt, zuletzt unter dem späteren Harley-Boss Jeff Bleustein, der damals Vice President Engineering war. Nach der Schicht im Büro kam Erik nach Hause, nur um abends weiter an seinem Zweitakter RW 750 zu arbeiten. "Das Dumme war, dass die AMA genau in dieser Zeit die 750er-Klasse zugunsten der Superbikes abschaffte. So konnten wir von der RW 750 exakt ein einziges Exemplar verkaufen - finanziell eine Katastrophe, ich war völlig pleite. Der Prototyp der RW stand ewig in meinem Schuppen, war von Staub und Taubenfedern bedeckt, bis ihn ein paar Jungs vom Werk Jahre später für mich restauriert haben." Zuletzt glänzte die 750er wieder wie neu in Eriks Büro.

"Bei Harley hatte ich ganz unten am Totempfahl der Motoren angefangen. Ich musste die Ölkannen zählen, mit denen jeder Motor am Fließband befüllt wurde. Und das waren zu Zeiten der AMF-Harleys und Vor-Evo-Grauguss-Motoren noch ganz schön viele. Doch bald kam ich zur Fahrwerksentwicklung. Das war eher mein Ding. Im Grunde meines Herzens bin ich eben immer ein Rohrbieger gewesen. Die Idee, einen Harley-Motor in einer Rennmaschine zu verwenden, war so entstanden: Ich hatte mit der RW 750 zwar mein eigenes Fahrwerk, aber der Motor ging immer noch zu oft fest. Das war wieder mal passiert, also lieh ich mir einen Harley XR 1000 Flattracker von einem Freund und ging in Elkhart Lake damit an den Start. Der Motor war getunt, aber der Rahmen Serie und ich wurde gegen einige Ducatis damit trotzdem Dritter. Das bewies, dass der Harley-Motor Potenzial hatte, aber eben einen vernünftigen Rahmen brauchte, um die Power im Zaum zu halten. Doch in jenen Tagen starben einige gute Freunde von mir bei Rennunfällen, und gleichzeitig kam meine Tochter zur Welt. Für mich war es also Zeit, mit dem Rennenfahren aufzu-hören und mich darauf zu konzentrieren, in meiner eigenen Firma Harleys mit Handling zu bauen." Das war 1984. Doch durch das finanzielle Desaster mit der unverkäuflichen RW 750 blieb dies vorerst Wunschdenken.
1986 bekam Erik Buell schließlich den Auftrag, für einen Custom-Laden ein Show-Motorrad mit XR 1000-Motor zu bauen. Es war die Geburt des RR 1000 Battle Twins (S. 95), der als Einzelstück geplant war. "Aber die Reaktionen darauf überzeugten mich, weitere zu bauen. Alles in Handarbeit, in meiner Scheune. Das war schwierig, vor allem ohne Geld. Doch ich bekam tatsächlich 25 Bestellungen von Händlern, die ein solches Sportmotorrad haben wollten, und Vaughn Beals, der damalige Harley-Chef nach dem Management-Buy-Out (Juli 1981, Red.), erklärte sich bereit, ein paar von den XR 1000-Ironhead-Viergang-Twins beizusteuern. So fingen wir 1987 an zu produzieren. Aus den 25 Aufträgen wurden schließlich 50, aber dann waren plötzlich keine Ironhead-Motoren mehr auf Lager.

Harley entschied jedoch, dass ich auch die neuen 1200er-Evo-Sportster-Motoren aus Alu habe könne, mit denen wir von 1988 bis 1990 rund 70 Bikes bauten. Alles Einzelsitzer mit Vollverkleidung, die wir aus Qualitätsgründen ebenfalls komplett selbst fertigten. 1990 kam die zweisitzige RS 1200, die verkaufte sich richtig gut. 150 Bikes bauten wir allein in jenem Jahr. Doch dann führte Harley das Fünfganggetriebe ein und änderte jeden einzelnen Aufhängungspunkt, was eine komplette Neuplanung bedeutete." Immerhin hatte Buell von der RS 1200 mit gummigelagertem Motor, darunter platziertem Mono-Federbein und Einscheibenbremse über 200 Stück verkauft. "Es war die richtige Richtung." Der Erfolg von Buells völlig unterfi- nanzierter Privatfirma überzeugte schließlich seinen ehemaligen Boss, Jeff Bleustein, der mittlerweile zum Chef der Harley-Company aufgestiegen war. Bleustein ließ Harley mit 49 Prozent bei Buell einsteigen und ermöglichte seinem ehemaligen Angestellten damit den Bau der Fabrik in East Troy, Wisconsin, nicht weit von Milwaukee.


26 Jahre und rund 135000 Motorräder später, genauer zum 18. Dezember 2009, lässt Bleusteins Nach-Nachfolger im Amt des Chief Executive Officer, Harley-Boss Keith Wandell, dasselbe Werk nun zu- sperren: die Fabrik des Mannes, der nach Überzeugung seiner Fans das Wort Handling überhaupt erst ins Harley-Handbuch hinein geschrieben hat. Erik Buell sagt von sich selbst, er sei einen steinigen Weg gegangen, aber stets weiter gekommen. Doch dieser neue Stein könnte selbst für den Rohrbieger aus East Troy zu groß sein.

Was macht Buell jetzt?

Diese Seiten waren längst fertig, als die Nachricht aus den USA kam: Erik Buell scheidet zum 30. Novem-ber 2009 aus dem Harley-Konzern aus, um im kleinen Stil wieder nicht straßenzugelassene Renn-Motor-räder zu bauen und Racing-Teile zu entwickeln. Mit "Erik Buell Racing" will der 59-Jährige künftig auch Rennsportlern auf Buell-Motorrädern technische Unterstützung bieten. Mehr dazu: Seite 6.

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